Werbung wirkt. Beim US-Bierbrauer Anheuser-Busch InBev hat sie den Börsenwert des Unternehmens Mitte April um fünf Milliarden Dollar abstürzen lassen. Der Grund: Eine den „woken“ Zeitgeist bedienende Werbekooperation mit einem Transgender-Model kam bei den amerikanischen Traditionstrinkern überhaupt nicht gut an. Die Stammkundschaft in Sportbars und Baseball-Arenen fühlte sich abgestoßen, Brauereien erhielten Bombendrohungen, die Veranstalter nahmen das sonst so beliebte „Bud Light“ aus dem Verkauf, Supermärkte verbannten die Marke neben die Müllcontainer. Zeitweise konnte das Bier nur noch gratis unters Volk gebracht werden. Und selbst da gab’s Retouren. Rufbeben im oberen Bereich der Richter-Skala sind selten. Doch auch bei weniger spektakulären Störfällen schrillen in den Unternehmen die Sirenen. Dann ist Krisenmanagement angesagt, mit dem Ziel, die Organisation aus der Schusslinie zu bringen. Professionelle Kommunikation allein lässt das Problem nicht verschwinden, kann aber schneller zur Deeskalation führen. In der Krise versucht das Kommunikationsteam deshalb, das Vertrauen zwischen dem Unternehmen und seinen Stakeholdern wiederherzustellen. Dabei stellt die PR-Abteilung Argumente in den Vordergrund, die den Ruf der Organisation verbessern.
Und hofft darauf, dass sich die Sympathie, die ein Unternehmen in der Öffentlichkeit genießt, gegebenenfalls später vor Gericht auszahlt. Das Rechtsteam wiederum stellt sicher, dass die Organisation keinen rechtlichen Schaden erleidet, der negative finanzielle oder geschäftliche Auswirkungen haben könnte. Manchmal bleiben die Juristen darum defensiv und empfehlen nachdrücklich, vom vorgeschlagenen Wording abzuweichen, um keine rechtliche Haftung zu präjudizieren. Doch Recht haben aus juristischer Sicht ist nicht immer identisch mit Recht haben aus moralischer Sicht. Den unbedingt zu vermeidenden Reputationsverlust vor Augen, feuern betriebsame Unternehmenssprecher selbst dann kommunikativ aus vollen Rohren, wenn die Rechtsabteilung noch prüft und Zurückhaltung empfiehlt. Insider kennen auch den umgekehrten Fall: Das Legal Office wertet die Krise als rechtlich hochbrisant, erste Medienberichte machen schon die Runde – und die PR-Leute raten zum Wegducken. Auf wen soll die Geschäftsführung hören? Selbst dann, wenn in der Sache Konsens besteht, können die vorgeschlagenen Maßnahmen weit auseinander gehen. Also: Wer hat in der Krise das Sagen? Bei der Eindämmung des Bud Light-Debakels ist nicht bekannt, auf wen die Vorstände von Anheuser-Busch gehört haben. Für Björn-Christian Hasse, Co-CEO Deutschland der weltweit tätigen Public Relations Agentur BCW wäre die Sache sonnenklar: „In einer tendenziell kommunikativen Krise sollte die Öffentlichkeitsarbeit in die Führung gehen.“ Also immer dann, wenn das Publikum in Wallung gerät und ein Imageschaden droht. Anders sei es bei Erpressung, Hackerangriffen oder internem Fehlverhalten. Da sagt Hasse sehr entschieden: „Wenn mit juristischen Konsequenzen zu rechnen ist, liegt die Führung bei der Rechtsabteilung.“ Diese Klärung sei unumgänglich, denn rechtlich gelte ja oft: Wenn wir x tun, mahnt uns y ab oder wir verstoßen gegen z. „In der Kommunikation gibt es solche Regeln nicht“, macht Hasse den Unterschied deutlich. „Wir sagen höchstens: Wenn wir x tun, könnte y passieren oder wir könnten von z dafür kritisiert werden.“
„In einer kommunikativen Krise sollte die Öffentlichkeitsarbeit in die Führung gehen. Wenn mit juristischen Konsequenzen zu rechnen ist, die Rechtsabteilung.“
Björn-Christian Hasse
Co-CEO Deutschland
BCW Group Germany
Schnelle Reaktion gefragt
Je nach lagebedingter Führungsrolle liegt auf der Hand, wer die beratende Funktion innehat. Im Idealfall entscheidet das Krisenteam kollaborativ. In der Mehrzahl der von BCW betreuten Fälle würden Legal und Communications gemeinsam vorgehen. „Wenn nicht, wird eskaliert“, weiß Hasse. „Dann entscheidet die oberste Führung.“ Aufgrund welcher Kriterien? Professionelle Kommunikatoren wissen um den Charme der Ehrlichkeit. „Die Abteilung mit dem besseren Standing.“ Weil es oft um viel Geld und im schlimmsten Fall um seinen Kopf geht, lässt sich ohnehin kein Vorstand oder Geschäftsführer nehmen, das Krisenteam persönlich zu steuern. „Konflikt, Krise, Katastrophe“, steigert Kai vom Hoff, auf Reputationswahrung spezialisierter Agenturchef in Düsseldorf, die Anlässe für seinen Einsatz. „Wir kommen immer dann, wenn es nicht gut läuft.“ Beim Briefing säße fast immer ein interner Jurist oder eine Juristin mit am Tisch. „So sollte es auch sein“, sagt vom Hoff, „denn beide, Rechtsanwälte wie Kommunikationsberater, sind auf ihren Gebieten Experten und tragen zum Gelingen bei.