Die Nachfrage nach mineralischen und fossilen Rohstoffen ist hoch, und sie wird perspektivisch noch erheblich steigen. So schätzt die European Raw Materials Alliance (ERMA) den weltweiten Bedarf an Seltenerdmagneten allein für den Bau von Elektrofahrzeugen bis 2030 auf jährlich bis zu 70.000 Tonnen; im Jahr 2019 lag er noch bei 5.000 Tonnen. Hinzu kommen mehr als 100.000 Tonnen, die jedes Jahr für erneuerbare Energien, Werkzeugmaschinen und Roboter gebraucht werden – allesamt Branchen, in denen Unternehmen aus der EU an der Weltspitze stehen oder dorthin streben. Der Haken: Die Hersteller sind fast vollständig auf Importe aus anderen Kontinenten angewiesen. 98 Prozent der Seltenerdmagnete auf dem Binnenmarkt stammen aus chinesischer Herstellung. Fast ebenso hoch (97 Prozent) ist der chinesische Weltmarktanteil an natürlichem und synthetischem Grafit, das in Batterien für Elektrofahrzeuge, Brennstoffzellen, Solarpaneele sowie für das Stahlrecycling verwendet wird. Es geht aber nicht nur um die Risiken aufgrund der Quasi-Monopolstellung Chinas. Auch der Krieg in der Ukraine, die Neuorientierung der USA (Inflation Reduction Act) und die fragile Beschaffungslage in Zentral- und Westafrika gefährden die Ziele des Green Deals. Damit hat sich die EU bis 2050 Klimaneutralität verordnet. Ohne E-Mobilität und erneuerbare Energien kann das ebenso wenig gelingen wie die energiehungrige Digitalisierung und die militärtechnische Zeitenwende. Denn auch die Informationstechnik und die Waffenproduktion sind auf Rohstoffe angewiesen. Das sich seiner Machtposition bewusste China hat Ende 2023 die Ausfuhrbedingungen für Grafit, sechs Monate später die Exportkonditionen für seltene Erden massiv verschärft. Alle Vorkommen wurden zu staatlichem Eigentum erklärt. Das erlaubt der Führung in Beijing, ab dem 1. Oktober 2024 Abbau und Verarbeitung streng zu kontrollieren. Zum selben Stichtag eingeführt wurden Exportbeschränkungen für weitere kritische Rohstoffe. Auch das kann weitreichende Auswirkungen auf die Produzenten von Halbleitern, Mobiltelefonen und Elektrofahrzeugen haben. Angesichts der Marktdominanz Chinas, der weltweit stark wachsenden Nachfrage nach kritischen Rohstoffen und der zunehmenden geopolitischen Verwerfungen musste die Europäische Kommission tätig werden. Im April verabschiedete sie die „Verordnung zur Schaffung eines Rahmens zur Gewährleistung einer sicheren und nachhaltigen Versorgung mit kritischen Rohstoffen“ (2014/1252, Critical Raw Materials Act, CRMA), um eine zuverlässige, erschwingliche und nachhaltige Versorgung europäischer Unternehmen mit den dringend benötigten Bausteinen der grünen Wende sicherzustellen. Bis 2030 soll die EU ertüchtigt werden, zehn Prozent ihres jährlichen Verbrauchs an strategischen Rohstoffen zu fördern, 40 Prozent zu verarbeiten und 25 Prozent zu recyceln. Dazu definiert der CRMA 34 kritische Rohstoffe von hoher wirtschaftlicher Bedeutung, darunter 17 mit strategischer Bedeutung, bei denen die Lücke zwischen dem globalen Angebot und der Nachfrage aus der EU wächst. Vorbeugend will die EU ihre Einfuhren diversifizieren: Auf kein Drittland soll mehr als 65 Prozent des Jahresverbrauchs der Union eines kritischen Rohstoffs entfallen. Dazu beitragen sollen die Stärkung der Kreislauffähigkeit inklusive Recycling und die Unterstützung von Forschung und Innovation in den Bereichen Ressourceneffizienz und Entwicklung von Ersatzstoffen.
