Noch ist das geopolitische und geoökonomische Risikomanagement nicht in ausreichendem Maß in den betrieblichen Strukturen deutscher Unternehmen etabliert. Aber die Sensibilisierung wächst angesichts der Auswirkungen von De-Coupling und dem daraus entwickelten De-Risking. „Das hat zur Folge, dass Geschäftspartner, Produkte und Dienstleistungen verstärkt im Rahmen einer bevorstehenden oder existierenden Geschäftsbeziehung geprüft oder überwacht werden“, führt Caroline Hussels aus. Sie ist Head of Legal bei der CRONIMET Holding. „Die Rolle der Rechtsabteilung wird dabei eine sehr starke sein“, sagt Dr. Dr. Boris Schilmar, Partner und Head of International Business bei der KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft. Sie ist sie mehr als bisher in die strategische Ausrichtung des Unternehmens eingebunden und bildet die Schnittstelle zwischen Geschäftsführung, Stabsstellen und Fachabteilungen. Hussels siedelt sie innerhalb der übergreifenden Governance-Struktur eines Unternehmens als tragendes Element neben Riskomanagement, Compliance und internem Kontrollsystem an. Sie soll dafür Sorge tragen, dass Vorstand oder Geschäftsführung möglichst frühzeitig über geopolitische und geoökonomische Risiken informiert werden. „Primär wird es darum gehen, der Unternehmensleitung dabei zu helfen, im Rahmen des Leitungsermessens die Business-Judgement-Rule ordnungsgemäß auszuführen“, betont Rechtsanwalt Schilmar. Im Blick zu behalten sind in diesem Zusammenhang die Haftungstatbestände, für die GmbH festgelegt in § 43 Abs. 1 des GmbH-Gesetzes und für die Aktiengesellschaft in § 93 Abs. 1 Satz 1 des Aktiengesetzes. Zentrale Sorgfaltspflicht der Geschäftsleitung ist der Bestandserhalt und die dauerhafte Rentabilität des Unternehmens. „Entscheidungen, die beispielsweise darauf ausgerichtet sind, in einem Land Investitionen zu tätigen, welches sich im Kriegszustand befindet, oder aber Rohstoffe zu beziehen, die aus einer Konfliktregion stammen, können unter Umständen Haftungstatbestände auslösen“, warnt Hussels. Wesentlich sei deshalb die möglichst lückenlose Dokumentation von Entscheidungsprozessen: „Unternehmerische Entscheidungen, die negative Folgen für das Unternehmen mit sich bringen, sind dann von einer Haftung freigestellt, wenn sie auf Basis angemessener Informationen in gutem Glauben, ohne Berücksichtigung sachfremder Interessen und zum Wohle der Gesellschaft getroffen wurden“, erläutert Hussels. Schilmar weist auf eine wachsende Problematik im Zusammenhang mit dem De-Coupling hin: „Die Ermessensentscheidung der Unternehmensleitung kann bedeuten, dass sie sich bei zwei nicht-dispositiven, sich aber gegenseitig ausschließenden Gesetzen für die Einhaltung des einen unter Verstoß gegen das andere entscheiden muss.“ Die Rechtsabteilung muss sehr genau analysieren, möglichst umfassend Argumente für die ein oder andere Seite sammeln und im Detail dokumentieren, damit letztlich die Business-Entscheidung auf einer aus Haftungssicht sicheren und fundierten Grundlage fußt.
