Hätte, hätte, Lieferkette

Kinderarbeit, Ausbeutung und Naturzerstörung in der globalen Produktion von Waren 
verhindern – das ist das Ziel des EU-Lieferkettengesetzes. Ob es wirklich kommt, ist fraglich, 
weil sich die Ampel-Koalition nicht einigen konnte. Unternehmen sind dennoch gefordert, 
ihre bestehenden Prozesse zu überprüfen.
vom 13. März 2024
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Das geplante neue EU-Lieferkettengesetz hat für Streit in der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP gesorgt: Die von den Liberalen geführten Ministerien für Justiz und für Finanzen hatten sich kurz vor den abschließenden Beratungen gegen die Pläne gestellt, an einer deutschen Enthaltung infolge der Uneinigkeit der Regierungskoalition könnte das gesamte Regelwerk scheitern. Denn im Rat der Europäischen Union herrscht das Einstimmigkeitsprinzip, eine Enthaltung Deutschlands würde im Ergebnis wie eine „Nein“-Stimme wirken. Durch die EU-Richtlinie sollen Kinderarbeit, Ausbeutung und Naturzerstörung bei der globalen Produktion von Waren verhindert werden: Ziel ist es, die Unternehmen auf die Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards entlang der Wertschöpfungskette im Ausland zu verpflichten. Damit sollen unter anderem die Kinderarbeit und Hungerlöhne bei ausländischen Zulieferern eingedämmt werden. Auch wenn sich gerade international tätige Unternehmen mit langen und komplexen Lieferketten in der Vergangenheit für die Wahrung von Arbeitsrechten sowie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen entlang der Wertschöpfungskette eingesetzt haben, würde eine entsprechende EU-Richtlinie noch einmal zusätzlichen Handlungsdruck erzeugen und den Verantwortungsbereich der Unternehmen erhöhen. Eine EU-weite Regelung wäre dabei eigentlich durchaus im Interesse der deutschen Unternehmen. Denn hierzulande gilt bereits das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, durch das Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit profitieren. „Eine EU-weite Regelung bringt den Vorteil eines europäischen Level-Playing-Fields bei der Lieferketten-Compliance mit sich. Das heißt, Unternehmen müssen nicht mehr die Vorgaben unterschiedlicher nationaler Regelung parallel erfüllen“, erklärt Dr. Simon Spangler, Rechtsanwalt und Partner am Hamburger Standort der Kanzlei Oppenhoff. „Vielmehr kann mit einem Prozess ganz Europa abgedeckt werden, was grundsätzlich zu begrüßen ist und zu mehr Rechtssicherheit und Harmonisierung führt.“ Außerdem entstehe damit für alle Unternehmen in der EU eine gleiche Belastung. Damit würden etwaige Wettbewerbsvorteile von Unternehmen entfallen, die bisher keiner Lieferkettenregulierung unterlegen haben. Denn solange deutsche Firmen die Lieferkette in den Blick nehmen müssen, die Unternehmen in den Nachbarländern jedoch nicht, gibt es einen Wettbewerbsnachteil für den Standort Deutschland. Eine europäische Vorgehensweise sei wünschenswert, um den entsprechenden Effekt zu erzielen und um eine Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden, sagt Dr. Gisa Ortwein, Präsidentin des Berufsverbands der Compliance Manager (BCM) und Group Compliance Officer der Norma Group SE. Unternehmen seien gefordert, ihre Lieferketten zu analysieren und entsprechende Risiken zu adressieren. Generell sollten Unternehmen nicht auf das Inkrafttreten entsprechender Gesetze warten, sondern möglichst schnell Transparenz über ihre Lieferketten gewinnen, betont Ortwein. „Angesichts teilweise sehr langer und komplexer Wertschöpfungsketten kommen auf deutsche Unternehmen hier große Herausforderungen zu“, so die Unternehmensjuristin. „Damit wird erneut deutlich, dass Compliance und Corporate Responsibility immer enger zusammenrücken und sich das Themenportfolio der Compliance Manager erweitert.“

