Juristisch-technologische Verbindungen

Immer enger und intensiver sind rechtliche und technische Fachfragen miteinander verzahnt. Legal Tech verändert die Arbeitsweise von Juristinnen und Juristen in Unternehmen wie Kanzleien im ganz großen Stil. Zunehmend entstehen aber auch neue Karrieremöglichkeiten und Berufsprofile rund 
um Legal Tech, was sich auch auf die Aus- und Weiterbildung auswirkt.
vom 21. November 2023
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„Legal Tech spielt eine immer wichtigere Rolle im Alltag unserer Anwälte und Anwältinnen“, berichtet Kai Jacob, Partner bei KPMG Law. „Es gibt viele Tools und Technologien, die uns bei der Arbeit unterstützen und uns helfen, effizienter und schneller zu arbeiten.“ Insbesondere in den vergangenen fünf Jahren – aber vor allem in den vergangenen fünf Monaten – hat sich die Nutzung von Legal Tech bei KPMG Law stark verändert. Während die Einführung neuer Tools und Technologien früher Monate dauerten, konnten beispielsweise die generative KI-Lösung „KaiChat“ in wenigen Wochen eingeführt werden. „Diese neuen Tools helfen uns dabei, unseren Mandanten einen besseren Service zu bieten“, so Jacob. Noch immer gibt es zwar Pitches von Rechtsabteilungen, die nicht explizit nach Legal Tech fragen. „Wir sehen es jedoch als unsere Aufgabe, unsere Mandanten über die Vorteile von Legal Tech aufzuklären, unsererseits Legal Tech einzusetzen, wo uns dies sinnvoll erscheint, und sie bei der Implementierung zu unterstützen“, unterstreicht Jacob. Und auch insgesamt hat das sich das Angebot der Kanzlei für Mandanten durch den Einsatz von Legal Tech erweitert. „Wir können unseren Mandanten jetzt eine breitere Palette von Services und Produkten anbieten und sie schneller und effizienter bedienen“, berichtet Jacob. „Das bedeutet natürlich auch, dass sich die Berufsfelder in unserer Kanzlei verändert haben und wir jetzt mehr Experten für Legal Tech benötigen.“ Für Mitarbeiter mit einem Legal-Tech-Fokus hat KPMG Law sogar einen eigenen Karrierepfad entwickelt. Dazu zählen auch neue Berufsfelder wie Experten für Generative Künstliche Intelligenz, Agiles Arbeiten, Legal Operations und Legal Tech, die sich ausschließlich mit der Auswahl, Implementierung und Nutzung von Legal Tech-Tools und Methoden beschäftigen. Der Trend sei eindeutig: „Der Bedarf an Legal Tech-Experten wächst stetig, da immer mehr Kanzleien und Unternehmen Legal Tech-Tools einsetzen, um ihre Arbeit zu verbessern und effizienter zu arbeiten“, so Jacob. Insgesamt werden sich durch die Verbesserung und Ausweitung generativer KI-Tools in alle Bereiche die Berufsfelder in Bezug auf Legal Tech und Legal Ops weiterentwickeln. „Wir sehen auch eine zunehmende Verschmelzung von Jura und IT“, so der KPMG Law-Partner, die ebenfalls immer weiter voranschreite. Hier gebe es ein großes Potenzial für diverse Teams und neue Methoden: „Teams, die Kollaboration und Co-Innovation an erste Stelle stellen werden einen immensen Wettbewerbsvorteil haben.“ Nicht zuletzt durch die Kooperation mit dem German Legal Tech Hub, einer One-Stop-Plattform, die deutschlandweit Legal-Tech-Akteure on- und offline miteinander verbindet, will KPMG Law seine Expertise noch weiter ausbauen und sich gemeinsam für die Zukunftsfähigkeit der Rechtsbranche einsetzen. Schließlich spielt Legal Tech insbesondere bei jüngeren Berufsträgern eine erhebliche Rolle, denn bestimmte Tätigkeiten, die vormals durch Associates gelöst wurden, werden stärker durch Technik übernommen werden, beobachtet Rahel Skau, Director of Legal Tech & Digitalization bei Heuking Kühn Lüer Wojtek. „Junge Berufsträger sind sich bewusst, dass der Einsatz von Technik ein erheblicher Wettbewerbsfaktor mit Blick auf Dauer und Ergebnisqualität der eigenen Leistungserstellung ist.“ Durch Chat GPT habe sich dies noch einmal verstärkt, sodass man spätestens seit Ende 2022 einen Run auf die Digitalisierung spüren können, den es derart kollektiv in Kanzleien zuvor so nicht gegeben habe.

