Eigentlich hätte das Steinkohlekraftwerk Walsum 10 in Duisburg mit einer geplanten Bruttoleistung von 790 Megawatt bereits im Jahr 2009 ans Netz gehen sollen. Doch im Rahmen der Errichtung des Kraftwerks durch den japanischen Kraftwerksbauer Hitachi als Generalunternehmer kam es zu erheblichen Bauverzögerungen – unter anderem, weil Kesselteile ausgetauscht werden mussten. Erst 2013 konnte der kommerzielle Betrieb beginnen. Der Auftraggeber des Kraftwerksblocks, eine gemeinsame Projektgesellschaft des deutschen Kohlekraftwerk-Betreibers STEAG und des österreichischen Versorgers EVN, wollte das nicht auf sich sitzen lassen: Man forderte Schadensersatz von Hitachi – doch der japanische Konzern war nicht bereit, für die verursachten Mehrkosten und Schäden aufzukommen. „Daraufhin hatte die Projektgesellschaft im Jahr 2013 ein Schiedsverfahren gegen Hitachi nach der Schiedsordnung beim International Chamber of Commerce in Paris eingeleitet“, sagt Dr. Ilva Elkemann-Reusch, Legal Counsel bei der STEAG GmbH. Der Internationale Schiedsgerichtshof beim International Chamber of Commerce (ICC) ist die weltweit führende Schiedsinstitution, bei der jährlich Schiedsverfahren im Wert von rund 100 Milliarden US-Dollar erfolgreich abgeschlossen werden. Schiedsgerichte sorgen für Waffengleichheit zwischen den Vertragsparteien und erleichtern die Beilegung von Handelsstreitigkeiten, indem sie sicherstellen, dass auftretende Streitigkeiten schnell und effizient beigelegt werden, statt über viele Jahre andauernde, zermürbende Gerichtsprozesse über mehrere Instanzen zu führen. Der Schiedsspruch eines Schiedsgerichts ist bindend für beide Parteien. Voraussetzung ist, dass eine Schiedsklausel in den jeweiligen Handelsvertrag aufgenommen wurde, sich also beide Seiten im Vorfeld auf eine außergerichtliche Streitbeilegung durch ein Schiedsverfahren verständigt haben. „Ein Schiedsverfahren endet mit einem Schiedsspruch, welcher einem Gerichtsurteil gleichsteht“, erklärt Dr. Elke Umbeck, Rechtsanwältin und Partnerin am Hamburger Standort der Kanzlei Heuking und Co-Head der Praxisgruppe Prozessführung und Schiedsgerichtsbarkeit. „Aufgrund des UN New Yorker Vollstreckungsübereinkommens ist ein Schiedsspruch international leichter vollstreckbar.“ Im Fall des verzögerten Kraftwerksbaus in Duisburg kam es im Jahr 2016 zu einem solchen Schiedsspruch: 200 Millionen Euro sollte Hitachi an die Projektgesellschaft zahlen. Als „großen Erfolg“ wertete man das bei der STEAG GmbH – zumal man weitere noch offene Punkte, zu denen die Projektgesellschaft im Jahr 2015 ein weiteres Mal den Internationalen Schiedsgerichtshof bemüht hatte, im Anschluss an den Schiedsspruch zum ersten Verfahren im Rahmen eines Vergleichs bilateral klären konnte. „Für uns war entscheidend, dass wir mit unserem Partner konstruktive technische Lösungen finden konnten“, sagt Unternehmensjuristin Elkemann-Reusch. „So konnten wir das zweite Verfahren beilegen.“ Der getroffene Vergleich sei für beide Seiten akzeptabel. Über die Details wurde zwischen beiden Parteien Stillschweigen vereinbart.
