Mehr Transparenz im Netz

Umfassendere Verbraucher-Informationen beim Einkaufen und bei Vertragsschlüssen im Internet: Das ist das Ziel einer EU-Verbraucherschutz-Richtlinie, die Ende Mai in deutsches Recht umgesetzt wurde. Bei Verstößen drohen Abmahnungen und Bußgelder. Worauf Unternehmen achten müssen.
vom 3. April 2022
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„Am schönsten ist der Blick aufs weite Meer.“ Diesen Satz über ein Hotel schrieb ein angeblicher Gast – ein Tester der ZDF-Sendung „Wiso“ – vor einiger Zeit auf verschiedenen Hotelbewertungsportalen. Der Clou dabei: Die Unterkunft befand sich in Düsseldorf – und die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt liegt bekanntlich am Rhein, Meerblick sucht man hier vergebens. Einigen der getesteten Anbieter fiel die Fälschung tatsächlich nicht auf und sie veröffentlichten die Bewertung.


Derartige Fake-Bewertungen sind ein zunehmendes Problem: Denn ob bei der Reisebuchung, dem Online-Kauf, dem bevorstehenden Restaurantbesuch oder auch der Beauftragung eines Handwerkers – immer mehr Verbraucher lesen vor Kaufentscheidungen Online-Rezensionen. Diese werden mitunter auf eigenen Portalen wie HolidayCheck, TripAdvisor oder auch Google bereitgestellt, vielfach aber auch bei den Online-Marktplätzen selbst. Authentische Bewertungen auf Basis echter Erfahrungen seien für Verbraucher und Wettbewerb gleichermaßen wertvoll, betont Georg Ziegler, Leiter Betrugsverfolgung bei HolidayCheck. „Fake-Bewertungen sind aber ein großes Problem, das die Wirtschaft jährlich Milliarden kostet und das Vertrauen von Verbraucherinnen und Verbrauchern missbraucht.“ Mit diesem wachsenden Problem müssten sich Politiker genauso wie Plattformbetreiber, Händler und Konsumenten auseinandersetzen und die bestmöglichen Lösungsansätze finden. Mit der sogenannten Omnibus-Richtlinie der Europäischen Union, die am 28. Mai dieses Jahres in deutsches Recht überführt wurde und eine Verschärfung des Verbraucherschutzes darstellt, sollen Verbraucher besser vor Bewertungsbetrug geschützt werden. Das Ziel der Richtlinie ist eine größere Transparenz: Die Portale sollen dem Verbraucher ihre Bemühungen hinsichtlich der Erkennung von Fakebewertungen offenlegen. „Die Politik hat erkannt, dass gefälschte Bewertungen ein Problem sind“, stellt Ziegler fest. Die dagegen ergriffenen Maßnahmen sind aus seiner Sicht jedoch nicht ausreichend. Mit der Ende Mai in Kraft getretenen Richtlinie wurden insgesamt vier Richtlinien modernisiert, die das europäische Verbraucherrecht regeln. „Deutschland hat zur Umsetzung der Vorgaben unter anderem bereits das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb sowie die Preisangabenverordnung angepasst“, erklärt Dr. Martin Gerecke, Rechtsanwalt und Partner im Hamburger Büro von CMS Deutschland, der auf das Recht der neuen Medien sowie auf den Bereich E-Commerce spezialisiert ist. Durch die Reformen würden Händlern vor allem breitere Informationspflichten auferlegt. „Sie betreffen unter anderem die Transparenz von Rabattaktionen, die Verifikation von Kundenrezensionen, die Funktionalität von digitalen Produkten und die Unterscheidung von privaten und geschäftlichen Verkaufsangeboten auf Online-Marktplätzen.“ Die Händler seien nun gefordert, ihre Rechts- und Informationstexte entsprechend der neuen Regelungen zu überarbeiten, um Abmahnungen zu vermeiden.

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„Händler sind nun verpflichtet, ihre Kunden unter anderem auf die Möglichkeiten der gesetzlichen Mängelhaftung hinzuweisen.“

Dr. Verena Hoene, Fachanwältin für Gewerblichen Rechtsschutz, Heuking Kühn Lüer Wojtek

„Informationen müssen gut sichtbar vorgehalten werden.“

Dr. Martin Gerecke, Partner CMS Deutschland

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Insgesamt hat die EU-Richtlinie eine Modernisierung des Verbraucherschutzes sowie mehr Transparenz im Onlinehandel zum Ziel. Onlinehändler, aber auch Marktplätze wie Amazon, ebay und Co. müssen ihre Angebote nun transparenter gestalten. Diese müssen Verbrauchern zukünftig bestimmte Informationen über von ihnen angewendete Methoden zur Verfügung stellen, die die Entscheidung des Kunden beeinflussen können, erklärt Michaela Rassat, Juristin bei der Ergo Rechtsschutz Leistungs-GmbH. „Damit ist zum Beispiel gemeint: Welche Faktoren spielen für das Ranking der Angebote eine Rolle? Welche Anbieter werden bei Vergleichen berücksichtigt? Verkaufen Warenanbieter gewerblich oder privat? Und bestehen geschäftliche Abhängigkeiten zwischen Anbieter und Marktplatz?“