KaiJacob

„Der Bedarf an Legal Tech-Experten wächst stetig, da immer mehr Kanzleien und Unternehmen Legal Tech-Tools einsetzen, um ihre Arbeit zu verbessern und effizienter zu arbeiten.“

Kai Jacob
Partner,
KPMG Law

Schnittstelle von Recht und Technik

Mit dem Eintritt von Skau als Director of Legal Tech & Digitalization vor drei Jahren wurden in der Wirtschaftskanzlei die vielfältigen Aktivitäten rund um Legal Tech und Digitalisierung zusammengeführt. Teil der Kanzleistrategie ist, neben dem Einsatz von best-of-breed-Software, also der herstellerunabhängigen Wahl der jeweils besten Lösung, auch die Entwicklung eigener digitaler Produkte. Ein Beispiel dafür ist das erste eigenentwickelte Hinweisgebersystem „WhistleFox“ mit dem sich Heuking an der Schnittstelle von Recht & Technik neu positioniert hat. „Das bedeutet für die beteiligten Berufsfelder – Juristen der betreffenden Praxisgruppen und Legal Tech Spezialisten – eine neue, intensive Verzahnung von rechtlichen und technischen Fachfragen, die es vorher in der Form nicht gab und die eine enge Zusammenarbeit erfordert“, erläutert Skau. Da nur wenige Kanzleien eigenentwickelte Legal Tech-Lösungen im Einsatz haben und über eine entsprechende Digitalkompetenz inhouse verfügen, hat Heuking auch die betreffenden Berufsfelder wie Digital Design und Legal Operations im Bereich Legal Tech gestärkt. Wie in allen anderen Branchen, wird Künstliche Intelligenz nach Einschätzung von Skau ebenfalls noch stärker eine zentrale Rolle in der Leistungserstellung im juristischen Bereich spielen. „KI-gestützte Technologie ist bereits seit vielen Jahren in Kanzleien im Einsatz. Dieser Trend wird sich durch GPT weiter fortsetzen“, so die Direktorin. Für den Einsatz dieser innovativen Technik werde eine weitere Spezialisierung erfolgen (müssen), insofern werde Legal Tech um Experten zum Beispiel aus dem Bereich Informatik und Data Science erweitert werden.

Veränderung der Ausbildung

Eine wichtige Frage ist in diesem Zusammenhang, wie Juristen auf diese neuen Anforderungen vorbereitet sind. Schließlich hat Legal Tech in der klassischen juristischen Ausbildung bisher kaum eine Rolle gespielt. Doch das scheint sich nun langsam zu ändern: „Im Moment sehen wir, dass sowohl in den Forderungen der Studierenden als auch in den Angeboten vieler Hochschulen und Universitäten Technologie zunehmend eine Rolle spielt“, berichtet Dirk Hartung, Executive Director am Center for Legal Technology and Data Science an der Bucerius Law School. „Dafür sind Organisationen wie ‚Recode Law‘ und ‚Legal Hackers‘, aber auch engagierte Professorinnen und Professoren sowie Leuchtturmprojekte wie die Bucerius Legal Tech Essentials mit über 13.000 Teilnehmern wichtige Bausteine.“ An der Bucerius Law School kommen Studierende in unterschiedlicher, selbst gewählter Intensität mit Digitalisierung und Technologie in Kontakt. „Wir bieten ein Technologiezertifikat mit Einführungen in die Informatik, Statistik, Programmierung, Technologieethik und Softwareentwicklung ebenso wie niedrigschwellige Veranstaltungen wie unsere Legal Tech Lecture Series“, berichtet Hartung. Im Schwerpunkt kann eine gemeinsame Grundlagenveranstaltung zu Recht und Technologie gewählt werden. Hinzukommen ein Masterprogramm und ein International Program, in denen jeweils umfangreiche Kurse in Legal Technology and Operations angeboten werden. „Verpflichtend sind diese Veranstaltungen nicht, aber fast 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den letzten fünf Jahren zeigen, dass Studierende ganz von selbst motiviert sind“, sagt Hartung. Überdies wird an der privaten Stiftungshochschule in Hamburg auch eine Summer School Legal Technology and Operations angeboten, die sich an fortgeschrittene Studierende und Young Professionals richtet. „In drei intensiven Wochen legen wir technische Grundlagen und arbeiten an echten Problemen aus der Praxis“, erläutert Hartung. „Dabei sollen die Teilnehmer Lust auf das Thema Legal Technology bekommen und in die Lage versetzt werden, im Anschluss eigenständig weiterlernen zu können.“ Ein universitäres Wahlfach Legal Tech hält der Direktor für eine gute Idee, wenn sichergestellt ist, dass die Inhalte in eine akademische Ausbildung passen: „An der Universität haben wir – oft zum letzten Mal – die Möglichkeit, umfassend und in der Tiefe auszubilden. Dabei lernen Studierende Zusammenhänge, für die ihnen später im Beruf häufig Zeit und Hingabe fehlen“, so Hartung. „Wenn wir garantieren können, dass qualifizierte und motivierte Unterrichtende diese Inhalte vermitteln, moderne Methoden beibringen und relevante Bezüge zur Rechtswissenschaft herstellen, passt ein solches Wahlfach hervorragend in die Juristenausbildung.“

