Über den Erwartungen, aber unter den Möglichkeiten

Die Staatengemeinschaft hat einer neuen Weltsteuerordnung den Weg bereitet. Das Herzstück ist eine globale Mindeststeuer. Die Architekten der Reform versteigen sich in Superlativen. Experten monieren dagegen Kleinmut und mangelnden Ehrgeiz. Die Unternehmen dringen vor allem auf eine rasche Klärung wichtiger Detailfragen.
vom 8. Januar 2022
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Im vergangenen Herbst hatten die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer auf ihrem Gipfel in Rom formell der wenige Wochen zuvor beschlossenen Reform der globalen Steuerregeln zugestimmt. Deren Ziel ist es, durch eine Neuverteilung des Steueraufkommens aus Unternehmensgewinnen für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen. Eine Mindeststeuer soll zudem verhindern, dass Gewinnerträge in Steueroasen verlagert werden.

 

Gerade für letztere hatte sich der frisch gekürte Bundeskanzler Olaf Scholz, damals noch als Bundesfinanzminister im Kabinett von Angela Merkel, vehement eingesetzt. „Insbesondere die Zustimmung der Staaten der Europäischen Union ist ein großer Erfolg und wird dafür sorgen, dass die Reform rasch EU-weit umgesetzt werden kann“, erklärte Scholz zum Abschluss des „G20“-Gipfels Ende Oktober. Immens war die Euphorie, vom Durchbruch die Rede und gar von einer „historischen Einigung“.

KREATIVE STEUERGESTALTUNG UND „RACE-TO-THE-BOTTOM“ DAUERHAFT BEENDEN

 

136 der 140 in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vertretenen Staaten hatten die Regelung zuvor auf Ministerebene abgenickt. Diese Länder machen zusammen gut 90 Prozent der Weltwirtschaftsleistung aus. Mit dabei sind auch bekannte Steuerdumpingländer wie die Cayman-Inseln und Länder wie Irland, die sich angesichts ihrer niedrigen Steuersätze bis zuletzt sträubten. Nur Kenia, Nigeria, Pakistan und Sri Lanka schlossen sich der Reform vorerst nicht an.


Die OECD rechnet allein durch die Mindeststeuer mit 150 Milliarden Dollar (etwa 130 Milliarden Euro) Mehreinnahmen weltweit. Deutschland darf nach Berechnungen des Bundesfi-nanzministeriums (BMF) in einer ersten Phase auf bis zu 7,8 Milliarden Euro hoffen. Bei der Beurteilung der Ergebnisse sei unter anderem wichtig, dass es bei der globalen Mindestbe-steuerung nicht nur um zusätzliche Steuereinnahmen gehe, sondern um die Wahrung der Steuergerechtigkeit, betont eine BMF-Sprecherin. Konzerne sollten sich „nicht länger durch kunstvolle Gestaltungen der Besteuerung entziehen“ können, so die Sprecherin, die Steuersätze für Unternehmen nicht länger „ins Bodenlose sinken“. Dieses „race-to-the-bottom“, bei dem am Ende alle verlören, solle durch die Reform dauerhaft beendet werden – „damit beseitigen wir gleichzeitig unfaire Wettbewerbsvorteile großer Unternehmen“. Das internationale Steuerrecht werde zugleich an die Herausforderungen der digitalisierten Wirtschaft angepasst.

NACH DER ERSTEN EUPHORIE MACHT SICH SPÜRBARE ERNÜCHTERUNG BREIT

 

Gerade die Verhandlungen zur effektiven Mindestbesteuerung seien „sehr intensiv“ gewesen, weil es sich technisch um anspruchsvolle Regelungen handle, heißt es aus dem BMF. Man sei überzeugt, die gefundene Lösung werde eine „generalpräventive Wirkung“ entfalten. Die entwickelten Reaktionsmechanismen erlaubten es, die neue Mindestbesteuerung „auch im Verhältnis zu denjenigen Staaten sicherzustellen, die die Regelungen selbst nicht eingeführt haben“, bekräftigt die Ministeriumssprecherin.


