Gerade einmal zwei Monate lagen zwischen dem virtuellen Treffen und der ganz realen Zusammenkunft. Das erste fand noch online statt wegen einer Krise, die uns seit über zwei Jahren beschäftigt. Nun ist es nicht so, dass die Corona-Pandemie vorüber wäre, aber wohl niemand hätte Anfang des Jahres prophezeien können, dass nur so kurze Zeit später eine neue dramatische Entwicklung die Welt erneut aus den Fugen geraten lässt. Der völkerrechtswidrige, brutale Angriff Putins und seiner Gefolgsleute auf die Ukraine war auch beim General Counsel Kongress Gesprächsthema Nummer eins. Der Krieg hat Auswirkungen auf uns alle. Bei aller verständlicher Emotionalität gilt es für Unternehmen, sachlich und nüchtern Vertragsbeziehungen auf den Prüfstand zu stellen, die Fürsorge für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Fokus zu nehmen und Antworten auf die Frage zu finden, wie es weitergeht – aktuell, aber auch in Zukunft, wenn es zu einem Ende der Kriegshandlungen kommt. Ein „Weiter so“ wie vor dem Krieg kann es für keinen geben, für die Politik nicht, für die Wirtschaft nicht. Den Gesprächen und manchen Vorträgen war zu entnehmen, dass sich momentan die Rechtsabteilungen der Unternehmen und ihre Beraterinnen und Berater damit beschäftigen, ob und welche Lieferungen und Transaktionen möglicherweise sanktionsbehaftet sind, mit welchen Personen noch Geschäfte gemacht werden dürfen und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, wenn Verträge gekündigt beziehungsweise grundsätzlich mögliche Lieferungen gestoppt werden. Wie ist dem Themenkomplex Schadensersatz und Vertragsstrafen zu begegnen? Welche Alternativszenarien lassen sich entwickeln?
Dominante Digitalisierung
Doch so banal es klingen mag: Es muss weitergehen. Und so brach sich auch so etwas wie „Normalität“ seinen Bann und drängende Themen abseits der Krisen kamen zur Sprache. Zu diesen gehört – quasi als neuer „Evergreen“ – die Digitalisierung der rechtlichen Tätigkeit. Zentrale Fragestellungen in diesem Zusammenhang sind etwa: Wieviel Legal Tech ist in einem bisher stark auf persönlichen Beziehungen und Auseinandersetzungen basierenden beruflichen Umfeld eigentlich möglich? Wieviel ist aber auch nötig, um wachsenden Anforderungen mit schrumpfenden personellen und finanziellen Ressourcen zu begegnen? Spannend gestaltet sich dabei die Diskussion, welche Lösungen Unternehmen selbst „stricken“ können und an welchen Stellen es sinnvoll ist, auf die Kompetenzen und Produkte spezialisierter Anbieter zu setzen. Wie in so vielen anderen Bereichen auch, kristallisiert sich möglicherweise der gesunde Mix als der praktikabelste und effizienteste Weg heraus. Wo Digitalisierung eine Rolle spielt, ist die Cyberkriminalität – gleichsam als Kehrseite der Medaille – nicht weit. Auch wenn das keine ganz neue Geschichte ist: Unternehmen fragen danach, wie sie sich effektiv schützen können. Das betrifft bei weitem nicht nur Software, sondern reicht tief in die Bereiche Unternehmenskultur, Compliance und Governance hinein. Noch immer, rund zwanzig Jahre nachdem Internet und digitale Vernetzung laufen lernten und der E-Commerce richtig Fahrt aufnahm, scheint die Sensibilität für das Thema eher theoretischer Natur zu sein, sagen jedenfalls Experten.
ESG und Leadership
Ein weiteres, beherrschendes Thema der Branche setzt sich aus drei Buchstaben zusammen: ESG. Das steht für Environment, Social und Governance, also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Angesichts tatsächlicher – vor allem klimatischer – Entwicklungen und des wachsenden politischen wie öffentlichen Drucks kommt kein Unternehmen mehr umhin, ESG mit hoher Priorität auf die Agenda zu setzen. Das ist keine leichte Aufgabe, wie gerade ambitionierte Projekte in der Praxis zeigen. Insbesondere was die Umweltziele angeht, müssen diese ernst gemeint sein. Unternehmensjuristinnen und -juristen möchten sich nicht gemeinsam mit der Kommunikationsabteilung mit dem Vorwurf des „Greenwashing“ beschäftigen müssen. Aus einem Modebegriff ist eine ernst zu nehmende Bedrohung für das Image eines Betriebs geworden, die sich allerdings vermeiden lässt. Sicher scheint, dass sich diese Themen nur gemeinsam implementieren und langfristig stemmen lassen. Den Begrifflichkeiten hinter ESG ist die zwingend notwendige Mitnahme der Mitarbeitenden eines Unternehmens aber eigentlich ohnehin immanent. Was zum nächsten zentralen Bereich führt, der insbesondere General Counsel und Leiterinnen und Leiter von Rechtsabteilungen interessiert: Was heißt heute eigentlich „Führen“, was steckt hinter „Legal Leadership“? Auch dazu häufen sich Vorträge, Erkenntnisse, Diskussionen – da machte der erste deutsche General Counsel Kongress keine Ausnahme. Zu berücksichtigen sind dabei die Anforderungen des „New Work“, die Corona-Pandemie und Digitalisierung mit sich brachten. Daran lässt sich ablesen, dass bestimmte Bereiche verwoben sind und ineinandergreifen. Eine Krise zwingt zu neuen Wegen, beschleunigt Entwicklungen und verändert damit nachhaltig unsere Arbeitswelt. Und auch hier scheinen sogenannte Hybridmodelle die Oberhand zu gewinnen. Selbst Urskeptiker des mobilen Arbeitens oder gar des Home- Office freunden sich mehr und mehr mit dem Mix aus fruchtbarem Zusammenwirken im Büro und vertrauensbasiertem Tätigsein wo auch immer an.
Emanzipation der Rechtsabteilung
Eines ist auch sicher: Die Rechtsabteilungen deutscher Unternehmen emanzipieren sich. Sie möchten nicht mehr nur gerufen werden, wenn es Probleme gibt: Sie möchten nicht mehr die Abteilung sein, zu der niemand gerne geht, die sich überdies räumlich gut erkennbar, aber auch inhaltlich distanziert. Sie möchte Teil des Unternehmens sein, an der strategischen Entwicklung teilhaben, selbst für kreative Elemente sorgen, die einen Mehrwert stiften. Die interdisziplinär denkt und arbeitet, als mitentscheidende Schnittstelle zwischen den Abteilungen agiert. Das mag einer der Gründe dafür sein, warum Key Performance Indikatoren für die Rechtsabteilung an Wichtigkeit zunehmen: