Gefahr gebannt

Geht von einem Produkt eine Gefahr aus, muss der Hersteller es zurückrufen. Die internen Prozesse, die bei einem Produktrückruf zum Tragen kommen, sind vielfältig. Meist ist die Rechtsabteilung federführend. Gerade bei der Kommunikation mit Behörden ist aber auch externe Unterstützung sinnvoll.
vom 13. September 2023
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Mit einem kühlen Bier im Sommer erfrischen sich viele Menschen gern. Wer noch sein Auto oder ein anderes Fahrzeug sicher nach Hause steuern muss, greift dabei auch gern auf die alkoholfreie Variante des Gerstensaftes zurück. Alkoholfreie Biere sind in der Regel klar als solche gekennzeichnet. Doch die Karlsberg Brauerei musste im Sommer 2020 ein vermeintlich alkoholfreies Bier zurückrufen, da dem Unternehmen eine kuriose Panne unterlaufen war: „Die Flaschen wurden irrtümlich mit einer Halsschleife versehen, die das alkoholhaltige Produkt als alkoholfrei ausweisen“, hieß es in einer Mitteilung der Brauerei. Der Etikettierungsfehler hätte für Autofahrer oder auch alkoholkranke Menschen schlimme Folgen nach sich ziehen können. Jeder Bierfreund, der eine solche Flasche gekauft hatte, konnte sich diese durch korrekt gekennzeichnete Ware ersetzen lassen oder bekam den Kaufpreis vom Händler zurückerstattet. Ob Bakterien in der Wurst, Metallteile im Käse oder krebserregende Weichmacher im Kinderspielzeug: Produktrückrufe versetzen Verbraucher zunächst in Sorge. Statistisch betrachtet nehmen sie von Jahr zu Jahr zu. Während zwischen 2011 und 2013 nicht einmal 100 Rückruf-Meldungen pro Jahr auf der Behörden-Webseite lebensmittelwarnung.de veröffentlicht wurden, sind es mittlerweile jedes Jahr über 200. Und das betrifft allein die Produktrückrufe im Lebensmittelsegment – hinzu kommt noch der Non-Food-Bereich – vom T-Shirt über das Trinkglas bis zum Fernseher. Lebensmittelrückrufe seien ein wichtiger Bestandteil des Lebensmittelsicherheitssystems, sagt Christian Böttcher, Sprecher des Handelsverbands Lebensmittel (BVLH). „Sie werden durchgeführt, wenn Lebensmittel als unsicher eingestuft werden und ein Gesundheitsrisiko darstellen könnten.“ Lebensmittelrückrufe können freiwillig oder obligatorisch sein. „Freiwillige Lebensmittelrückrufe werden von Lebensmittelunternehmen durchgeführt, wenn sie feststellen, dass ihre Produkte unsicher sind“, so Böttcher. „Obligatorische Lebensmittelrückrufe werden von den Behörden durchgeführt, wenn sie feststellen, dass Lebensmittel unsicher sind und ein Gesundheitsrisiko darstellen könnten.“ 

 

Lebensmittelrückrufe können dabei grundsätzlich aus einer Vielzahl von Gründen durchgeführt werden, laut BVLH-Angaben etwa die Kontamination mit Mikroorganismen wie etwa Salmonellen, das Vorhandensein von Fremdkörpern wie Glas oder Metall, eine falsche Kennzeichnung oder ein Nichterfüllen gesetzlicher Anforderungen zählen. „Rückrufaktionen sind Maßnahmen von verantwortlichen Lebensmittelunternehmern zur Unterrichtung von Verbrauchern darüber, dass ein Lebensmittel nicht Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit entspricht“, sagt Tina Hunstein-Glasl, Inhaberin der gleichnamigen Strategieberatung für Krisenkommunikation und Autorin des Buches „Krisenfall Produktrückrufe“. „Sie werden aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes umgesetzt.“ Der Rückruf sei dabei eine Maßnahme, um Gefahren durch das Inverkehrbringen unsicherer Produkte zu vermindern oder zu beseitigen. „Ein Lebensmittel zum Beispiel ist unsicher, wenn es gesundheitsschädlich oder für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist“, so Hunstein-Glasl. „Es geht hierbei also immer um den Schutz der Sicherheit und Gesundheit von Menschen.“ Der Rückruf umfasse dabei ein Kommunikationsprogramm mit Angaben des genauen Grundes für den Rückruf, Angaben zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen, Beschreibung der Abwicklung sowie Servicehinweisen für die Verbraucher.

