Wenn auf Worte Regeln folgen

Lange Zeit war der Umweltschutz vor allem im öffentlichen Recht verortet. Inzwischen gibt es auch Ansätze im Zivilrecht –etwa im Gesellschaftsrecht. Das bekannteste Beispiel für die Verankerung der Nachhaltigkeit im Gesellschaftsrecht ist das neue Lieferkettengesetz. Die EU will bis 2050 klimaneutral sein und schafft den für eine nachhaltigere Wirtschaft erforderlichen Rechtsrahmen.
vom 19. Februar 2022
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So hat die Kommission ihren Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz am 23. Februar veröffentlicht. Außerdem soll im Zuge der Sustainable Corporate Governance Initiative der EU-Rechtsrahmen für Gesellschaftsrecht und Corporate Governance verbessert werden. Die Veröffentlichung des Vorschlages für diese Richtlinie stand ebenfalls noch im Februar auf dem Programm. In Planung ist die Verabschiedung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) im Oktober. Ein weiteres wichtiges Thema für die Wirtschaft ist Corporate Social Responsibility (CSR) als Grundsatz unternehmerischer Verantwortung. Wie groß die Bandbreite der in diesem Kontext auftretenden Fragestellungen ist, berichtet Prof. Dr. Birgit Spießhofer, Europe Chief Sustainability und Governance Counsel bei der Wirtschaftskanzlei Dentons sowie Honorarprofessorin für Öffentliches Recht, insbesondere Wirtschaftsrecht und Unternehmensethik an der Universität Bremen: Diese reichten von der umfassenden Beratung bei der Aufstellung und Umsetzung einer Nachhaltigkeitsstrategie, über das Entwerfen von ESG- und Menschenrechtspolicies und Lieferantenkodizes und deren Umsetzung bis hin zu Verträgen und Green Bonds. Hinzu komme unter anderem die Beratung zu Ratings, Taxonomie und CSRReportings ebenso wie zu Lieferkettensteuerung, Climate Litigation, NGO-Kampagnen, ESG-Trainings und Monitoring der Entwicklung in mehreren Jurisdiktionen.

KURZINTERVIEW MIT:

Prof. Dr. Anne-Christin Mittwoch,

Professorin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg

Frau Prof. Mittwoch, im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ist die GmbH mit gebundenem Vermögen (GmbHgV) als Rechtsform vorgesehen. Wie ist da derzeit der Sachstand?

 

Anne-Christin Mittwoch: Neben einer Strategie für Sozialunternehmen will die Ampelkoalition für Unternehmen mit gebundenem Vermögen eine neue, geeignete Rechtsgrundlage schaffen. Eine spezifische Rechtsform benennt der Koalitionsvertrag jedoch nicht. Es ist daher offen, ob der akademische Entwurf eines Gesetzes für eine GmbHgV in die Tat umgesetzt werden wird oder ob sich andere Lösungen, wie ein Zertifizierungsregime als Alternative oder Zusatz zu einer eigenen Rechtsform durchsetzen. In der Diskussion wird insoweit auf die US-amerikanische Label-Lösung einer Certified B-Corp hingewiesen, die ihrerseits mit einer eigenen Rechtsform, der Benefit Corporation, kombinierbar ist.

Für wen wäre eine solche Rechtsform interessant?

 

Anne-Christin Mittwoch: Ein eigener rechtlicher Status ist für Sozialunternehmen interessant, da sie Gewinnerzielung und Gemeinwohlorientierung kombinieren und dies dem Markt auch glaubwürdig signalisieren möchten. Eine eigene rechtliche Identität wirkt Greenwashing entgegen und erleichtert die Berücksichtigung der Unternehmen für weitergehende (begünstigende) Zwecke, etwa mit Blick auf Steuer-, Vergabe- und Wettbewerbsrecht. Eine GmbHgV erleichtert die Unternehmensnachfolge an Nicht-Familienmitglieder und verhindert eine Zerschlagung von Unternehmen durch exitorientierte Investoren. Eine Weitergabe des Unternehmens beziehungsweise seiner Anteile soll nur nach Fähigkeit und innerhalb einer „Werteverwandtschaft“ möglich sein, was sowohl für Start-ups als auch für Familienunternehmen interessant sein kann.

Gibt es im geltenden Gesellschaftsrecht keine adäquate Rechtsform für Sozialunternehmer mit „Social Purpose“?

