Augen auf bei der Partnerwahl

Nachhaltigkeitsaspekte werden auch bei M&A Transaktionen immer bedeutsamer. Denn vor dem Hintergrund von EU-Nachhaltigkeitsrichtlinie und erweiterten Berichtspflichten will sich kaum ein Unternehmen durch Übernahmen ESG-Risiken einkaufen. Die Einbeziehung von ESG-Aspekten in den Due-Diligence-Prozess ist daher unumgänglich.
vom 13. September 2023
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„Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet.“ Dieses Zitat des Dichters und Philosophen Friedrich Schiller ziert so manches Hochzeits-Gästebuch. Und auch wenn in der Juristerei meist wenig Platz ist für Sentimentalitäten: Im übertragenen Sinne trifft dieser Spruch nicht nur zu, wenn zwei Menschen sich zusammentun, um den Bund der Ehe eingehen – sondern auch, wenn sich zwei Unternehmen zusammenschließen. Denn auch dann ist eine genaue Prüfung unabdingbar, ob die beiden, die sich zusammentun wollen, sich auch wirklich gut ergänzen und zueinander passen – oder ob es Schattenseiten gibt, die man auf den ersten Blick gar nicht erkennt. „Due Diligence“ heißt dieses Verfahren in der Vorvertragsphase des M&A-Prozesses, bei dem der potenzielle Käufer eines Unternehmens einen tiefen Einblick in das Geschäftsgebaren und die Finanzkraft des Übernahmekandidaten gewinnen möchte. Klassischerweise bezieht sich die Due-Diligence-Prüfung auf Themen wie das Geschäftsmodell, die Finanz- und Ertragslage sowie steuerliche und rechtliche Risiken. Doch immer öfter umfasst die Prüfung noch einen weiteren Aspekt: die Nachhaltigkeit der Geschäftstätigkeit – und damit jene Kriterien, die unter dem Kürzel ESG zusammengefasst sind, das bekanntlich für die ökologischen, sozialen und gesellschaftlichen Einflüsse des Geschäftsgebarens steht. „Die Nachhaltigkeit der Geschäftstätigkeit kann heutzutage bei M&A-Aktivitäten nicht mehr ausgeblendet werden“, betont Prof. Dr. Johannes Hofinger, der einen Lehrstuhl für Finance & Accounting an der Munich Business School innehat und zudem Banken in den Bereichen Risikomanagement, Nachhaltigkeit und ESG-Offenlegung berät. „Was für das eigene Unternehmen richtig ist, muss auch für das M&A Geschäft und die Beteiligten gelten.“ Zumal es die Unternehmen teuer zu stehen kommen kann, wenn sie sich im Zuge einer M&A Transaktion Nachhaltigkeitsrisiken ins Haus holen. „ESG-Faktoren sind zu einem wichtigen Bestandteil des Risikomanagements und der Unternehmensbewertung geworden“, betont Dr. Frederic Mirza Khanian, Rechtsanwalt und Partner sowie Global Legal Business Solutions Leader bei der internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC. „Wenn ein Zielunternehmen beispielsweise Umweltverschmutzung oder Arbeitsrechtsverletzungen begeht, können sich hieraus konkrete rechtliche und finanzielle Konsequenzen ergeben.“ Darüber hinaus könne aber auch bereits ein Rufschaden für das Geschäft eines Unternehmens verheerende Folgen haben, so der Jurist. Umgekehrt könnten ESG-Faktoren auch Chancen für Wertsteigerungen und Wettbewerbsvorteile bieten. „Ein Unternehmen, das beispielsweise eine effiziente Nutzung von Ressourcen oder eine starke Unternehmenskultur aufweist, kann langfristig nachhaltiger und erfolgreicher sein“, so Mirza Khanian. „Durch die Identifizierung und Integration dieser positiven ESG-Aspekte in die Due Diligence können Käufer möglicherweise den Wert des Zielunternehmens steigern.“

Prof-Dr-Johannes-Hofinger

„Die Nachhaltigkeit der Geschäftstätigkeit kann heutzutage bei
M&A-Aktivitäten nicht mehr ausgeblendet werden.“

Prof. Dr. Johannes Hofinger
Lehrstuhl für Finance & Accounting Munich Business School