Ob allerdings wirklich alle großen Digitalkonzerne – vor allem auf die US-Tech-Multis zielte die Reform in ihrem Ursprung – von dem Zwei-Säulen-Modell erfasst werden, bezweifeln Experten. So könnte ausgerechnet Amazon vom Steuer-Deal verschont bleiben; der Konzern hat die Voraus-setzungen im Jahr 2020 nicht erfüllt. Amazon erwirtschaf-tete einen Umsatz von 386 Milliarden Dollar. Das operative Ergebnis lag bei gut 21 Milliarden Dollar, die Umsatzrendite damit bei gut fünf Prozent. „Die schädliche Monopolisierung in der Digitalökonomie wird auch mit Mindeststeuer weitergehen“, prognostiziert Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament. Die Zustimmung der G20-Finanzminister sei „eine Errungenschaft zur Eindämmung des globalen Steuerdumpings“, aber weitere Schritte nötig: „Die neuen Regeln beziehen sich auf die größten Konzerne weltweit, die Steuervermeidung anderer Unternehmen wird weitergehen“, erwartet Giegold.

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Die neuen Regeln beziehen sich auf die größten Konzerne weltweit, die Steuervermeidung anderer Unternehmen wird weitergehen.“

Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion
Grüne/EFA im Europäischen Parlament in Brüssel

„Die Regelung offenbart eine Fundamentalschwäche der globalen Mindeststeuer: Sie bleibt eine Unternehmens- und damit eine indirekte Steuer.“

Dr. Thomas Straubhaar, Professor für Volkswirtschaftslehre
der Universität Hamburg in Hamburg

Streitgespraech zwischen Katharina Fegebank und Thomas Straubhaar fuer das Format Face to Face des Magazins Standpunkte im Haus der Wirtschaft in Hamburg am 10.09.2020.
Foto: Christian Augustin

EXPERTEN KRITISIEREN HALBHERZIGE UMSETZUNG RELATIVIEREN DIE EFFEKTE

 

Deshalb fordert er einen effektiven Mindeststeuersatz für alle Unternehmen, nicht nur für die größten Konzerne. Briefkastenfirmen müssten ebenfalls „zur Kasse gebeten“ werden. Auch die Umverteilungsquote von Überschussgewinnen an die Länder, in denen etwa Tech-Konzerne Marktmacht ausübten, sei ein „Wermutstropfen“. „Gerade Entwicklungsländer bekommen zu wenig vom globalen Steuerkuchen“, so Giegold, „der Kampf für globale Steuergerechtigkeit ist noch lange nicht gewonnen.

Insgesamt mangele es dieser Steuerreform „an Ehrgeiz, um globale Ungleichheiten wirklich zu verringern“, resümiert der Finanzexperte der Fraktion Grüne/EFA im EU-Parlament. Ganz ähnlich bewertet das Ergebnis Dr. Thomas Straubhaar, Professor für Volkswirtschaftslehre der Universität Hamburg. Die Politik sei den „Weg des geringsten Widerstandes“ gegangen, kritisiert der Ökonom, es sei ein „Schritt in die richtige Richtung“, man sei aber „auf halbem Wege stehengeblieben“. Straubhaar bezeichnet es als „willkürlich“, 750 Millionen Euro als Umsatzgrenze für die Anwendung der Mindeststeuer festzuschreiben: „Was unterscheidet den Gewinn einer um-satzstärkeren Firma von jenem einer umsatzschwächeren? Sollten nicht grundsätzlich alle Profite gleichermaßen in die Steuerpflicht genommen werden?“. Für Straubhaar offenbart die Regelung „eine Fundamentalschwäche der globalen Mindeststeuer: Sie bleibt eine Unternehmens- und damit eine indirekte Steuer“.