Dr._Gisa_Ortwein

„Damit wird erneut deutlich, dass Compliance und Corporate
Responsibility immer enger zusammenrücken.“

Dr. Gisa Ortwein
Präsidentin des Berufsverbands der Compliance Manager (BCM) und Group Compliance Officer,
NORMA Group SE

Selbstverständnis der EU

Bundesjustizminister Marco Buschmann und Bundesfinanzminister Christian Lindner (beide FDP) wollen mit ihrer Kritik nicht das von der Richtlinie verfolgte politische Ziel in Frage stellen, einen besseren Schutz von Menschenrechten und Umwelt in den Lieferketten europäischer Unternehmen sicherzustellen – schließlich gehöre der Schutz der Menschenrechte zum Selbstverständnis der EU. Dieses Ziel dürfe aber nicht zur Selbststrangulierung des Wirtschaftsstandortes führen. Kritik üben die beiden Minister insbesondere daran, dass Unternehmen für Pflichtverletzungen in der Lieferkette in erheblicher Weise zivilrechtlich haften würden. Außerdem wären deutlich mehr Unternehmen betroffen als nach aktueller deutscher Rechtslage. Dabei könnte die EU-Richtlinie vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen existenzbedrohend sein, weil viele Betriebe nicht über die entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen verfügen würden, um die Überwachung der Lieferketten sicherzustellen, so die Kritik der FDP. Das bestätigt auch BCM-Präsidentin Ortwein: „Für die Unternehmen wird es aus unserer Sicht eine große Herausforderung sein, die Anforderungen in der Praxis umzusetzen.“ Sollte die EU-Richtlinie tatsächlich kommen, würde sie wahrscheinlich durch eine Verschärfung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes in deutsches Recht umgesetzt. Deutsche Unternehmen hätten dann einen erheblich höheren Beitrag zur Nachhaltigkeit zu erbringen, sagt Oppenhoff-Anwalt Spangler. „Die Neuregelung geht deutlich über das hinaus, was derzeit vom Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verlangt wird.“ Ein Eckpfeiler der europäischen Neuregelung sei dabei ein weites Verständnis der zu überwachenden Lieferkette, entlang derer Verstöße gegen Menschenrechte oder Umweltstandards zu verhindern oder jedenfalls zu minimieren sind, so Spangler. „Umfasst ist in diesem Zusammenhang sowohl der eigene Geschäftsbereich als auch die Wertschöpfungskette, beginnend bei der Entwicklung, über die Produktion und den Vertrieb bis hin zum Recycling des Produkts.“ Die Sorgfaltspflichten sind dabei nicht nur auf die Zulieferer beschränkt, mit denen vertragliche Beziehungen bestehen, sondern umfassen auch mittelbare Zulieferer – also die Lieferanten der Zulieferer –, wenn es sich hierbei um etablierte Geschäftsbeziehungen handelt. Neben dem erweiterten Anwendungsbereich und den zusätzlichen Pflichten würde zudem eine zivilrechtliche Haftung für Sorgfaltspflichtverletzungen eingeführt werden – bisher enthielt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz keine eigenen Haftungstatbestände. Nochmals verschärft werden würde außerdem der ohnehin schon hohe Bußgeldrahmen: Das maximale Bußgeld läge dann bei fünf Prozent anstatt aktuell zwei Prozent des weltweiten Konzernumsatzes. Insbesondere hinsichtlich der indirekten Zulieferer und in der sogenannten Downstream Value Chain werde das EU-Lieferkettengesetz zu einer weiteren Ausweitung der Sorgfalts- und Dokumentationspflichten führen, erwartet auch Volkhard Pfaff, General Counsel bei Panasonic Europe. „Die meisten Unternehmen werden ihre bisherige Praxis nachschärfen müssen. Insbesondere außerhalb des eigenen Unternehmens und der Lieferkette bestehen hier noch Lücken.“ Verglichen mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz würden durch die neue EU-Richtlinie außerdem weitere zu überwachende Risiken hinzukommen – insbesondere der Schutz vor Entwaldung, übermäßigem Wasserverbrauch und der Zerstörung von Ökosystemen. Hier spielt das 1,5-Grad-Ziel eine wichtige Rolle: Größere Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern müssen künftig einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Pariser Abkommen zum Klimawandel vereinbar ist. „Für betroffenen Unternehmen bedeuten diese zusätzlichen Pflichten eine erhebliche Anpassung der gerade erst geschaffenen Strukturen zur Lieferketten-Compliance“, erläutert Spangler. „Insbesondere wird die Risikoanalyse sowohl thematisch als auch hinsichtlich der in den Prozess einzubeziehenden Unternehmen auszuweiten sein.“ Zudem werde der administrative Aufwand zunehmen. „Letztlich ist hierfür mit signifikant höheren Kosten und Mehraufwand zu rechnen“, so der Rechtsanwalt.