„Streitigkeiten lassen sich auf diese Weise meist schneller,
unbürokratischer und günstiger klären.“
Jutta Gurkmann
Juristin und Leiterin des Geschäftsbereichs Verbraucherpolitik,
Verbraucherzentrale Bundesverband
Schiedsverfahren fördern konstruktiven Dialog
Dass die Parteien trotz unterschiedlicher Ansichten in der Sache noch sprechfähig seien und auch vertraulich und konstruktiv miteinander kommunizieren könnten, ohne sich an formale Vorgaben halten zu müssen, sei einer der großen Vorteile einer außergerichtlichen Streitbeilegung, sagt Heuking-Anwältin Umbeck. „Sie haben zudem mehr Gestaltungsspielraum bei der Findung einer Lösung, die ihren Interessen und Bedürfnissen entspricht. Sie können so auch ihre Geschäftsbeziehung erhalten oder verbessern.“ Denn außergerichtliche Streitbeilegungsinstrumente fördern einen konstruktiven und respektvollen Dialog, vermeiden Eskalationen, bauen Emotionen ab und schaffen Verständnis für die Position der Gegenseite. „Das kann besonders bei langfristigen, persönlichen oder kooperativen Verhältnissen wichtig sein“, sagt Umbeck. Insgesamt könne eine außergerichtliche Streitbeilegung die Akzeptanz und Umsetzung der erzielten Vereinbarung erhöhen, da die Parteien diese freiwillig und eigenverantwortlich getroffen haben, anstatt sie von einer dritten Instanz aufgezwungen zu bekommen. Dies könne die Gefahr von Rechtsmitteln, Vollstreckungsproblemen oder erneuten Konflikten verringern, so die Juristin. Was im Großen die internationalen Schiedsgerichte leisten, machen im kleineren Rahmen unter anderem Schlichtungsstellen und Mediatoren möglich, etwa wenn es um Konflikte zwischen Unternehmen und Endverbrauchern geht. Beispiele dafür gibt es viele: Der Versicherungsombudsmann etwa vermittelt in Konfliktfällen zwischen Versicherungsunternehmen und ihren Kunden und versucht, eine schnelle und unbürokratische Lösung herbeizuführen. Die Kfz-Schiedsstellen, angesiedelt bei den jeweiligen Kfz-Innungen, klären Differenzen bei Serviceleistungen und beim Autokauf zwischen Betrieben und ihren Kunden. Auch die Rechtsanwaltschaft hat eine eigene Schlichtungsstelle, die bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten zwischen Mandanten und Rechtsanwälten vermittelt – mit Blick auf Gebührenstreitigkeiten oder mögliche Schadensersatzforderungen. Die Schlichtungsstellen der Handwerkskammern versuchen, Lösungen bei Konflikten zwischen Handwerkern und ihren Kunden herbeizuführen. Beim Bundesamt für Justiz (BfJ) in Bonn wiederum sind gleich drei Schlichtungsstellen angesiedelt: Die Schlichtungsstelle Luftverkehr, die Schlichtungsstelle Video-Sharingplattform-Dienste und die Schlichtungsstelle Urheberrechts-Dienste. „Viele Schlichtungsverfahren enden mit einer für beide Seiten zufriedenstellenden Einigung zwischen den Beteiligten, sodass Gerichte entlastet werden und langwierige Gerichtsverfahren mit Beweisaufnahmen entbehrlich sind“, sagt BfJ-Sprecherin Pia Figge. Auch wenn es zu keiner Einigung zwischen den Beteiligten komme, würden sie im Rahmen des Verfahrens eine erste rechtliche Einschätzung der Sach- und Rechtslage bekommen. Daher lohne sich die Schlichtung nicht nur für Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern auch Unternehmen würden davon profitieren. „Sie erhalten ohne viel Zeit- und Kostenaufwand eine neutrale und rechtlich fundierte Bewertung des Sachverhalts und können zugleich durch das Schlichtungsverfahren ihre gute Kundenbeziehung fortführen“, so Figge. Für beinahe jede Branche gibt es eine eigene Schlichtungsstelle und jene, die keine haben, können auf die Universalschlichtungsstelle des Bundes zurückgreifen.
Auf Augenhöhe zusammenkommen
Die Teilnahme an Mediations- oder Schlichtungsverfahren ist für Verbraucher komplett freiwillig. Sie können das Verfahren auch jederzeit abbrechen – der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten bleibt offen. Unternehmen sind mitunter verpflichtet, an Schlichtungsverfahren teilzunehmen. Das gilt etwa für Energieversorger, Fluggesellschaften oder Versicherungsunternehmen. „Für Verbraucher ist die unabhängige Schlichtung eine gute Alternative zum teuren Gerichtsverfahren“, sagt Jutta Gurkmann, Juristin und Leiterin des Geschäftsbereichs Verbraucherpolitik beim Verbraucherzentrale Bundesverband. „Streitigkeiten mit Unternehmen lassen sich auf diese Weise meist schneller, unbürokratischer und günstiger klären.“ Zudem würden die Beteiligten keine verbrannte Erde hinterlassen, sondern auf Augenhöhe zusammenkommen – insbesondere bei einer Einigung, erklärt die Verbandsjuristin. So können sie später, wenn der Konflikt aus der Welt geschafft ist, wieder gut miteinander arbeiten. Bei Inanspruchnahme einer Schlichtung fallen für die Verbraucher je nach Bundesland zwischen 50 und 100 Euro Gebühren an, manchmal werden die Kosten auch von den Verbänden getragen, die die Schlichtungsstelle ins Leben gerufen haben. Das ist beispielweise beim Ombudsmann der Versicherungswirtschaft oder bei den Kfz-Schlichtungsstellen der Fall. Juristische Kompetenz ist jedenfalls bei den Schlichtungsstellen und Schiedsgerichten genauso vorhandenen wie bei den normalen Gerichten. So wird etwa die Bauschlichtungsstelle der Handwerkskammer OIdenburg von Dr. Gerhard Kircher geleitet, vormals Präsident des Oberlandesgerichts Oldenburg. „Mit der schnellen und kostengünstigen Schlichtungsmöglichkeit soll zur Entlastung der Gerichte beigetragen werden, indem Klagen vermieden und in unbürokratischer Weise Meinungsverschiedenheiten bei bauhandwerklichen Leistungen beigelegt werden“, erklärt Kircher. Die Bauschlichtungsstelle könne in Streitfällen von den beteiligten Bauherren und Unternehmen angerufen werden und hat die Aufgabe, auf eine einvernehmliche Regelung der Meinungsverschiedenheiten hinzuwirken. Die Teilnahme an einem Schlichtungsverfahren sei für beide Parteien freiwillig, erklärt Jan Frerichs, Justiziar bei der Handwerkskammer Oldenburg. „Mit ihrer Zustimmung dokumentieren die Beteiligten ihre grundsätzliche Einigungsbereitschaft.“ Für die Schlichtung gebe es eine flexible Verfahrensordnung. „Die Kommission kann Verhandlungen beispielsweise auf der Baustelle stattfinden lassen, um vor Ort unmittelbar über den Streitfall zu verhandeln“, so Frerichs. „In der Regel wird ein Vergleich angestrebt. Können sich die Parteien nicht einigen, bleibt der Gerichtsweg offen.“ Wünschen beide Seiten eine verbindliche Entscheidung, kann die Schlichtungsstelle auch als Schiedsgericht tätig werden, deren Schiedsspruch ebenso bindend ist wie ein Gerichtsurteil.
„In Schiedsverfahren treten wir als Verfahrensbevollmächtigte auf.“
Dr. Elke Umbeck
Rechtsanwältin und Partnerin,
HEUKING
Außergerichtliche Streitbeilegung ist nicht immer sinnvoll
Es gibt aber natürlich auch Fälle, in denen eine außergerichtliche Streitbeilegung nicht sinnvoll ist. „In manchen Fällen ist sie nicht möglich oder nicht sinnvoll“, sagt Heuking-Anwältin Umbeck. Zum Beispiel, wenn eine Partei keine Bereitschaft zur Kooperation oder zum Kompromiss zeigt, wenn eine rechtlich verbindliche Klärung einer grundsätzlichen oder komplexen Frage erforderlich ist, wenn eine Partei auf eine öffentliche Rechtsdurchsetzung oder einen Präzedenzfall angewiesen ist, oder wenn eine Partei der anderen Partei überlegen oder von ihr abhängig ist. „Wenn eine der Parteien eine rechtliche Klärung, einen Präzedenzfall, eine öffentliche Wirkung oder eine Sanktion anstrebt, die nur ein Gerichtsverfahren bieten kann, ist eine außergerichtliche Streitbeilegung nicht zweckmäßig“, betont Umbeck. „Gleiches gilt, wenn die rechtliche Lage eindeutig, einfach oder günstig für eine der Parteien ist, oder wenn es um grundlegende Rechte, Pflichten oder Interessen geht, die nicht verhandelbar oder kompromissfähig sind.“ Letztlich ist die Entscheidung für oder gegen eine außergerichtliche Streitbeilegung eine individuelle und situationsabhängige Abwägung, die von den Parteien selbst oder mit Hilfe von Beratern, Anwälten oder Vermittlern getroffen werden sollte, unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren und Optionen. Eine allgemeingültige Antwort, wann eine außergerichtliche Streitbeilegung sinnvoll ist oder wann ein Gerichtsverfahren die bessere Wahl ist, gebe es daher nicht, so Umbeck – dies hänge von den konkreten Umständen des Einzelfalls, den Interessen und Zielen der Parteien, der rechtlichen Lage, den Kosten und Risiken, der Verfügbarkeit und Qualität der alternativen Verfahren und anderen Faktoren ab. Heuking berate Mandanten sowohl im Hinblick auf die Auswahl der geeigneten Streitbeilegungsmethode als auch während der außergerichtlichen Streitbeilegung unter anderem bei der Vorbereitung, der Kommunikation, der Lösungsfindung und einer möglichen Vergleichsvereinbarung. „In Schiedsverfahren treten wir als Verfahrensbevollmächtigte auf, um die Interessen und Rechte der Mandanten zu vertreten und durchzusetzen“, sagt Umbeck. Ganz wie vor einem regulären Gericht eben.
■ Harald Czycholl