Wegbegleiter in komplexem Umfeld

Die Studie „Future Ready Lawyer 2023” hat hervorgebracht, dass sich 61 Prozent der teilnehmenden Rechtsabteilungen „nicht sehr gut“ auf das Thema Environmental, Social and Governance – kurz ESG – vorbereitet fühlen. Das Thema ist komplex und stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen. Es gibt aber Lösungsansätze.
vom 16. Januar 2024
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Durchgeführt hat die Erhebung der Fachinformationsanbieter Wolters Kluwer, befragt wurden 700 Juristinnen und Juristen in Kanzleien, Rechtsabteilungen und Rechtsdienstleistern in den USA und neun europäischen Ländern: Deutschland, Großbritannien, Niederlande, Italien, Frankreich, Spanien, Polen, Belgien und Ungarn. Es handelt sich also um ein internationales Phänomen. Im Übrigen empfinden auch 69 Prozent aller Kanzleien, dass sie nicht besonders gut darauf vorbereitet sind, den Bedarf ihrer Mandantinnen und Mandanten in diesem Bereich zu erfüllen. Das aber nur am Rande, es stellt sich die Frage, wo die Ursachen dafür liegen, dass in den Rechtsabteilungen die Unsicherheit im Zusammenhang mit ESG-Themen so groß ist. „ESG ist ein sehr komplexes Thema mit diversen Facetten und es gibt dazu keine einheitliche Definition“, sagt Aswin Parkunantharan, Direktor im Segment Rechtsabteilungen bei Wolters Kluwer Deutschland. „Zum anderen gibt es niemanden, der sagen kann, ob und wie ein Unternehmen ESG-konform und nachhaltig ist, als Orientierung dienen oft interne Richtlinien, die erst einmal jemand aufstellen muss.“ Schwierigkeiten bereite das Thema weniger größeren und DAX-Unternehmen, sondern vor allem kleineren und mittelständischen Unternehmen, die nicht über eine spezielle Abteilung verfügen und wo auch die Rechtsabteilung nur wenig Personal hat. „Das gilt besonders in Zeiten eines Fachkräftemangels, wie wir ihn aktuell gerade auch am Rechtsmarkt erleben“, bestätigt Parkunantharan. „Der Druck auf die Rechtsabteilungen steigt aber, weil sie eigenen Berichtspflichten nachkommen, Richtlinien und Nachhaltigkeitsnachweise entwickeln müssen.“ Unterschiede bei den einzelnen und doch zum Teil weit auseinandergehenden Bereichen Environmental, Social und Governance sieht er nicht unbedingt, zumindest verbiete sich eine pauschale Aussage darüber, dass Rechtsabteilungen mit dem einen Bereich besser zurechtkommen als einem anderen. Wichtig sei die richtige Balance: „Nehmen wir das Beispiel Recruiting, bei der Wahl des Arbeitgebers berücksichtigen Bewerberinnen und Bewerber heutzutage andere Kriterien als noch vor einigen Jahren. Verschiedene Faktoren wie etwa die Reputation des Unternehmens in Bezug auf Umweltschutz und soziale Verantwortung spielen eine Rolle“, sagt Parkunantharan.  Eine Ursache für Probleme ist für Dr. Daniel Walden, Partner der Sozietät Advant Beiten, die Flut an neuen Regulierungen im ESG-Bereich, die sich durch nahezu alle traditionellen Rechtsgebiete ergießt. Er nennt die Bereiche Sustainable Governance, Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, Sustainable Finance, Greenwashing und die Nachhaltigkeitsberichterstattung. „Insbesondere in Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen steigt infolge der neuen Regulierung, aber auch der zunehmend als bedeutsam empfundenen ESG-Thematik, die Zahl der entsprechenden Anforderungen“, berichtet er.

Walden_Dr_Daniel

„ESG kann unternehmensintern durchaus als Türöffner fungieren,
um die Bedeutung der Rechtsabteilung und die ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen noch weiter zu stärken.“