„Legal sollte in die Governance-Struktur eines Unternehmens eingebettet werden, das heißt als weitere Säule neben Compliance, Risikomanagement und Internem Kontrollsystem, da die Verzahnung dieser Bereiche dafür Sorge trägt, dass die Geschäftsführung frühzeitig über geopolitische Risiken informiert wird.“
Caroline Hussels
Head of Legal,
CRONIMET Holding GmbH
Abteilungsübergreifende geostrategische Arbeitsgruppe
Die Rechtsabteilung tut gut daran, Vorstände und Geschäftsführer dazu zu bringen, politische und regulatorische Risiken gleichermaßen und quasi präventiv in die strategische Planung einzubeziehen. „Unternehmen sollten sicherstellen, dass diese Schritte und die gewonnenen Erkenntnisse konsequent in strategische Unternehmensentscheidungen einfließen“, sagt Alex Stillie, Senior Legal Counsel bei der GESCO SE. Nach seiner Ansicht sollte Geopolitik dabei aber nicht nur die aktuelle Strategie beeinflussen, sondern beispielsweise auch über Fusionen und Übernahmen oder Marktein- beziehungsweise -austritte informieren. „Das gelingt dann, wenn Vorstände und Aufsichtsräte aktiv und sichtbar solche Informationen nutzen und durch crossfunktionale Stakeholder entsprechend informiert werden.“ Dafür ist der Aufbau einer abteilungsübergreifenden geostrategischen Arbeitsgruppe Voraussetzung, die sich als Gesamtmanagementkonzeptionsorgan auf Basis der Informationen aus allen Fachabteilungen versteht. Risiken bestehen schließlich nicht nur im Hinblick auf geopolitische und -ökonomische Fragen, sondern auch in anderen Bereichen wie der Compliance, Human Resources, IT, Finanzen, um nur wesentliche Beispiele zu nennen. Allerdings kommt dem geopolitischen und -ökonomischen Segment eine Klammerstellung zu: „Die einzelnen Teilrisikobereiche greifen heutzutage aufgrund geopolitischer Risiken eng ineinander, da sie konkrete Auswirkungen auf das operative Geschäft haben und deshalb den fachlichen Austausch unterschiedlicher unternehmensinterner Stakeholder notwendig machen“, erklärt Stillie. Die Informationen aus allen Richtungen sollten in das bereits bestehende Risikomanagementsystem einfließen, das – in einer Aktiengesellschaft – im Sinne des § 91 Abs. 2 AktG auch als Früherkennungssystem eingerichtet ist. Da auch das zu den Pflichten des Vorstandes gehört, wirkt die Rechtsabteilung unmittelbar unterstützend bei der Grundlagenschaffung wichtiger Business-Entscheidungen mit. „Zur Vollendung des organisatorischen Aufbaus gehört noch die Prüfung, welche Berichtslinien es schon im Unternehmen gibt, wo Reportingbausteine vorhanden sind, um zum Beispiel ein Sanktionsmonitoring zu implementieren und die Überwachung geopolitischer und geoökonomischer Risiken im engeren Sinne sicherzustellen“, erläutert Schilmar. Steht der organisatorische Aufbau und sind die wesentlichen Kompetenzen für alle Beteiligten transparent geregelt, kommt die eigentliche, inhaltliche Aufgabenstellung für die Rechtsabteilung. Eine zentrale Rolle im Zusammenhang mit geopolitischen und geoökonomischen Risiken kommt ihr etwa bei der Entwicklung möglicher Exitszenarien zu, jetzt bereits auf der Basis von Erfahrungswerten, die möglicherweise anlässlich der Folgen der russischen Invasion in die Ukraine entstanden sind. „Ganz konkret geht es in diesen Szenarien um die Prüfung, welche Verträge in den betroffenen Ländern bestehen, welche Klauseln sind vereinbart, bestehen Kündigungsrechte – gegebenenfalls sogar außerordentliche“, so Boris Schilmar. „Dem folgt die Fragestellung, welche Strafzahlungen das Vorgehen möglicherweise auslöst.“ Auf der Beteiligungsebene ist zudem zu prüfen, wo hundertprozentige Tochtergesellschaften agieren, wo gibt es Beteiligungen und was sehen die Gesellschaftervereinbarungen vor. „Es gibt Fälle, in denen es um andere Möglichkeiten geht, als sich auf gesellschaftsrechtlicher Ebene zu lösen“, schildert Schilmar.
Wenn sich geopolitische Risiken realisieren
Wenn es etwa um das Chinageschäft geht, kann es sein, dass die Suche nach der „Second Source“, also einer Alternative für Liefer- oder Produktionsstätten, ohne Ergebnis verläuft. „Dann lässt sich das Chinageschäft im Konzernverbund eventuell autarker gestalten, indem regionalere Lieferketten gebildet werden.