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„In der Praxis wird ein Hersteller bei konkreten Verdachtsmomenten im Hinblick auf Risiken, Unfälle und Produktionsfehler zunächst interne Ermittlungen sowie eine erneute Risikobewertung vornehmen.“

Anja Reuter
Senior Associate
DLA Piper UK LLP

Verpflichtet, die Gefahr zu beseitigen

 

„Die Pflichten eines Herstellers zur Produktbeobachtung und Gefahrabwendung sind Ausdruck des Grundsatzes, dass jemand, der eine Gefahrenlage schafft, demjenigen gegenüber, dem diese Gefahr droht, gehalten ist, auf seine Kosten die von ihm geschaffene Gefahr zu beseitigen“, erklärt Dr. Sebastian Jungemeyer, Rechtsanwalt und Partner in der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek. „Zu diesem Zweck kann häufig eine Warnung vor den Gefahren bei der Verwendung des Produktes hinreichend sein. Reicht eine solche nicht aus, um den Benutzern des Produkts die richtige Einschätzung der Gefahr zu ermöglichen oder sie von der gefahrträchtigen Nutzung abzuhalten, sollte ein Rückruf erwogen werden.“ Bei gefährlichen Produkten sollte ein Rückruf so schnell wie möglich erfolgen, um Schäden von Verbrauchern und Endnutzern abzuwenden, betont Anja Reuter, Senior Associate in der Kanzlei DLA Piper. „In der Praxis wird ein Hersteller bei konkreten Verdachtsmomenten im Hinblick auf Risiken, Unfälle und Produktionsfehler zunächst interne Ermittlungen sowie eine erneute Risikobewertung vornehmen.“ Die deutschen Marktüberwachungsbehörden würden großen Wert auf einen transparenten und offenen Umgang legen, betont Reuter. „Hier stellen wir immer wieder fest, dass ein externer Berater dazu beitragen kann, das Unternehmen zunächst aus der Schusslinie zu nehmen, Zeit zu gewinnen, und den Behörden zu vermitteln, dass das Unternehmen seine produktsicherheitsrechtlichen Pflichten ernst nimmt.“ Gemeinsam könne so eine Strategie zur Eindämmung des Risikos erarbeitet werden. „Dies muss nicht immer ein Rückruf, also die Rückgabe eines dem Endnutzer bereits bereitgestellten Produkts sein“, so Reuter. In manchen Fällen könne auch die Rücknahme des Produkts aus der Lieferkette – ein sogenannter „stiller Rückruf“ – ausreichen und den Reputationsschaden deutlich geringer halten.

Interdisziplinäre Aufgabe

 

Den Rückruf innerhalb des Unternehmens zu koordinieren, sei eine interdisziplinäre Aufgabe über Abteilungsgrenzen hinweg, sagt Guido Kleve, Rechtsanwalt und Partner bei DLA Piper. „Das Produktionsmanagement untersucht Informationen und Beschwerden von Verbrauchern, Behörden und Verbraucherverbänden über etwaige Unfälle und nimmt eine neue Risikobewertung vor: Wurde das Produkt seit den Vorfällen bereits umformuliert oder im Produktdesign angepasst? War nur eine bestimmte Charge, Serie, Farbe oder Größe des Produkts betroffen?“ Hier lohne es sich im Einzelfall genau hinzuschauen, um den Umfang des Rückrufs nicht ausufern zu lassen und damit den wirtschaftlichen sowie Imageschaden für das Unternehmen möglichst gering zu halten. Das Risikomanagement könne Daten für ähnliche Behördenkontakte oder Rückrufe in der Vergangenheit liefern. Je nach Schwere des Vorfalls sollte auch die Geschäftsführung hinzugezogen werden. „Die Rechtsabteilung, idealerweise mit externer Unterstützung, koordiniert die interne Aufarbeitung in den einzelnen Abteilungen sowie die externe Kommunikation“, so Kleve. Die konkrete Kommunikationsstrategie hänge dann von den Umständen des Einzelfalls ab, ergänzt Heuking-Jurist Jungemeyer. In jedem Fall gelte dabei, dass die Mitteilung über einen Rückruf „klar, kurz und prägnant“ sein müsse. „Dabei sollten nur erwiesene Tatsachen aufgenommen werden.“ Grundsätzlich lassen sich die Abläufe und insbesondere die Kommunikation bei einem Produktrückruf gut vorbereiten, sagt Krisenkommunikations-Expertin Hunstein-Glasl. „Krisenherde identifiziert und Krisenszenarien vorausgedacht zu haben, für den Notfall präpariert zu sein, alle strukturellen Abläufe und Inhalte vorbereitet zu haben, sichert das schnelle und proaktive Handeln und schafft die Basis für erfolgreiches Kommunikationsmanagement.“ Beim Einzelhändler Tchibo etwa läuft bei bekanntwerdenden Mängeln innerhalb kürzester Zeit eine fest definierte Prozesskette an – der sogenannte „Error Prozess“. Ein Team aus Experten verschiedener Abteilungen des Unternehmens untersucht dann das von dem Produkt ausgehende Risiko. Anschließend wird die Geschäftsführung informiert und eine Entscheidung über notwendige Maßnahmen umgehend herbeigeführt. Im Zuge eines automatisierten Prozesses werden alle relevanten Personen und Abteilungen informiert und die Umsetzung eng überwacht. „Wenn es notwendig ist, arbeiten wir dabei auch mit den Behörden zusammen“, sagt Philip Seitz, General Counsel bei Tchibo. Am Ende steht die Kontrolle, ob alles umgesetzt wurde, sowie ein Review-Prozess, um ähnliche Probleme in der Zukunft zu vermeiden. Denn schließlich gilt es, aus Fehlern für die Zukunft zu lernen: „Für uns ist Qualität das höchste Gebot“, betont Chefjurist Seitz. „Unser Anspruch ist es, unseren Kunden ausschließlich mangelfreie Produkte anzubieten.“

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„Die Pflichten eines Herstellers zur Produktbeobachtung und Gefahren­abwendung sind Ausdruck des Grundsatzes, dass jemand, der eine Gefahrenlage schafft, diese demjenigen gegenüber, dem die Gefahr droht, auf eigene Kosten beseitigen muss.“

Dr. Sebastian Jungemeyer
Partner
Heuking Kühn Lüer Wojtek

Kosten für den Rückruf
 
Die Kosten eines Rückrufs sind abhängig von vielen Faktoren – etwa wie viele Länder und Märkte betroffen sind, wie umfangreich das notwendige Kommunikationsprogramm ist und ob beispielsweise Rückrufanzeigen in Printmedien geschaltet werden müssen. „Da die Pflicht zum Rückruf den verantwortlichen Hersteller trifft, muss dieser auch die Kosten tragen“, so Krisenkommunikations-Expertin Hunstein-Glasl. Dies gilt vor allem gegenüber den betroffenen Händlern, die die Produkte von den Endverbrauchern zurücknehmen müssen. In erster Linie sollte ein Produktrückruf aber auch nicht von Kosten-, sondern Sicherheitsaspekten geleitet sein – und von dem Bestreben, mit den produktsicherheitsrechtlichen Vorgaben konforme Produkte auf dem Markt bereitzustellen, meint DLA Piper-Anwalt Kleve. „Tritt der Worst Case dennoch ein und gibt es nach einer ersten juristischen Aufarbeitung und Absicherung noch Spielraum, können auch wirtschaftliche Aspekte eine Rolle spielen.“ So könne ein Unternehmen eine Rückrufaktion auch etwas breiter anlegen, um das Vertrauen seiner Kunden und der Marktüberwachungsbehörden wiederzugewinnen – zumindest, wenn dadurch der wirtschaftliche Schaden für das Unternehmen nicht bedeutend größer wird. „Ist dies nicht der Fall, sollte auf eine genaue Eingrenzung des Rückrufumfangs Wert gelegt werden, indem die tatsächlich betroffenen Produkte exakt identifiziert und in der Kommunikation nach außen deutlich gemacht wird, dass andere Produkte weiterhin sicher verwendet werden können.“ Mitunter könne es auch ausreichen, wenn Verbraucher nur gewarnt werden, um die sichere Verwendung eines Produkts weiterhin zu gewährleisten. „So kann einem Unternehmen unter Umständen noch der Abverkauf der im Markt befindlichen Produkte ermöglicht werden“, so Kleve. Der Spielraum, den Unternehmen bei der Gestaltung von Produktrückrufen haben, wird künftig allerdings kleiner werden, gibt Anja Reuter zu bedenken. Denn ab dem 13. Dezember 2024 wird die kürzlich in Kraft getretene Produktsicherheitsverordnung der Europäischen Union anwendbar. „Sie sieht unter anderem vor, dass sowohl das zurückgerufene Produkt einschließlich Abbildung, Chargen- oder Seriennummern als auch die mit ihm verbundene Gefahr genau beschrieben werden müssen“, so die Rechtsanwältin. Dabei müssten verharmlosende Elemente wie „freiwillig“, „in seltenen Situationen“ oder Hinweise, dass keine Unfälle gemeldet wurden, unterbleiben. Auch das europäische Schnellwarnsystem RAPEX, ursprünglich für den direkten Austausch von Behörden konzipiert, werde von der Europäischen Kommission modernisiert und sowohl für Unternehmer als auch für Verbraucher einfacher zugänglich gemacht, so Reuter. „Dies könnte den Druck auf Hersteller erhöhen, eindeutige Informationen zu Produktrisiken, unter gleichzeitiger Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse, bereitzustellen.“
 
Harald Czycholl
Beitrag von Alexander Pradka

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