Neue Prüfungspunkte

Den rechtlichen Rahmen für die Einbeziehung von ESG-Aspekten bei M&A-Transaktionen setzt unter anderem die Nachhaltigkeitsrichtlinie der Europäischen Union (Corporate Sustainability Reporting Directive – CSRD), die vor der Umsetzung in deutsches Recht steht. Hintergrund ist der von der EU-Kommission ausgerufene „Green Deal“, der darauf abzielt, Umweltschutz, soziale Standards und gewissenhafte Unternehmensführung in der Wirtschaft zu verankern. Investoren sollen ihr Geld vorzugsweise in Firmen stecken, die sich um Umwelt, Gesellschaft und gute Unternehmensführung kümmern. Die Nachhaltigkeitsrichtlinie sieht unter anderem vor, dass Unternehmen ab einer bestimmten Größe ab dem kommenden Geschäftsjahr Nachhaltigkeitsberichte veröffentlichen müssen. Der Kreis der Unternehmen wird dabei von Jahr zu Jahr schrittweise erweitert. Die Richtlinie zielt darauf ab, der Berichterstattung über Nachhaltigkeit die gleiche Priorität zu verleihen wie den klassischen Jahresbilanzen. Dies hat auch großen Einfluss auf die rechtliche Due Diligence im Rahmen von M&A Transaktionen. Dabei sind einige Teilaspekte ohnehin schon in geltendes Recht gegossen, werden aber heutzutage viel bewusster dem Feld ESG zugeordnet. „Hierzu gehören Themen wie Equal Pay, Arbeitszeiterfassung, wirtschaftliche Anteilsinhaberschaft, umweltbezogene Genehmigungen und Umweltlasten auf Betriebsgrundstücken“, zählt Dr. Christian Hensel, Partner im Bereich Legal Deal Advisory bei KPMG Law, auf. Darüber hinaus gebe es Prüfungspunkte, die aufgrund der neueren Regulierung, aber auch aufgrund operativer Notwendigkeiten und nicht zuletzt der Öffentlichkeitswahrnehmung neu hinzugetreten sind. „Dazu kommen Aspekte aus dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, der Code of Conduct, nichtfinanzielle Erklärungen, Whistleblowing Hotline, Green Finance, Green Lease, ESG-bezogene Unterlassungs- und Musterfeststellungsklagen“, sagt Hensel. „ESG-Themen nehmen stetig an Bedeutung zu und können je nach Unternehmen unterschiedlich zu gewichten sein.“

Dr-Christian-Hensel

„Wer beim Erwerb eines Unternehmens ESG-Aspekte nicht mit der gebotenen Sorgfalt in den Blick nimmt, läuft Gefahr, erhebliche wirtschaftliche Schäden oder Imageschäden zu erleiden.“

Dr. Christian Hensel
Partner
KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft

Potenzielle Risiken frühzeitig erkennen

Durch die Einbeziehung von ESG-Aspekten in die Due Diligence könnten potenzielle Risiken frühzeitig erkannt und bewertet werden, sagt PwC-Jurist Mirza Khanian. Auf diese Weise könne die Transaktionsstruktur angepasst oder gegebenenfalls auch von der Transaktion abgesehen werden. In puncto ESG stehe dabei gerade der Mittelstand vor einer großen Herausforderung, da – anders als bei „Mega-Deals“ – häufig viel weniger Spezialisten eingeschaltet seien, die die vielfältigen ESG-Themen im Detail bearbeiten könnten. „Gerade in Bieterprozessen ist die richtige Vorbereitung des Verkäufers auf die Due Diligence zentral, um den Veräußerungsprozess später nicht zu verlangsamen oder gar Kaufpreiseinbußen oder nachteilige vertragliche Regelungen hinnehmen zu müssen“, erläutert Mirza Khanian. „Aus Käufersicht ist die Aufklärung von ESG-Aspekten sowohl aus operativer Sicht, aber auch aus Compliance-, Versicherungs- und Finanzierungssicht wichtig.“ Denn schließlich möchte sich kein Käufer ein Bußgeldverfahren einkaufen, eine angestrebte Versicherungslösung verpassen oder erhöhte Finanzierungszinsen zahlen, weil er wichtige Themen nicht rechtzeitig aufklären konnte. Wirtschaftsprofessor Hofinger von der Munich Business School pflichtet ihm bei: „Es ist ratsam, sich im Rahmen der Due-Diligence-Prüfung einen detaillierten Eindruck über die ESG-Konformität eines zu übernehmenden Unternehmens zu verschaffen“, so der Experte. „Fahrlässig unentdeckte Umwelt- und Klimarisiken mögen dies in der Nachbetrachtung als weise Vorgehensweise zur Vermeidung von ESG Haftungs- und Schadenersatzklagen erscheinen lassen.“ Die Risiken in dieser Hinsicht seien vielfältig, warnt Christian Hensel von KPMG Law. „Wir sehen bereits heute Klagen von Verbraucherverbänden gegen Automobilhersteller auf Unterlassung des Inverkehrbringens von Verbrennungsmotoren, Klagen gegen Städte auf Einhaltung von Feinstaubgrenzwerten und Massen-Schadensersatzklagen aufgrund von Complianceverstößen.“ Darüber hinaus seien diverse andere Rechtsfolgen von ESG-Verstößen denkbar – etwa der Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren, die Verschlechterung von Finanzierungskonditionen oder die außerordentliche Kündigung von Lieferverträgen. „Wer bei dem Erwerb eines Unternehmens ESG-Aspekte nicht mit der gebotenen Sorgfalt in den Blick nimmt, läuft Gefahr, erhebliche wirtschaftliche Schäden oder Imageschäden zu erleiden“, so Hensel. Es sei daher geboten, den Legal Due Diligence Scope von vornherein so zuzuschneiden, dass die wesentlichen Risikofelder identifiziert und geprüft werden.