“ Am Anfang spüre er bei den Juristen hin und wieder noch eine gewisse Grundskepsis. Doch das lege sich notgedrungen, denn eines habe man in einer Krise ganz bestimmt nicht: Zeit für Befindlichkeiten. Vom Hoff bewertet die Qualität der Zusammenarbeit mit den Juristen mit einer Drei minus. „Das war mal deutlich schlechter“, urteilt er. „Aber da ist noch Luft nach oben.“ Verzweiflung erfasst ihn manchmal, wenn die Legal Counsel nicht verstehen, wie wichtig Tempo ist. „Wenn ein Unternehmen auf dem Höhepunkt einer Krise nicht innerhalb weniger Minuten einen Post absetzt, dann gibt es das Steuer aus der Hand. Im Vakuum des Nichtwissens kommen Spekulationen hoch.“ Auch er muss wissen, was wirklich vorgefallen ist. Deshalb macht der Berater seinen Einsatz von der Gewährung wahrheitsgemäßer und umfassender Information abhängig. „Anders geht es nicht.“ Wenn vom Hoff, beispielsweise nach einem Störfall in der Industrie, mit den kommunikativen Aufräumarbeiten betraut werde, sei es selbstverständlich, dass er jeden Zugang zum Betrieb und zur technischen Seite bekäme. „Um die richtigen Aussagen über den richtigen Kommunikationskanal im richtigen Ton zu treffen, brauche ich aber auch eine juristische Bewertung“, sagt er. „Draußen, womöglich in einem ultranervösen Umfeld, wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt.“ Findet sich in einer Presseerklärung, in einem Interview, in einem Tweet etwas, aus dem man ein Schuldeingeständnis herauslesen könnte? „Schon das Wort ‚Entschuldigung‘ ist heikel“, winkt der Reputationsberater ab. „Daraus könnten sich später Rechtspositionen ableiten.“
Wissen, wer den Hut aufhat
Die Beziehung zwischen Rechtslage und Reputation ist kompliziert. Die Coca-Cola Europacific Partner Deutschland GmbH in Berlin hat sie durch die pragmatische Struktur ihrer Organisation vereinfacht. Im permanenten Krisenteam des Abfüllunternehmens teilen sich Vice President Legal und Vice President Communications den Vorsitz. „Das sieht unsere Governance-Funktion so vor“, erklärt General Counsel Andrea Weckwert. Die Juristin kann sich noch gut an die letzte große Krise im Frühjahr 2022 erinnern, als der Krieg in der Ukraine ausbrach. „Die Produktionsanlagen eines unserer Flaschen-Zulieferer in Kiew wurde durch Bombardement zerstört. Als Folge bekamen wir nicht genügend Glasflaschen. Gleichzeitig mussten wir die allgemein befürchtete Gasmangellage in den Griff bekommen.“ Beide Herausforderungen habe man bewältigt, doch es sei ein schweres Stück Arbeit gewesen. Noch angespannter sei die Lage nur während der Corona-Krise gewesen. Man erinnert sich: Maskenpflicht, Zutrittsregeln, an jeder Ecke Desinfektionsspray und von jetzt auf gleich geänderte Arbeitszeiten. „Das musste kommunikativ intern und extern mit einem enormen Aufwand begleitet werden“, sagt Weckwert. Eingesetzt wurde damals ein Incident Management Team (IMT), das den Fachbereichen unter Hinzuziehung spezialisierter Agenturen den Rücken freihielt. Im Krisenfall, aber auch nur hier, macht Legal die Ansagen und der Bereich von Weckwerts Kollegin Cornelia Folz, Vice President Public Affairs, Communications & Sustainability, arbeitet den Juristen zu. Damit ist das Lead geklärt und alle Mitarbeiter wissen, wer den Hut aufhat. Auch die Handlungen folgen eingespielten Prozessen, sagt Weckwert. „Die erste Frage ist: Wen brauche ich im Team? Dann stellen wir konkrete Handlungspläne auf und legen die To Do’s fest.“ Hinzu kommen regelmäßige Trockenübungen. „Eine der größten Bedrohungen heutzutage sind Cyberattacken“, sagt Weckwert. „Es wäre fahrlässig, einer solchen Gefahr unvorbereitet gegenüberzustehen.“ Prophylaktisch hat ihr Krisenteam längst festgelegt, wer dann wen, wann und wie informiert.
7 Grundprinzipien erfolgreicher Kooperation im Krisenteam
1. Klare Entscheidungskompetenz festlegen, welche Funktion im Unternehmen die Verantwortung für die zu treffenden Maßnahmen für die Krisenbewältigung trägt – sei es die/der Head of Legal (in Fällen mit weitreichenden juristischen Konsequenzen) oder der/die Head of Communications (wenn Imageschäden im Markt und/oder der Öffentlichkeit zu befürchten sind).
2. Offen und transparent kommunizieren. Gemeinsame Besprechungen. Klare Kommunikationskanäle. Absprachen einhalten.
3. Sich gegenseitig frühzeitig einbinden und auf dem Laufenden halten. Hinter einer rechtlich einwandfreien Vorgehensweise können kommunikative Fallstricke lauern und umgekehrt. Je früher man kommunikative Tücken und potenzielle Rechtsrisiken erkennt, desto leichter kann man beide umgehen.
4. Sachkenntnisse. Dazu gehört die Einsichtsfähigkeit, wann das eigene Wissen an Grenzen stößt.
5. Gegenseitiges Verständnis für die jeweiligen Bereichsziele.
6. Vertrauen und Respekt.
7. Üben, üben, üben – bevor die echte Krise eingetreten ist.
Björn-Christian Hasse, BCW Group Germany