Klimaschutz wird Management-Aufgabe

Climate Change Litigation wird weltweit zunehmen, auch gegen Unternehmen. Unabhängig davon, ob die Klagen erfolgreich sind oder nicht: Das Pariser Abkommen zum Klimaschutz wird immer mehr zur Richtschnur für Geschäftsmodelle und Unternehmensstrategien. Welche Rolle spielen Syndizi bei der aktuellen Entwicklung?
vom 8. März 2022
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Das Urteil gegen Royal Dutch Shell in den Niederlanden hat auch in deutschen Unternehmen für Aufregung gesorgt. Im Mai letzten Jahres verdonnerte das Bezirksgericht in Den Haag den Ölkonzern, seine Emissionen bis 2030 um 45 Prozent gegenüber dem Stand von 2019 zu verringern. Selbst hatte sich Shell eine Reduktion von 20 Prozent als Ziel gesetzt. Zwar hat das Urteil nur begrenzt Auswirkungen für deutsche Unternehmen, weil Richter im niederländischen Recht anders als in Deutschland auch Völkerrecht wie das Pariser Klimaschutzabkommen heranziehen können, um etwaiges rechtswidriges Verhalten zu prüfen. „Doch ist nicht ausgeschlossen, dass auch deutsche Gerichte angesichts von Klimaschutzklagen Sorgfaltspflichten formulieren, die über die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorgaben hinausgehen“, sagt Sebastian Rünz, Experte für Climate Change Litigation und Partner bei Taylor Wessing in Düsseldorf. Selbst im Falle einer Klageabweisung lässt sich daraus eine Richtschnur für mehr Klimaschutz ableiten, die den Weg bahnt, um Ansprüche auf Unterlassen von Treibhausgas- Emissionen und Schadenersatz einzuklagen. „Das Terrain für Unternehmen ist viel unsicherer geworden, gerade auch im rechtlich zulässigen Rahmen“, ist auch Prof. Dr. Sabine Schlacke überzeugt. Sie ist Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und geschäftsführende Direktorin des Instituts für Energie-, Umwelt- und Seerecht an der Universität Greifswald und berät als Co-Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats die Bundesregierung bei der Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens. In Deutschland steigt der Druck auf Unternehmen mittelbar auch infolge des Klima- Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts, sagt Prof. Dr. Sabine Schlacke: „Adressat ist zwar der Gesetzgeber, der dazu verpflichtet wird, einen vollständigen CO2-Reduktionspfad bis zur Klimaneutralität zu entwickeln. Aber je mehr wir das nationale Restbudget bis 2030 verbrauchen, umso schärfere Eingriffe in die unternehmerische Freiheit sind danach erlaubt. Je schneller Unternehmen CO2 sparen, desto besser ist das für sie selbst.“ Denn nach dem Pariser Klimaschutzabkommen besteht die Pflicht, die globale Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius einzudämmen oder besser auf 1,5 Grad zu begrenzen. Hieraus leitet der Weltklimarat ein globales Restbudget an Treibhausgasen ab, das nicht überschritten werden darf.

AKTIVISTEN ERWARTEN MEHR ALS LEGALE PRODUKTION UND ZERTIFIZIERTE PRODUKTE

 

Auf den Klimabeschluss aus Karlsruhe beziehen sich auch die Klagen der Deutschen Umwelthilfe gegen BMW und Mercedes-Benz. Die Autohersteller sollen mit Blick auf das Pariser Klima-Limit bis 2030 weltweit aus Verbrennermotoren aussteigen. Greenpeace will Volkswagen dementsprechend stärker in die Pflicht nehmen. Dem Konzern komme eine Sorgfaltspflicht zu, weil er großen Einfluss auf das Weltklima habe. Zwar sind die Erfolgsaussichten schwer abzuschätzen. Denn es besteht Argumentationsspielraum bei Fragen wie: Sind Autokonzernen Emissionen zurechenbar, die ihre Kunden verursachen, wenn sie mit ihrem Produkt fahren? Haften einzelne CO2-intensive Unternehmen für Klimafolgen durch Emissionen einer genehmigten Anlage, obwohl dazu weltweit sehr viele Akteure beitragen? Es ist nicht ausgeschlossen, dass Richter das bejahen, sagt Jennifer Jünke, Justiziarin der Wirtschaftsvereinigung Stahl in Berlin: „Das OLG Hamm dehnt Ansprüche auf Unterlassung aus Nachbarrecht nach § 1004 BGB bis nach Peru aus.“

