Den Menschen erreichenMit seiner Konzernstrategie 2030 will sich der Volkswagen Konzern neu erfinden. Integrität und Compliance sind bei diesem Vorhaben zentrale Aspekte. Sie sollen in allen Entscheidungsprozessen denselben Stellenwert bekommen wie betriebswirtschaftliche Größen.
Unter dem Dach von „Together4Integrity“ bündelt der Volkswagen Konzern sämtliche Integritäts- und Compliance-Aktivitäten. Den standardisierten und konsolidierten Ansatz rollt die Konzernzentrale in die weltweit rund 850 zum Konzern gehörenden Gesellschaften mit rund 530.000 Mitarbeitenden aus. Gestartet ist das Programm 2018, bis 2025 soll es weltweit implementiert sein. Ein Team mit rund 75 Mitarbeitern steuert das Projekt von Wolfsburg aus. Die Zahl aller Beteiligten ist allerdings wesentlich größer und geht in die Tausende. Über den Status quo sprach der unternehmensjurist mit Tobias Heine, seit 2017 Chief Integrity Officer im VW-Konzern und Leiter des Programms Together4Integrity.
unternehmensjurist: Welche Aspekte sind wesentlich, damit am Ende des ambitionierten Projekts alle Mitarbeitenden die neuen Werte verinnerlicht haben?
Tobias Heine: Zwei Kernelemente sind entscheidend: Prozesse zu etablieren und die Menschen zu erreichen, die für VW tätig sind. Zum anderen sprechen wir zwar über ein zentrales Programm. Wir berücksichtigen aber die Unterschiede, die zum Beispiel Kundenstruktur, Geschäftsprozesse oder Jurisdiktion betreffen. Wir verstehen unter Werteerhalt, dass wir den neuen Standard auf die lokalen Gesellschaften zuschneiden und an das anpassen, was schon vorhanden ist. Mit der Wertschätzung für das bereits lokal Entwickelte erreichen wir eine große Akzeptanz für die Neuerungen.
Weil Sie die divergenten Voraussetzungen ansprechen: Wie meistert VW die Herausforderung, kulturelle Unterschiede und abweichende Maßstäbe hinsichtlich der Wertevorstellungen in das Programm zu integrieren?
Zunächst einmal sind die Bandbreiten gar nicht so groß, wenn wir mit den Menschen über die Einordnung von Verhaltensweisen als „richtig“ oder „falsch“ sprechen. Im Kern lässt sich das meist auf einen gemeinsamen Standpunkt zurückführen. Eine wesentliche Rolle spielen die lokalen Ansprechpartner, die in ihrem Land und Bereich für die Implementierung des Programms verantwortlich sind. Generell lebt die Umsetzung von den vielen lokalen Multiplikatoren im Konzern: Das gilt gleichermaßen für die Führungspersonen in der Zentrale wie für das Management jeweils auf lokaler Ebene.
Gibt es trotzdem Gebiete, in denen der VW-Konzern an Grenzen stößt, etwa dort, wo Geschäfte gar nicht immer auf legale Weise gemacht werden können?
Wir haben unsere Anspruchshaltung innerhalb der Organisation klar formuliert. Korruption in Form von zum Beispiel Schmiergeldzahlungen ist kein Bestandteil unserer Aktivitäten. Geschäftsführung und Management vor Ort stehen in einem besonderen Fokus, diese müssen sich sehr klar positionieren und die Einhaltung von Compliance und Werten einfordern. Das ist ein zentraler Punkt: Wir müssen Menschen inspirieren und ein tiefes Verständnis dafür erreichen, warum wir bestimmte Dinge tun und warum wir die Vorgehensweise langfristig als erfolgreich ansehen. Das müssen alle verinnerlichen.
Sie sprechen davon, dass Sie neben der Etablierung von Prozessen die „Menschen erreichen“ wollen. Wie machen Sie das, wie gehen Sie da vor?
Essenziell sind zwei Aspekte: die Vermittlung von Kernbotschaften und die Kommunikation. Das fängt schon bei kleinen Maßnahmen an, wie beispielsweise Plakataktionen oder die Gestaltung von Hintergrundbildern für den Rechner. Die schon angesprochenen Multiplikatoren erreichen wir über Großveranstaltungen sowie Trainings für Führungskräfte. Hier vermitteln wir die notwendigen Grundlagen, damit diese wiederum die Inhalte in Bereichsrunden und Teammeetings greifbar und verständlich transportieren können. Und wir haben eine ganze Reihe von Schulungskonzepten, in denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die neuen Anforderungen verinnerlichen können.
Viele Unternehmen schmücken sich heute öffentlichkeitswirksam mit allerlei Konzepten zu Nachhaltigkeit, Digitalisierung – oder eben zur Compliance. Entscheidend ist aber, was tatsächlich dabei herauskommt. Wie messen Sie den Erfolg Ihres Projekts?
Erfolgsmessung und Reporting haben mehrere Facetten: Ein Management Information und Reporting System macht transparent, welche Fortschritte die Implementierung der Prozesse macht. Im Regelreporting berichten aktuell rund 4.500 Personen weltweit den aktuellen Umsetzungsstand. Schwieriger zu messen ist, ob das, was wir prozessual erreichen wollen, in der Arbeitswelt der Menschen ankommt. Um das sicherzustellen, praktizieren wir einen Mix aus quantitativen und qualitativen Verfahren. Wir verfügen über ein jährlich ermitteltes Stimmungsbarometer, das sich unter anderem mit dem Thema Integrität beschäftigt. Wir haben gerade eine Onlinebefragung speziell zu Integritäts- und Compliancethemen durchgeführt. Ein weiteres Instrument: unsere Perception-Workshops, bei denen wir persönlich mit den Menschen in Austausch treten und qualitative Einblicke erhalten. An den Workshops nehmen Mitarbeitende und Führungskräfte aller Funktions- und Hierarchieebenen teil. So erhalten wir einen repräsentativen Querschnitt. Wir erleben hier eine sehr offene und konstruktive Diskussionskultur. Die Teilnehmenden geben nicht nur den Ist-Status wieder, sondern beschäftigen sich mit Lösungen und Verbesserungen. Sie sind nicht Außenstehende, die etwas bewerten, sondern Gestalter in ihrer konkreten Arbeitsumwelt. Diese aktive Rolle wirkt sehr motivierend.
Wie weit ist der Konzern mit der Umsetzung? Hat die Pandemie eine Verzögerung gebracht?
Corona hat uns den Schwung nicht genommen. Wir haben gelernt, dass mobiles Arbeiten besser funktioniert als je gedacht. Ich hätte niemals geglaubt, dass ich ein so großes, weltweites Rollout realisieren kann, ohne zu reisen, aber das geht! Massiv skaliert haben wir seit 2019: In jeder Kalenderwoche haben wir vier Gesellschaften in das Programm aufgenommen. 2020 haben wir trotz Corona die Zahl auf sechs Gesellschaften pro Woche erhöhen können. Spätestens Anfang 2022 werden alle 850 Gesellschaften angeschlossen sein. Pro Gesellschaft rechnen wir mit einer Implementierungsdauer von zweieinhalb bis vier Jahren.
Das Gespräch führte Alexander Pradka</>
Bildnachweise: © Volkswagen