Wann sind Rechtsanwälte unabhängig? Über diese Frage diskutieren nicht nur Gelehrte und streiten sich nicht nur die Parteien vor zahlreichen Gerichten. Vielmehr herrscht auch innerhalb Europas ein ganz uneinheitliches Bild über die Unabhängigkeit von Rechtsanwälten und das betrifft insbesondere auch die bis zu 150.000 Unternehmensjuristen in Europa.
Zum Erfordernis der Unabhängigkeit von Rechtsanwälten äußerte sich Ende März dieses Jahres der Europäische Gerichtshof (EuGH). Zugrunde liegt der Entscheidung das Verfahren PJ und PC gegen das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO). En Detail ging es dabei um eine Markeneintragung beim EUIPO. Im Jahr 2014 wurde ein Antrag auf Nichtigerklärung der Marke gestellt. Dieser Antrag wurde 2015 vom Amt für geistiges Eigentum abgelehnt. Die Beschwerdekammer hob diese Entscheidung später wiederum auf.
Die Entscheidung über die Ungültigerklärung wurde beim Europäischen Gerichtshof eingereicht. Das Gericht stellte fest, dass der Antragsteller einer der beiden Gründungspartner einer Anwaltskanzlei ist, die die Markenanmeldung anstrebte. Im weiteren Verfahren ließ der Antragsteller die Klageschrift von einem in der eigenen Kanzlei angestellten Anwalt unterzeichnen. Der Europäische Gerichtshof lehnte es ab, der Klage stattzugeben und begründete diese Entscheidung damit, dass die Klageschrift nicht von einem unabhängigen Rechtsanwalt unterzeichnet worden war. In diesem Zusammenhang stellte das Gericht außerdem fest, dass der Gründungspartner, der die Klage eingereicht hatte, aufgrund der Tatsache, dass die betreffende Anwaltskanzlei ihre Entscheidungen einstimmig trifft, eine maßgebliche Kontrolle über alle Entscheidungen der Anwaltskanzlei hat. Unmittelbar betroffen ist davon auch der angestellte Rechtsanwalt, der ihn in diesem Fall vertritt.
AUSWIRKUNGEN EINES ANGESTELLTENVERHÄLTNISSES AUF DIE UNABHÄNGIGKEIT
In seiner Begründung verwies der Gerichtshof auf die Urteile Prezes Urzedu Komunikacji Elektronicznej und Republik Polen gegen die Europäische Kommission, in denen der Gerichtshof festgestellt hatte, dass die Definition der „Unabhängigkeit“ eines Rechtsanwalts nicht nur positive Definitionen, einschließlich der Einhaltung einschlägiger Verhaltensregeln, sondern auch negative Definitionen wie das Fehlen eines Arbeitsverhältnisses zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten, beinhaltet. In seiner Ablehnung stellte das Gericht fest, dass diese Argumentation auch für Situationen gilt, in denen der Anwalt in einem Arbeitsverhältnis mit demjenigen steht, der mit der von ihm vertretenen Partei verbunden ist – oder in denen eine vertragliche Vereinbarung zwischen der Partei und dem Anwalt besteht.
Der Kläger versuchte zu argumentieren, dass in Fällen, in denen eine natürliche Person eine Klage einreicht, die einzige Voraussetzung für die Erfüllung der Satzung des EuGH die Vertretung durch eine andere natürliche Person ist. Außerdem reiche eine wirtschaftliche Verbindung zwischen einem Anwalt und seinem Mandanten nicht aus, um auf eine fehlende Unabhängigkeit des Anwalts zu schließen. Die Rechtssache Prezes Urzedu Komunikacji Elektronicznej sei ebenfalls nicht anwendbar, da die Interessen des Klägers nicht mit denen der Anwaltskanzlei übereinstimmten, in der er Partner ist und in der der Anwalt beschäftigt ist. Zudem basiere die Auffassung, dass dem betreffenden Anwalt die Unabhängigkeit fehle, auf Annahmen und nicht auf materiellen Gründen.
Das Gericht wies darauf hin, dass nach dem Wortlaut von Artikel 19 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Antragsteller die Dienste Dritter für die Vertretung in Anspruch nehmen müssen.
ENTWICKLUNG DES BEGRIFFS DER UNABHÄNGIGKEIT
Zudem stellt der Europäische Gerichtshof fest, dass obwohl in den Verfahren AM&S und Akzo Nobel die Unabhängigkeit ursprünglich durch den Blickwinkel wettbewerbsrechtlicher Untersuchungen und die Vertraulichkeitsverpflichtungen der Anwaltschaft definiert wurde, sich die Definition inzwischen geändert hat, wenn es um die Vertretung vor Gerichten in der EU geht.
Dabei geht es in erster Linie um den Schutz der Interessen des Mandanten, die Einhaltung der einschlägigen Vorschriften und Gesetze sowie der berufsbezogenen Normen und Statuten. Der Gerichtshof wiederholt die Auffassung aus dem Verfahren Uniwersytet Wrocławski gegen REA, wonach die Unabhängigkeit eines Rechtsanwalts sowohl durch negative Definitionen wie das Fehlen eines Arbeitsverhältnisses als auch durch positive Definitionen wie die ordnungsgemäße Einhaltung des Berufsrechts bestimmt wird. Der Gerichtshof führt weiter aus, dass die Unabhängigkeit eines Anwalts das völlige Fehlen eines Arbeitsverhältnisses zwischen einem Anwalt und seinem Mandanten voraussetzt. Bei der Betrachtung der positiven Definitionen des Elements der Unabhängigkeit eines Anwalts betont der Gerichtshof, dass Anwälte keine Bindungen zu ihren Mandanten haben dürfen, die sie eindeutig daran hindern würden, ihren Mandanten bestmöglich zu vertreten.
Der Gerichtshof stellt jedoch fest, dass die Beziehung zwischen einem Anwalt und seiner Kanzlei oder dem Partner der betreffenden Kanzlei nicht automatisch bedeutet, dass der Anwalt nicht unabhängig ist. Dies lässt sich an der Vielfalt der Organisationsformen verdeutlichen, in denen Anwälte in der gesamten EU tätig sind. Wenn jedoch der Mandant der Gründungspartner der betreffenden Anwaltskanzlei ist, bedeutet dies vermutlich eine fehlende Unabhängigkeit des Anwalts und muss als solche betrachtet werden.
Die Tatsache, dass es in den letzten zwei Jahren zwei Verfahren zur Unabhängigkeit der Anwaltschaft gab, deutet darauf hin, dass nach wie vor erhebliche Unklarheiten über den Umfang der beruflichen Unabhängigkeit für die gesamte Anwaltschaft bestehen.
Marcus M. Schmitt