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„Aus der Einigung muss ein Verzicht auf sämtliche Digitalsteuern jeglicher Art folgen.“

Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion
Grüne/EFA im Europäischen Parlament in Brüssel

UNTERNEHMENSSTEUERREFORM AUCH FÜR DEUTSCHLAND DRINGEND ANGEMAHNT

 

Indirekte Steuern wirkten am Ende „meist nicht so, wie sie zu Beginn gedacht waren; vielmehr treffen sie in einer Überwälzungskaskade letztlich die schwächsten Glieder am stärksten“. Straubhaar hielte es „für naheliegender“, statt der Unternehmen die Gewinne der Eigentümer und Manager einer globalen Wertschöpfungssteuer zu unterwerfen (Stichwort: Quellensteuer). Er kommt zu dem Schluss, die „Mächtigen dieser Welt“ hätten sich „nicht mit den Reichen dieser Welt wirklich anlegen“ wollen.

 

Laut Ökonom Straubhaar betrifft die Reform in Deutschland „immerhin einige hundert Firmen“. In diesem Zuge würden „die umsatzstärksten – zurzeit rund 40 – deutschen Unternehmen stärker belastet“ als bisher. Prinzipiell positiv sieht der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die jüngste Einigung. Aber: „Jetzt braucht es rechtliche Klarheit in wichtigen Details, etwa zur Bemessungsgrundlage und Definition des steuerpflichtigen Gewinns“, fordert BDI-Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Lang. 

 

In der Umsetzung müsse Qualität vor Tempo gehen. Es dürften keine steuerlichen Doppelbelastungen und überschie-ßende Bürokratie entstehen. „Aus der Einigung muss ein Verzicht auf sämtliche Digitalsteuern jeglicher Art folgen“, so Lang. Zudem zeige sie „die Dringlichkeit einer umfassenden Anpassung und Modernisierung der Unternehmenssteuern in Deutschland“ auf, heißt es in einem BDI-Positionspapier. Wasser auf die Mühlen der Firmen, die auf Nachfrage klare Erwartungen formulieren.

DEUTSCHE WELTKONZERNE FÜRCHTEN NACHTEILE IM GLOBALEN WETTBEWERB

 

Während sich BASF in Ludwigshafen von der globalen Mindeststeuer kaum berührt sieht, werden andere deutlich: Als global agierendes Unternehmen sei es für Bosch „von zentraler Bedeutung, dass die geplante Neuverteilung der Besteuerungsrechte weltweit einheitlich umgesetzt wird, es zu keinen Doppelbesteuerungen kommt und keine Steuern auf digitale Transaktionen implementiert werden“. Der Weltkonzern aus Stuttgart fürchtet durch etwaige ungleiche Belastungen Marktverzerrungen.

 

Bei der Umsetzung des Regelwerks werden auch aus Sicht der Allianz in München „der Gewährleistung von Rechts-sicherheit, klaren Regeln und der Vermeidung von Doppelbesteuerungen entscheidende Bedeutung zukommen“, kommentiert Eva Meyer-Schipflinger, Allianz Global Head of Tax. Und sie ergänzt: „Insbesondere wird bei der europäischen Implementierung darauf zu achten sein, dass die in Europa ansässigen Unternehmen keine Nachteile im globalen Wettbewerb erleiden.“

 

Bereits 2023 sollen die neuen Regeln in Kraft treten. Doch selbst Martin Kreienbaum, der als Leiter der Unterabteilung „Internationale Steuerpolitik“ im BMF die Reform federführend für die Bundesregierung ausgehandelt hat, hält den Zeitplan für „sehr ambitioniert“. Auf Anfrage verspricht Bernardus Zuijdendorp, Generaldirektor Steuern und Zollunion der EU-Kommission, außerdem, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Briefkastenfirmen als Steuerfluchtmodell den Garaus machen soll. Das hätte was.

Bijan Peymani

Harald Czycholl-Hoch

Beitrag von Elisabeth F.

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