 

Anne-Christin Mittwoch: Sozialunternehmen verfolgen neben der Gewinnerzielung ökologische und/oder soziale Zwecke. Die existierenden gemeinnützigen Kapitalgesellschaften, gAG und gGmbH, entsprechen insoweit nicht ihren Bedürfnissen, da sie zwar steuerliche Vorteile gewähren, ihre Erträge jedoch nur für steuerlich begünstigte Zwecke verwendet werden dürfen – die Erzielung von Gewinnen ist nicht möglich. Dadurch sind sie für Sozialunternehmen ungeeignet. Die GmbHgV bewirkt einen „Capital Lock“ das heißt weder laufende Gewinne noch Wertsteigerungen dürfen an Gesellschafter ausgeschüttet werden. Der flankierende „Shareholder Lock“ bewirkt, dass Anteile nur an natürliche Personen, GbR, GmbHgV oder Rechtsformen mit vergleichbarer Vermögensbindung übertragbar sind. Dies lässt sich auf Grundlage des geltenden Gesellschaftsrechts nicht ohne Weiteres erreichen. Nur die Stiftung erlaubt derzeit eine dauerhafte Vermögensbindung. Die „Stiftungslösung“ empfinden Unternehmer indes als kompliziert und unattraktiv.

Wie groß schätzen Sie die Nachfrage ein?

 

Anne-Christin Mittwoch: Generell lässt sich feststellen, dass Unternehmen der Privatwirtschaft zunehmend Nachhaltigkeitsbelange in ihre Geschäftsmodelle integrieren und die Nachfrage nach entsprechender Signalwirkung am Markt in den letzten Jahren erheblich gestiegen ist. Speziell für die GmbHgV hat das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Stiftung Verantwortungseigentum eine repräsentative Umfrage unter 417 Inhabern und Geschäftsführerinnen mittelständischer Familienunternehmen durchgeführt. Danach konnten sich immerhin 42 Prozent der Befragten vorstellen, ihr Unternehmen in Verantwortungseigentum fortzuführen beziehungsweise. zu übergeben.

Welche Nachteile sehen Sie?

 

Anne-Christin Mittwoch: Es wurde bereits auf verschiedene mögliche Risiken der GmbHgV hingewiesen, dies vor allem in Bezug auf das Pflichtteils-, Güter- und Steuerrecht. Mit Blick auf die Thematik der Nachhaltigkeit besteht der Nachteil, dass die GmbHgV Unternehmer keinesfalls auf Nachhaltigkeitsbelange verpflichtet. Weder haben Geschäftsleiter soziale oder ökologischer Belange zu wahren, noch ist eine Anerkennung der planetaren Grenzen vorgesehen. Trotz der generationenübergreifenden Ausrichtung kann sich ein in der Rechtsform der GmbHgV verfasstes Unternehmen auch unnachhaltigen Zwecken widmen beziehungsweise unter Verletzung von Nachhaltigkeitsbelangen am Markt agieren. Ein sicheres Vehikel zur Förderung nachhaltigen Wirtschaftens bietet der Gesetzesvorschlag daher bislang nicht.

Claudia Behrend

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„Von zunehmender Bedeutung sind die transnational relevanten Aspekte der Menschenrechte und des Klimaschutzes, insbesondere ihre Durchsetzung in Lieferketten, und das Thema ESG-kompatible Finanzierung und Investitionen.“

Prof. Dr. Birgit Spießhofer, Wirtschaftskanzlei Dentons

Dabei handele es sich es sich nicht nur um börsennotierte Unternehmen mit über 500 Beschäftigten, die in Europa eine Erklärung abgeben müssen. Es kämen auch größere Mittelständler, die in den Lieferketten berichtspflichtiger Unternehmen sind, auf die Kanzlei zu, die mit deren Anforderungen im Rahmen von deren Lieferkettenmanagement oder mit ESGForderungen von Banken und Investoren konfrontiert sind oder sich nachhaltig aufstellen wollen. „Zudem fragen auch Banken und Investoren wie auch Unternehmensverbände, ausländische Regierungen und außereuropäische Unternehmen nach unserer Beratung“, so Spießhofer.

