Schwieriger Spagat zwischen Theorie und Praxis

Acht Monate sind vergangen, seit das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft getreten ist. Die Schwachstellen des Gesetzes und die Probleme bei der praktischen Umsetzung sind weitgehend identifiziert. Rechtsunsicherheit führt dazu, dass Unternehmen mehr machen, als sie müssten.
vom 13. September 2023
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Über ein Compliance-System verfügte das Unternehmen Siemens Energy schon vor dem Inkrafttreten des LkSG. Das beinhaltete das Thema Menschenrechte und ein einen Prozess zur Sicherstellung der Nachhaltigkeit in der Lieferkette. In der Vorbereitung auf das Gesetz hat Siemens Energy die Prozesse erweitert und angepasst. „Die Beschäftigung mit dem LkSG hat dazu geführt, dass wir unsere eigenen Prozesse noch besser strukturiert, dokumentiert und insgesamt noch mehr Transparenz zu Menschenrechts- und Umweltthemen in der eigenen Lieferkette und im eigenen Geschäftsbereich geschaffen haben“, berichtet Ilkin Karakaya, International General Counsel bei Siemens Energy. 2021 hat das Unternehmen begonnen, sich auf die Umsetzung des neuen Gesetzes vorzubereiten. Eine abteilungsübergreifende Arbeitsgruppe, die heute als „Human Rights Office“ fungiert, hat die Anforderungen des LkSG analysiert. „Die Governance für das Thema hat der Vorstand der Compliance-Funktion zugewiesen“, so Karakaya. „Der Group Compliance Officer agiert zugleich als Menschenrechtsbeauftragter.“ Die nächsten Schritte waren die Anpassung der bestehenden Beschwerdemechanismen samt Verfahrensordnung sowie die Durchführung der Risikoanalyse und die Verabschiedung des Human Rights Policy Statements. Die Umsetzung begleiten Schulungen und Awareness-Maßnahmen. Stand zu Beginn die Implementierung der Prozesse im Vordergrund, liege die Konzentration auf den Inhalten, also etwa der Durchführung der eigentlichen Risikoanalyse und der Auswertung ihrer Ergebnisse. Auch beim Kunststoffverarbeiter Röchling war vom Start weg ein unternehmensbereichs- und themenübergreifendes Team mit der Umsetzung beschäftigt. „Viel Zeit in Anspruch nahm die Konzeption der Risikoanalyse, sowohl für den eigenen Geschäftsbereich als auch für die Lieferantenkette“, betont Holger Funk, Chief Compliance und Human Rights Officer bei der Unternehmensgruppe. Im Zuge der LkSG-Einführung hat Röchling das Hinweisgebersystem erneuert und professionalisiert. Aktuell beschäftigt die Verantwortlichen die Auswertung der Rückmeldungen. „Es gilt, die Daten zu analysieren, die sich aus den Fragebögen zu menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken ergeben, die wir an unsere weltweiten Standorte verschickt haben“, so Funk. Die Ergebnisse sind Basis für zu etablierende Maßnahmen, die dann auch kommuniziert werden müssen. „Als letzten Schritt werden wir, soweit möglich, die Berichterstattung an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle vorbereiten.“ Funk rechnet diesbezüglich nochmals mit einem großen Zeitaufwand. Er fragt sich, ob es wirklich sinnvoll ist, wenn bei entsprechender Mitarbeiterzahl mehrere deutsche Tochtergesellschaften eines Konzerns jeweils einen gesonderten Bericht an das BAFA senden müssen. „Es könnte ein gangbarer Weg sein, für die Töchter einen gesonderten Teilbericht in den Konzernbericht zu integrieren.“

Giesa_Kai-Oliver

„In einer standardisierten Wirtschaftswelt fordert das LkSG risikobasierte und damit individualisierte Präventions- und Abhilfemaßnahmen. Für Unternehmen
mit Tausenden von Lieferanten ist das eine große Herausforderung.“

