Mit der DSVO schließt die EU eine Regelungslücke. Sie erfasst damit diejenigen Fälle, die weder durch die Fusionskontrollverordnung, noch das europäische Beihilfenrecht abgedeckt sind. Die Fusionskontrolle verhindert, dass Unternehmen durch Zusammenschlüsse oder Übernahmen eine marktbeherrschende Stellung erlangen. Sie hat damit den grundsätzlichen und langfristigen Schutz des Wettbewerbs in den von der Transaktion betroffenen Märkten im Blick. Die DSVO schützt demgegenüber den EU-Binnenmarkt, indem drittstaatliche Begünstigungen sich im Rahmen von M&A-Transaktionen und öffentlichen Vergabeverfahren nicht wettbewerbsverzerrend auswirken. „Es soll nicht dazu kommen, dass Bewerber im Vergabeverfahren die ausgeschriebene Leistung zu einem besonders niedrigen Preis anbieten oder bei einem Unternehmenserwerb einen besonders hohen Kaufpreis bieten, weil sie dies durch drittstaatliche Subventionen querfinanzieren können und so gegenüber dem Wettbewerb bessere Chancen auf den Zuschlag haben“, konkretisiert Dr. Nicolaus Ehinger, Leiter Legal, Compliance & Insurance bei der Salzgitter AG. Er weist darauf hin, dass derartige Zuwendungen EU-Unternehmen ebenso erhalten können wie Nicht-EU-Unternehmen: „Es ist daher eine nach wie vor verbreitete Fehlvorstellung, dass EU-Unternehmen von der DSVO nicht betroffen wären und die durch sie neu eingeführten Verpflichtungen sie nicht berührten.“ Unter bestimmten Voraussetzungen knüpft die DSVO an Transaktionen beziehungsweise an die Teilnahme von Bieterverfahren eine Anmeldepflicht, damit die EU-Kommission die Vorgänge prüfen kann. Im Fall eines Zusammenschlusses oder einer Übernahme besteht diese, wenn das Zielunternehmen in der EU niedergelassen ist und im Vorjahr einen Umsatz von mindestens 500 Millionen Euro gemacht hat und die beteiligten Unternehmen in den letzten 36 Monaten drittstaatliche Zuwendungen in Höhe von 50 Millionen Euro erhalten haben. Bei den öffentlichen Vergabeverfahren muss angemeldet werden, wenn der Auftragswert 250 Millionen Euro übersteigt und der Bieter in den letzten drei Geschäftsjahren drittstaatliche finanzielle Zuwendungen von insgesamt mindestens vier Millionen Euro von einem einzelnen Drittstaat erhalten hat. „Zum Bieter im Sinne der DSVO gehören auch mit ihm verbundene Unternehmen wie etwa unselbstständige Tochtergesellschaften und Beteiligungsgesellschaften sowie unter Umständen sogar Hauptunterauftragnehmer und Hauptlieferanten“, warnt Dr. Jonas Brueckner, Partner bei der KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft. Grundsätzlich liegen die Schwellenwerte also recht hoch, es sind große, öffentlichkeitswirksame Transaktionen betroffen. In Kombination mit der Zeitdauer von drei Geschäftsjahren könnten aber auch zum heutigen Zeitpunkt kleinere Unternehmen plötzlich betroffen sein, „nicht immer ist vorherzusehen, ob die Regelungen nicht doch Relevanz für den eigenen Betrieb bekommen“, so Brueckner weiter. Schwierigkeiten bereitet der in der DSVO und deren Genese sehr weit gefasste Begriff der finanziellen Zuwendung.
