Wie Unternehmensjuristinnen die Karriereleiter erklimmen

Noch immer sind weibliche General Counsel mit etwa 36 Prozent in der Minderzahl. Deshalb hat der In-house Counsel vier Frauen gefragt, die es ganz an die Spitze geschafft haben. Einfache Antworten können sie nicht geben, dafür individuelle Analysen und einige Tipps für aufstrebende junge Juristinnen mit Interesse an einer Karriere im Unternehmen.
vom 13. September 2023
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Langsam tut sich etwas in puncto Diversität. In den Chefetagen der DAX-, MDAX- und SDAX-Konzerne arbeiteten vergangenes Jahr 109 weibliche Vorstände, 17 mehr als vor einem Jahr. Zu diesem Ergebnis kam eine Analyse der Struktur der Vorstände der 160 in diesen Indexes gelisteten Unternehmen, die die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY zweimal jährlich durchführt. Einer Top-Managerin stehen aber immer noch fünf männliche Kollegen gegenüber. Mit Blick auf die CEO-Ebene ist die Diskrepanz noch deutlicher: Von 160 Führungsposten sind neun von Managerinnen besetzt. Viele Vorstände deutscher Konzerne sind weiter mehrheitlich eine reine Männerdomäne. Dabei ist das Ergebnis einer im Juni dieses Jahres veröffentlichten Studie der Universität Tübingen etwa zu weiblichen Mitgliedern im Aufsichtsrat eindeutig: Bereits eine Frau im Gremium erhöht die Teilnahmequote bei den Sitzungen – mehrere Frauen sogar die Profitabilität des Unternehmens. Dazu hatten die Autorinnen börsennotierte Unternehmen in Deutschland untersucht, die Bericht auch über Teilnahmequoten an den Aufsichtsratssitzungen ablegen. Diese Daten glichen die Forscherinnen mit dem Anteil der Frauen in den entsprechenden Aufsichtsratsgremien und mit der Profitabilität der Unternehmen ab. 

 

Interessant auch die Details: Sitzt nur eine einzige Frau im Aufsichtsrat, wird sie von ihren männlichen Kollegen häufig eher als Vertreterin ihres Geschlechts und weniger als Individuum mit einer spezifischen Expertise wahrgenommen. Gehören dagegen mehrere Frauen dem Aufsichtsrat an, werden diese in ihren unterschiedlichen Sichtweisen und Expertisen besser wahrgenommen, und das Gremium kann besser fundierte Entscheidungen treffen. Für Dr. Maike Sauter, seit 2021 General Counsel bei der All for One Group in Stuttgart, ist Leadership vor allem eine Frage der Persönlichkeit. „Als Juristin im Unternehmen habe ich ohnehin eine Wildcard: Meine Fachkompetenz wird nicht in Frage gestellt.“ Dass nicht mehr Positionen auf der obersten Führungsebene von Frauen besetzt sind, liegt nach ihrer Ansicht an einer Kombination aus individuellen und unternehmensorganisatorischen Faktoren. „Nicht immer, aber in der Tendenz, trauen sich Frauen solche Positionen weniger zu, sind nicht so laut und nicht so präsent wie Männer“, so Sauter. Außerdem würde immer noch die Bedeutung von Netzwerken unterschätzt und sei zum Beispiel auch die Beteiligung in Berufsverbänden und Ausschüssen geringer. Es liege aber auch daran, dass es mit eingeschränkter Arbeitszeit nur begrenzt möglich ist, eine solche Position zu bekleiden: „In der Rechtsabteilung treten große Themen häufig zur Unzeit auf, die Gremien tagen auch nicht nur zwischen 8 und 12 Uhr, und für intern wichtige Themen muss und will ich auch erreichbar sein.“ Als Mutter zweier kleiner Kinder, die auch ehrenamtlich im derzeit rund 700 Frauen zählenden Netzwerk Working Moms engagiert ist, weiß Sauter schließlich ganz genau, wie groß der Spagat sein kann: „Es ist jeden Tag ein Jonglieren zwischen beruflichem und privatem Invest. Und ein Patentrezept gibt es nicht“, räumt die Unternehmensjuristin ein.