Die zusätzlichen Informationen sollen Onlineshoppern eine höhere Transparenz beim Kauf von Waren und Dienstleistungen bieten und sie damit bei der Kaufentscheidung unterstützen. So müssen Käufer beim Ranking von Sucherergebnissen erkennen können, wie die Reihenfolge der angezeigten Suchergebnisse zustande gekommen ist und welche Kriterien bei dem Ranking eine Rolle gespielt haben, so Rassat. „Das soll verhindern, dass Kunden ihre Kaufentscheidung aufgrund eines Rankings treffen, welches durch versteckte Werbung oder Zahlungen beeinflusst ist.“ Daher müssten die Informationen gut sichtbar vorgehalten werden, betont CMS-Jurist Gerecke. „Eine Ausführung in den AGB des Händlers genügt nicht.“ Aufgrund der gesetzlichen Erwägungsgründe reiche jedoch eine abstrakte Beschreibung des zugrundeliegenden Algorithmus, ohne dass die Parameter jeweils für die konkrete Suche des Verbrauchers dargestellt werden müssten.

NEUE INFORMATIONSPFLICHTEN AUCH FÜR VERGLEICHSPORTALE

Online-Markplätze müssen außerdem darauf hinweisen, ob mit einem Anbieter eine wirtschaftliche Verbindung besteht, ob es sich um ein Unternehmen oder eine Privatperson handelt und ob der Anbieter das Produkt selbst vertreibt. „Dies hat Einfluss darauf, welche Rechte Verbraucher zum Beispiel bei Mängeln oder bei einem Widerruf haben und an wen sie sich dafür wenden müssen“, so Unternehmensjuristin Rassat. „Stammt das Angebot von einer Privatperson, muss das Portal darauf hinweisen, dass die Regeln des Verbraucherschutzes nicht gelten.“

Aber nicht nur Online-Marktplätze müssen sich in Zukunft an strengere Regelungen halten. Auch auf Vergleichsportale und Onlinehändler kommen neue Informationspflichten zu. Für Vergleichsportale heißt das zum Beispiel: Sie müssen Nutzer künftig darüber informieren, welche Anbieter bei der Erstellung des Vergleichs einbezogen wurden. Wenn Händler mit Rabattaktionen werben, müssten sie zudem „bei der Werbung mit Statt- und Streichpreisen den niedrigsten Preis der letzten 30 Tage angeben“, erklärt CMS-Anwalt Gerecke. „Daneben müssen Grundpreisangaben künftig auch für Produkte mit einem geringen Gewicht beziehungsweise Volumen je Liter und Kilogramm angegeben werden.“


Informationspflichten von Händlern im Fernabsatz würden nun auch auf digitale Inhalte ausgeweitet, ergänzt Dr. Verena Hoene, Fachanwältin für Gewerblichen Rechtsschutz am Kölner Standort der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Dies betrifft Daten, die in digitaler Form erstellt werden, wie beispielsweise Foto- und Videodateien, E-Books oder digitale Spiele. Hier seien die Händler nun verpflichtet, „ihre Kunden auf die Möglichkeiten der gesetzlichen Mängelhaftung hinzuweisen und über technische Schutzmaßnahmen, Funktionalität und Kompatibilität der digitalen Produkte zu informieren“. Neu ist zudem, dass das Gesetz den Kauf von digitalen Inhalten mit personenbezogenen Daten kennt, also etwa den Erwerb von White Papers. Zudem müssten die Händler ihre Musterwiderrufsbelehrungen anpassen, um Abmahnungen zu vermeiden, hebt Hoene hervor. „Die Musterwiderrufsbelehrung muss nun zwingend eine Telefonnummer enthalten. Eine Faxnummer muss aber nicht mehr mitangegeben werden.“ Darüber hinaus gelten seit Ende Mai neue Regelungen für Ticketbörsen: Portale, die Eintrittskarten weiterverkaufen, sind dann dazu verpflichtet, den Originalpreis vom Veranstalter anzugeben. Bei personalisierten Preisen, die mithilfe von persönlichen Daten durch einen Algorithmus berechnet worden sind, müssen Online-Händler Käufer klar darauf aufmerksam machen. Wer sich nicht an die Vorgaben hält, muss mit durchaus happigen Strafen rechnen. „Bei Verstößen sind Bußgelder bis zu 50.000 Euro oder bei großen Unternehmen bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes möglich“, so Ergo-Juristin Rassat. „Neben der Verletzung von Hinweispflichten kann dann beispielsweise auch die Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen geahndet werden.“ Außerdem drohen bei vielen Verstößen teure Abmahnungen, da sie nun ausdrücklich auch das Wettbewerbsrecht verletzen. Dies gilt zum Beispiel für die Regelung über Bewertungen.