Zentrale Rolle für Banken
 
Grundsätzlich werde das M&A-Geschäft durch zahlreiche Beteiligte mit unterschiedlichen Interessenslagen geprägt, sagt Jens Schulte, Head of M&A im Bereich Sparkassen bei der Bayerischen Landesbank. Neben der Verkäuferseite und der Käuferseite würden dabei natürlich auch die finanzierenden Kreditinstitute eine wichtige Rolle spielen. Denn den Banken komme als Finanzierungspartner einer Akquisition eine zentrale Position zu, wobei sie der ESG-Score künftig dazu zwingt, ein besonderes Augenmerk auf ESG-Aspekte zu legen. „Die Kreditvergabe wäre dann sowohl an das eigene Bankenrating als auch an das Erreichen bestimmter ESG-Zielwerte des Kreditnehmers geknüpft“, erläutert Schulte. „Das könnte bedeuten, je schlechter das ESG-Rating des neuen Unternehmens ausfällt, desto kostspieliger werden die Finanzierungsbedingungen. Im schlimmsten Fall kann kein Darlehen gewährt werden, beziehungsweise wäre bei Nichteinhaltung der ESG-Bedingungen eine wesentliche Verteuerung der Kreditverträge denkbar.“ Umgekehrt könnten Käufer, die selbst über ein gutes ESG-Rating verfügen und in ein Unternehmen mit positiver ESG-Performance investieren, an günstigere Finanzierungskonditionen kommen. „Sofern der Verkäufer eine Vendor Due Diligence durchführt, können bestehende ESG-Risiken bereits vor Eintritt in die Transaktion identifiziert und bestenfalls beseitigt werden, mit positiven Auswirkungen auf den erzielbaren Kaufpreis“, betont M&A-Experte Schulte. Häufiger würden die ESG-Risiken jedoch im Rahmen der Due Diligence auf der Käuferseite aufgedeckt, zumal die Käufer bedeutend sensibler und auch kritischer bei potenziellen Übernahmekandidaten in Bezug auf das Risiko von ESG-Haftungs- und Schadensersatzklagen geworden seien. So gaben in einer PwC-Umfrage zum globalen Private-Equity-Geschehen mehr als die Hälfte der Befragten (56 Prozent) an, dass ESG-Themen im Jahr 2021 mehr als einmal jährlich in Vorstandssitzungen von Private-Equity-Investoren behandelt wurden. 2019 waren es noch 35 Prozent gewesen. Zudem gaben 72 Prozent der Befragten an, ihre Zielunternehmen stets auf ESG-Risiken und -Chancen in der Phase vor der Akquisition zu überprüfen. 56 Prozent der Befragten erklärten, aus ESG-Gründen schon mal eine Investition zurückgestellt zu haben. Und doch – so sorgfältig man auch prüft und durch eine gute Due Diligence Aspekte wie Umweltstandards, Arbeitspraktiken, Lieferketten und sonstige ESG-Compliance erfasst: „Man kann ESG-Risiken zwar minimieren, ganz ausschließen lassen sie sich aber nicht“, sagt PwC-Jurist Khanian. Die Auswirkungen könnten je nach Verstoß sehr unterschiedlich sein. Aber zumindest lässt sich der mögliche Schaden durch eine sorgfältige und transparente Dokumentation aller durchgeführten Schritte und Maßnahmen minimieren. Denn dann könnten Unternehmen zumindest darlegen, dass sie angemessene Sorgfalt angewendet haben, so Khanian. „Dies kann ihnen im Fall der Fälle dabei helfen, sich zu exkulpieren und den Schaden zu begrenzen.“ Letztlich ist es dann wie bei einer Ehe mit Ehevertrag: Auch dadurch lässt sich nicht ausschließen, dass es irgendwann zu einer Scheidung kommt. Aber die finanziellen Folgen sind durch die Sorgfalt im Vorfeld zumindest begrenzt.
 
Harald Czycholl
Beitrag von Alexander Pradka

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