Eigentlich hätte die Anlage längst Strom produzieren sollen – doch sie wurde und wurde nicht fertig. Der Bauherr, ein Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien, versuchte zunächst, den Streit mit dem Generalunternehmer außergerichtlich zu lösen. Als sich abzeichnete, dass eine außergerichtliche Streitbeilegung nicht möglich sein würde, stellte die Kanzlei Oppenhoff, die den Bauherrn auf verschiedenen Rechtsgebieten berät, den Fall beim Prozessfinanzierer Deminor Litigation Funding vor. „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“, weiß schon der Volksmund. Dementsprechend scheuen viele Unternehmen die Kosten und Risiken, die mit rechtlichen Auseinandersetzungen verbunden sind. „Indikator für die Rechtsanwälte, einen Kontakt zum Finanzierer vorzuschlagen, kann etwa sein, dass der Mandant Sorgen über die Kosten und Risiken des Verfahrens äußert“, erklärt Maximilian Reichl, Junior Partner in der Praxisgruppe Prozessführung und Schiedsverfahren in der Kanzlei Oppenhoff in Frankfurt. Dementsprechend finde der Erstkontakt zwischen einem Unternehmen und einem Prozessfinanzierer in aller Regel auf Vermittlung der Rechtsanwaltskanzlei statt, die vom Unternehmen mit der Prüfung der Erfolgsaussichten einer Anspruchsgeltendmachung beauftragt wurde. Das Geschäftsmodell eines Prozessfinanzierers ist dabei zunächst einmal vergleichsweise simpel: Der Finanzierer trägt die anfallenden Verfahrenskosten, etwa für Anwälte, Gericht und Gutachter – und bekommt dafür im Erfolgsfall als Provision einen Anteil am erstrittenen Schadenersatz. Der Prozessfinanzierer agiert also in gewisser Weise als Investor. Das Unternehmen wiederum hat den Vorteil, dass das Kostenrisiko des Gerichtsverfahrens entfällt. Grundsätzlich kann sich jede wirtschaftsrechtliche Streitigkeit dazu eignen, einen Prozessfinanzierer mit ins Boot zu holen – es müssen allerdings gewisse Parameter gewahrt sein. So müssen die Erfolgsaussichten in der Rechtsdurchsetzung positiv sein, was aber in den meisten Fällen ohnehin bereits die vom Unternehmen beauftragte Anwaltskanzlei prüft. Außerdem kann der Sachverhalt zwar komplex sein, muss aber noch mit vertretbarem Aufwand erfassbar und in eine hinreichend belastbare Risikoeinschätzung zu überführen sein. Und der Anspruch sollte auf die Zahlung eines Geldbetrags oder auf die Herausgabe klar zu bewertender von Vermögensgegenständen gerichtet sein, deren Verkehrswert verlässlich bestimmbar ist. Nur so lässt sich eine angemessene Vergütung für den Finanzierer darstellen. „Ob sich ein konkreter Fall für eine Prozessfinanzierung anbietet, können wirtschaftsrechtlich beratende Anwaltskanzleien, die sich auf Prozessführung spezialisiert haben und entsprechende Erfahrung mit der Einbindung von Finanzierern haben, meist gut abschätzen“, betont Oppenhoff-Experte Reichl. „Eignen sich die Rahmenbedingung des Falls und steht das Unternehmen einer Prozessfinanzierung offen gegenüber, stellen die betreuenden Anwälte den Fall einem Finanzierer unverbindlich vor.“ Dabei sei es wichtig, dass die mandatierte Kanzlei auch das Geschäft der in Frage kommenden Finanzierer gut genug kenne, um abschätzen zu können, wo der Fall am ehesten eine Finanzierungszusage erhalten könnte und welcher Finanzierer für das konkrete Profil des Falls und die Interessenlage des Mandanten am besten geeignet ist. „Für die Vorstellung des Falls beim Finanzierer ist eine umfassende Darstellung des wesentlichen Sachverhalts und eine rechtliche Beurteilung der Erfolgsaussichten erforderlich“, so Reichl. „Hierfür sollte die Kanzlei wissen, worauf es den Finanzierern ankommt, um eine positive Investitionsentscheidung für den eigenen Mandanten zu erreichen.“ Oberstes Gebot, um zum erfolgreichen Abschluss einer Vereinbarung zu gelangen, sei hier offene Kommunikation und Transparenz bei allen Beteiligten.
