2014 wurde aus der SAP AG die SAP SE. Im Zusammenhang mit der Umwandlung einigten sich Unternehmen und ein besonderes Verhandlungsgremium, das die Arbeitnehmenden der beteiligten Gesellschaften vertrat, darauf, dass bei einer Verringerung der Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder von 18 auf 12 die Gewerkschaften zwar weiterhin Kandidaten und Kandidatinnen für einen Teil der sechs Sitze der Arbeitnehmervertreter vorschlagen können. Allerdings sollte dies fortan nicht mehr in einem gesonderten, abgetrennten Wahlverfahren geschehen, wie es vor der Umwandlung Usus war. Auf diese Weise war sichergestellt, dass stehts von den Gewerkschaften vorgeschlagene Kandidatinnen und Kandidaten auch tatsächlich in den Aufsichtsrat kamen. Mit der neuen Regelung bestünde die Möglichkeit, dass diese nicht mehr mit dabei wären.
Was das deutsche Recht vorsieht
Das rief die Gewerkschaften verdi und IG Metall auf den Plan. Sie wandten sich per Klage gegen die neuen Modalitäten, der Rechtsstreit ging bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG). Dieses geht unter Anwendung deutschen Rechts davon aus, dass die Gewerkschaften mit ihrem Anliegen Recht haben. Danach wäre die Unwirksamkeit der in Frage stehenden Regelung festzustellen und eine Rückkehr zum getrennten Wahlverfahren zu realisieren. Das Verfahren verfolge den Zweck, den Einfluss der Arbeitnehmervertreter auf die Beschlussfassung innerhalb des Unternehmens zu stärken. Dazu müsse sichergestellt sein, dass zu diesen Vertretern Personen gehören, die über ein hohes Maß an Vertrautheit mit den Gegebenheiten und Bedürfnissen des Unternehmens verfügen und trotzdem externen Sachverstand mitbringen.
Das “Vorher-Nachher-Prinzip”
An den Europäischen Gerichtshof wandte sich das BAG, weil es unsicher war, ob die Richtlinie 2001/86 zur Ergänzung des Status der SE hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmenden ein gegebenenfalls von allen Mitgliedstaaten in gleichem Maße sicherzustellendes einheitliches Schutzniveau vorsehe – das aber geringer sei als im deutschen Recht festgelegt. Nach deutschem Recht muss im Rahmen einer Umwandlung die für die SE geltende Vereinbarung in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleisten wie jenes in der Aktiengesellschaft – sogenanntes „Vorher-Nachher-Prinzip“. Der Europäische Gerichtshof beantwortete die Frage mit der klaren Aussage, dass deutsches Recht anwendbar sei.
Wichtiger Hinweis an die Gewerkschaften
Der EuGH begründet die Entscheidung damit, dass der Unionsgesetzgeber angesichts der in den Mitgliedstaaten bestehenden Vielfalt an Regelungen und Gepflogenheiten für die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter an der Beschlussfassung von Gesellschaften nicht ratsam ist, ein auf die SE anwendbares einheitliches europäisches Modell der Arbeitnehmerbeteiligung vorzusehen. Damit will dieser auch der Gefahr vorbeugen, dass die Gründung einer SE – insbesondere im Wege der Umwandlung – zu einer Einschränkung oder zur Beseitigung der Beteiligungsrechte führt, die die Belegschaft zuvor noch nach nationalen Rechtsvorschriften genossen haben. Für die SAP heißt das: Es muss beim getrennten Wahlverfahren bleiben. An die Gewerkschaften adressiert stellt der EuGH klar, dass das Vorschlagsrecht auf alle in der SE, ihren Tochtergesellschaften und Betrieben vertretenen Gewerkschaften auszuweiten ist.
EuGH Az. C-677/20
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