Dirk Hartung

„Im Moment sehen wir, dass sowohl in den Forderungen der Studierenden als auch in den Angeboten vieler Hochschulen und Universitäten Technologie zunehmend eine Rolle spielt.“

Dirk Hartung
Executive Director am Center for Legal Technology
and Data Science an der Bucerius Law School

Recht verständlich machen

Den Studierenden rät er, bei der Auswahl ihrer Praktika, Nebenjobs, Referendariatsstationen und dem ersten Job darauf achten, dass ihre Arbeitgeber Legal Tech ernst nehmen. „Manch eine Kanzlei oder Rechtsabteilung kommt über bloße Lippenbekenntnisse nicht hinaus, aber die echten digitalen Champions lassen sich mit etwas Recherche durchaus finden“, so Hartung. „Daneben muss man bereit sein, einen Weg zu gehen, der in den ersten Jahren weniger vorhersehbar ist als bei klassischen Juristinnen und Juristen.“ Nur wer bereit sei, ein wenig Risiko einzugehen, werde mit einem interessanten Job belohnt. „Schließlich kommt es am Ende neben guten Jurakenntnissen auf die technischen Grundlagen an. Die kann man mit Büchern, Massive Open Online Courses oder in einem Zweitstudium lernen, und diese Investition lohnt sich eigentlich immer.“ Mit immer mehr Legal Tech wachsen allerdings auch die Anforderungen an die IT-Sicherheit sowie den Datenschutz, und auch die Prävention von Geldwäsche rückt mehr in Blickfeld. Lawpilots, der nach Unternehmensangaben führende Anbieter Europas für rechtliche E-Learnings in den Themenfeldern Datenschutz, Compliance, ESG, IT-Sicherheit und Arbeitsschutz, will daher Organisationen und ihre Beschäftigten für die rechtlich-
regulatorischen Herausforderungen der Digitalisierung wappnen. „Die rechtlich-regulatorischen Herausforderungen im Arbeitsumfeld sind in den letzten Jahren stark gestiegen“, beobachtet Lawpilots-Geschäftsführer Philipp von Bülow. Viele Mitarbeitende fühlten sich dadurch verunsichert und es komme zu falschem Handeln. Ihr Wissen sei jedoch entscheidend für die Sicherheit und den zukünftigen Erfolg eines Unternehmens. „Zu unserer Gründung 2017 haben wir nur Datenschutz-E-Learnings angeboten“, so von Bülow. „Über die Jahre kamen noch Compliance, ESG, IT-Sicherheit und Arbeitsschutz dazu, weil wir auch auf die Nachfrage unserer Kundinnen und Kunden eingegangen sind. Es wird nie zu wenige rechtliche Themen geben, die wie wir bedienen können.“ Außerdem steige die Nachfrage nach kurzweiligen Mitarbeiterschulungen die effektiv und auch nachhaltig sind. „Wir haben es geschafft, Recht verständlich zu machen. Mithilfe von Spaß, Emotionen und didaktischem Feingefühl verankern wir komplexe Themen wirksam bei Mitarbeitenden und schaffen einen Lernprozess, der nachhaltig wirkt.“ Der größte Bedarf bestehe nach wie vor im Datenschutz. Es steige jedoch vermehrt die Nachfrage nach Compliance-Themen wie ESG, Lieferkettengesetz, aber auch Schulungen zur Informationssicherheit seien sehr wichtig geworden. „Verstöße in diesen Themen können Unternehmen in ernste Situationen führen wie hohe Bußgelder, Imageschäden, sogar Haftstrafen“, so von Bülow. Einen typische Schulungsnutzer zu skizzieren sei jedoch schwierig: „Unsere Zielgruppen sind sehr verschieden. Von einer kleinen Kanzlei bis hin zu Konzernen schulen wir mittlerweile über 3,5 Millionen Mitarbeitende weltweit.“ Die Schulungsteilnehmenden seien divers in Bezug auf Abteilung, Position und sogar in der Branche. Eins steht für von Bülow jedenfalls fest: „Jedes Unternehmen hätte potenziell Bedarf an rechtlichen Mitarbeiterschulungen.“

 

Claudia Behrend

Beitrag von Alexander Pradka

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