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„Das Terrain für Unternehmen ist viel unsicherer geworden, gerade auch im behördlich zulässigen Rahmen.“

Prof. Dr. Sabine Schlacke, geschäftsführende Direktorin des Instituts für Energie-, Umweltund Seerecht, Universität Greifswald

„Laut Richtlinie zur Corporate Sustainability Due Diligence droht Managern die persönliche Haftung, wenn sie Geschäftsmodell und Unternehmensstrategie nicht am 1,5-Grad-Ziel ausrichten.“

Jennifer Jünke, Justiziarin Wirtschaftsvereinigung Stahl

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„Legal Counsel und Compliance-Manager können bei der Transformation eine strategische Schlüsselfunktion übernehmen, indem sie ein neues Bewusstsein schaffen und die Menschen mitnehmen.“

Sebastian Rünz, Partner Taylor Wessing Düsseldorf

„Wenn Richter die Messlatte für Unternehmen beim Klimaschutz höher legen, fehlt die Interessenabwägung und die 360-Grad-Perspektive des Gesetzgebers.“

Berthold Welling, Geschäftsführer Recht und Steuern, Verband der Chemischen Industrie in Frankfurt a.M.

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So erachtete das Gericht im Verfahren des peruanischen Bauers Lluiya gegen den Energiekonzern RWE eine rechtliche Kausalität für möglich, weil der Anteil von RWE an den weltweiten CO2-Emissionen 0,47 Prozent betrage. Das sei mitursächlich für das Abschmelzen eines Gletschers in Peru, wodurch die Gefahr einer Überschwemmung des Grundstücks des Klägers bestehe. Im Sommer soll vor Ort Beweis erhoben werden.

 

Wenn Richter im Rahmen der Rechtsfortbildung die Messlatte für Unternehmen beim Klimaschutz höher legen, sei das aufgrund der isolierten Betrachtung problematisch, gibt Berthold Welling zu bedenken, Geschäftsführer Recht und Steuern sowie Nachhaltigkeit des Verbands der Chemischen Industrie in Frankfurt: „Es fehlt an der Interessenabwägung und 360-Grad-Perspektive des Gesetzgebers. Schließlich betreibt ein Energieversorger Daseinsvorsorge, muss bezahlbaren Strom liefern und schafft Arbeitsplätze. Gas erzeugt beim Verbrennen CO2, ist aber in der energieintensiven Produktion von klimaschonenden Solarpaneelen und Windkraftanlagen aktuell noch unersetzbar.“

AUCH FINANZINDUSTRIE BETROFFEN

 

Signalwirkung haben die Verfahren nicht nur für emissionsintensive Branchen wie Energieversorger, Chemiehersteller oder die Stahlindustrie. Zunehmend bezieht sich Climate Change Litigation auch auf finanzielle Risiken durch den Klimawandel oder Greenwashing, so das Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment in London. Im Fokus sind also auch Banken, Pensionsfonds, Asset Manager oder Versicherungen. Das Institut rechnet für die Zukunft mit einer weiter wachsenden Bedeutung von Klimaschutzklagen, um Maßnahmen zu forcieren oder auch zu verlangsamen. „Künftig droht gar die persönliche Haftung, wenn Manager nicht sicherstellen, dass sich Geschäftsmodell und Unternehmensstrategie am 1,5-Grad-Ziel ausrichten. Das sieht der Entwurf der EU-Kommission für eine Richtlinie zur Corporate Sustainability Due Diligence vor“, berichtet Jennifer Jünke.

