Mittlerweile sind fast fünf Jahre vergangen, seit der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein sogenanntes „Stechuhr-Urteil“ veröffentlicht hat. Darin war klar zum Ausdruck gekommen, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber verpflichten müssen, ein System vorzuhalten, mit dem die von ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Zunächst war noch umstritten gewesen, ob dieses Urteil Unternehmen unmittelbar zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems bindet oder lediglich eine Aufforderung zur konkreten gesetzlichen Regelung beinhaltet. Das ist mittlerweile obsolet, weil der deutsche Gesetzgeber zumindest einen Vorschlag vorgelegt hat und damit den Weg einer dem EuGH-Spruch entsprechenden Änderung des Arbeitszeitgesetzes eingeschlagen hat. Zwischenzeitlich hatte sich aber auch das Bundesarbeitsgericht der Sache angenommen und über die in dem zugrundeliegenden Sachverhalt bestehende Klagebegehr hinaus entschieden, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in Deutschland ohnehin für Arbeitgebende verpflichtend ist. Abgeleitet wurde das aus der unionskonformen Aulegung des §3 Abs. 2 Nr. 1 des Arbeitsschutzgesetzes. So geschehen im September 2022. Kam der Referentenentwurf des BAMS noch relativ zügig, ist der Prozess mittlerweile ins Stocken geraten. Erfahren haben wir nur noch eines – aber erneut aus den Reihen der Rechtsprechung: Das Landesarbeitsgericht München hat per Beschluss entschieden, dass ein Betriebsrat eine Regelung dazu erzwingen kann, wie in einem Unternehmen die Arbeitszeiten der Angestellten erfasst werden. Die Entscheidung über die beste Art der Zeiterfassung sei Gegenstand des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates, geregelt in § 87 Abs. 1 Nr. 7 des Betriebsverfassungsgesetzes, und dies betreffe auch die Regelungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Außendienst. Das lässt sich auch als zarter Hinweis auf notwendige Regelungen für Angestellte im Homeoffice verstehen.
Im Oktober 2023 stand das Thema dann noch einmal im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages zur Anhörung. Diese brachte wenig Überaschendes zutage. Deutscher Gewerkschaftsbund und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sprachen sich für eine enge Auslegung des BAG-Urteils aus. Diejenigen, die auf der Seite der Arbeitgebenden stehen, vor dem Ausschuss waren das die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Elektro- und Metallindustrie plädierten für den Erhalt der Vertrauensarbeitszeit und wiesen darauf hin, dass viele Berufsgruppen bereits artikuliert hätten, gar nicht in die Arbeitszeiterfassung einbezogen werden zu wollen – darunter auch die Rechtsanwältinnen und -anwälte sowie Richterinnen und Richter. Ein paar Tage nach der Anhörung veröffentlichte die Neue Berliner Redaktionsgesellschaft ein Interview mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Darin versprach er, dass Vertrauensarbeitszeit „weiter möglich sein wird – ohne Stechuhr“. Arbeitszeiterfassung und Vertrauensarbeitszeit schlössen sich nicht aus, eine Option für die Praxis seien „insbesondere digitale Aufzeichnungsmöglichkeiten“. Im Übrigen will Heil flexible Erfassungsmöglichkeiten und kein „bürokratisches Monstrum“. Soweit, so gut, das wird niemand wollen. Gebraucht wird aber Rechtssicherheit – wie kann und darf die Zeit erfasst werden? Wann und wie oft soll die Arbeitszeit erfasst werden – taggenau, wöchentlich, flexibel gestaltbar? Was genau ist unter Vertrauensarbeitszeit zu verstehen und wie sehen die Regeln für diese aus? Unklarheiten bestehen dahingehend, wie mit Pausenzeiten umzugehen ist, dazu haben sich weder Rechtsprechung noch Gesetzgebung bisher geäußert. Gegensätzliche Ansichten gibt es ja immer, aber die aufgeworfenen Fragen sind nicht so schwierig, dass das einer raschen und praxistauglichen Lösung in Form eines neuen Gesetzes weiterhin im Weg stehen sollte.
Ihr
Alexander Pradka
Leitender Redakteur In-house Counsel
Alexander Pradka