Sylvia Hess

„Es geht darum, wieviel Zutrauen und Selbstbewusstsein ich einer Frau vermittle – und da tut sich zum Glück gerade Einiges.“

Sylvia Hess
Global Head of Legal
Red Bull

Rolle der Vorbilder

Erforderlich seien daher ein Partner, der das mitträgt und viel Flexibilität. „Die All for One Group bietet diese Flexibilität. Da wundert es mich nicht, dass wir im Vergleich zum Branchenschnitt überdurchschnittlich viele Frauen in Managementpositionen haben.“ Ganz wichtig sind Sauter auch Vorbilder, die jüngeren Frauen vorleben, dass Karriere und Familie möglich sind. Jungen Kolleginnen, die eine vergleichbare Karriere anstreben, rät sie, ein betriebswirtschaftliches Grundverständnis zu entwickeln und keine Scheu vor Zahlen und Bilanzen zu haben. „Entscheidend ist, wie man auch als Juristin das EBIT beeinflussen kann“, so Sauter. Außerdem empfiehlt sie, nicht nur auf Fachkompetenz zu setzen, sondern auch in die persönliche Entwicklung zu investieren, etwa Rhetorik-, Präsenz- und Verhandlungstrainings sowie das eigene Netzwerk. Sylvia Hess, Global Head of Legal bei Red Bull, ist davon überzeugt, dass das Geschlecht keinen Einfluss auf das Ausfüllen einer Leitungsfunktion hat. „Das liefe auf Stereotypen hinaus, wie mehr Einfühlungsvermögen bei Frauen und ein größeres Durchsetzungsvermögen bei Männern.“ Lange sei sie gegen eine Quotenregelung gewesen, sieht aber inzwischen auch die Vorteile: „Frauen können sich beweisen und zeigen, was sie können. Und das Thema ist erst dann abgearbeitet, wenn weibliche Führung normal geworden ist.“ Um das zu erreichen, spielten Vorbilder eine große Rolle. „Es geht darum, wieviel Zutrauen und Selbstbewusstsein ich einer Frau vermittle – und da tut sich zum Glück gerade einiges.“ Frauen müssten aber auch selbst aufpassen: „Auch Frauen sind sehr kompetitiv und es gibt zu wenig Solidarität untereinander“, findet Hess. Jungen Frauen rät Hess, ihre Erwartungen an das anzupassen, was sie zu leisten bereit sind: „Leistung und Erwartung müssen zusammenpassen.“ Wer also zum Beispiel vier Jahre zu Hause bleibt, könne nicht erwarten, gleichzuziehen mit anderen, die während dieser Zeit in Vollzeit weitergearbeitet hätten. Sie selbst hat Mitarbeiterinnen mit Kindern im Team, die zwischen 12 und 30 Stunden wöchentlich in Teilzeit arbeiten. Bei lediglich 12 oder 15 Stunden die Woche ist es schwierig, interessante Aufgaben zu finden oder Jobs mit Mitarbeiterverantwortung auszufüllen.“ Mit einer so geringen Stundenzahl sei es schwer möglich, Jobs mit höherer Verantwortung auszufüllen. „Jobsharing haben wir probiert, das kann funktionieren, wenn sich die Frauen gut verstehen.“ Grundsätzlich sei die Juristerei allerdings kein Beruf, der dafür prädestiniert ist, da Anfragen oft zeitnah beantwortet werden müssen.“ Anders sei es bei einer Arbeitszeit zwischen 24 und 30 Stunden: „Gerade Mütter sind oft sehr gut organisiert, da ist schon einiges möglich.“ Wichtig sei für Frauen insgesamt, sich gut auszubilden, viel zu leisten und sich gut zu verkaufen. „Im Laufe der Karriere gilt es außerdem, eine gewisse Sichtbarkeit durch gutes Selbstmarketing und Selbstbewusstsein zu erreichen“, meint Hess. Dazu gehöre auch, sich in gewisser Weise an die Umwelt anzupassen. „Die Luft wird oben für Frauen und Männer dünn, die Bereitschaft zu kämpfen gehört dazu. Frauen, die nach oben gekommen sind, können das, aber es hat alles seinen Preis.“ Im Unternehmen Karriere zu machen, stand für Kerstin Wedemann, General Counsel beim Start-up Rock Tech Lithium, schon während des Studiums fest. 

 