Dr. Kai-Oliver Giesa 

Rechtsanwalt und Partner 

KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft

„Safe Harbour Environment“ 

Die Einordnung der sich aus dem Gesetz ergebenden Sorgfaltspflichten als Bemühenspflichten begrüßen sowohl Karakaya als auch Funk grundsätzlich. Damit verdeutlicht der Gesetzgeber, dass Unternehmen nicht alleine die Verhältnisse entlang der Lieferkette verändern können, sondern nur gemeinsam mit den Lieferanten und Akteuren vor Ort. „Die kontinuierliche Weiterentwicklung von Prozessen wird honoriert“, lobt Funk. Eine Vielzahl von Beteiligten argumentiere zudem, dass eine gemeinsame, fortlaufende Verbesserung von Umwelt- und Menschenrechtsbedingungen bei einem Lieferanten werthaltiger ist, als der Austausch eines Lieferanten – sofern das überhaupt möglich ist. Karakaya gibt aber zu bedenken, dass außer Acht bleibt, dass „im Falle des erfolglosen Bemühens durchaus ein Rückzug aus bestimmten Lieferbeziehungen als ‚ultima ratio‘ erwartet wird.“ Das sei ein Schritt, der nicht immer ohne Auswirkungen auf die Kosten im Einkauf bleibt. „Hier wünschen wir uns für die betroffenen Unternehmen klare Signale und Unterstützung aus der Politik. Ganz konkret denke ich an die Schaffung eines ‚Safe Harbour Environments‘.“ Der General Counsel von Siemens Energy spielt dabei auf Konstellationen an, in dem ein in der EU ansässiges Unternehmen von Zulieferern abhängt, die in einem menschenrechtskritischen Umfeld tätig sind. Ein Beispiel dafür ist China. Das Problem kennt auch Freya Elisabeth Humbert, Associate bei der Görg Partnerschaft von Rechtsanwälten: „Das LkSG kann zu einem Dilemma für Unternehmen führen, die einerseits zur Einhaltung des Gesetzes verpflichtet sind, jedoch andererseits Produktionsstätten in Ländern betreiben, die die Einhaltung von Menschenrechten nicht konsequent betreiben, beziehungsweise sogar sanktionieren. Deren Herausforderungen sind dann mehr politischen und wirtschaftlichen Ursprungs als rechtlicher Natur.“ Das unterstreicht, dass die Zielsetzungen des LkSG sicher notwendig sind und in der Theorie gut klingen, sich im Spannungsverhältnis zwischen einer ambitionierten nationalen Regelung und sehr restriktiven nationalen Gesetzen große praktische Herausforderungen ergeben. Um beim Beispiel China zu bleiben: Dort gibt es mit dem Anti-Spionage-Gesetz eine neue Regelung, die „unabhängige Informationsbeschaffungen, Audits oder unternehmensbezogene Ermittlungen weiter einschränkt und Sanktionsmöglichkeiten für Unternehmen und Privatpersonen drastisch verschärft“, wie Dr. Thomas Uhlig, Rechtsanwalt und Partner bei KPMG Law, zu berichten weiß. „Faktisch können fast alle Informationsbeschaffungen, die den nationalen Sicherheitsinteressen Chinas entgegenlaufen, als Spionage sanktioniert werden.“ Immerhin stehen die vom LkSG geforderten Maßnahmen unter dem Vorbehalt der Angemessenheit. „Es kann nicht angemessen und zumutbar sein, bei der Erfüllung der Anforderungen des LkSG Straftaten nach lokalem Recht zu begehen. Hier besteht ein Zielkonflikt, der zu einer Begrenzung der Handlungsmöglichkeiten führt, ohne dass dies per se ein Verstoß gegen das LkSG sein muss.“ 

Spangler-2021

„Weil der Gesetzgeber seine Möglichkeiten unzureichend genutzt und

den Rechtsanwendern, Behörden und letztlich Gerichten einen zu großen Interpretationsspielraum hinterlassen hat, wird das LkSG vielerorts übererfüllt.” 

Dr. Simon Spangler
Partner und Rechtsanwalt
Oppenhoff & Partner

Kontrolle der Pflichten als Stolperstein  

 
Christian Schefold von Dentons sieht allerdings als Folge des LkSG mit dessen strengen Vorschriften die Gefahr einer Verschärfung von Handelskonflikten. „Bei einer funktionierenden Welthandelsorganisation hätten wir mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Panel gegen Deutschland zu rechnen. Das LkSG ist ein tertiäres Handelshemmnis.“ Im internationalen Umfeld entstehen Konflikte aber auch schon eine Stufe früher, es muss nicht unbedingt eine Verletzung von Menschenrechten in Frage stehen. Es gibt eine Reihe von Ländern, die sehr traditionelle Lieferbeziehungen zu Deutschland haben. „Betriebe dort werden plötzlich mit Fragebögen, mit Garantieanforderungen, Grundsatzerklärungen und Berichtspflichten bombardiert und wundern sich, was das ist. Das schafft erhebliche Irritationen im Ausland und es gibt bereits den ein oder anderen Fall, in dem deutsche Unternehmen nicht mehr unmittelbar beliefert werden“, so Schefold weiter. Eine andere Problematik schildert Dr. Kai-Oliver Giesa, Kollege von Thomas Uhlig und ebenfalls Rechtsanwalt und Partner bei KPMG Law. Nach seiner Wahrnehmung lehnen Zulieferer die Übernahme menschenrechts- und umweltbezogener Pflichten in Vertragsverhandlungen eher nicht ab. Das gelte vor allem dann, wenn diese angemessen formuliert sind. Viele Unternehmen behelfen sich mittlerweile auch mit eigenen Codes of Conduct, über die Zulieferer die Einhaltung wesentlicher Pflichten zusichern. „Konflikte dürften sich aber verstärkt ergeben, wenn vom LkSG verpflichtete Unternehmen die Einhaltung von Pflichten kontrollieren möchten. Diesbezüglich deuten sich bereits Abwehrstrategien der Zulieferer an“, berichtet Giesa. Gerade im Zusammenhang mit der Verletzung von Menschenrechten empfiehlt der KPMG-Anwalt deshalb die Aufnahme von Sanktionsmöglichkeiten in die Lieferverträge. Ein starrer „one-size-fits-all“-Ansatz wird jedenfalls kaum rechtssicher umzusetzen sein, „das Konzept für das LkSG-Risikomanagement sollte daher Öffnungsmöglichkeiten für relevante lokale gesetzliche Besonderheiten vorsehen, damit die Umsetzung des Gesetzes auch im Ausland gelingt“, ergänzt Uhlig. 
 