„Die Branche arbeitet ausschließlich mit Erfolgsvergütungen.“
Dr. Malte Stübinger
General Counsel (Germany)
Deminor Litigation Funding
Prozessfinanzierer agiert als passiver Investor
Die Einbindung eines Finanzierers könne in jeder Phase des Verfahrens erfolgen – ob vor Einreichung der Klage oder mitten in der Berufungsinstanz, betont Dr. Malte Stübinger, General Counsel (Germany) bei Deminor Litigation Funding in Hamburg. Man sei dabei passiver Investor. „Als Finanzierer beraten wir das Unternehmen selbst nicht rechtlich, sondern stellen in erster Linie das Kapital zur Geltendmachung des Anspruchs zur Verfügung.“ Vor einer Investitionsentscheidung benötige der Finanzierer daher eine rechtliche Analyse des Falls und greife dabei auf die eingereichte Beurteilung der vom Unternehmen mandatierten Kanzlei zurück. „Auf dieser Grundlage werden die rechtlichen und wirtschaftlichen Erfolgsaussichten des Rechtsstreits ausgewertet und es wird eine Risikoeinschätzung vorgenommen, die maßgeblich für die Investitionsentscheidung und die Preisfindung ist“, erläutert Stübinger, der zuvor selbst jahrelang als Prozessanwalt in einer internationalen Wirtschaftskanzlei tätig war. Im Verlauf dieser Anspruchsprüfung würden aber das Unternehmen und die von ihm mandatierte Kanzlei für die Parameter der Anspruchsdurchsetzung verantwortlich bleiben. Entscheidet sich der Finanzierer, das Risiko zu übernehmen, handelt er mit dem Anspruchsinhaber eine Finanzierungsvereinbarung aus – das sogenannte Funding Agreement. Darin werden die wechselseitigen Rechte und Pflichten bei der Anspruchsdurchsetzung sowie insbesondere die Vergütung des Finanzierers geregelt. „Die Branche arbeitet ausschließlich mit Erfolgsvergütungen in verschiedenen Ausgestaltungen – geht der Rechtsstreit verloren, erhält der Finanzierer nichts; er wird nur im Erfolgsfall vergütet“, betont Deminor-Unternehmensjurist Stübinger. „Das macht die besondere Attraktivität der Prozessfinanzierung gegenüber etwa einer Kreditfinanzierung für Unternehmen aus.“ Ist die Finanzierungsvereinbarung unterzeichnet, übernimmt der Finanzierer typischerweise sämtliche anfallenden Verfahrenskosten innerhalb des zuvor festgelegten Budgets. Es kommt aber auch vor, dass nicht ein Unternehmen über die mandatierte Kanzlei auf den Prozessfinanzierer zukommt – sondern dass ein Finanzierer nach Prüfung der Erfolgsaussichten selbst aktiv Anspruchsteller akquiriert, mit diesen Finanzierungsvereinbarungen schließt und den Fall anschließend zur Bearbeitung an eine kooperierende Anwaltskanzlei übergibt. Das betrifft etwa Gruppenverfahren nach kartell- oder kapitalmarktrechtlichen Verstößen. Solche Verfahren sind zwar auf die Gesamtmenge der von Prozessfinanzierern unterstützten Fälle gesehen die deutlich seltenere Konstellation – aber meistens handelt es sich um spektakuläre, von großem Medieninteresse begleitete Fälle. So vertreten die Anwälte von Oppenhoff etwa in dem Kapitalanleger-Musterverfahren gegen Volkswagen in Braunschweig die Interessen von zahlreichen institutionellen und privaten Anlegern. In dem Verfahren werfen die Kläger Volkswagen vor, den Kapitalmarkt nicht ordnungsgemäß und rechtzeitig über den Dieselskandal aufgeklärt zu haben. Deminor hatte die Klägergruppe mit Oppenhoff zusammengebracht und finanziert nun sämtliche Verfahrenskosten.
Gruppenverfahren gegen LKW-Hersteller
Ein weiterer solcher Fall ist der Schadenersatzprozess gegen das sogenannte Lkw-Kartell. Die EU-Kommission hatte gegen die Lkw-Hersteller DAF, Daimler, Iveco, Scania und Volvo/Renault ein Bußgeld von fast vier Milliarden Euro wegen Kartellverstößen verhängt. Die Lkw-Konzerne hatten von 1997 bis 2011 Verkaufspreise ausgetauscht. MAN war als Kronzeuge straffrei ausgegangen. Ob den Lkw-Käufern durch das Kartell ein Schaden entstanden ist, hatte die EU-Kommission jedoch offengelassen. Die Lkw-Hersteller bestreiten es, doch die Käufer von 70.000 angeblich überteuert verkauften Lastwagen – meist mittelständische Spediteure – fordern von ihnen über den Inkasso- und Rechtsdienstleister Financialright Claims nun insgesamt 500 Millionen Euro Schadenersatz. Die Spediteure haben ihre Ansprüche an Financialright Claims abgetreten, der Dienstleister hat wiederum die US-Kanzlei Hausfeld mandatiert. Prozessfinanzierer im Hintergrund ist das britische Unternehmen Burford Capital. Im Erfolgsfall erhält Financialright Claims eine Provision von 33 Prozent der erstrittenen Schadenersatzsumme. In dem Verfahren hatte der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) seinen Mitgliedern zu der Klage über Financialright Claims geraten. „Wir freuen uns, diese wegweisende Lösung zur Anspruchsdurchsetzung der Mitgliedsunternehmen gefunden zu haben. Ziel ist, unseren Unternehmern Recht zu verschaffen“, sagt Dr. Guido Belger, Leiter der Rechtsabteilung des Spediteursverbands. Den Firmen würden normalerweise Zeit, Geld und Nerven für einen aufwändigen Prozess gegen einen übermächtigen Gegner fehlen. Waffengleichheit sei schließlich kaum gegeben, wenn sich ein mittelständischer Spediteur auf eigene Faust mit einem großen Lkw-Konzern anlegt. „Wenn man nicht auf eine Zahl von etwa 2.000 Lkw kommt, dann macht es wirtschaftlich keinen Sinn, allein vorzugehen“, so Belger. Für die Spediteure gebe es typischerweise keinen anderen Weg zu klagen, da sonst die entstehenden Verfahrenskosten nicht im Verhältnis zum Ertrag stehen würden.
„Wenn man nicht auf eine Zahl von etwa 2.000 Lkw kommt, dann macht es wirtschaftlich keinen Sinn, allein vorzugehen.“
Dr. Guido Belger
Leiter Rechtsabteilung,
Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung
Finanzierter Prozess ist bilanzneutral
Vor Gericht galt es allerdings zunächst einmal zu klären, ob die Bündelung der Ansprüche überhaupt rechtens war. Das Landgericht München hatte die Klage zunächst als unzulässig abgewiesen, im Oktober kam das Oberlandesgericht München allerdings zu einer anderen Einschätzung. Voraussichtlich wird Financialright Claims jedoch seinen Vertrag mit Burford Capital offenlegen müssen, um zu belegen, dass es keine Interessenskonflikte gibt – was einen Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz darstellen würde. Vom Ausgang des Gerichtsverfahrens in München hängt einiges ab – sowohl für die Lkw-Hersteller als auch für die Spediteure. Denn beim Landgericht München sind noch weitere große Lkw-Verfahren anhängig. Unter anderem fordert Financialright Claims für die Käufer von weiteren 100.000 Lastwagen ebenfalls annähernd eine halbe Milliarde Euro Schadenersatz. In einem anderen Verfahren fordern die Deutsche Bahn, die Bundeswehr und viele Speditionsfirmen von den Lastwagenherstellern 385 Millionen Euro Schadenersatz. Egal ob es sich nun um ein großes medienwirksames Verfahren handelt oder einen alltäglichen Rechtsstreit zwischen zwei Unternehmen: Durch die Einbeziehung eines Finanzierers könnten Fälle vor Gerichte gebracht werden, in denen die Anspruchsinhaber möglicherweise gar nicht erst klagen würden, weil sie die damit verbundenen Kostenrisiken scheuen oder schlicht nicht über die liquiden finanziellen Mittel hierfür verfügen würden, sagt Deminor-Counsel Stübinger. „Gerade in klassischen ‚David gegen Goliath‘-Konstellationen, wenn etwa ein mittelständischer Zulieferbetrieb Ansprüche gegen ein DAX-Unternehmen durchzusetzen sucht, kann ein Finanzierer den Unternehmen dazu verhelfen, eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe mit vergleichbarem Ressourceneinsatz führen zu können.“ Auch die mit der Betreuung des Falls betrauten Unternehmensjuristen würden von der Einbindung eines Prozessfinanzierers profitieren, hebt Oppenhoff-Anwalt Reichl hervor. „Die Rechtsabteilung benötigt für die Führung des Prozesses kein eigenes Budget.“ Das vereinfache die Rechtfertigung des Rechtsstreits gegenüber den Entscheidungsträgern. Laufende Kosten für Anwaltshonorare würden nicht anfallen, ebenso wenig müssten Rückstellungen für Verfahrenskosten vorgenommen werden, so Reichl. „Ein finanzierter Prozess ist bilanzneutral und belastet das Geschäftsergebnis nicht.“
■ Harald Czycholl