Urlaubsanspruch trotz Verjährung?

Grundsätzlich gelten die Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches auch für die Urlaubsansprüche von Arbeitnehmenden. Allerdings müssen diese auch die tatsächliche Möglichkeit gehabt haben, ihren Urlaub zu nehmen. Ist das nicht der Fall, stehen die Rechtsfolgen der §§ 194 ff. BGB der Grundrechtecharta der Europäischen Union entgegen.
vom 23. September 2022
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Urlaubsanspruch trotz Verjährung?

Grundsätzlich gelten die Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches auch für die Urlaubsansprüche von Arbeitnehmenden. Allerdings müssen diese auch die tatsächliche Möglichkeit gehabt haben, ihren Urlaub zu nehmen. Ist das nicht der Fall, stehen die Rechtsfolgen der §§ 194 ff. BGB der Grundrechtecharta der Europäischen Union entgegen.
von Alexander PradkaEine Arbeitnehmerin verlangte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Ende Juli 2017 von ihrem Arbeitgeber für 101 Tage seit 2013 nicht genommenen Jahresurlaub finanzielle Vergütung. Das lehnte dieser ab. Im ersten Rechtszug erhielt sie nur für drei Tage im Jahr 2017 eine Abgeltung zugesprochen. Das Landesarbeitsgericht in Düsseldorf entschied, dass sie für weitere 76 Tage Geld bekommen müsse. Hier tauchte in der Begründung die Ausführung auf, dass der Arbeitgeber nicht dafür Sorge getragen habe, dass sie ihren Urlaub tatsächlich hätte nehmen können. Die Ansprüche seien infolgedessen nicht erloschen und nicht nach den allgemeinen Verjährungsvorschriften verjährt.
 

Bundesarbeitsgericht setzte Verfahren aus

Das darauffolgende Revisionsverfahren setzte das Bundesarbeitsgericht aus. Es möchte vom Europäischen Gerichtshof die Frage geklärt haben, ob die in den §§ 194 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches vorgesehenen Verjährungsregeln mit Art. 7 der Richtlinie 203/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta vereinbar sind. Art. 7 konkretisiert den in Art. 31 Abs. 2 der Charta verankerte Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub. Die Vorschrift sieht vor, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit Arbeitnehmende einen bezahlten Mindesturlaub von vier Wochen erhalten. Der EuGH präzisiert, dass Art. 7 grundsätzlich nationalen Regelungen nicht entgegensteht, deren Rechtsfolge sogar der Verlust des Urlaubsanspruches ist.
 

Berechtigte Interessen auf beiden Seiten

Laut EuGH haben Arbeitgebende zwar ein berechtigtes Interesse daran, sich nicht Anträgen auf Urlaub oder finanzielle Vergütung für nicht genommenen Jahresurlaub gegenüberzusehen, den Arbeitnehmende auf mehr als drei Jahre vor Antragstellung erworbene Ansprüche stützen. Das gebiete schon das berechtigte Begehr nach Rechtssicherheit und der Notwendigkeit, personelle Ressourcen organisieren zu können. Aber: Dieses Anliegen Arbeitgebender ist dann nicht mehr berechtigt, wenn sie ihre Arbeitnehmenden nicht in die Lage versetzen, den Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen. Dann haben sie selbst dafür gesorgt, dass Angestellte sie mit entsprechenden Anträgen konfrontieren. Arbeitgebende müssen laut EuGH entsprechende Vorkehrungen in Form von ausdrücklichen Hinweisen und Aufforderungen, den Jahresurlaub rechtzeitig zu nehmen, treffen.
 

EU-Grundrechtecharta geht vor

Ließe man zu, dass sich Arbeitgebende auf die Verjährung der Ansprüche berufen kann, ohne tatsächlich in die Lage versetzt zu haben, würde man ein Verhalten billigen, das zu einer unrechtmäßigen Bereicherung führt und dem eigentlichen Schutz des Art. 31 Abs. 2 der Charta verfolgten Zweck, die Gesundheit der Arbeitnehmenden zu schützen, zuwiderlaufe, so der EuGH. Unter diesen speziellen Umständen stehen Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta den Verjährungsvorschriften entgegen. Diese Umstände festzustellen und demgemäß zu entscheiden, ist dann Aufgabe des Bundesarbeitsgerichts.
EuGH, C-120/21Bildnachweise: © Unsplash / Brooke Cagle]]>

Beitrag von Alexander Pradka

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