Schwierige neue Verpackungswelt

Am 27. Februar 2023 hat die Europäische Kommission den Vorschlag für eine neue Verpackungs- verordnung auf EU-Ebene veröffentlicht. Diese soll die in die Jahre gekommene und zuletzt stark kritisierte Verpackungsrichtlinie ersetzen. Am 24. April dieses Jahres hat das Europäische Parlament die neue Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle verabschiedet.
vom 8. Juli 2024
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Erstmals wird es so sein, dass eine Regelung in diesem Zusammenhang direkte Wirkung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union entfalten wird. Früher gab es stets eine Richtlinie, die dann in nationales Recht erst noch umgesetzt werden musste. Die Regelung fügt sich in das gesetzgeberische Gesamtkonstrukt der Europäischen Union, mit dem sie die Ziele des sich selbst verordneten Green Deals verwirklichen möchte. Zur Erinnerung: Bis spätestens 2050 will sie den Übergang zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft realisieren, die keine Netto-Treibhausgase mehr ausstößt und ihr Wachstum von der Ressourcennutzung abkoppelt. Der offizielle Name der Verordnung lautet Packaging and Packaging Waste Regulations, abgekürzt PPWR. Dass es nun eine Verordnung und keine Richtlinie mehr ist, bringt den klaren Willen des europäischen Gesetzgebers zum Ausdruck, für einheitliche Rahmenbedingungen zu sorgen, wobei zu beachten ist, dass es sich um eine Rahmengesetzgebung handelt, in der einiges ohne Regelung bleibt. Beziehungsweise – wo es dann im Hinblick auf unterschiedliche Voraussetzungen in den einzelnen Mitgliedstaaten und etwa hinsichtlich der Sanktionierung wieder auf die Betrachtung der einzelnen Länder ankommen wird. Eine wesentliche Säule für den Green Deal ist der Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft, der seine Umsetzung bereits im „Recht auf Reparatur“ Niederschlag gefunden hat. Der Plan sieht zudem vor, die Anforderungen an die Wirtschaftsakteure deutlich zu verschärfen, die in welcher Weise auch immer mit Verpackungen arbeiten. „Ziel ist es generell, Verpackungen wiederverwendbar beziehungsweise recyclingfähig zu gestalten sowie das Übermaß und die Abfälle von Verpackungen zu reduzieren“, sagt Dr. Ilka Mehdorn, Managing Partner der Sozietät Dentons in Berlin und Co-Head Public Sector Deutschland. Wichtig ist gemäß Aktionsplan auch: Der gesamte Lebenszyklus einer Verpackung steht im Fokus. „Zum ersten Mal unterfällt die Lieferkette in puncto Verpackungen weitreichenden und zwingenden Vorgaben“, so Mehdorn weiter. Geltung erlangt die PPWR 18 Monate nach Inkrafttreten. Die endgültige Verabschiedung und Veröffentlichung im Amtsblatt ist noch offen und zu berücksichtigen sind für den Zeitplan nach den Wahlergebnissen vom 9. Juni die neuen Mehrheitsverhältnisse im Europaparlament. Mehdorn rechnet mit der Geltung der grundsätzlichen Rahmenbedingungen ab circa Mitte 2026. Warum „grundsätzlich“? „Für zahlreiche Vorschriften hat der europäische Gesetzgeber abweichende Regelungen implementiert“, so die Verpackungsrechtsexpertin. Diese gelten beispielsweise für den Mindestanteil von Rezyklaten, also wiederverwerteten Kunststoffen aus Polyethylen, Polypropylen oder Polyethylenenterephtalat, in Kunststoffverpackungen, Beschränkungen hinsichtlich der Verwendung bestimmter Verpackungsformate und Wiederverwendungsziele. „Da fällt der Startschuss am 1. Januar 2030. Teilweise enthält die PPWR auch gestufte Regelungen, die singulär oder in verschärfter Form ab 2035 beziehungsweise 2040 gelten“, führt Ilka Mehdorn weiter aus. 

Mehdorn

„Wir empfehlen Rechtsabteilungen ausdrücklich, die Zeit bis zum Inkrafttreten der Regelungen zu nutzen, um in Ruhe zu prüfen, ob die eigenen Geschäftsprozesse von den Regelungen der PPWR erfasst werden.“ 

