Mit „nǐ hǎo“, chinesisch für Hallo, begrüßen sich die Barkassenführer im Hamburger Hafen nur spaßeshalber. Der Witz zeugt von Galgenhumor, denn in der Hansestadt wird der Einstieg der chinesischen Staatsreederei Cosco am Containerterminal Tollerort der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) mit gemischten Gefühlen gesehen. Zwar liegen weniger als 25 Prozent der Anteile bei den Chinesen. Aber mit Piräus, Rotterdam, Valencia, Antwerpen, Bilbao und anderen maritimen Logistikzentren besitzt China nun in mehr als einem Dutzend europäischer Häfen eigene Terminals oder Anteile an Hafenbetreibern. Da kann man selbst als Landratte nachvollziehen, dass die deutschen Behörden die Vor- und Nachteile des Foreign Direct Investment (FDI) genau untersucht haben. In ganz Europa ist die Bedeutung der Investitionskontrolle bei ausländischen Investments enorm gewachsen. Nach Beobachtungen von Linklaters haben rund zwei Drittel der OECD-Mitgliedstaaten innerhalb von neun Monaten nach Ausbruch von Covid-19 ihre Investitionskontrollregimes angepasst oder Reformen vorgeschlagen. Der Anlass für das Dichtmachen der Schotten: Mit der weltweiten Pandemie traten die Schattenseiten der Globalisierung zutage, Medikamente, Halbleiter, selbst Dreiviertelzollschrauben wurden knapp. Statt um Ausweitung der globalen Wertschöpfungsketten geht es jetzt um stabile Lieferketten und, mit der Zunahme der weltweiten Spannungen, um die Einhegung fremdländischer Begehrlichkeiten. Immer lauter werden die Rufe nach mehr Sicherheit und dem Schutz der eigenen Schlüsseltechnologien – letzteres hauptsächlich vor China. Denn das Land investiert gezielt in attraktive Logistikstandorte und Technologie im Ausland. Das weckt Besorgnis und schließt die Reihen. Seit diesem Frühjahr sprechen Politiker zwar nicht mehr von „Decoupling“, sondern eine Spur weniger konfrontativ von „De-Risking“. Aber beides meint das Gleiche: Chinas Griff auf die globalen Lieferketten lockern, ohne die Beziehungen ganz zu kappen. Als Defensivwerkzeug dient unter anderem die staatliche Investitionskontrolle. Kaufinteressenten aus Fernost werden vermehrt abschlägig beschieden. Ein „Nein“ traf die Chinesen bei der geplanten Übernahme des Halbleiterherstellers Aixtron und des Satelliten- und Radartechnikunternehmens IMST sowie bei der Halbleiterfertigung von Elmos und ERS. Auch der Erwerb weiterer Anteile am Satellitenunternehmen Kleo Connect und die Übernahme des Medizintechnikherstellers Heyer Medical wurden untersagt. Registrierten die deutschen Behörden 2021 noch 35 chinesische Übernahmen und Beteiligungen, so waren es im Jahr darauf nur noch 26, meldete das Beratungsunternehmen EY. Das Investitionsvolumen ging von 2 Milliarden US-Dollar auf karge 290 Millionen zurück. Umso größer war vermutlich die Freude in Beijing, dass man doch noch im Hamburger Hafen anlanden durfte. Auf Chinesisch heißt das „Xìngfú“ – Glück gehabt. Bereits vor und während der Pandemie wurden die rechtlichen Grundlagen der Investitionskontrolle in Deutschland, das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und die Außenwirtschaftsverordnung (AWV), wiederholt verschärft. „Investitionsprüfungen haben in der veränderten geopolitischen Lage erheblich an Bedeutung und Aufmerksamkeit gewonnen“, so Christoph Barth, für Kartellrecht und Investitionskontrolle zuständiger Partner bei Linklaters in Düsseldorf.
„Inzwischen ist die Investitionskontrolle zu einem zentralen Element
der regulatorischen Genehmigungsverfahren bei internationalen Transaktionen geworden.“
Christoph Barth
Partner,
Linklaters
Zittern bis zum letzten Moment
Dies zeige sich an der seit Jahren steigenden Anzahl meldepflichtiger und geprüfter M&A-Transaktionen ebenso wie an weithin diskutierten Untersagungen und weniger sichtbaren Beschränkungen. Inzwischen sei die Investitionskontrolle zu einem zentralen Element der regulatorischen Genehmigungsverfahren bei internationalen Transaktionen geworden. Im laufenden Jahr soll der staatliche Vorbehalt mit einem Investitionsprüfgesetz weiter verschärft werden. Rechtsanwalt Barth konnte ein geleaktes Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) einsehen. Daraus hervor geht eine erneute Überprüfung der Schwellenwerte für die Genehmigungspflicht sowie der Anzahl der kritischen Sektoren, für die besonders strenge Prüfregeln gelten. Das soll vor allem die Halbleiterindustrie und andere Hoch- und Zukunftstechnologien dem Fremdzugriff entziehen. Eine weitere Schutzlücke soll mit der geplanten Erfassung schuldrechtlicher Vereinbarungen wie zum Beispiel Technologielizenzen geschlossen werden. Bislang schaut die Investitionskontrolle nur auf den Erwerb von Stimmrechten an einem Unternehmen. Die für Unternehmensjuristen aufwendigste Neuerung wäre die nicht so formulierte, aber faktische Umkehr der Beweislast bei Investitionen in „besonders sicherheitsrelevanten Sektoren.“ Weil das BMWK gern unterstellen möchte, dass Geschäfte in diesen Bereichen ausnahmslos sicherheitskritisch sind, sollen die Zielunternehmen nun das Gegenteil belegen. Schon heute bringen Investitionskontrollverfahren viel Arbeit für Unternehmensjuristen mit sich. Und Unsicherheiten für beide Parteien. Denn die Erwerber können erst dann an die konkrete Planung gehen, seien es unternehmensrechtliche Schritte oder organisatorische Umbaumaßnahmen, wenn die zuständigen Behörden den Deal genehmigt haben. Und das Zielunternehmen muss bis zum letzten Moment befürchten, dass das Geschäft doch nicht oder nur unter strengen Auflagen zustande kommt. Wenn es nämlich zu einem der derzeit 27 als besonders sensibel eingestuften Wirtschaftsbereiche gehört, muss jede geplante Unternehmensbeteiligung oder ein (Teil-)Unternehmenskauf durch einen ausländischen Erwerber unterhalb der geltenden Schwellenwerte vom Bundeswirtschaftsministerium genehmigt werden. Wird die Anmeldung unterlassen, drohen harte Konsequenzen: Noch fünf Jahre nach Vertragsschuss kann das BMWK die Transaktion untersagen und die Rückabwicklung anordnen. Zur Vermeidung dieser Rechtsunsicherheit steht die Prüfung der Anforderungen der Investitionskontrolle bei Transaktionen mit internationaler Beteiligung an erster Stelle. Und dabei geht es nicht nur um Deals mit Beteiligten außerhalb von Europa. Viele EU-Staaten haben ihre Kontrollregimes verschärft oder neu eingeführt. Mehr noch: Weil die seit dem 12. Juli 2023 geltende EU-Verordnung 2022/2560 (Foreign Subsidies Regulation, FSR) verhindern will, dass staatlich subventionierte Unternehmen aus Nicht-EU-Staaten den Wettbewerb innerhalb des europäischen Binnenmarkts verfälschen, wurde unter anderem eine Anmeldepflicht für bestimmte Unternehmenszusammenschlüsse eingeführt. Gemeldet werden müssen alle Transaktionen, bei denen das Zielunternehmen, das geplante Gemeinschaftsunternehmen oder wenigstens eines der fusionierenden Unternehmen im vorangegangenen Geschäftsjahr einen Gesamtumsatz von mindestens 500 Millionen Euro in der EU erzielt hat und bei denen die beteiligten Unternehmen zusammen innerhalb der letzten drei Kalenderjahre drittstaatliche finanzielle Zuwendung in Form von Zuschüssen, Krediten, Kapitalzuflüssen, Steuervergünstigungen, Kreditgarantien, Schuldenerlassen und ähnliches von mindestens 50 Millionen Euro erhalten haben. Deutsche Zielunternehmen mit Tochtergesellschaften im EU-Ausland, die ebenfalls Gegenstand des Erwerbsvorgangs sein sollen, müssen sich folglich nach allen Seiten hin absichern. „Niemand darf sich sicher fühlen“, kommentiert Christoph Barth. „Die Europäische Kommission kann auch Transaktionssachverhalte unterhalb dieser Schwellenwerte von Amts wegen aufgreifen.“
„Wenn es um einen chinesischen Erwerber geht oder um
Unternehmen der kritischen Infrastruktur, braucht man unbedingt
eine politische Begleitung.“
Alexander Otto
Managing Director,
FGS Global
Politische Begleitung erforderlich
■ Christine Demmer