Wer was an Gehalt bekommt, ist künftig kein Tabu mehr

Das Themenfeld Gehältergerechtigkeit und Gender Pay Gap ist nicht neu. Bisher sind viele Versuche gescheitert, die Situation zu verbessern. Mit der EU Pay Transparency Directive könnte ein Paradigmenwechsel eingeläutet sein – wenn auch in erster Linie wegen der angedrohten Konsequenzen bei Verstößen.
vom 20. Mai 2025
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Ein Abkommen über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit rief die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation bereits 1951 ins Leben. Hervorzuhebende Maßnahmen in der Bundesrepublik sind das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und zuletzt das seit 2017 in Kraft befindliche Entgelttransparenzgesetz. Erfolge blieben weitgehend aus. „Das deutsche Entgelttransparenzgesetz hat geringe Auswirkungen auf die Motivation, für mehr Gerechtigkeit beim Gehalt zu sorgen“, bestätigt Dr. Markus Diepold, Partner und Co-Head Employment and Labor Germany bei Dentons. Über Auskunfts- und Berichtspflichten und betriebliche Prüfverfahren sollte mehr Transparenz über Gehaltsstrukturen gewonnen werden, was dann in einer gerechten Bezahlung münden sollte. „Das Ziel des Auskunftsanspruchs ist aber schon limitiert“, schränkt Diepold ein. Seit Anfang Januar 2018 können Beschäftigte Auskunft verlangen zum durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelt einer Vergleichsgruppe – im Median – und zu zwei einzelnen Entgeltbestandteilen. Der Median allein hat keinen großen Nutzen. Außerdem besteht keine Verpflichtung, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die Existenz des Anspruchs hinzuweisen, viele wissen davon gar nichts. Schwellenwerte sorgen zusätzlich dafür, dass das Gesetz weitgehend ins Leere läuft. Isabelle Puhl, Counsel bei Dentons, konkretisiert: „Den Auskunftsanspruch gibt es nur in Betrieben ab 200 Mitarbeitern und die Vergleichsgruppe muss sechs Kollegen oder Kolleginnen des anderen Geschlechts zählen.“ Sehr viele Unternehmen fallen aus dem Anwendungsbereich heraus, die praktische Relevanz des Anspruchs ist also bestenfalls als gering zu bezeichnen. Eine Pflicht, Vergütungsordnungen oder Regelungssysteme im Hinblick auf das Arbeitsentgelt einzuführen, sieht das aktuelle Entgelttransparenzgesetz nicht vor. Nun also der Vorstoß aus der EU: Bis 2026 hat der deutsche Gesetzgeber Zeit, die EU Pay Transparency Directive in deutsches Recht umzusetzen und das vorhandene Gesetz umzubauen. Noch ist offen, ob die Bundesrepublik dieses Mal die Umsetzungsfrist einhält oder wie so oft nicht rechtzeitig ein eigenes Gesetz zustande bekommt. Einen deutlichen Hinweis zur Einführung diskriminierungsfreier Entgeltsysteme bekamen Unternehmen allerdings im Februar 2023 bereits aus der Rechtsprechung. Da entschied das Bundesarbeitsgericht über einen Fall, in dem eine Frau Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie ein männlicher Kollege erhoben hatte, bei gleicher Tätigkeit und offensichtlich gleicher Eignung. Lapidare Begründung des Arbeitgebers für seine Ablehnung einer Anpassung: Der männliche Kollege habe eben besser verhandelt. „Genau diese unbewusste Voreingenommenheit gegenüber Frauen soll beseitigt werden und dieses vermeintliche Argument hat das Bundesarbeitsgericht sehr schlüssig entkräftet“, berichtet Puhl. „Bei der Prüfung der Beweislast hat der Senat ausgeführt, dass der Beweis eines diskriminierungsfreien Entgeltsystems nur gelingen kann, wenn ein solches vorhanden ist. Dieses Urteil hat seinerzeit aber nicht in adäquater Weise für Aufmerksamkeit gesorgt.“ Tarifgebundene Unternehmen verfügen über solche Entgeltsysteme, teilweise auch Unternehmen mit Betriebsräten, die solche Vergütungsordnungen ausgehandelt haben. Aber sehr viele Unternehmen stehen noch vor der Etablierung solcher Strukturen.  

 

Ende der frei verhandelbaren Gehälter?