Pfaff

„Die meisten Unternehmen werden ihre bisherige Praxis nachschärfen müssen.“

Volkhard Pfaff
General Counsel,
Panasonic Europe

Strategien für die künftige Umsetzung entwickeln

Rechtsabteilungen von Unternehmen seien nun gefordert, die weitere Entwicklung des EU-Lieferkettengesetzes intensiv zu verfolgen und schon heute ihre bestehenden Prozesse aufgrund der bereits geltenden nationalen Vorschriften zu überprüfen und Strategien für die zukünftige Umsetzung zu entwickeln, betont Panasonic-Chefjurist Pfaff. Dabei sei es empfehlenswert, weitere Regelungen im Bereich der CSR-Compliance wie etwa die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die Battery Regulation, den Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) und die Entwaldungsverordnung (Deforestation Regulation) mit zu berücksichtigen. Spätestens in dem Moment, in dem die EU-Richtlinie verabschiedet wird, sollten sich Unternehmen überlegen, wie sie ihre bestehenden Strukturen zur Lieferketten-Compliance anpassen können, rät Oppenhoff-Anwalt Spangler. „Gerade die thematische Erweiterung der neu zu berücksichtigenden Umweltrisiken gilt es, frühzeitig in die Risikoanalyse zu integrieren.“ Erfahrungsgemäß dauere dies in der Praxis meist wesentlich länger als im Vorfeld gedacht. „Für diejenigen Unternehmen, die erstmals von einer Lieferketten-Compliance betroffenen sein werden, bedeutet dies naturgemäß einen wesentlich größeren Aufwand“, sagt Spangler. „Diese Unternehmen sollten sich schnellstmöglich damit auseinandersetzen, ob ihre bestehenden Ressourcen ausreichend sind und internen Zuständigkeiten benennen, um nach Möglichkeit sofort mit der Implementierung einer Lieferketten-Compliance beginnen zu können.“ Die umfangreichen Pflichten des EU-Lieferkettengesetzes hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen und zu erstattender Berichte würden nicht nur eine Herausforderung für die Unternehmen darstellen, sondern seien auch mit nicht unerheblichen Kosten verbunden, gibt Panasonic-Chefjurist Pfaff zu bedenken. „Im internationalen Wettbewerb werden diese Kosten mit den Vorteilen im Marketing und Vertrieb der Produkte infolge der Einhaltung und Forderung der Ziele des EU Lieferkettengesetzes abzuwägen sein.“ So sollte eine Regulierung von Lieferketten die menschenrechtliche Situation, aber auch die wirtschaftliche Lage verbessern, indem die Unternehmen nicht durch zusätzliche Bürokratie belastet werden. Eines sei bei aller politischen Diskussion jedoch unstrittig, so Unternehmensjurist Pfaff: „Die Unternehmen unterstützen ohne jede Einschränkung die gesetzlichen Ziele, die Menschenrechtslage zu verbessern, Umweltbelange zu schützen und die internationalen Klimaschutzziele voranzutreiben.“

 

Harald Czycholl

Beitrag von Alexander Pradka

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