Jetzt aber wirklich

Seit 1957 heißt es in Europa: Gleiches Geld für gleiche Arbeit. In Deutschland wurde in mehreren legislativen Anläufen versucht, den Gender Pay Gap zwischen Männern und Frauen zu beseitigen. Nun hat die EU eine neue Richtlinie vorgelegt. Sie hat es in sich.
vom 7. Juli 2023
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2018 haben Frauen in der EU durchschnittlich 13 Prozent weniger pro Stunde verdient als ihre männlichen Kollegen. „Selbst schuld“, sagen die einen und deuten auf die Empirie, wonach Frauen Teilzeitarbeit, schlecht bezahlte Berufe und weisungsabhängige Tätigkeiten bevorzugen. „Die Gesellschaft ist schuld“, sagen die anderen und werfen karriereorientierten Vätern mangelnden Familiensinn und den Arbeitgebern (eben darum) die klammheimliche Bevorzugung von Männern vor. Hin und wieder lassen gute Absichten die wechselseitige Verzeigefingerung in den Hintergrund treten. Aber Girls-Days sind eine Pleite, MINT-Berufe machen Frauen nicht an, die 24/7-Kinderbetreuung scheitert an pädagogischen wie finanziellen Einwänden, und den Missstand einfach auszusitzen ist ungerecht. Mithin: ein klarer Fall für die Politik. Mit ihrer jüngsten Entgelttransparenz-Richtlinie (EntgTranspRL, engl. Gender Pay Directive), in Kraft getreten am 6. Juni 2023, verschärft die EU die Gangart zur Gehaltsgleichstellung. In spätestens drei Jahren, wenn aus der Richtlinie ein deutsches Gesetz geworden ist, kommen auf private und öffentliche Arbeitgeber über die derzeitigen Regelungen zur Entgelttransparenz hinaus neue und weitgehende Informations- und Berichtspflichten zu – plus hohe Sanktionen, falls sie sich nicht daran halten. So müssen Arbeitssuchende über das Anfangsgehalt oder die Gehaltsspanne schon vor dem Vorstellungsgespräch, also in der Stellenausschreibung oder in der Gesprächseinladung, informiert werden, Fragen nach dem früheren Gehalt im Vorstellungsgespräch sind nicht zulässig. Auf Verlangen der Arbeitnehmer müssen die Arbeitgeber das durchschnittliche Lohniveau für Beschäftigtengruppen benennen, die gleiche oder gleichwertige Arbeit leisten, aufgeschlüsselt nach Geschlecht. Offengelegt werden müssen künftig auch die objektiven und geschlechtsneutralen Kriterien, die zur Festlegung des Entgelts und des beruflichen Aufstiegs verwendet werden. Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten sind verpflichtet, regelmäßig einen Bericht über das geschlechtsspezifische Lohngefälle in ihrem Unternehmen zu veröffentlichen. Ab 2027 müssen das Unternehmen mit 250 oder mehr Beschäftigten jedes Jahr tun, ab 150 Beschäftigte alle drei Jahre. Bei Unternehmen zwischen 100 und 149 Beschäftigten setzt die Berichtsplicht erst 2031 ein. Beträgt das ermittelte Lohngefälle („unbereinigter Gender Pay Gap“) mehr als 5 Prozent und kann nicht durch objektive, geschlechtsneutrale Kriterien erklärt werden, müssen die Unternehmen Maßnahmen in Form einer gemeinsamen Lohnbewertung mit den Arbeitnehmervertretern ergreifen. Wie nicht anders zu erwarten, gehen die Ansichten über die Entgelttransparenz-Richtlinie auseinander. Während Bundesfamilienministerin Lisa Paus von einem „starken Signal“ spricht und die Grünen in Brüssel schon das „Ende des Gender Pay Gaps“ bejubeln, befürchtet BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter „unnötige Berichtspflichten“. Gitta Connemann, Chefin der CDU-Mittelstandsunion, sieht gar einen „Bürokratie-Tsunami“ heranrollen.

