Ein Grund, warum sich die Streitigkeiten häufen, ist der Anstieg an Krankheitstagen, im Jahr 2023 waren es laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich 15,1 Krankheitstage pro Jahr und arbeitender Person, das entspricht gegenüber 2021 einem Anstieg von vier Krankheitstagen. Was zu dem Anstieg geführt hat, ist umstritten, die sogenannte „Blaumachdiskussion“ ist bekannt, soll aber hier nicht weiter Gegenstand sein. Im Krankheitsfall haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemäß § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz einen Anspruch auf ihren Arbeitslohn. Als Nachweis für die Unmöglichkeit zu arbeiten dient die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die von einem Arzt oder einer Ärztin ausgestellt wird. Grundsätzlich hat diese einen hohen Beweiswert. Es häufen sich allerdings die Fälle, in denen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit haben und deshalb den Beweiswert in Frage stellen. Die Gerichte, die mit einer Entscheidung zur Frage der Entgeltfortzahlung beschäftigt sind, schenken dem zunehmend Gehör. Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern entschied im Mai 2024 zugunsten des Arbeitgebers, nachdem ein Angestellter sein Arbeitsverhältnis gekündigt hatte und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung plus Folgebescheinigungen vorlegte, die eine Arbeitsunfähigkeit passgenau bis zum Ende der betrieblichen Zugehörigkeit nachweisen sollten. Das Gericht sprach davon, dass in einem solchen Fall der Beweiswert sogar regelmäßig erschüttert ist. Dabei spielt es nicht einmal eine Rolle, wer kündigt, Arbeitgeber oder Arbeitnehmer. Tatsachen, die den Beweiswert erschüttern, können sich auch aus dem Vortrag des Arbeitnehmenden ergeben oder aus Verstößen des ausstellenden Arztes gegen Vorgaben der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien. In einem aktuellen Urteil hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass sämtliche Umstände im konkreten Einzelfall zu begutachten und bei einer gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen sind. In diesem Fall ging es um eine im Nicht-EU-Ausland ausgestellte AU-Bescheinigung – der grundsätzlich der gleiche Beweiswert zukommt wie dem Pendant in der Bundesrepublik. Die Vorinstanz hatte die einzelnen Aspekte isoliert betrachtet und die Gesamtwürdigung unterlassen. Jeder einzelne Punkt für sich betrachtet, mag unverfänglich gewesen sein, in der Gesamtschau war das nicht mehr der Fall: Der tunesische Arzt hatte eine Arbeitsunfähigkeit von 24 Tagen bescheinigt, ohne eine Wiedervorstellung anzuordnen. Der Mitarbeiter hatte bereits einen Tag nach der attestierten Notwendigkeit häuslicher Ruhe und des Verbots sich zu bewegen und zu reisen, ein Fährticket für einen zu frühen Zeitpunkt gebucht und trat die beschwerliche Reise an. Kaum zurück, legte er eine neuerliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Schließlich war laut BAG zu berücksichtigen, dass er bereits in früheren Jahren im direkten Zusammenhang mit Urlaub Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt hatte. In dem Fall muss das Landesarbeitsgericht München neu entscheiden. Den Mitarbeiter trifft die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch. Das LAG Mecklenburg-Vorpommern formulierte es so: „Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen“. Dann sei ein substantiierter Vortrag zum Beispiel dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Beschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente der Arzt oder die Ärztin verordnet haben.
■ Alexander Pradka