Willkommen in der Gegenwart

Jeweils mit deutlicher Mehrheit hat das Europäische Parlament Mitte Juli das Gesetz über digitale Dienste (DSA) und über digitale Märkte (DMA) beschlossen. Mit den neuen Regelungen reagiert die EU endlich auf die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen der letzten 20 Jahre. Jetzt ist zügige Umsetzung gefragt.
vom 3. August 2022
image

Auf Basis des Digital Services Acts (DSA) bekommen Online-Plattformen und Suchmaschinen mit entsprechend großer Reichweite innerhalb der Europäischen Union strengere Auflagen. Es ist zu begrüßen, dass die EU mögliche negative Auswirkungen auf Grundrechte, Wahlen und die psychische Gesundheit von Bürgerinnen und Bürgern verhindern möchte. Es war höchste Zeit, den Online-Auswüchsen einen Riegel vorzuschieben, denn auch wenn es viele gibt, die die anonymen Untiefen des Internets für einen rechtsfreien Raum halten, in dem sie tun und lassen können, was sie möchten, ist das so eben nicht. Und um künftig die davon für eine Gesellschaft ausgehenden Gefahren einzudämmen, müssen auch diejenigen, die Dienste zur Verfügung stellen, stärker in die Verantwortung genommen werden. Insofern ist auch eine stärkere Kontrolle geboten, die Selbstregulierung funktioniert nicht in gewünschtem Maße. Dass Empfehlungssysteme transparent und nachvollziehbar sein sollen, ist für Anbieter und Kunden gleichermaßen ein Gewinn. Für viele bilden Empfehlungen eine wichtige Basis für ihre Entscheidung für oder gegen ein Produkt oder eine Dienstleistung. Systeme, denen niemand mehr traut, weil ein Interessent oder eine Interessentin nicht mehr weiß, ob es sich um eine echte und ernst gemeinte Bewertung handelt, haben keinerlei Nutzen. Umgekehrt ist es richtig, dass der DSA nicht zu sehr in Verbote abdriftet, wie es von manchen gefordert war. Ein generelles Verbot personalisierter Werbung etwa wäre für zahlreiche Unternehmen ein erheblicher und nicht zu rechtfertigender Wettbewerbsnachteil gewesen. Mit dem Schutz von Minderjährigen und der Beachtung sensibler Daten ist in dieser Hinsicht ein gelungener Kompromiss entstanden. Problematisch sind wie so oft Ungenauigkeiten beziehungsweise Unbestimmtheit an den Stellen, an denen Definition und Klarheit gefragt wären. Vor allem diejenigen, die mit der Umsetzung neuer Vorschriften erhebliche Aufwände zu bewältigen haben, stehen zu oft vor einem Rätsel. Beispiel „Dark Patterns“: Konsumenten sollen nicht mehr zu Handlungen verleitet werden, die ihren Interessen entgegenlaufen. Wie der Begriff zu verstehen ist, bleibt offen. Dass es hier um teilweise komplexe technische Systeme geht, ist unbestritten. Gerade da wäre eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den an einem Gesetzgebungsverfahren Beteiligten und Menschen aus der Branche mit praktischer Erfahrung wünschenswert.

 

Vollkommen berechtigte Kritik – etwa vom Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) – erfährt die Tatsache, dass Onlineplattformen nicht nur zur Sperrung von rechtswidrigen Medieninhalten verpflichtet sind, sondern sie auch sachlich richtige Veröffentlichungen ausschließen können – und dies beispielsweise via AGB. Auch das Verschweigen korrekter Inhalte ist Desinformation in Reinkultur und darf keine Legitimation auf vertraglicher Ebene erreichen. Mit dem Digital Markets Act (DMA) besinnt sich die Europäische Union auf Basiselemente der freien Marktwirtschaft. Auch in dieser Hinsicht hat das Agieren im digitalen Umfeld Geschäftspraktiken gefördert, die eines Korrektivs bedürfen. Die Beherrschung des Marktes durch Oligopole und Monopole einfach zuzulassen und hinzunehmen, hätte zerstörende Wirkung entfaltet. Konsumenten in der EU leben und lieben die Vielfalt des Angebotes und die Möglichkeit, zwischen verschiedenen auswählen zu können oder zu kombinieren. Insofern ist es folgerichtig, wenn kleinere Plattformen von den Großen der Branche verlangen können, dass sie Nutzern den Austausch von Nachrichten, Sprachnachrichten oder Dateien über Messaging- Applikationen ermöglichen. Konsequent ist, dass Dienstleister nicht mehr eigene Dienste oder Produkte in bevorzugter Form bewerben und Nutzer vorinstallierte Apps und Software problemlos deinstallieren können. Von entscheidender Bedeutung ist jetzt, dass die einzelnen Mitgliedstaaten zügig DSA und DMA umsetzen und dass diese Umsetzung einheitlich erfolgt. Ansonsten führt der eingeschlagene Weg ins Leere. Und jedes Land muss sich um den Aufbau behördlicher Strukturen kümmern. Nicht, dass es am Ende sinnvolle Gesetze gibt, die aber in der Praxis gar nicht umgesetzt werden können.

Ihr Alexander Pradka
Leitender Redakteur
alexander.pradka@diruj.de

Beitrag von Alexander Pradka

Dies könnte Sie auch interessieren

uva
Schiedsgerichtsbarkeit stärken
Bundesregierung und Gesetzgeber haben es nicht leicht und werden für ihre Vorhaben und Gesetze oft kritisiert. Häufig auch zurecht, Regelungen sind oft...
Es wird Zeit für das neue Arbeitszeitgesetz
Seit Mitte April des vergangenen Jahres liegt der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BAMS) zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes...
Hehre Ziele und handfeste monetäre Vorteile
Ohne Gesetz geht es nicht. Klima- und Umweltschutz lassen sich mit Freiwilligkeit und Lippenbekenntnissen nicht realisieren. Deshalb ist das von der EU...