Viele offene Rechtsbegriffe
„Diese sind etwas anderes als Subventionen, auf deren Vorliegen es erst im Rahmen der materiellen Prüfung durch die EU-Kommisson ankommt“, erklärt Ehinger. Zu den Zuwendungen gehören offensichtliche Vergünstigungen wie staatliche Zuschüsse, Kredite – möglicherweise niedrig verzinst –, Kreditgarantien und Steuerbefreiungen sowie der Verzicht auf sonst fällige Einnahmen. David Deutsch, Leiter Konzernabteilung Recht bei der Hochtief Aktiengesellschaft, ergänzt: „Auch die staatliche Gegenleistung im Zusammenhang mit einem Austauschgeschäft über Waren und Dienstleistungen zählt dazu. Angenommen, ein Bauunternehmen realisiert in einem Nicht-EU-Staat ein größeres Infrastrukturprojekt für eine staatliche Einrichtung: Dann dürfte das an das Unternehmen gezahlte Entgelt für die Projektrealisierung eine Zuwendung im Sinne der Verordnung darstellen.“ Unklar ist seiner Ansicht nach, ob für den Umfang der finanziellen Zuwendung auf den Gesamtwert des Austauschverhältnisses oder auf die Differenz zum objektiven Verkehrswert der Leistung abzustellen ist. „Sachgerecht erscheint es uns, auf die Differenz abzustellen, aber die DSVO bietet hier keine abschließende Regelung. Es entstehen damit schon große Probleme, überhaupt zu identifizieren, was für die Meldepflichten relevant ist“, bemängelt Deutsch. Auch der Begriff der Beteiligungsgesellschaften ist nicht eindeutig – wenn bei der Betrachtung die diversen Sprachfassungen der DSVO zugrunde gelegt werden. „Es macht einen enormen Unterschied, ob neben der am Vergabeverfahren beteiligten Gesellschaft selbst auch Mutter- und Großmuttergesellschaften oder Schwestergesellschaften als Adressaten finanzieller Zuwendungen zu berücksichtigen sind oder lediglich reine Holdinggesellschaften. Für beide Interpretationen gibt es Anhaltspunkte, wobei wir bei Hochtief – gestützt auf den englischen und französischen Wortlaut der entsprechenden DSVO-Fassungen – zunächst von einer engen Auslegung ausgehen, also den Fokus auf Holdinggesellschfaften legen.“ Sicher ist: Unternehmen stehen vor einem erheblichen Aufwand, all das zu erfassen, was zu den finanziellen Zuwendungen gehört. „Nicht die anlassgetriebenen Schwellenwerte sorgen für den bürokratischen Aufwand, sondern die Notwendigkeit, Gewissheit darüber zu haben, ob überhaupt der Anwendungsbereich im Fall eines solchen Anlasses eröffnet sein kann“, meint KPMG-Anwalt Brueckner. Das Zusammentragen der Daten, um festzustellen, ob überhaupt der Anwendungsbereich eröffnet ist, erzeugt wesentlich mehr Aufwand als das, was letztlich der Kommission gemeldet werden muss, das ist nur ein kleiner Ausschnitt. „Das ist fast schon ein bisschen absurd“, so Brueckner. Auch Nicolaus Ehinger sieht wegen der Weite und Unschärfe des Begriffes der finanziellen Zuwendungen eine „massive Herausforderung“ auf die Anwender zukommen, „zumal die Informationen darüber – anders als etwa die für die Fusionskontrollanmeldungen relevanten Umsatzzahlen je Land – bislang in kaum einem Unternehmen zentral erfasst sein dürften.“ Es werde künftig darum gehen, einer Vielzahl von Nicht-Juristen in allen möglichen Ländern und möglichweise nicht nur im eigenen Konzern zu erklären, was die DSVO unter finanziellen Aufwendungen versteht. „Und die so Aufgeklärten müssen dann zusammentragen, was die letzten drei Jahre an finanziellen Zuwendungen durch Drittstaaten zusammengekommen ist“, so der Leiter Legal der Salzgitter AG.
„Die DSVO stellt einen signifikanten Schritt der EU dar, um einen fairen und chancengleichen Wettbewerb sicherzustellen.“
David J. Deutsch
Leiter Konzernabteilung Recht,
Hochtief Aktiengesellschaft
Beträchtliche Rechtsfolgen bei Verstößen
Rechts- und Complianceabteilungen müssen „nah am Business sein“, so David Deutsch, um im Konzern die richtigen Fragen zu stellen und die Meldepflichten hieb- und stichfest zu erfüllen. Je nachdem, wie weit bei der Prüfung die Vorgaben ausgelegt werden, müssen sie Verträge und Zahlungsströme prüfen, „die sie vorher nicht zu Gesicht bekommen hätte.“ Er stellt außerdem die Frage: „Wer außer der Rechtsabteilung gibt final das ‚Go‘ für die Geschäftsleitung? Die Rechtsabteilung muss also zwingend alle relevanten wirtschaftlichen Informationen zusammentragen, um hier sicher zu entscheiden.