 

„Doch die Beratung von CEOs in diesem Punkt ist schwierig. Es fehlen Leitplanken, weil sich die Vorgaben des Gesetzgebers zur CO2-Reduktion ständig ändern und klimabezogene Sorgfaltspflichten nicht definiert sind.“ Zwar müssen sich Vorstand und Aufsichtsrat schon jetzt mit Chancen und Risiken befassen, die der Trend zu Nachhaltigkeit und der Klimawandel für ihr Geschäftsmodell mit sich bringen. Das gebieten die Sorgfaltspflichten des Aktiengesetzes. Dabei steht ihnen aber Ermessen zu und sie können sich zugunsten der kurzfristigen Gewinnmaximierung entscheiden.

Wappnen für Klimaschutzklagen:
9 Keyfindings für Unternehmensjuristen

• Know-how aufbauen für ESG

• Climate Change Litigation bei ESG-Compliance mitdenken: Kommunikation und andere potenzielle Angriffsflächen für Klagen und aktionistische Anleger analysieren und gegensteuern

• Prozesse in Compliance-Management- und Risikomanagement-Systemen implementieren, um Risiken frühzeitig zu identifizieren

• Unternehmensstrategie und Geschäftsmodell auf Vereinbarkeit mit dem Pariser 1,5-Grad-Ziel prüfen: Klimapfad erarbeiten, Kontrollprozesse einrichten und dokumentieren, variable Management-Vergütung an ESG-Zielen orientieren

• CO2-Abdruck von Produkten, Dienstleistungen und Zulieferern bewerten, ggf. anpassen

• Verträge in der Lieferkette prüfen und mit Blick auf strengere Vorgaben künftig möglichst dynamisch gestalten

• Monitoring von Rechtsprechung und Gesetzgebung, um neue Anforderungen an Sorgfaltspflichten des Managements zu antizipieren

• Wissens-Transfer zu Best-Practice-Lösungen in Verbänden und Netzwerken intensivieren

KOMMUNIKATIONSTALENT IST GEFRAGT

 

Noch steht nicht fest, inwieweit Unternehmen in Deutschland mit Klimaschutzklagen gezwungen werden können, Emissionen zu reduzieren und Schäden durch Treibhausgase zu kompensieren. Klar ist aber: Rechtsabteilungen und Compliance-Bereiche müssen Know-how aufbauen in den Bereichen Environment, Social und Governance (ESG), die bisher eher als weiche Faktoren gelten und in der Nachhaltigkeitsabteilung verankert sind. Dazu zwingen nicht nur Klimaschutzaktivisten und ein verändertes Bewusstsein der Verbraucher, sondern auch EU-Vorgaben zu Sustainable Finance, die Taxonomieverordnung oder die Corporate Social Responsibility-Berichtspflichten, die ebenfalls auf die ESG-Kriterien abzielen. Investoren achten vermehrt auf Klimaschutz und Banken berücksichtigen finanzielle Risiken durch Klimawandel und Umweltschäden bei der Entscheidung über Finanzierungen. Für Unternehmensjuristen bedeutet das nicht nur, Prozesse und Richtlinien zu implementieren. „Da ist Kommunikationstalent gefragt“, sagt Berthold Welling. „Die digitale und grüne Transformation ist ein Change-Prozess. Das geht nicht von heute auf morgen. Legal Counsel und Compliance-Manager können eine strategische Schlüsselfunktion übernehmen, indem sie in den verschiedensten Abteilungen ein neues Bewusstsein schaffen und die Menschen mitnehmen“, bestätigt Sebastian Rünz. Aktuell sorgt die Suche nach Alternativen zu fossilen Brennstoffen wie Gas für zusätzliche Schubkraft.

Franziska Jandl

Beitrag von Alexander Pradka

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