„Weil Unternehmen nicht dieselben Auskunftsansprüche besitzen wie Banken, können wir gar nicht dieselben Anstrengungen unternehmen wie diese.“
Alexandra Albrecht-Baba, Head of Corporate Compliance & Legal, Hochtief AG
WELLE AN RECHTLICHEN AUSEINANDERSETZUNGEN
Die Notwendigkeit, in einer akuten Situation, wie sie aktuell im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg vorherrscht, die rechtliche von der moralischen Frage zu trennen, betont Dr. Christine Heeg-Weimann, Partnerin und Head of Commercial Law und Country Practice Head Russia/CIS bei KPMG Law. Sie zeigt sich überrascht, wie schnell manche sämtliche Geschäftsbeziehungen zu Russland abgebrochen haben. „Da herrschte die Ansicht vor, dass mit Russland ab sofort gar keine Geschäfte mehr gemacht werden dürfen. Da wurden Verträge sehr spontan gekündigt, was in vielen Fällen rechtswidrig war.“ Handeln mit Augenmaß ist die bessere Alternative. Dr. Heeg-Weimann bezieht sich auf den alten Grundsatz: Pacta sunt servanda. Das heißt eben auch: Wenn weder eine bestimmte Person, noch ein Unternehmen auf der Sanktionsliste steht und der Vertragsgegenstand nicht unter ein Ein- oder Ausfuhrverbot fällt, gibt es keinen Grund, nicht an russische Vertragspartner zu liefern oder von ihnen Lieferungen zu erhalten. Wenn ein Betrieb feststellt, dass er künftig keine Beziehungen mehr pflegen will, stellt sich die Frage, wie sich das sauber und vor allem rechtssicher lösen lässt. „Jeder muss im Risikomanagement abwägen, was passiert, wenn abrupt – also außerordentlich oder vertragsbrüchig – eine Geschäftsbeziehung beendet wird“, so Dr. Heeg-Weimann weiter. „Möglicherweise stehen Schadensersatzforderungen im Raum, die sehr erheblich und unter Umständen existenzbedrohend sein können.“ Insofern ist der geordnete und rechtlich fundierte, vertragsgetreue Rückzug, sei es über eine ordentliche Kündigung oder über eine einvernehmliche Beendigung, der richtige Weg. Die Spezialistin in internationaler Vertragsgestaltung bestätigt die Ansicht von Alexandra Albrecht-Baba, wie schwierig gerade im Zusammenhang mit Russland die Verhältnisse sind, insbesondere wenn es um das Eigentum oder Beteiligungen geht. Fällt beispielsweise die Tochtergesellschaft eines russischen Unternehmens unter die Sanktionsregeln? „In diesen Konstellationen sehen wir, dass Unternehmen die Erfüllung von Verträgen fordern – und die deutsche Firma ist noch mitten in der Sanktionsprüfung. Wir haben hier jetzt schon die ersten Fälle, die vor Gericht oder zum Schiedsgericht gehen“, berichtet Dr. Heeg-Weimann. „Und da befinden wir uns noch in einer deutsch-deutschen Vertragsbeziehung.“ Es gibt aber auch die Fälle, die vor das internationale Schiedsgericht gehen. Die Welle fängt gerade erst an und das werden noch sehr „komplexe Angelegenheiten“. Schwierig auch deshalb, weil bei Forderungen der im Schiedsverfahren erstrittene Titel noch lange nicht bedeutet, dass die Forderung durch erfolgreiche Zwangsvollstreckung auch befriedigt werden kann. Wo kann ich vollstrecken? Wo befinden sich die Assets eines Unternehmens? „Wenn ich am Ende für die Zwangsvollstreckung die russischen Gerichte brauche, scheitere ich gegebenenfalls, und das nach einem langen und teuren Verfahren“, warnt Dr. Heeg-Weimann. Zusätzlich droht Unternehmen, die in Russland investiert und möglicherweise gebaut haben, die Enteignung. Ein entsprechendes Gesetz hat der russische Präsident bereits angedroht. Wen will man da in Anspruch nehmen? Den russischen Staat? Ein bilaterales Investitionsschutzabkommen ermöglicht dies. Ob ein Schiedsspruch am Ende vollstreckbar ist, bleibt offen.