Praktische Fragen im Fokus

Die Sanktionen, die bei Verstößen drohen, schüren durchaus Ängste. „Aus der unter vielen Aspekten unsicheren Lage reagieren viele Unternehmen mit einer Übererfüllung“, schildert Dr. Simon Spangler, Rechtswalt und Partner bei Oppenhoff. „Die Folgen zeigen sich aktuell postwendend in der Praxis: betroffene Unternehmen betreiben einen zu hohen Aufwand.“ Beispielsweise hätten diese versucht, die Pflichten aus dem LkSG pauschal an jeden ihrer Zulieferer weiterzugeben, „augenscheinlich, ohne bei ihnen im Rahmen einer Risikoanalyse überhaupt ein Risiko festgestellt zu haben“. Die rechtlichen Fragestellungen sind in der Praxis teils ohnehin komplexer, als es der Gesetzestext vermuten lässt. Spangler stellt zum Beispiel die Frage in den Raum, wie ein LkSG-verpflichtetes Unternehmen damit umgehen soll, wenn nur ein Drittel der Zulieferer Fragen beantwortet, die im Rahmen der Risikoanalyse gestellt werden. „Weder das Gesetz noch die zusätzlich verfügbaren Quellen geben eine hinreichende Hilfestellung.“ Den Ball nimmt Dr. Dieter Neumann, Partner und Leiter der Praxisgruppe Öffentliches Recht bei Greenberg Traurig, auf, indem er darauf hinweist, dass es zwar in einem ersten Schritt hilfreich sein kann, so genannte Konformitätserklärungen von ausländischen Lieferanten zu verlangen. „Ein bloßes Vertrauen in deren Richtigkeit wird voraussichtlich dann nicht ausreichen, wenn sich handfeste oder evidente Zweifel solcher Erklärungen oder Lieferanten ergeben. Dann werden Nachfragen deutscher Unternehmen bei ihren Lieferanten angebracht sein.“ Eine wesentliche Rolle bei der Umsetzung des LkSG kommt dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zu. Das gilt nicht nur im Rahmen der Kontrolle, sondern auch bei der Erstellung von Vorgaben sowie der Klärung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Fragen. Wie das Amt selbst angibt, haben im letzten halben Jahr viele Gespräche mit Unternehmen, Verbänden und Akteuren aus der Zivilgesellschaft stattgefunden. Die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft sei insgesamt gut, wie BAFA-Präsident Torsten Safarik mitteilt. Verbesserungsbedarf sieht das Amt zurzeit noch in der Ausgestaltung des Beschwerdemechanismus. „Dieser muss für die Betroffenen zugänglich, verständlich und einfach handzuhaben sein“, führt Safarik aus. „Deshalb sollten potenzielle Nutzerinnen und Nutzer an der Konzeption beteiligt werden, aus den bisherigen Rückmeldungen können wir nicht immer entnehmen, dass dies in ausreichendem Maß geschehen ist.“ Der BAFA-Präsident kann einerseits das Bedürfnis der Unternehmen verstehen, dass es abschließend bestimmte Rechtsbegriffe gibt. Er ist aber froh über die – wie er sagt – „klug gewählten unbestimmten Rechtsbegriffe“ im LkSG. „Wäre jeder Begriff abschließend bestimmt, hätten wir als umzusetzende Behörde kaum Spielraum, unternehmerische Realitäten zu berücksichtigen. So kann eine bestimmte Maßnahme beispielsweise für ein Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angemessen sein, jedoch bei einem Unternehmen mit über 100.000 nicht.
 
Alexander Pradka
Beitrag von Alexander Pradka

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