Probleme mit der Akzeptanz habe sie als Juristin bisher nicht erlebt. „Ich bin von meinen Chefs wie Kollegen gefördert worden und Fehler wurden toleriert“, berichtet sie. „Dadurch bestand die Möglichkeit, die Strukturen aufzubrechen und selbständig zu arbeiten.“ Neben weiblichen Vorbildern sind nach Ansicht von Wedemann die Strukturen entscheidend. „Flexiblere Möglichkeiten im Arbeitsumfeld zu schaffen, ist auch staatliche Aufgabe. Der Bedarf ist da: Frauen haben Lust auf Gestaltung nah am Business in einem spannenden Umfeld, brauchen aber auch entsprechende Rahmenbedingungen wie eine bessere Kinderbetreuung.“ Und nicht nur da gibt es Verbesserungsbedarf: „Einige Frauen verlieren nach einem halben oder einem Jahr Elternzeit ihre Führungsposition“, kritisiert Wedemann. „Es sollte daher auch für General Counsel mehr Jobsharing-Modelle geben.“ Wichtig sei zudem Flexibilität, etwa in Bezug auf Arbeitszeiten und den Arbeitsort: „Ich hatte beispielsweise eine Mitarbeiterin mit Kleinkind, die eine Team-Lead Funktion innehatte und im Home Office aus den USA gearbeitet hat“, berichtet sie. Natürlich sei es schön, sich unmittelbar im Büro zu begegnen, räumt sie ein. Aber eine persönliche Beziehung sei auch über regelmäßige Videogespräche möglich. „Wichtig sind vor allem eine Vertrauensbasis und gute Kommunikation.“ Anfangs hielt sie Quoten für nicht erforderlich. „Ich fand, die Qualität sollte im Vordergrund stehen, und Frauen können das“, so Wedemann. „Mittlerweile glaube ich aber, dass der drastisch wirkende Ansatz heftige Diskussionen erzwingt und wir dadurch zwei Schritte schneller am Ziel sind.“ Frauen seien oft zurückhaltender als Männer, sodass sichtbar werden muss, was sie leisten. Das gelte auch in Bezug auf den Gender Pay Gap: „Oft verlangen Frauen weniger als Männer, dabei müsste gleiches Gehalt selbstverständlich sein. Und da sehe ich auch die Unternehmen in der Pflicht, die Voraussetzungen dafür zu schaffen.“ Sie rät Frauen, authentisch zu bleiben, das schaffe Vertrauen und auch Anerkennung. Dabei sieht sie auch ihre Geschlechtsgenossinnen in der Pflicht: „Frauen müssen Frauen fördern.“ Olivia Broderick, CLO bei Bitpanda, wirft einen Blick über den Tellerrand, und zwar ins Vereinigte Königreich, wo die gebürtige Irin seit vielen Jahren arbeitet. „Bei uns haben in den vergangenen Jahren viele Juristinnen Karriere gemacht und sind General Counsel geworden, viele talentierte Frauen waren enttäuscht von den Bedingungen und haben den traditionell geprägten Kanzleien den Rücken gekehrt.“ Unternehmen bieten eine offenere und kollaborativere Arbeitsatmosphäre, während es in den Kanzleien um Territorien und abrechenbare Arbeitsstunden gehe, meint Broderick. Auch inhaltlich habe sich einiges verändert: „Die Aufgabenverteilung zwischen Unternehmen und Kanzleien ist anders als in der Vergangenheit. Wir bearbeiten inzwischen die technischen Fragen selbst und geben den Kanzleien nur Arbeit, die sich standardisieren lässt.“ In Bezug auf die Akzeptanz von Frauen in Führungspositionen habe sich im Laufe der Jahre einiges verbessert, „aber wir haben noch einen steinigen Weg vor uns“, so Broderick.

Kerstin Wedemann @ Susann Handke

„Es sollte daher auch für General Counsel
mehr Jobsharing-Modelle geben.“

Kerstin Wedemann
General Counsel
Rock Tech Lithium

Vergleich mit Großbritannien
 
Nach wie vor gebe es etwa Vorurteile, würden branchenübergreifend Frauen für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt als Männer. „So ist Hogan Lovells, einem Bericht zufolge, die einzige Kanzlei, die Anwältinnen in Großbritannien mehr zahlt als ihren männlichen Kollegen.“ Ähnlich wie in Deutschland gibt es auch dort noch Verbesserungspotenzial, etwa bei der Betreuung von Kindern und Pflegearbeit: „Wir brauchen eine unvoreingenommene Haltung und mehr Rechte“, findet Broderick. „Bei meiner ersten Schwangerschaft hatte ich noch jemanden aus dem Team als Vertretung“, erinnert Broderick. „Beim zweiten Kind habe ich mich für einen Partner einer Kanzlei entschieden, was sehr gut geklappt hat und genug Zeit für das Team ließ.“ Unterschiede zwischen Männern und Frauen sieht Broderick bei der Führung durchaus: „Aber sie sind geringer geworden, weil beide mehr Coaching nutzten. Tendenziell würde ich allerdings immer noch sagen, dass die Frauen, mit denen ich arbeite, mehr Zusammenarbeit ermöglichen.“ Zudem hätten Frauen weniger Eile: „Unsere Entscheidungsfindung dauert etwas länger, ist aber ganzheitlicher.“ Zudem stellten Frauen schneller eine emotionale Verbindung her. „Im Feminismus geht es um Wahlmöglichkeiten“, sagt Broderick. „Voraussetzung für erfolgreiche Frauen ist ein solides Gerüst durch Partner und Großeltern.“ Juristinnen rät sie, den richtigen Arbeitgeber zu finden. „Denken Sie langfristig und schöpfen sie Kraft vor dem nächsten Sprung. Wir kommen alle da hin, in unserer eigenen Geschwindigkeit.“
 
■ Claudia Behrend
Beitrag von Alexander Pradka

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