“ Diese Verantwortung zu übernehmen, sei eine große Herausforderung. Ist der Anwendungsbereich eröffnet, herrscht während der Prüfphase der EU-Kommission ein Vollzugsverbot. Noch fehlen Erfahrungswerte ob der Dauer des Prüfverfahrens – es kann jederzeit zu Nachfragen kommen, die dann weitere Verzögerungen nach sich ziehen. Eine gewisse Orientierung bieten die Vorgaben für die Prüfung der finanziellen Zuwendungen seitens der EU-Kommission. Grundsätzlich hat die EU-Kommission im Falle einer Transaktion spätestens 25 Arbeitstage, bei Vergabeverfahren 20 Arbeitstage nach Eingang einer vollständigen Meldung eine Vorprüfung durchzuführen. Letztere kann in begründeten Fällen einmalig um weitere zehn Arbeitstage verlängert werden. Kommt die EU-Kommission zu dem Ergebnis, dass hinreichende Anhaltspunkte für eine wettbewerbsverzerrende drittstaatliche Subvention vorliegen, kommt es zu einer eingehenden Prüfung, die im Falle von M&A innerhalb von 90 Arbeitstagen, in Vergabeverfahren innerhalb von 110 Arbeitstagen nach Übermittlung einer vollständig aktualisierten Meldung abzuschließen ist. Letztere kann im Einzelfall um weitere 20 Arbeitstage verlängert werden. Dass das abschreckend auf Vorhaben wirkt, weil sich ein Unternehmen keine längeren Hängepartien erlauben will, glauben beide Unternehmensjuristen nicht. „Ich gehe nicht davon aus, dass Transaktionen wegen der Prüffristen der Kommission unterbleiben“, äußert Ehinger. Und auch Deutsch hat nicht die Sorge, dass Unternehmen sich nicht mehr an Ausschreibungen beteiligen, weil die Kommission die Ausführung möglicherweise verzögert. Er sagt aber auch, dass vieles davon abhängt, „wie die ersten Fälle laufen werden und welche Prüfpraxis sich einstellen wird.“ Prüfen kann die Kommission übrigens auch auf Eigeninitiative, sie kann dann eine Marktuntersuchung initiieren. Wie das das Team in Brüssel schaffen soll, ist allerdings fraglich. Brueckner geht davon aus, dass es einerseits öffentliche Quellen nutzen wird, andererseits aber auch Informationen am Markt einkauft. Zu den zugänglichen Quellen gehören beispielsweise Geschäftsberichte und das Agieren von Unternehmen am Markt. Kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass binnenmarktverzerrende Wirkungen drittstaatlicher Subventionen vorliegen, kann sie eine Transaktion untersagen. „Sind anmeldepflichtige Zusammenschlüsse bereits vollzogen, kann sie die Rückgängigmachung und Auflösung verlangen – gegebenenfalls muss dann auch alles wieder auseinanderdividiert werden“, erläutert Brueckner. „Kommen Unternehmen den Pflichten aus der DSVO nicht nach, kommt eine Geldbuße in Betracht.“ Die kann bis zu zehn Prozent des jährlichen Gesamtumsatzes eines Unternehmens erreichen. Auch eine Geldstrafe kann verhängt werden, der Höhe nach bis zu einem Prozent des weltweiten Umsatzes – beziehungsweise regelmäßige Strafzahlungen von bis zu fünf Prozent des durchschnittlichen täglichen Gesamtumsatzes für jeden Arbeitstag der Verspätung.
„Der wirkliche Schmerz der Adressaten der
DSVO liegt in der Ermittlung der Anmeldepflicht und dem Zusammentragen all dessen, was eine finanzielle Zuwendung seitens eines
Drittstaates darstellt.“
Dr. Nicolaus Ehinger
Leiter Legal, Compliance & Insurance, Salzgitter AG
Aufgaben der Rechtsabteilung
Legal- und Compliance-Departments tun gut daran, die künftigen Entwicklungen und die Entscheidungspraxis der EU-Kommission im Auge zu behalten „und das vorhandene Fachwissen in den Departments stetig zu erweitern“, rät Deutsch. „Eine gut organisierte Zusammenarbeit sowie eine abgestimmte Kommunikationsstrategie zwischen den Legal- und Compliance-Departments innerhalb des Konzerns ist dafür unerlässlich.“ Nicolaus Ehinger ergänzt: „Im ersten Schritt ist zu prüfen, wie wahrscheinlich es ist, beziehungsweise wie häufig es vorkommt, dass das Unternehmen in den Anwendungsbereich der DSVO fällt.“ Von den Erkenntnissen dieser Vorüberlegungen hänge der nächste Schritt ab: „Wird die DSVO regelmäßig Relevanz entfalten, sollte ein System zur laufenden Erfassung aller finanziellen Zuwendungen durch Drittstaaten etabliert werden.“ Die Ad-hoc-Erfassung ist zwar ebenfalls eine Option, wenn auch nicht die beste, dafür wird beim geforderten Umfang in aller Regel die Zeit fehlen, unter Berücksichtigung des Aufwands. „Fehlt es an klaren Aussagen zu den drittstaatlichen Zuwendungen, wird im Falle einer Transaktion ein potenzieller Käufer gegenüber dem Target auf das Risiko der schwebenden Unwirksamkeit hinweisen und entweder vom Geschäft Abstand nehmen oder zumindest eine Abbildung des Risikos im Kaufpreis verlangen“, versichert Brueckner. Denkbar ist zudem die Aufnahme entsprechender Vertragsstrafen. Welche Änderungswünsche gibt es? Deutsch: „Aus Rechtsanwendersicht wäre es hilfreich gewesen, wenn offene Rechtsbegriffe konkretisiert und Auslegungshilfen an die Hand gegeben worden wären.“ Wobei er konstatiert, dass die „Komplexität der Thematik und die Vielgestaltigkeit der der DSVO zugrundeliegenden Sachverhalte eine passgenaue Definition vieler offener Rechtsbegriffe erheblich erschweren.“ Ehinger bezieht sich auf die Anmeldepflicht: „Die sollte nur dann bestehen, „wenn Subventionen in zu definierender Höhe vereinnahmt worden sind. Die materielle Prüfung seitens der Kommission sollte sich dann auf deren wettbewerbsverzerrende Wirkung beschränken.“
■ Alexander Pradka