Dr. Daniel Walden
Partner
Advant Beiten

Chance für die Rechtsabteilung

Schon lange existente Regelungen wie im Arbeits- und Umweltrecht weisen klare ESG-Komponenten auf. Schließlich ist auch im Bereich Litigation eine zunehmende Zahl an Rechtsstreitigkeiten mit ESG-Bezug festzustellen: „Darin geht es häufig um die Frage, welche Schlüsse im Hinblick auf ESG-spezifische Fragen aus traditionellen zivilrechtlichen Generalnormen zu ziehen sind, die sich gar nicht speziell mit ESG beschäftigen“, erläutert Walden. Einen weiteren Punkt nennt Dr. André Depping, ebenfalls Partner bei Advant Beiten: „Nahezu alle Unternehmensbereiche sind von den regulatorischen Entwicklungen im Bereich ESG betroffen, von der Geschäftsleitung über diverse Stabsbereiche bis hin in die operativen Einheiten.“ Optimalerweise bilde die Rechtsabteilung die Pflichten in all diesen Bereichen ab, das erfordere aber zeitliche und personelle Ressourcen. Viele Gespräche mit der Geschäftsleitung und den einzelnen Unternehmensbereichen seien notwendig, „um die komplexe ESG-Regulierungslandschaft und ihre Bedeutung für das Unternehmen zu erläutern sowie praktikable Lösungswege für ihre Umsetzung aufzuzeigen“, so Depping. Zwingend einzuhalten ist der sogenannte ESG-Mindeststandard, der sich zusammensetzt aus unmittelbaren ESG-Regulierungen sowie allen anderen Gesetzen mit Berührungspunkten zu den entsprechenden Themen. Wichtig ist darüber hinaus die Identifizierung und Bewertung der für das Unternehmen mit den einzelnen ESG-Facetten verbundenen Chancen und Risiken: „Nur wenn bei unternehmerischen Entscheidungen auch die relevanten Aspekte angemessen beachtet werden, lassen sich Diskussionen darüber vermeiden, ob diese auf einer angemessenen Informationsgrundlage getroffen wurden.“ Neben der Erfassung maßgeblicher Regulierungen muss die Rechtsabteilung den Entscheidungsträgern die sich daraus ergebenden Pflichten vermitteln, gegebenenfalls unter Hinzuziehung externer Berater. Spezialwissen intern aufzubauen, kann mühsam sein. Indes kann die Rechtsabteilung zum Wegbegleiter werden und Orientierungshilfe geben – „nicht aus falsch verstandenem Gutmenschentum oder Pflichtversessenheit, sondern um das Unternehmen vor Schäden zu bewahren und neue Chancen aufzuzeigen“, wie Depping betont. Ohne Investitionen in die Digitalisierung wird es für Rechtsabteilungen schwierig werden, die mannigfachen Herausforderungen im Zusammenhang mit der ESG-Thematik zu stemmen, davon ist Aswin Parkunantharan überzeugt. Sie müssten zu entsprechenden Investitionen in ihrer Abteilung bereit sein: „Denn entscheidend ist, dass wichtige Informationen und Kennzahlen schnell und übersichtlich zur Verfügung stehen. Hier führt an digitaler Unterstützung kein Weg vorbei.“

Warnung vor zu viel Bürokratie

Sehr aktiv im Zusammenhang mit ESG-Themen – sicher auch getrieben vom gesellschaftspolitischen Druck der letzten Jahre – war der Gesetzgeber, sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene. Daniel Walden beurteilt das zunächst nüchtern: „Für den Rechtsanwender bleibt es unabhängig von der Beurteilung der gesetzgeberischen Aktivitäten im Bereich ESG zunächst einmal dabei, die entsprechenden Regeln umzusetzen.“ Dabei mache sich deutlich bemerkbar, dass es sich häufig um völlig neue Regulierungskonzepte handelt. Als Beispiel dient das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das erstmals unternehmerische Sorgfaltspflichten in der Lieferkette regelt. „Selbst international gab es auf Gesetzesebene nur sehr wenige Vorlagen, weshalb sich der Gesetzgeber maßgeblich an UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen orientiert hat“, berichtet Walden. Gar das weltweit erste Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten stelle die EU-Taxonomie dar. „Dass die ESG-Regulierung insoweit noch in den Kinderschuhen steckt, mag zumindest eine Erklärung für die derzeit noch vielen Unklarheiten, potenzielle Ineffizienzen und die Unsicherheiten über eine sinnvolle Umsetzung sein“, so der Rechtsanwalt. Gleichzeitig dränge nicht nur angesichts knapper gesetzlicher Umsetzungsfristen die Zeit, auch die „hinter der ESG-Regulierung stehenden Hauptgründe sind eilig und wichtig“. Walden nennt als herausragendes Beispiel den Kampf gegen den Klimawandel. Dass der Gesetzgeber tätig wird, sei angesichts der Bedeutung und Dringlichkeit des Themas sinnvoll und erforderlich. Walden warnt allerdings auch vor „überbordender und am Gesetzeszweck vorbeigehender Bürokratie“. 

 

Alexander Pradka

Beitrag von Alexander Pradka

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