Die EU Pay Transparency Directive verpflichtet sie jetzt dazu. Neben umfassenden Informationspflichten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und korrespondierenden Auskunftspflichten für Arbeitgeber sieht sie standardisierte Prüfverfahren für Gehaltsstrukturen vor. Regelverstöße werden künftig mit Bußgeldern belegt. „Die Richtlinie sieht in wesentlich größerem Umfang Maßnahmen zur Entgeltangleichung vor“, sagt Puhl. „Darauf sollten Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber vorbereitet sein.“ Erste Veränderungen werden sich schon im frühen Stadium des Bewerbungsverfahrens bemerkbar machen. Puhl führt weiter aus: „Ein Bewerber kann künftig anders als früher aktiv vom Unternehmen die Offenlegung von Strukturen verlangen. Bisher war es in der Regel so, dass er auf die entsprechende Frage hin eigene Vorstellungen preisgeben sollte, ohne eine Idee zu haben, was er tatsächlich verlangen kann.“ Diepold weist auf eine weitere, entscheidende Veränderung im Zusammenhang mit dem Auskunftsbegehren hin: „Arbeitgeber müssen in Zukunft ihre Angestellten jährlich darauf hinweisen, dass sie Auskunft über die Gehaltsstrukturen verlangen können.“ Außerdem beträfe das die durchschnittliche Entgelthöhe, zudem aufgeschlüsselt nach Geschlecht, also nicht mehr den Median. Damit reicht der Auskunftsanspruch auch inhaltlich deutlich weiter. Arbeitgeber müssen die Angaben schriftlich machen. Jetzt ist das Vorhalten eines transparenten Vergütungssystem gesetzlich fixiert. Alle ein bis drei Jahre müssen Arbeitgeber über das Lohngefälle zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Bericht erstatten – wie oft genau, hängt von der Anzahl der Mitarbeiter ab. Ab fünf Jahre nach der Umsetzung besteht die Pflicht für alle Unternehmen ab einer Mitarbeiterzahl von 100. Diepold sagt, dass sich hier zumindest schlagwortartig durchaus vom „Ende der frei verhandelbaren Gehälter“ sprechen lässt. Bisher haben Vorschriften rund um die Entgeltgerechtigkeit kaum für Veränderungen sorgen können, auch nicht im Hinblick auf eine neue Unternehmenskultur. „Eine große Schwäche des noch gültigen Entgelttransparenzgesetzes ist, dass es immer eine mutige Frau geben muss, die vorangeht und auf Auskunftserteilung pocht“, berichtet Puhl. Den Mut aufzubringen, setzt eine bestimmte Umgebung im Betrieb voraus, die häufig nicht da ist. „Die Umsetzungsmaßnahmen führen dazu, dass das Thema künftig dauerhaft in den Rechts- und Personalabteilungen präsent ist – und die Berichtspflichten erinnern fortwährend daran, Maßnahmen für gerechte Gehälter zu treffen. Wir werden eine neue Selbstverständlichkeit erleben.“ Zu Veränderungen der Unternehmenskultur könnten auch die Quotenregelungen aus dem Führungspersonengesetz beitragen. Die nackten Statistiken geben das zwar nicht her. Puhl vermutet indes, dass mehr Frauen in Führungspersonen auch Themen wie Entgelttransparenz und Gehältergerechtigkeit vorantreiben. „Zunehmend erlebe ich Frauen in Führungspositionen, die sich sehr dezidiert dafür einsetzen und das auf die eigene Agenda schreiben.“ Diepold schwächt in der Hinsicht die Hoffnungen etwas ab – zum einen sei die Zahl der Unternehmen mit einer solchen Regelung begrenzt. Zum anderen sei es nicht Aufgabe des Vorstands, sich um die Gehälter in allen Unternehmensbereichen zu kümmern. Seiner Meinung nach werden vor allem die Sanktionsandrohungen für ein verändertes Verständnis sorgen. Neben Bußgeldern drohen Einträge im Gewerbezentralregister und Ausschlüsse bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, nicht zuletzt verbunden mit einem Reputationsverlust. „Ähnliches haben wir im Datenschutzrecht schon erlebt“, sagt er. „Erst als die Datenschutzgrundverordnung mit ihrem Sanktionskatalog kam, haben die Unternehmen wirklich angefangen, sich so intensiv wie notwendig mit dem Datenschutz zu beschäftigen.“ Alexander Pradka

Beitrag von Alexander Pradka

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