Maßstäbe für die Prüfung im Einzelfall hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) bereits im Jahr 2021 in einem Urteil aufgestellt. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich vorgesehene Beweismittel, um die behauptete Arbeitsunfähigkeit in einem streitigen Zeitraum zu belegen. Laut BAG lässt sich der Beweiswert erschüttern, wenn der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin „tatsächliche Umstände darlegt und gegebenenfalls beweist, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben“. Dafür reicht es bereits aus, wenn zwischen der Kündigung und Arbeitsunfähigkeit ab dem Tag der Kündigung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses eine Koinzidenz besteht. Ist der Fall so geartet, bestehen laut BAG „ernsthafte Zweifel“ an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit. Dann wiederum ist der oder die Angestellte in der Pflicht, substantiiert darzulegen, dass er im angegebenen Zeitraum tatsächlich arbeitsunfähig war. Das ließe sich etwa durch Vernehmung des behandelnden Arztes – nach Entbindung von der Schweigepflicht – bewerkstelligen.
Gesamtbetrachtung notwendig
Aktuell war das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein mit einem vergleichbaren Fall befasst. Eine Arbeitnehmerin hatte ihren Arbeitsvertrag fristgemäß gekündigt. Sie bat in ihrem Kündigungsschreiben um eine Bestätigung der Kündigung, die Zusendung der Arbeitspapiere an ihren Wohnort, bedankte sich für die Zusammenarbeit und wünschte dem Unternehmen alles Gute. Zur Arbeit erschien sie nicht mehr und reichte durchgehend für die sechs Wochen bis zum Ende ihrer Tätigkeit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein. Ihre Arbeitgeberin zahlte keine Entgeltfortzahlung. Die Zahlungsklage der Arbeitnehmerin hatte vor dem Arbeitsgericht sogar Erfolg, das Landesarbeitsgericht wies sie unter Hinweis auf die Entscheidung des BAG zurück. Im Rahmen der Gesamtbetrachtung sah das LAG den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als erschüttert an, weil die Krankschreibung durchgehend bis zum Ende der Kündigungsfrist andauerte und diese außerdem punktgenau den maximalen Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen umfasst. Das Gericht stellte zusätzlich auf das Kündigungsschreiben ab: Aus diesem ergebe. sich, dass die Verfasserin von vorneherein nicht mehr mit ihrer Anwesenheit gerechnet habe.
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