Trügerische Transparenzerklärung

In § 257 c der Strafprozessordnung sieht der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten vor. Die Regelungen sind detailliert und können den weiteren Fortgang des Verfahrens sowie dessen Ergebnis betreffen. Wichtig ist in jedem Fall die Belehrung des oder der Angeklagten.
vom 26. November 2021
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Trügerische TransparenzerklärungIn § 257 c der Strafprozessordnung sieht der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten vor. Die Regelungen sind detailliert und können den weiteren Fortgang des Verfahrens sowie dessen Ergebnis betreffen. Wichtig ist in jedem Fall die Belehrung des oder der Angeklagten.
§ 257 c Abs. 5 StPO sieht insoweit vor, dass der oder die Angeklagte über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis zu belehren ist. Es kann ja immer sein, dass sich neue Umstände ergeben oder das Gericht bei seiner Beurteilung etwas übersehen hat – und dadurch der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr angemessen ist. Das Gericht soll dann nicht mehr an die Verständigung gebunden sein. Darüber muss der oder die Angeklagte aber auch Bescheid wissen, schließlich soll ein Geständnis erreicht werden. Das geht immer gegen die Selbstbelastungsfreiheit. Eigentlich eine klare Sache, könnte man meinen. In der Praxis ist es aber nicht immer so einfach – zumindest wenn Gericht oder Verfahrensbeteiligte sich nicht im Klaren sind, was sie da tun.
 

Zwischenberatung

So geschehen in einem sehr umfangreichen Fall, den das Landgericht Berlin zu entscheiden hatte und das dann im Wege der Revision vor dem Bundesgerichtshof landete. In der Sache ging es um Steuerhinterziehungen im großen Stil und es standen mehrjährige Freiheitsstrafen für die Angeklagten im Raum. Die Berufsrichter des Landgerichts führten außerhalb der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Staatsanwalts Gespräche mit einzelnen Verteidigern über die Möglichkeit einer Verständigung. Der Vorsitzende teilte mit, dass die Kammer das Verfahren „nicht für verständigungsgeeignet halte“. Möglich sei aber die „Zwischenberatung über das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme“ und „die Abgabe einer vorläufigen Einschätzung. Auf Verteidigerseite bestand Interesse an dieser Option.
 

„Transparenzerklärung“

Der Vorsitzende übermittelte Staatsanwaltschaft und Verteidigern eine E-Mail, die – und da wird es spannend – als „Transparenzerklärung“ bezeichnet war. Enthalten war eine vorläufige Würdigung des bisherigen Beweisergebnisses sowie der entscheidungserheblichen Rechtsfragen. Dazu kam für jeden Angeklagten gesondert die Angabe der „im Falle eines umfassenden Geständnisses als angemessen erachtete Strafober- und Untergrenze“. Zu den Geständnissen ergänzte die Kammer, dass sie diese „jeweils strafzumessungsrechtlich noch als frühes Geständnis werten würde.“ In der Hauptverhandlung betonte der Vorsitzende abermals, dass es sich hierbei nicht um ein Verständigungsangebot handele, der genannte Strafrahmen bilde lediglich eine realistische Einordung ab und sei nicht als „starre Ober- oder Untergrenze zu verstehen“.
 

Keine Bindungswirkung?

Der Vorsitzende las die Transparenzerklärung allen Prozessbeteiligten vor und erklärte, den Angeklagten müsse bewusst sein, dass die genannten Strafrahmen auch im Falle einer Einlassung „keine Bindungswirkung entfalten“. Dann gab es die Möglichkeit zur Stellungnahme. Die Angeklagten, die zuvor von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht hatten, gaben teilgeständige Einlassungen ab. Am Ende der Beweisaufnahme gab der Vorsitzende zu Protokoll, dass „zwischen den Verfahrensbeteiligten keine Gespräche mit dem Ziel einer Verständigung gemäß § 257c StPO stattgefunden haben“ und dass auch weiterhin „keine Verständigung gemäß § 257c StPO getroffen wurde“. Die Freiheitsstrafen wurden verhängt.
 

Leistung und Gegenleistung

Was sieht der Bundesgerichtshof in der „Transparenzerklärung“? Einen gerichtlich unterbreiteten Verständigungsvorschlag – der sich ausschließlich nach dem sachlichen Gehalt der Gesprächsinhalte bestimmt und nicht danach, wie die Beteiligten das beurteilen. Verständigungserörterungen seien immer dann zu bejahen, wenn zwischen prozessualem Verhalten und Verfahrensergebnis ein Konnex hergestellt wird, also ein Gegenseitigkeitsverhältnis im Sinne von Leistung und Gegenleistung vorliegt. In Abgrenzung dazu sind „sonstige verfahrensfördernde Gespräche, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielen“ zu sehen. Der BGH ordnet unter diesen Maßstäben die Transparenzerklärung als Verständigungsvorschlag im Sinne des § 257c Abs. 3 StPO ein. Mit der Angabe, eine Äußerung „noch als frühes Geständnis“ zu bewerten, verstärkt sich dieser Eindruck, da der Vorsitzende damit den Anreiz erhöhte.
 

Belehrungspflicht

Dessen Hinweis, dass die in der Transparenzerklärung genannten Strafrahmen auch im Falle einer Einlassung keine Bindungswirkung entfalten würden, verstoße überdies gegen die Maßgaben des § 257c Abs. 4 StPO. Der Richter hätte also belehren müssen, was er nicht getan hat. Insofern sind die betroffenen Angeklagten über Bedeutung und Folgen ihres Prozessverhaltens im Unklaren gelassen worden. Das ist mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK) nicht vereinbar. Die Revision hat Erfolg, es muss neuverhandelt werden.
(BGH, Beschluss vom 23. September 2021, Az. 1 StR 43/21)Bildnachweise: © IMAGO / Jan Huebner 

Beitrag von Alexander Pradka

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