Dr. Christine Heeg-Weimann, Partnerin und Head of Commercial Law und Country Practice Head Russia/CIS, KPMG Law
Anne-Kathrin Gillig, Partnerin und Head of Foreign Trade Law, KPMG Law
ACTIO UND REACTIO FAST IM GLEICHSCHRITT
Bei der Positionierung zu berücksichtigen ist außerdem die Frage, wie sich mit Mitarbeitern zum Beispiel in betroffenen Tochtergesellschaften umgehen lässt. „Wir sehen in vielen Unternehmen den schwierigen Spagat zwischen dem wirtschaftspolitischen Statement einerseits und der Fürsorgepflicht andererseits“, sagt Anne-Kathrin Gillig, ebenfalls Partnerin bei KPMG Law und dort als Head of Foreign Trade Law tätig. Wirklich neu ist das Sanktionsregime nicht, wie sie sagt. Gegenüber Russland existiert es spätestens seit 2014, in den folgenden Jahren ist es inhaltlich modifiziert worden. So wird es auch aktuell mit den bisher fünf Paketen gehandhabt. Anne-Kathrin Gillig teilt die Regelungen auf zwei Grundpfeiler auf. Zum einen geht es um Finanzsanktionen gegenüber Personen. Betroffen sind vor allem Oligarchen, also Großunternehmer, die zumindest überwiegend durch Korruption zu Reichtum und Macht gekommen sind. Ihnen dürfen kein Geld und keine wirtschaftlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. „In der Folge sehen wir aktuell Personalrochaden bei Oligarchen, die über Trusts Anteile an Unternehmen halten. Diese übertragen sie im großen Stil an Familienangehörige, Ehefrauen, in der Hoffnung, dass Sanktionen dann nicht greifen.“ Grundsätzlich heißt es, dass diese Personen nicht von den Bereitstellungsverboten erfasst sind. „Da das aber Umgehungen Tür und Tor öffnet, erwarten Behörden und die Wirtschaft eine klare Positionierung seitens der EU“, meint Anne-Kathrin Gillig. Die zweite Säule betrifft sogenannte sektorale Sanktionen, hier geht es um Import- und Exportverbote, Finanzierungsbeschränkungen und -verbote.“ Hierunter fallen auch die Abkopplungen russischer Banken von Swift. Betroffen sind sektorübergreifend alle, die in Russland einen Absatzmarkt haben, also beispielsweise für technische Teile, Automobil, Telekommunikation, Industrial Manufacturing. Schnell reagiert hat die EU bei der Unterbindung der Finanzströme und auch hinsichtlich der Möglichkeit der russischen Zentralbank, sich über Währungsgeschäfte zu refinanzieren. Verschärfungen reagieren auf bestimmte Entwicklungen. Die Entwertung des Rubel hat gerade bei reichen Russen dazu geführt, in teure Sachwerte und Luxusgüter zu investieren, die nicht so schnell an Wert verlieren. „Deshalb existiert seit einigen Wochen das Verbot, Luxusgüter ab einem bestimmten Wert nach Russland zu liefern“, berichtet die Außenwirtschaftsrechtsexpertin. Im Umgang unterscheidet sie zwischen rechtlichen und praktischen Fragestellungen. In vielen Fällen sind Verträge vor der Sanktionierung geschlossen und ein Geschäft wartet nur mehr auf die Abwicklung. „Im Grunde kennen wir das alles noch aus dem ersten Semester Zivilrecht: wer ist mein Geschäftspartner? Wer will was woraus? Nach der Analyse des Status quo und der Beantwortung grundlegender Fragen muss ein klares Bild dazu vorhanden sein, wo außenwirtschaftsrechtlich Probleme auftreten können.“ Darf ein Geschäft nicht abgewickelt werden, unterliegt es – sofern deutsches Recht anwendbar ist – dem gesetzlichen Verbot des § 134 BGB. Ist die rechtliche Prüfung abgeschlossen, schließen sich die praktischen Aspekte an: Kann der Betrieb das russische Unternehmen bezahlen, bekommt er umgekehrt sein Geld? Ist möglicherweise Vorkasse eine Lösung? Oder lässt sich Geld auf einem Treuhandkonto deponieren oder via alternativer Bankverbindung transferieren? Entscheidende Bedeutung kommt gerade im Hinblick auf die von Dr. Heeg-Weimann bereits ins Spiel gebrachten juristischen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Vertragsstrafen und Schadensersatzforderungen der lückenlosen Dokumentation einer Geschäftsbeziehung zu. Das ist alles andere als trivial.
NEUE KRISEN LAUERN VIELERORTEN
Niemand kann davon ausgehen, dass sich an der aktuellen Entwicklung der wirtschaftlichen Isolation Russlands in den nächsten Jahren, vielleicht Jahrzehnten etwas ändert, selbst wenn der Krieg irgendwann sein Ende findet. Das bedeutet auch, dass sich der begonnene Trend hin zu Diversifizierung und Erweiterung der Lieferanten für denselben Rohstoff oder dieselbe Ware fortsetzen wird. „Gegebenenfalls sehen wir auch ein Streben nach Regionalisierung und Stärkung von Heimatmärkten“, sagt Dr. Heeg-Weimann. Rechtlich gesehen werden flexiblere und hinreichend weit gefasste Lieferklauseln kommen, flexiblere Mengenvereinbarungen, vielleicht auch mit Priorisierungen und preislichen Incentives versehen. Dr. Heeg-Weimann erwähnt zudem interessenbasierte Verhandlungen, um künftig wirtschaftliche Nachteile aus Lieferengpässen zu reduzieren. Russland mag aber nur der Auftakt sein. Sehr aktuell ist die Frage nach der Rolle Chinas. „Sollen wir unsere Lieferbeziehungen mit China auf den Prüfstand stellen? Ja“, meint Anne-Kathrin Gillig. Sie weist auf die massiven Investments Chinas auf dem afrikanischen Kontinent und die starke Positionierung Russlands in Lateinamerika hin. All das bietet einen Nährboden für weitere Krisen, denen sich auch die Wirtschaft und die Unternehmen gegenübersehen.