Dr. Ilka Mehdorn
Managing Partner,
Dentons Berlin

Großer Adressatenkreis

„Zahlreiche Regelungen entfalten erst nach Erlass von Durchführungs- oder Implementierungsrechtsakten Geltung, sie legen Einzelheiten fest, so beispielsweise die Recyclingfähigkeit von Verpackungen oder Kennzeichnungspflichten.“ Für die Praxis ergeben sich daraus durchaus einige Hürden. „Wir werden sehr genau prüfen müssen, welche Regelung wann konkret und in welcher Weise für uns Anwendung findet“, schildert Dr. Oliver Trautmann, General Counsel und Chief Compliance Officer der Douglas Group. Auf Gruppenebene hat sein Legal Department 26 Mitarbeitende, dazu kommen kleinere Teams in einzelnen Ländern. „Eine Person ist zwar nicht ausschließlich dafür da, aber sie beschäftigt sich mit neuen Vorhaben auf nationaler und EU-Ebene und steht im steten Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen.“ Zum Adressatenkreis der neuen EU-Verpackungsverordnung gehören alle, die geschäftlich mit Verpackungen in Berührung kommen. Mehdorn warnt: „Hier ist für Unternehmen größte Vorsicht geboten. Obwohl sich der Begriff ‚Hersteller‘ dem ersten Anschein nach ausschließlich als ‚physisch die Verpackung herstellender Wirtschaftsakteur‘ definieren ließe, erfasst die PPWR damit zusätzlich Importeure, Vertreiber, Lieferanten, Bevollmächtigte und sogenannte Fulfillment-Dienstleister.“ Was die Regelungsintensität betrifft, folgen aus den ambitionierten Zielen der EU im Hinblick auf den Green Deal strenge Verpflichtungen. Das gilt vor allem für die Vorgaben zur Recyclingfähigkeit, zur Verpackungsminimierung, zum Etikettieren und zur Wiederverwendung. Expertin Mehdorn spricht insoweit von bislang auch auf nationaler Ebene „unerhörten“ Anforderungen. Sie unterscheiden sich von denen, die zumindest in einigen Ländern bereits bekannt und umgesetzt sind, wie Bestimmungen zu Rücknahme-, Sammel- oder Pfandsystemen und der Anmeldung zu einem Herstellerregister. Die sind unter anderem in der Bundesrepublik bereits vorhanden. „Die neuen Vorschriften werden extreme Auswirkungen auf die Verpackung haben“, berichtet Trautmann aus der Praxis. „Wir haben verschiedene Produktgrößen und wir haben zum Teil sehr kleine Produkte. Der maximal erlaubte Leerraum der Versandverpackung wird uns vor gewisse Herausforderungen stellen. Als Marktteilnehmer sind wir zur Vereinheitlichung gezwungen, acht, neun, zehn Verpackungsgrößen im Zweifel noch mit unterschiedlichen Warnhinweisen bedruckt vorrätig zu haben und gleichzeitig kosteneffizient zu arbeiten. Das schließt sich aus.“ Eine weitere Problematik ergibt sich bei der Kennzeichnung. „Wir handeln mit Kosmetika, die teilweise entflammbar sind, dafür benötigen wir einen Warnhinweis auf der Verpackung.“ Es geht um die Raute, oben und unten schwarz, in der Mitte ein weißer Balken, das ADR-Kennzeichen für begrenzte Mengen. „Wenn wir ein sehr kleines Produkt haben und den maximalen Leerraum berücksichtigen, kollidiert das wahrscheinlich mit der für Warnhinweisen vorgeschriebenen Mindestgröße.“ 

Dr. Trautmann

„Bei manchen Regelungen können wir uns quasi aussuchen, welchen Verstoß wir uns einfangen möchten. Viele praktische Aspekte sind unberücksichtigt geblieben.“