Hain

„Es wäre gut, wenn die Juristen jetzt schon die Personalabteilung darauf aufmerksam machen, was mit der Umsetzung der EU-Richtlinie auf sie zukommt.“ 

Katharina Hain
Head of Talent Marketing,
Hays

Besser gleich anfangen


Eine Ahnung vom tatsächlichen Aufwand hat man nach einem Gespräch mit Katharina Hain, Head of Talent Marketing beim Mannheimer Personaldienstleister Hays. Für seine bundesweit rund 500 Beschäftigten orientiert sich Hays schon seit einigen Jahren an dem, was unlängst in Brüssel verabschiedet wurde. „Wir arbeiten mit Stellenbeschreibungen und Gehaltsbändern“, sagt Hain. „Die Aufgaben jeder einzelnen Stelle sind bei uns klar beschrieben und das damit verbundene Einkommen ist in ein Gehaltsband eingeordnet.“ Für neu geschaffene Positionen erarbeiten Fachabteilung und HR gemeinsam die Stellenbeschreibung und verständigen sich – Hain: „nach der Einholung fairer Benchmarks“ – auf das Gehalt. Das wird dann noch von einem unabhängigen Institut überprüft. In Stellenausschreibungen wird das Jahresdurchschnittsgehalt genannt, zusammen mit dem Hinweis, dass die genaue Höhe von der Berufserfahrung abhängt. In einem Handbuch können die Führungskräfte nachlesen, wie die Vergütungssystematik und die Gehälter zustande kommen. Wer erst auf Anweisung des Gesetzgebers damit beginne, seine Gehälter systematisch und für alle nachvollziehbar darzustellen, möge mit einem hohen administrativen Aufwand rechnen, warnt Hain. Für die Formulierung jeder Stellenbeschreibung brauche man im Schnitt einen Tag, für deren Systematisierung und den Abgleich mit Benchmarks wenigstens eine Woche. Der Betriebsrat müsse eingebunden werden. „Und das ist nur die Basisarbeit“, sagt Hain. „Danach muss man eventuell umgruppieren, den Mitarbeitern das Konzept erklären und die Führungskräfte in der Systematik schulen.“

Magische Grenze von fünf Prozent


Bei dem mehrmonatigen Großprojekt müsse ein Vertreter der Rechtsabteilung, zumindest aber HR Legal dabei sein. „Es wäre gut, wenn die Juristen jetzt schon die Personalabteilung darauf aufmerksam machen, was mit der Umsetzung der EU-Richtlinie auf sie zukommt“, empfiehlt Katharina Hain. Zumal nur ein Bruchteil der Arbeitgeber heute schon den Gender Pay Gap berechne. „Aber dafür wird es dann sicher ein breites Angebot an Softwarelösungen geben“, tröstet die Personaldienstleisterin. Noch darf man dafür keine Rückstellungen bilden. Aber Gedanken sollte man sich schon jetzt machen, wie in Zukunft vorzugehen ist. Charlotte Wolff von der Frankfurter Kanzlei Bluedex hat den jüngsten Brüsseler Vorstoß zur Gehaltsangleichung kommen sehen. „Das Entgelttransparenzgesetz von 2017 hat wenig gebracht“, weiß die Rechtsanwältin. „Der Anspruch der Beschäftigten auf Auskunft, was die Kollegen verdienen, wird kaum genutzt. Er besteht erst ab einer bestimmten Unternehmensgröße, und Mitarbeiter fürchten, als Querulanten aufzufallen.“ Man könne von einem zahnlosen Tiger sprechen. Jetzt, so Wolff, „legt Brüssel eine Schippe drauf.“ Man müsse abwarten, was der deutsche Gesetzgeber daraus mache. Der bürokratische Aufwand in Unternehmen werde gewiss steigen, explodieren sieht sie ihn nicht. „Die Daten aus der Gehaltsbuchhaltung liegen ja vor“, sagt die Juristin, daraus Durchschnittswerte zu berechnen sei kein Hexenwerk. Schwieriger werde es aber künftig, den Kreis vergleichbarer Mitarbeiter festzulegen, da dieser durch die Vorgaben der EU-Richtlinie erheblich erweitert wird. Zur Berechnung des sogenannten „unbereinigten“ Gender Pay Gap werden die absoluten Bruttostundenverdienste von weiblichen und männlichen Beschäftigten einer bestimmten Gruppe – die EU-Richtlinie stellt auf „gleichwertige Tätigkeiten“ ab – zueinander ins Verhältnis gesetzt. Die ursächlichen Faktoren für die Lohnlücke, etwa die Unterschiede bei Berufen, Beschäftigungsumfang, Bildungsstand oder Pausen bei der Erwerbstätigkeit bleiben hierbei außer Betracht. Die Formel lautet demnach:

Wenn bei dieser Rechnung fünf Prozent oder weniger herauskommen, ist der Richtlinie, der Gleichstellung und dem künftigen Gesetz Genüge getan. So manchen Arbeitgeber dürfte das gleichwohl vor eine knifflige Aufgabe stellen. Denn laut Statistischem Bundesamt betrug der unbereinigte Gender Pay Gap 2022 im Durchschnitt 18 Prozent. EU-weit liegt Deutschland damit auf dem viertletzten Platz. Selbst wenn 11 Prozentpunkte durch lohnbestimmende Merkmale erklärt werden können, bleibt immer noch ein „bereinigter“ Gender Pay Gap von 7 Prozent. Um diesen Wert zu verringern, müssten die Gehälter der weiblichen Beschäftigten auf breiter Front steigen – oder weitere lohnbestimmende Merkmale für die Ursachenanalyse herangezogen werden.
Benz

„Wirksamer wäre ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz, der die Karriere- und Erwerbschancen von Frauen verbessert.“

Tabea Benz
Senior Advisor Arbeitsrecht Bundesvereinigung
der Deutschen Arbeitgeberverbände

Hypothetische Vergleichsperson
 
Genau da will die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) einhaken. „Das EntgTranspG setzt nicht an den Ursachen der Entgeltunterschiede an“, führt Tabea Benz, Senior Advisor im Arbeitsrecht, die Debatte auf den Kern zurück. „Wirksamer wäre ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz, der die Karriere- und Erwerbschancen von Frauen verbessert.“ Statt bestehende legislative Maßnahmen zu verschärfen, gelte es, die tatsächlichen Ursachen unterschiedlicher Bezahlung zu adressieren. „Dazu zählen insbesondere die Unterschiede, die in der persönlichen Erwerbsbiografie begründet liegen.“ Und dann sei da ja noch die bundesrepublikanische Spezialität der Sozialpartnerschaft. „Im Tarifsystem ist kein Raum für Diskriminierung“, erklärt BDA-Juristin Benz. „Die Vergütung nach Tarifverträgen erfolgt transparent, geschlechtsneutral und tätigkeitsbezogen.“ Leider sei die EU dieser Argumentation nicht gefolgt. Nun wollen die Arbeitgeber mögliche Spielräume prüfen, um Privilegien für tarifgebundene Unternehmen durchzusetzen. Chancen sieht sie bei der Beweisführung für die „gleichwertige Tätigkeit“. Die zur Untermauerung eines Anspruchs zu benennende, besser entlohnte Vergleichsperson des anderen Geschlechts ist in der EU-Richtlinie nicht auf Kollegen desselben Betriebs beschränkt. Anspruchsteller können unternehmens- und konzernweit danach Ausschau halten. Werden die Entgeltbedingungen durch einen Verbandstarifvertrag festgelegt, kann auch auf Arbeitnehmer anderer Arbeitgeber, die dieser sogenannten „einheitlichen Quelle“ unterfallen, als Vergleichspersonen zurückgegriffen werden. Die Vergleichsperson muss auch nicht zur selben Zeit wie der Anspruchsteller tätig sein. Und in Situationen, in denen es keine reale Vergleichsperson gibt, soll die Verwendung einer hypothetischen Vergleichsperson erlaubt sein, im Wortlaut der Richtlinie, „… damit die Arbeitnehmer nachweisen können, dass sie nicht so behandelt wurden, wie eine hypothetische Vergleichsperson eines anderen Geschlechts behandelt worden wäre.“ Hier sieht Bluedex-Anwältin Wolff in der Praxis aber Probleme: „Karrierewege sind doch von vielen unterschiedlichen und individuellen Faktoren abhängig.“ Ob sich das alles in der Umsetzung wiederfindet, ist noch nicht ausgemacht. Zweierlei dürfte freilich schon jetzt feststehen. Auf HR-Unternehmensjuristen kommen neue Aufgaben zu. Und der Gender Pay Gap wird sich in den Berichten der Arbeitgeber auf fünf oder weniger Prozent verengen. Aber bringt das auch mehr Frauen in Führungspositionen? Katharina Hain von Hays ist da ganz zuversichtlich: „Mit Equal Pay wird sich diese Frage nicht mehr stellen. Erst wenn Frauen fair bezahlt werden, fühlen sie sich in ihrer Karriere ernst genommen.“ Das wäre schön. Wobei gewiss nicht alle Unterschiede und Klagen vom Tisch wären. Denn an eines haben die Brüsseler Gesetzesschmiede nicht gedacht: Wo in der geschlechtsbezogenen Gehaltsstatistik finden sich künftig Personen, die sich nicht in das binäre Geschlechtssystem „männlich“ und „weiblich“ einordnen lassen (wollen)?
 
Christine Demmer 
Beitrag von Alexander Pradka

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