“ Das Thema Re-Regionalisierung ist vielbeachtet zurzeit und es konterkariert die Globalisierung auf fast schon historische Weise. „Und Unternehmen müssen parallel fahren, weiter global denken, sich aber auch regional gut aufstellen, das ist aktuell eine große Herausforderung“, berichtet Schilmar. In bestimmten Branchen wie etwa der Automobilindustrie dauere es mehrere Jahre, bis ein Betrieb als Zulieferer bei einem OEM akkreditiert ist – und dann eben auch nur für ein bestimmtes Modul. De-Coupling und De-Risking sind unmittelbare Folge sich realisierender geopolitischer und geoökonomischer Risiken, und sie wirken sich unmittelbar auf das operative Geschäft aus, das müssen Rechtsabteilungen stets im Blick behalten. Das muss nicht einmal Folge kriegerischer Auseinandersetzungen sein oder Ergebnis auf anderer Weise entstandener Krisen. Ein geopolitisches Risiko resultiert schon aus der zunehmenden Regulierung, die zudem auf globaler Ebene auseinanderdriftet. Alex Stillie bezeichnet das Phänomen als „sich gegenseitig ausschließende und vielfach auch exterritorial wirkende lokale Gesetze und Regeln, die zunehmend Risikofaktoren sind, weil sie unmittelbar wettbewerbsbeeinflussende Wirkung haben“. Als Beispiele nennt er die Datenschutzgrundverordnung, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LKSG) und den Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM). „Deutsche Unternehmen sind verpflichtet, deutsches Recht global umzusetzen und dafür die Kosten zu tragen. Und die können sehr schnell hoch sein, ohne dass durch eine Vertragsbeziehung überhaupt ein Umsatz entstanden ist.“ Will etwa die Enkelgesellschaft einer Beteiligung der GESCO SE in China Edelstahl einkaufen, muss sie nach dem LkSG im Vorfeld der Vertragsanbahnung eine Risikoanalyse des potenziellen Zulieferers durchführen. Das heißt auch, dieser muss einen umfangreichen Fragenkatalog beantworten, und die GESCO ist verpflichtet, den Zulieferer auch ohne, dass es irgendwelche Hinweise gibt, auf menschenrechtliche Risiken der Zwangsarbeit hinweisen. Sie muss auf Erstellung eines entsprechenden Codes of Conduct bestehen und den Zulieferer befähigen, diesen selbst zu formulieren. Im gleichen Beispiel kommt der CBAM zum Tragen, nach dem edelstahlveredelnde Unternehmen künftig für die emissionsintensive Ware Edelstahl aus China, einem CO2-preisgünstigen Produktionsland, CBAM-Zertifikate erwerben müssen, damit die Produktion nicht in Länder mit niedrigem Klimaschutzniveau verlagert wird. Auch da sind wieder Fragenkataloge notwendig, die die direkten und indirekten Emissionen, die im Produktionsprozess entstanden sind, ermitteln. „Das bedeutet, dass noch vor Entstehung eines Umsatzes bereits massive administrativer Aufwand mit entsprechend hohen Kosten zustande kommt, was bei den Zulieferern bereits jetzt auf extreme Gegenwehr stößt“, klagt Stillie. „Faktisch ist das gleichbedeutend mit einem massiven Wettbewerbsnachteil gegenüber Unternehmen aus anderen Staaten, die nicht solchen Verpflichtungen unterliegen.“ Die Problematik führt noch weiter: Die Missachtung von lokalen Gesetzen und Regeln kann zu Ausschlüssen bei öffentlichen Ausschreibungen, zu Geldstrafen und generellen Betätigungsverboten führen. So sieht etwa der CBAM Importverbote vor.
„Ein wirksames Risikomanagement ist darauf angewiesen, dass verschiedene Fachabteilungen crossfunktional zusammenarbeiten und deren jeweiligen Erkenntnisse in ein Risikomanagement-System überführt werden.“
Alex Stillie
Rechtsanwalt und Senior Legal Counsel,
GESCO SE
Vielfältige Auswirkungen denkbar
Stillie nennt neben den regulatorischen noch weitere Auswirkungen. Personell etwa sei eine Behinderung oder sogar ein Verbot der Beschäftigung ausländischer Expats zu beobachten, etwa aufgrund von Arbeitsvisabegrenzungen, steuerlichen Nachteilen und Reiserestriktionen. „In Bezug auf Rohstoffe sehen wir eine Export- und Importlimitierung seltener Erden oder Ausfuhrbeschränkungen, im Bereich der Hochtechnologie kann das ein Verbot spezifischer Technologie nach sich ziehen, wie im Hinblick auf Huawei-Technik für den Aufbau von 5G-Netzen – oder ein Verwendungsverbot für bestimmte Applikationen.“ Im Rahmen der Forschung und Entwicklung könnte die Zusammenarbeit von Instituten erschwert sein, im Hinblick auf Absatzmärkte müssten mögliche Strafzölle und nicht-tarifäre Handelshemmnisse geprüft werden. Diese Prüfungspflicht beträfe zudem Ein- und Ausfuhrverbote für Chips, Netzwerkausrüstung und Grundstoffe, zu denen auch bestimmte Chemikalien gehören. Selbst im Rahmen von Datentransfers müssten nach wie vor Verbote beachtet, beziehungsweise Daten und Algorithmen staatlichen Stellen zur Verfügung gestellt werden. „Im Bereich des Umweltschutzes haben wir ohnehin unterschiedliche Standards“, ergänzt Stillie. Die Liste der zu beachtenden Aspekte ist lang. Für Rechtsabteilungen ist das gleichbedeutend mit immer neuen Herausforderungen. „Aber ihre Rolle als Business Partner wird auch gestärkt, wenn wir frühzeitig von der Geschäfts- oder Stabsleitung und den Fachabteilungen einbezogen werden“, resümiert Caroline Hussels. „Die Rechtsabteilung kann den Entscheidungsprozess strukturieren, die geopolitischen Risiken identifizieren und damit die haftungsrechtlichen Risiken für das Management minimieren.“
■ Alexander Pradka