Außerdem neu sind individuelle Schadenersatzansprüche für Verbraucher bei bestimmten Wettbewerbsverstößen. Wenn sie durch unlautere geschäftliche Handlungen des Online- Marktplatzes geschädigt werden, können sie also zukünftig Schadenersatz verlangen. Dies wäre zum Beispiel bei unzulässigen Lockangeboten oder falschen Angaben zu Gütezeichen möglich. „In der Praxis könnte diese Regelung allerdings schwierig umzusetzen sein. Denn die Verbraucher müssen beweisen, dass der Schaden durch den Verstoß des Online- Marktplatzes entstanden ist“, sagt Rassat.


Die Schadenersatzansprüche für Verbraucher seien ein Paradigmenwechsel im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, betont Heuking-Juristin Hoene. „Dies wird allerdings zu praktischen Problemen führen, da die Schäden eines Verbrauchers häufig geringwertig sein werden und zum Beispiel nutzlose Fahrtkosten betreffen.“ Allerdings könnte diese Neuregelung Legal Tech-Anwendungen beflügeln, die den Verbrauchern eine Durchsetzung ihrer Ansprüche gegenüber den Unternehmen ermöglichen, so Hoene.

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„Fake-Bewertungen sind aber ein großes Problem, das die Wirtschaft jährlich Milliarden kostet.“

Georg Ziegler, Leiter Betrugsverfolgung, HolidayCheck

„Kunden sollen nicht ihre Kaufentscheidung aufgrund eines Rankings treffen, welches durch versteckte Werbung oder Zahlungen beeinflusst ist.“

Michaela Rassat, Juristin bei der Ergo Rechtsschutz Leistungs-GmbH

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HÄRTERES VORGEHEN GEGEN FAKE-BEWERTUNGEN GEFORDERT

Manchen Anbietern wie etwa HolidayCheck gehen die Regelungen der Omnibus-Richtlinie allerdings nicht weit genug – gerade mit Blick auf das Reizthema Fake-Bewertungen. Denn nur wenn Unternehmen die Plausibilität von Bewertungen überprüfen, müssen sie auch erläutern, wie sie dies tun. „Wer als Marktplatzbetreiber nichts prüft, muss auch nur das offenbaren, um seine Pflicht zu erfüllen“, erklärt Hoene. Zudem dürften sie nicht behaupten, dass die Bewertungen von Verbrauchern stammen, die das Produkt tatsächlich erworben oder genutzt haben.


Bei negativen Fake-Bewertungen, die etwa Konkurrenten verbreiten, um einem Unternehmer zu schaden, könne man einerseits gegen den Bewertenden selbst vorgehen, erklärt Hoene. „Dies ist in der Praxis jedoch oft nicht von Erfolg gekrönt, da sich die Bewertenden häufig hinter Fantasienamen verstecken und man unter Umständen noch nicht einmal an die E-Mail-Adresse herankommt.“ Sinnvoller sei es daher, sich direkt an den Plattformbetreiber zu wenden, diesen auf den Rechtsverstoß des Bewertenden hinzuweisen und um Löschung der falschen Bewertung zu bitten. Gegebenenfalls könne man auch ein Notice-and-take-down-Verfahren einleiten. Die Übermittlung oder Beauftragung gefälschter Bewertungen oder Empfehlungen von Verbrauchern zum Zwecke der Verkaufsförderung sei dem Gesetz nach unzulässig, sagt Juristin Hoene. Hier sei ein Verstoß gegen das allgemeine Irreführungsverbot nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb gegeben. Diese Regelung hält HolidayCheck-Experte Ziegler jedoch für zu weich: „Das Fälschen von Bewertungen ist ein klarer Betrug an Verbrauchern“, betont er und hat deshalb eine konkrete Forderung an die Politik: „Ebenso wie Betrug in der analogen Welt, muss auch der organisierte Betrug durch Bewertungsfälscher ein strafrechtlicher Tatbestand werden.“ Denn nur im Strafrecht seien die Konsequenzen so massiv, dass diese abschreckend für Bewertungsfälscher wirken würden, so Ziegler. Die finanziellen Ordnungsgelder würden auch unter der neuen Omnibus-Richtlinie die Betrüger noch nicht effektiv genug treffen, während im Strafrecht mit empfindlicheren Geld- bis hin zu Freiheitsstrafen gerechnet werden müsse.

Harald Czycholl-Hoch

Beitrag von Alexander Pradka

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