Dr. Oliver Trautmann
General Counsel und Chief Compliance Officer, 

Douglas Group

Kein Raum für „Mogelpackungen“          

Trautmann hat nicht den Eindruck, dass die Praxis oder Interessenverbände hinreichend eingebunden oder berücksichtigt wurden, um potenzielle Kollisionsnormen oder Umsetzungshindernisse im Gesetzgebungsprozess zu platzieren. Der Vorwurf zu regeln und erst danach zu schauen, wohin das führt, ist nicht neu. „Es geht dabei nicht darum, Gesetze und ihre Zielrichtung nicht nachvollziehen zu können, die Intention ist sehr oft richtig. Es geht darum, dass wichtige Korrekturen und Gesetzesänderungen im Nachgang geschehen müssen, und dieser Weg oft über die Lobbyarbeit führt.“ Das Sanktionsregime bei Verstößen wird europaweit mutmaßlich differenziert ausfallen. Die Durchsetzung liegt in der Verantwortung der Mitgliedstaaten, „auch Herstellerregister und die erweiterte Herstellerverantwortung werden über die Mitgliedstaaten eingerichtet und abgewickelt“, konkretisiert Mehdorn. Diese benennen eine Behörde oder mehrere zuständige Behörden, die für die Durchsetzung unter anderem der Vorgaben zur Recyclingfähigkeit, zur Verpackungsminimierung und den Wiederverwendungszielen zuständig ist beziehungsweise sind. „Die Marktüberwachung funktioniert über ein europaweit harmonisiertes System, in dem es Mitteilungspflichten der nationalen Behörden gibt“, ergänzt Mehdorn. „Das kennen wir auf EU-Ebene bereits aus dem Produktsicherheitsrecht.“ Die EU nutzt die Verpackungsverordnung, um gegen das „Greenwashing“ und das Inverkehrbringen sogenannter Mogelpackungen noch härter vorzugehen. Mehdorn: „Unternehmen dürfen in Bezug auf Verpackungseigenschaften nur noch Umweltaussagen treffen, die über die in der PPWR festgelegten Mindestanforderungen hinausgehen.“ Und: Sie müssen angeben, ob sich die Aussage auf alle Verpackungen und dort auch auf die jeweilige gesamte Verpackung oder nur auf einen bestimmten Teil bezieht. „Möchte ein Unternehmen besonders umweltfreundliche Verpackungen anpreisen, muss es ‚above and beyond‘ gehen und die Voraussetzungen der PPWR übererfüllen.“ Auch der „Shrinkflation“ wird Einhalt geboten. Damit ist gemeint, dass Produzenten weniger in eine Tube, Schachtel oder Tüte füllen – der Preis bleibt gleich. Dagegen laufen die Verbraucherzentralen Sturm und die Rechtsprechung hatte einige Fälle zu entscheiden, wie zuletzt etwa der Bundesgerichtshof im Hinblick auf ein Herrenwaschgel von L’Oréal. Nach der PPWR müssen Verpackungen künftig auf das zur Gewährleistung ihrer Funktionsfähigkeit erforderliche Mindestmaß reduziert werden. Ausdrücklich verboten sind Doppelwände, falsche Böden und andere „Volumenfüller“. Unternehmen müssten aufpassen, sagt Mehdorn, weil die Minimierungsgebote auch für Umverpackungen, Transportverpackungen und Verpackungen für den elektronischen Handel gelten. Das maximale Leerraumverhältnis liege bei 50 Prozent. „Das ist also auch für Unternehmen relevant, die beispielsweise ihre Produkte online verkaufen und zum Schutz während des Transportes große Kartons mit Luftpolstern oder Styropor füllen – das Material zählt als Leerraum.“ 

Gestiegene Preise zu erwarten          

Immer wenn die EU für ihre Mitgliedstaaten neue Richtlinien oder wie hier eine Verordnung entwickelt und verabschiedet, stellt sich die Frage, wie sich das auf den weltweiten Wettbewerb auswirkt. Ökologische Ziele zu verwirklichen ist das eine, dabei aber die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit nicht in Gefahr zu bringen, das andere. „Es ist eine wirtschaftliche Frage“, bestätigt Douglas-General-Counsel Oliver Trautmann. „Das Gute an der EU-Verordnung ist, dass Produkte, die außerhalb der EU gegebenenfalls unter anderen Umständen hergestellt worden sind und in den Binnenmarkt gelangen, die gleichen Anforderungen erfüllen müssen wie innereuropäisch produzierte.“ Rechtsanwältin Ilka Mehdorn bestätigt das und betont, dass „der europäische Gesetzgeber mit der PPWR ganz dezidiert gleiche verpackungsbezogene Wettbewerbsbedingungen schaffen will – für EU-Unternehmen ebenso wie für Nicht-EU-Unternehmen“. Trautmann zeigt sich überzeugt, dass es für „grünere Produkte“ einen Absatzmarkt gibt, der groß genug ist und der europäische Binnenmarkt sei ein großer Absatzmarkt. Es taucht allerdings ein zusätzlicher Aspekt auf – wie stets, wenn es um mehr Nachhaltigkeit geht. „Die Ziele werden wir in Europa nicht ohne höhere Kosten erreichen können“, sagt Trautmann. „Die wirken sich auf die Kaufpreise im Laden und im Online-Store aus. Wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher dann lieber zu einem günstigeren Konkurrenzprodukt greifen, was nicht unter die Bestimmungen fällt, dann müssen wir das als Gesellschaft hinnehmen. Das gilt für alle Marktteilnehmer gleichermaßen.“ Höhere Herstellungskosten und damit höhere Preise sieht auch Mehdorn auf den Markt zukommen. „Andererseits mag es durch eine europarechtliche Vereinheitlichung der Verpackungsvorgaben auch zu Synergieeffekten kommen, über die sich Kosten einsparen lassen.“ Gut für Verbraucherinnen und Verbraucher sei die größere Transparenz, etwa im Hinblick auf das korrekte Recycling. Auslegungsfragen bleiben genug bei der neuen Verordnung, das bedeutet, dass der Rechtsprechung einige Bedeutung zukommen wird. Im Zusammenhang mit einer europäischen Verordnung heißt das auch, dass der Einfluss des Gerichts der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofes zunehmen wird. „Wir sehen das aus Kanzleiperspektive durchaus kritisch, weil sich unseres Erachtens teils grundsätzliche Fragen der Vereinbarkeit der PPWR mit europäischem Primärrecht stellen – und die Unionsgerichte bislang sehr zurückhaltend waren, was die Nichtigerklärung nicht delegierten Sekundärrechts anbelangt“, merkt Ilka Mehdorn an. Zu erwarten sind jedenfalls eine große Zahl an Verfahren, Klärungsbedarf ist in ausreichendem Maß vorhanden.

Alexander Pradka

Beitrag von Alexander Pradka

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