Die Bandbreite der Themen, der sich die Personalabteilungen bei der Besetzung von Positionen im Rechtsbereich stellen müssen, ist seit einigen Jahren dabei, sich stark zu verändern. Wie also positioniert man sich als Rechtsabteilung im Vergleich zur Kanzlei und wie geht man mit den Forderungen von Bewerbern am besten um? Welche davon sind erfüllbar, und welche sind es nicht? Und wie können sich Rechtsabteilungen im Wettbewerb mit den Großkanzleien durchsetzen? Diese und weitere Fragen stellten sich Isabel Giancristofano, Director Legal & Compliance und Dr. Alexander Stein, Head of Legal, Condor Flugdienst, anlässlich einer von Martin Regnath, General Counsel, Die Autobahn GmbH des Bundes, moderierten Breakout-Session auf der diruj Rechtsabteilungen & Unternehmensjuristen-Konferenz 2022 Mitte Mai dieses Jahres in Berlin.
Eine zentrale Frage für Giancristofano, die seit einem Jahr Leiterin der Rechtsabteilung und dort auch für das Personal zuständig ist, was einen talentierten Mitarbeiter überhaupt ausmacht, das heißt, welche Grundvoraussetzungen er oder sie erfüllen muss im Hinblick auf den Lebenslauf, die Noten und natürlich im Hinblick darauf, was die jeweilige Position verlangt.
Die Anforderungen unterscheiden sich bei uns stark und sind abhängig davon, für welchen Bereich der Rechtsabteilung wir jemanden suchen, also Commercial Law, Aircraft Legal oder Litigation. Bei Letzterer geht es vor allem um Masseklagen, bei Aircraft Legal dreht es sich insbesondere um die Anschaffung von Flugzeugen“, berichtet Stein, seit 2012 bei Condor tätig ist. „Wenn wir eine Stelle für den Bereich Aircraft zu besetzen haben, braucht es für das Leasing eines 100 Millionen Euro oder teureren Flugzeugs natürlich eine andere Expertise und Erfahrung als für den Bereich der Fluggastrechte, wo nicht zweimal zehn Punkte erforderlich sind, sondern ein sorgfältiger Jurist auch mit deutlich weniger Erfahrung gut passt“, resümiert Giancristofano.
„Für uns darf die Lebenserfahrung gern etwas breiter sein, also etwa, dass jemand schon einmal im Ausland gewesen ist und etwas anderes gemacht hat.“
Isabel Giancristofano, Director Legal & Compliance, Condor Flugdienst
„Die Anforderungen unterscheiden sich bei uns stark und sind abhängig davon, für welchen Bereich der Rechtsabteilung wir jemanden suchen.“
Dr. Alexander Stein, Head of Legal, Condor Flugdienst
„Expertise bedeutet bei uns nicht zwingend menschliche Kompatibilität“, ergänzt Martin Walter, Head of Legal bei Aircraft Finance Germany. „Wir haben auch nicht die Budgets, die andere bieten als kleines Unternehmen, und haben daher erfolglos gesucht.“
In den Bewerbungsgesprächen geht es laut Giancristofano vor allem um das Interesse an der Branche und am Tagesgeschäft des Unternehmens. „Für uns darf die Lebenserfahrung gern etwas breiter sein, also etwa, dass jemand schon einmal im Ausland gewesen ist und etwas anderes gemacht hat.“ Ebenfalls wichtig seien Empathie und Kommunikationsfähigkeit, da es im Berufsalltag viele Schnittstellen mit den jeweiligen Fachbereichen gäbe. „In unserm Umfeld braucht es gleichermaßen Durchsetzungsvermögen und diplomatisches Fingerspitzengefühl.“ Des Weiteren seien Verantwortungsbewusstsein und Erreichbarkeit gefragt: „Bei Krisen muss auch mal Sonntagvormittag gepowert werden“, unterstreicht die Rechtsabteilungsleiterin.
„Eine Großkanzleitätigkeit kann gerade bei jüngeren Anwälten und Anwältinnen manchmal zu Stress und Frustration führen, hilft aber auch dabei, essenzielle Fähigkeiten wie Disziplin, Ausdauer und Belastbarkeit zu entwickeln“, ergänzt Timo Matthias Spitzer, Head of Legal bei Santander CIB. „Ein Unternehmensumfeld bietet im direkten Vergleich grundsätzlich eher die Möglichkeit zu einer unabhängigen Tätigkeit sowie eine bessere Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie.“
Auch Dr. Friedrich Klein, Head Of Legal Department bei Ferrero, hebt hervor, dass Erfahrungen aus der Kanzlei beziehungsweise Großkanzlei und im Unternehmen für eine Tätigkeit in der Rechtsabteilung von Ferrero hilfreich seien. „Wie aber stelle ich fest, ob jemand zu uns passt? Da ist die Persönlichkeit das A und O, mehr als die Noten.“ Auch in der Coronazeit habe er mit Bewerbern teilweise drei- bis viermal online gesprochen, sagt er, und betont: „So viel kennenlernen, wie es geht.“ Bei dem Gehalt könne man mit den Kanzleien jedoch nicht mithalten.
