Der Arbeitstag ist eigentlich zu kurz

Der dritte General Counsel Kongress des Deutschen Instituts für Rechtsabteilungen und Unternehmensjuristen in Berlin hat wieder gezeigt: Die Anforderungen an die Leiterinnen und Leiter der Legal Departments nehmen zu. Sie sind Change Manager, Risikomanager, Krisenmanager, müssen den Fachkräftemangel stemmen und den Kostendruck aushalten. Und sie sollen den digitalen Wandel vorantreiben – all das in sehr schwierigen Zeiten.
vom 13. März 2024
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Die letzten Jahre waren geprägt von dramatischen Veränderungen. Und noch immer bestimmen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten das tägliche Leben. Wohl kaum jemand kann und will prognostizieren, wie die weitere Entwicklung aussieht und wo die Menschheit in einem Jahr steht. Vorsicht greift um sich. Unmittelbar betroffen ist die Weltwirtschaft, Pläne und Ziele sind heute andere als noch vor gar nicht allzu fern liegender Zeit. In den Firmenzentralen herrscht neues Denken, die Herausforderungen haben sich geändert. Das wirkt sich auch auf die Rechtsabteilungen aus. Ihre Rolle und Positionierung im Unternehmen hat sich verschoben, von der Problemlöserin hin zur Strategin. Ein wichtiges Thema ist deshalb auch hier ein grundsätzliches Umdenken, das zurzeit häufig in einer Umstrukturierung mündet. Da die Rechtsabteilung mehr und mehr eingebunden ist in die Entwicklung und Begleitung neuer unternehmerischer Ausrichtungen, die aufgrund des gesellschaftlichen, politischen und gesetzgeberischen Drucks notwendig geworden sind, findet eine Zuständigkeitszuteilung nicht mehr zwingend nach materiellrechtlichen Gesichtspunkten statt, sondern sie orientiert sich am Business. General Counsel und die Heads of Legal sind insofern zunehmend als Change Manager gefragt, die das interdisziplinäre Zusammenwirken mit den Fachabteilungen und das Agieren in Schnittstellenfunktion zum Vorstand oder der Geschäftsführung einleiten und orchestrieren. Aufgrund der unsicheren geopolitischen und geoökonomischen Gesamtlage sind sie gleichzeitig als Risikomanager respektive Risikomanagerin gefragt. Legal Departments liefern wichtige Bausteine für das Fundament, auf dessen Grundlage die Unternehmensspitze essenzielle Entscheidungen trifft, um Risiken vorzubeugen und zu minimieren. Zur Aufgabe der In-house Counsel gehört es auch, darauf zu achten, dass die Lenker und Lenkerinnen nicht in eine Haftungsfalle tappen. Aufgrund der Umtriebigkeit der Gesetzgeber auf europäischer und nationaler Ebene nehmen entsprechende Vorschriften zu. Stichwort Compliance:  Sie ist gerade in größeren Betrieben im Zuge wachsender Komplexität als eigene Abteilung konzipiert und das Funktionieren der Zusammenarbeit zwischen General Counsel und Chief Compliance Officer muss reibungslos funktionieren und sollte nicht im Kompetenzgerangel ersticken. Das gilt insbesondere dann, wenn sich ein Risiko realisiert hat und möglicherweise Straftaten innerhalb des Unternehmens aufzuklären sind. Auch das Hineinwachsen in die Rolle eines Krisenmanagers beziehungsweise einer Krisenmanagerin gehört mehr und mehr zu den Aufgaben von General Counsel. 

Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, ESG

Nach wie vor ist auch im juristischen Umfeld der Fachkräftemangel ein beherrschendes Thema. Der plakativ so bezeichnete „War for Talents“ ist im vollen Gang. Und jeder, der im Unternehmen Personalverantwortung trägt, muss dafür Sorge tragen, dass unverzichtbare Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit entsprechenden Anreizen gehalten werden können und dass entsprechend leistungs- und lernfähige Arbeitskräfte das Legal Department verstärken. Das bedeutet, selbst eine hohe Identifikation mit dem aktuellen Arbeitgeber oder der aktuellen Arbeitgeberin zu haben, dieses vorzuleben und andere damit „anzustecken“. Recruiting ist alles andere als trivial und wer die Mühen kennt, eine hohe Fluktuation managen zu müssen, weiß, welchen Prioritätsgrad die richtige Personalauswahl haben sollte. Bei all den genannten Themen darf eines nicht vergessen werden, nämlich die Antwort auf die Frage, was „Recht“ das Unternehmen eigentlich kostet. Der Druck, einerseits immer mehr und zunehmend komplexere Aufgaben angehen und lösen zu müssen, andererseits aber möglichst wenig dafür auszugeben, ist immens. Zumal die Leiter und Leiterinnen von Rechtsabteilungen in der Pflicht stehen, Entscheidern entsprechende Rechtfertigungsszenarien vorzulegen. Das fällt Abteilungen, die unmittelbar „Geschäft machen“ naturgemäß leichter als denen, die auf den ersten Blick in erster Linie Kosten verursachen.    

Welche Themen beherrschen inhaltlich und materiellrechtlich den Arbeitstag der General Counsel? Wichtige Stichpunkte – das zeigt der Blick auf die 20 Vorträge des dritten General Counsel Kongresses – sind Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und ESG. Mit dem Artificial Intelligence Act, kurz AI-Act, reguliert die Europäische Union künstliche Intelligenz. Noch während in Berlin der General Counsel Kongress lief, hat die Bundesregierung sich auf eine gemeinsame Haltung verständigt. Anfang Februar kam es dann zur finalen Einigung unter den Mitgliedstaaten. Deutschland stellt sich folglich einem sicheren Rechtsrahmen für künstliche Intelligenz – und damit auch der ersten Verordnung in diesem Zusammenhang nicht mehr länger in den Weg. Zuvor war die Zustimmung aus den Reihen der Bundesregierung keineswegs selbstverständlich. Und die Kritik unter den Experten bleibt groß. Viele bezweifeln, dass die EU damit als großer Innovationstreiber dastehen wird, und sind sich sicher, dass die großen Fortschritte anderswo gemacht werden, etwa in China oder in den USA. Spannend ist für General Counsel aber vor allem die Frage, wie es um den Einsatz der KI in der Rechtsabteilung bestellt ist. Noch kommt sie über eine Assistentenrolle nicht hinaus, in der sie aber durchaus wichtige Vorarbeiten leisten kann. Momentan ist der Tenor eindeutig: KI kann den Menschen in der Juristerei nicht ersetzen, aber wer sich ihr verweigert, wird ersetzt werden durch diejenigen, die das tun. 

Zähes Ringen um EU-Lieferkettenrichtlinie

Kaum ein Head of Legal kommt um den großen Themenkomplex ESG, also Environmental, Social und Governance herum, der nicht nur zahlreiche und verschiedene Rechtsgebiete durchdringt, sondern auch wichtige Fragestellungen im Zusammenhang mit der strategischen Ausrichtung eines Unternehmens diktiert. Die Implementierung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes ist dabei kaum noch ein Thema, wohl aber die Erfahrungen, die bisher nach der Umsetzung gemacht wurden, und spezielle Fragestellungen, die sich in der Praxis ergeben. Von der EU-Lieferkettenrichtlinie hatten sich viele erhofft, dass sie den seit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bestehenden Wettbewerbsnachteil deutscher Unternehmen aufhebt. Dann kam plötzlich aus der Bundesregierung die Enthaltung, die das Inkrafttreten nun erst einmal verhindert. Während des Kongresses in Berlin sprachen Unternehmensvertreter allerdings auch über die umfassenden Berichtspflichten, die sich aus den Regelungen ergeben würden. Auch das Kartellrecht war Thema – hier allerdings ebenfalls im Zusammenhang mit ESG: Ungelöst bleibt nämlich grundsätzlich die Problematik, wie Wettbewerber im Sinne nachhaltiger Innovationen, die kostenintensiv sind, kooperieren könnten. Die seit dem Sommer des vergangenen Jahres existierenden neuen Horizontalleitlinien der EU-Kommission helfen in dem Zusammenhang nicht.

 

Alexander Pradka

Beitrag von Alexander Pradka

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