Arbeitnehmerschutz in Massenentlassungsverfahren

Massenentlassungsverfahren unterliegen aufgrund ihrer schwerwiegenden Bedeutung für viele Angestellte eines Unternehmens einem strengen und stark formalisierten Prozedere. Basis sind die Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union über Massenentlassungen, kurz MERL. Diese sind in Deutschland in den §§ 17 ff. des Kündigungsschutzgesetzes umgesetzt. In einem aktuellen Fall musste das Bundesarbeitsgericht die Frage des besonderen Arbeitnehmerschutzes klären.
vom 2. Februar 2022
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Arbeitnehmerschutz in MassenentlassungsverfahrenMassenentlassungsverfahren unterliegen aufgrund ihrer schwerwiegenden Bedeutung für viele Angestellte eines Unternehmens einem strengen und stark formalisierten Prozedere. Basis sind die Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union über Massenentlassungen, kurz MERL. Diese sind in Deutschland in den §§ 17 ff. des Kündigungsschutzgesetzes umgesetzt. In einem aktuellen Fall musste das Bundesarbeitsgericht die Frage des besonderen Arbeitnehmerschutzes klären.
Konkret geht es dabei um die Frage, ob § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu interpretieren ist. Das Gesetz sieht vor, dass der Arbeitgeber im Falle einer Massenentlassung die Agentur für Arbeit über die Einleitung des Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat unterrichtet. Dabei reicht die „gleichzeitige“ Einreichung einer Abschrift der entsprechenden Mitteilung aus. Das BAG hat mittels Beschluss das Verfahren ausgesetzt und bittet den Europäischen Gerichtshof um Klärung.
 

Kündigungen könnten unwirksam sein

Dieser soll klarstellen, wie Art. 2 Abs. 3 Unterabsatz 2 der MERL zu verstehen ist und welches Ziel die Einbindung der zuständigen Behörde im Konsultationsverfahren hat. Davon hängt nach Ansicht des sechsten Senats des BAG auch die Antwort auf die Frage ab, wie § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG auszulegen ist. Die Klärung ist deshalb wichtig, weil in der Folge aufgrund eines Formfehlers die im Rahmen eines Massenentlassungsverfahrens ausgesprochenen Kündigungen unwirksam sein könnten.
 

Massenentlassung nach Insolvenz

Hintergrund der Angelegenheit ist ein Fall, in dem ein Betroffener gegen seine Kündigung vorgeht. Seit knapp vierzig Jahren war er bei einem Betrieb angestellt, über dessen Vermögen 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Im April 2020 kam dann das endgültige Aus für das Unternehmen. Die Entlassung der zuletzt noch 195 bei dem Betrieb beschäftigten Angestellten war mit Datum des Stilllegungsbeschlusses am 17. Januar 2020 beabsichtigt. Auf dessen Basis fanden unmittelbar mit dem Betriebsrat Verhandlungen über den Abschluss eines Interessensausgleichs sowie eines Sozialplans statt. Auch das Konsultationsverfahren im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes führten die Beteiligten durch.
 

Übermittlung verpasst

Die Agentur für Arbeit erhielt indes keine Abschrift der an den Betriebsrat gerichteten Mitteilung, die das Konsultationsverfahren einleitet. Die Massenentlassungsanzeige erging am 23. Januar 2020 an die Behörde, die vier Tage später deren Eingang bestätigte. Am 28. Januar erhielt der Kläger seine Kündigung zum 30. April 2020. Die Agentur für Arbeit beraumte noch für den 28. und 29. Januar Beratungsgespräche mit 153 Mitarbeitern der insolvent gegangenen Firma an. Der Kläger macht geltend, dass die Übermittlungspflicht in § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG sicherstellen soll, dass die Agentur für Arbeit so früh wie möglich Kenntnis von den bevorstehenden Entlassungen erhält, um ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können. Sie habe „arbeitnehmerschützenden Charakter“. Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen.Bildnachweise: © Unsplash/ The New York Public Library

Beitrag von Alexander Pradka

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