BEWERBUNGSPROZESS MIT KENNENLERNEN
Ähnliche Erfahrungen hat auch Giancristofano gemacht: „Wir hatten vor einiger Zeit eine Bewerberin mit guter Papierform, mit der wir auch dreimal gesprochen haben. Nach zwei bis drei Monaten stellten wir aber fest, dass es inhaltlich nicht richtig gepasst hat, und wir haben uns von ihr getrennt.“ Daraus habe es mehrere Learnings geben: Ein Bewerbungsprozess mit Kennenlernen braucht seine Zeit, auch wenn der Bedarf groß ist. „Und auch der Team-Fit ist nicht zu unterschätzen.“ Vielleicht ist es bei 1.000 Mitarbeitern anders, aber bei 14 oder 15 wie bei uns muss es wirklich passen“, betont Giancristofano. „Nichtsdestotrotz mögen wir einen straffen, kurzen Bewerbungsprozess und werden uns künftig schon im Vorstellungsgespräch die Motivation besser angucken.“
Aber auch grundsätzlich sei das Recruiting eine Herausforderung geworden, berichtet Stein. „Wir haben immer viel Wert darauf gelegt und hatten damit früher auch keine Probleme. Wir bekamen viele Initiativbewerbungen, aber das hat sich nun geändert.“ Bei Condor liege das auch an den wirtschaftlichen Herausforderungen aufgrund der Corona-Pandemie. „Wir gingen nach der Insolvenz von Thomas Cook in ein Schutzschirmverfahren, sind aber nun durch unseren neuen Investor gestärkt.“ Weitere Herausforderungen seien Erreichbarkeit und Enthusiasmus für die Branche sowie das Unternehmen. Hinzukomme: „Die Gehälter in den Großkanzleien schießen durch die Decke, und wir müssen auf die Kosten achten“, stellt Stein heraus.
„Wir suchen Leute, die sich kollegial mit den Businessleuten zusammensetzen.“
Dr. Tobias Hemler, Vice President Legal, Compliance, Insurance and Committees, Koelnmesse
„Leidensfähigkeit und Frustrationstoleranz kann man gut in Großkanzleien sammeln.“
Timo Matthias Spitzer, Head of Legal, Santander CIB
HOHE GEHÄLTER IN GROSSKANZLEIEN
Ähnlich herausfordernd ist es auch bei der Koelnmesse: Gebraucht würden dort Juristen, die Teil des Dealmakers-Team werden, mit Compliance-Brille im Hintergrund: „Wir suchen Leute, die sich kollegial mit den Businessleuten zusammensetzen“, berichtet Dr. Tobias Hemler, Vice President Legal, Compliance, Insurance and Committees bei Koelnmesse. „Aber wir haben über ein Jahr gebraucht, um eine Stelle in der Rechtsabteilung zu besetzen“, so Hemler „Früher hatten auch wir keinerlei Probleme, Stellen zu besetzen.“ Auch hier hat sich einiges verändert: „In der Vergangenheit haben wir Wert auf gute Examensnoten gelegt für gehobene Aufgaben, heute nehme ich auch zweimal „ausreichend’“.
„Die hohen Gehälter in den Großkanzleien sind auch für uns ein Riesenproblem“, berichtet Hemler weiter. Und auch das Image der Veranstaltungsbranche hat sich verändert: Früher galt Koelnmesse aufgrund der Finanzierung durch Stadt und Land als als sehr sicherer Arbeitsplatz. „Das ist sie auch immer noch, aber das Image ist natürlich angekratzt durch die Corona-Pandemie.“ Immer noch als Vorteil ausspielen könne Koelnmesse indes die im Vergleich zur Großkanzlei bessere Work-Life-Balance: „Mit Arbeit am Wochenende brauche ich gar nicht erst zu kommen. Und selbst die 60:40-Homeoffi ce- Regelung muss ich in Einzelfällen missachten“, sagt Hemler. Der Umgang mit dem Thema Work-Life-Balance habe sich insgesamt ebenfalls deutlich verändert: „Im Bewerbungsgespräch kommt die Frage dazu sehr früh“, berichtet Hemler.
Auch bei Consors Finanz BNP Paribas hat man sich gefragt, welche Schritte erforderlich sind, um die Softskills in den Bewerbungsgesprächen noch stärker herauszuarbeiten: „Bei Goldman Sachs sind es zum Teil 20 Interviews“, berichtet Mathias Droop , Head of Legal Personal Finance bei BNP. „Bei uns sind es derzeit für unser Legal Department vier bis fünf Gespräche mit jedem Kandidaten, neben dem ersten Gespräch mit mir gibt es weitere unter anderem durch die HR Business Partner, interne Kunden und weitere Kollegen aus dem Legal Bereich – ohne mich.“ Dadurch lerne man die Bewerber besser kennen, so die positive Rückmeldung. Auch der Kandidat selbst könne sich ein gutes Bild machen. „Der Weg ist zwar lang, aber wir haben damit bisher gute Erfahrungen gesammelt“, unterstreicht Droop. Ebenfalls habe es sich bewährt, Kandidaten die Räumlichkeiten der eigenen Abteilung und den künftigen Arbeitsplatz zu zeigen. Alisha Andert, Geschäftsführerin von This is Legal Design und Mitgründerin sowie Vorstandsvorsitzende des Legal Tech Verbands Deutschland bringt noch einen ganz anderen Aspekt ein: „Aus meiner Sicht kommen hier mehrere Probleme zusammen: Die Generation wird kleiner und damit gibt es weniger Absolventen bei den Volljuristen.“ Daher stelle sich folgende Frage: „Für welche Aufgaben brauche ich überhaupt Volljuristen und für welche auch nicht, indem ich Legal Operations Prozessdesign einsetze.“ Ähnlich seht das Giancristofano: Wir überlegen derzeit, ob wir anstelle von Anwälten gegebenenfalls auch Wirtschaftsjuristen oder Sachbearbeiter einstellen.“
Claudia Behrend