 

„Von zunehmender Bedeutung sind die transnational relevanten Aspekte der Menschenrechte und des Klimaschutzes, insbesondere ihre Durchsetzung in Lieferketten, und das Thema ESG-kompatible Finanzierung und Investitionen.“

 

Auf internationaler Ebene erwartet Spießhofer eine Konvergenz der Vielzahl von Standards hin zu einer Vereinheitlichung. „Bestes Beispiel ist die Gründung des ISSB (International Sustainability Standards Board) in Frankfurt am Main zur globalen Vereinheitlichung der nicht-finanziellen Reporting Standards“, so die Rechtsanwältin. „Auf europäischer Ebene erwarte ich eine zunehmende Verrechtlichung und Ausformulierung beispielsweise im Rahmen der neuen Corporate Sustainability Reporting Richtlinie, des Green New Deal, der Taxonomie und der angekündigten Lieferkettenregulierung.“ Diesen europäischen Ansatz sehe sie allerdings ambivalent: „Einerseits schafft die Regulierung Klarheit, andererseits wird eine sehr dynamische Entwicklung fixiert und es werden Dilemmata beispielsweise hinsichtlich der Kontrolle von Lieferketten in China geschaffen, die Unternehmen nur schwer lösen können“, unterstreicht Spießhofer.

 

Wenn sich ein Unternehmen nachhaltig aufstellen möchte, ist das allerdings gar nicht so einfach. Denn „eine allgemein gültige Definition von ‚Nachhaltigkeit‘ gibt es nicht“, erläutert Katharina Ivic, Rechtsanwältin bei CMS in Stuttgart. Hier wäre gegebenenfalls die Kreativität des Gesetzgebers gefragt. Wichtig sei allerdings zunächst der Entschluss des Unternehmens, sich „nachhaltig“ aufzustellen. Allerdings: „Ein guter Vorsatz allein genügt aber nicht – auf Worte müssen Taten folgen“, so Ivic. „Dies erfordert eine Analyse des Geschäftsmodells, die Abwägung von Chancen und Risiken und die Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien, unabhängig davon, ob die Gesellschaft neu gegründet wird oder sich im Nachgang zur Nachhaltigkeit ‚bekennt‘.“ Wichtig sei dabei, dass Unternehmen eine gewisse Glaubhaftigkeit betreffend ihres nachhaltigen Konzepts vermitteln.

 

Die Nachhaltigkeit kann im Gesellschaftsvertrag festgeschrieben werden: „Denkbar ist diese Implementierung im Gesellschaftszweck, im Unternehmensgegenstand, in der Berücksichtigung von ESG in der Finanzplanung oder in der Pflicht zur Investition von Gewinnen in soziale Projekte“, erläutert Julia Fünfgeld, Rechtsanwältin bei CMS in Stuttgart. Grundsätzlich verpflichte die Implementierung von Nachhaltigkeitsaspekten im Gesellschaftsvertrag die Geschäftsführung zur Einhaltung der dort definierten Ziele: „Je genauer die Parameter und Ziele der Gesellschaft in dem Gesellschaftsvertrag definiert sind, desto klarere Leitlinien bestehen für die Geschäftsführung“, so Fünfgeld.

 

Wenn sich ein Unternehmen im Rahmen seines Unternehmensgegenstandes dazu verpflichtet hat, „nachhaltig“ zu handeln, hat das natürlich Rechtsfolgen: „Hält die Unternehmensleitung die Vorgaben des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstands nicht ein, so sind die Maßnahmen pflichtwidrig“, betont Ivic. „Sind die pflichtwidrigen Maßnahmen kausal für einen Schaden des Unternehmens, könnte die Unternehmensleitung hierfür in Anspruch genommen werden. Zudem droht der Unternehmensleitung eine Abberufung.“

 

Bei der Ausgestaltung der Gesellschaftsverfassung zwischen den beiden Kapitalgesellschaftstypen ist die unterschiedliche gesetzliche Konzeption zu berücksichtigen: „Im GmbHGesetz gilt weitgehend Gestaltungsfreiheit, wohingegen im Aktienrecht nach § 23 Absatz 5 AktG die sogenannte ‚Satzungsstrenge‘ gilt“, erläutert Ivic. So könnten zum Beispiel im Gesellschaftsvertrag einer GmbH Geschäftsführungsmaßnahmen, die mit dem Thema „Nachhaltigkeit“ zusammenhängen, der Gesellschafterversammlung zugewiesen werden. Bei Aktiengesellschaften ist das nicht möglich.

Claudia Behrend

Beitrag von Alexander Pradka

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