„Wenn die Unternehmen zum Ergebnis kommen, dass die Versorgung unterbrochen werden könnte, dann müssen sie sich anstrengen,
diese Gefahr zu verringern.“
Dr. Leonard von Rummel
Rechtsanwalt,
Kanzlei Blomstein in Berlin
Finanzierungsinitiativen gefragt
Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) wertet die Verordnung als Schritt in die richtige Richtung. „Der CRMA ist die europäische Antwort auf die gestiegenen geopolitischen Risiken und auf das Streben nach größerer Rohstoffsouveränität zur Reduzierung von Abhängigkeiten“, sagt Anne Lauenroth, stellvertretende Abteilungsleiterin Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt beim BDI in Berlin. Sie verweist auf die angestrebte doppelte, nämlich grüne und digitale Transformation einschließlich der Wasserstofftechnologie, die einen vielfach höheren Bedarf an mineralischen Rohstoffen nach sich zieht. „Wir sehen aber auch, dass das wichtige Instrument eines Investitionsfonds fehlt“, moniert Lauenroth. „Er würde größere Finanzierungsinitiativen erlauben und vor allem dem Fakt begegnen, dass Unternehmen oftmals weder über die nötige Bergbau-Expertise verfügen noch die Risiken dieser sehr kapitalintensiven Rohstoffprojekte vollständig privatwirtschaftlich finanzieren und absichern können.“ Vor dem Hintergrund dessen, dass der seitens der Ampelregierung angekündigte bis zu eine Milliarde Euro schwere staatliche Rohstoff-Fonds immer noch nicht am Start ist, ist die Ungeduld der Industrie nachvollziehbar. Zumal mit dem CRMA auf große Unternehmen (weltweiter Netto-Jahresumsatz mehr als 150 Millionen Euro, mehr als 500 Mitarbeiter), die in ihrer Produktion kritische Rohstoffe einsetzen, eine Reihe neuer Berichts- und Prüfpflichten zukommen. Betroffen sind insbesondere Unternehmen aus den Bereichen der Energiewende, dem Verteidigungsbereich, der Informationstechnologie sowie der Luft- und Raumfahrt. Sie sollen nach Artikel 24 CRMA von den EU-Mitgliedsstaaten erstmals bis zum 24. Mai 2025 ermittelt und nach jeder Aktualisierung der Liste strategischer Rohstoffe, mindestens alle drei Jahre soll das geschehen, neu erfasst werden. Zuständig dafür ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. „Die Zusammenstellung der Unternehmen, die in den Anwendungsbereich von Artikel 24 fallen, ist noch nicht vollzogen“, weiß Anne Lauenroth vom BDI. Mindestens alle drei Jahre sollen diese Unternehmen dann eine Risikobewertung für strategische Rohstoffe erstellen. Das umfasst zum einen die Angabe der Orte, an denen diese Rohstoffe gewonnen, verarbeitet oder wiederaufbereitet werden, zum anderen eine Bewertung der Anfälligkeit für Versorgungsunterbrechungen. „Wenn man große Risiken feststellt, dann sollen die Unternehmen Möglichkeiten zu Verringerung dieser Anfälligkeiten prüfen und Maßnahmen skizzieren, um die Anfälligkeit der Lieferketten zu verringern.“ Stand heute kann das nur der Ersatz dieser Rohstoffe sein oder die Diversifikation der Bezugsquellen. Diese Erhebung kann in den von der EU-Kommission verlangten Stresstest für jeden strategischen Rohstoff, durchzuführen ebenfalls alle drei Jahre, einfließen. „Das würde dann auch bei den Unternehmen aufschlagen“, befürchtet Lauenroth. Allerdings können unter Bezug auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse weigern, bestimmte Daten freizugeben. „Es ist noch unklar, welche Art von Daten erhoben werden sollen“, erklärt die Politologin, fügt aber hinzu, dass es wichtig wäre, dass der BDI hierzu konsultiert wird. Damit ist das Lastenheft noch nicht komplett. Nach Ermessen der EU-Mitgliedstaaten können Berichtspflichten der Unternehmen gegenüber dem Vorstand beschlossen werden. „Da größere Unternehmen viele der für ihre Risikoanalyse erforderlichen Informationen von ihren Zulieferern abfragen müssen, werden sich mittelbar auch kleinere und mittlere Unternehmen an einzelnen Berichtspflichten des CRMA orientieren und diese Informationen für ihre Lieferketten erfassen müssen“, ergänzt Dr. Leonard von Rummel, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Blomstein in Berlin. Angesichts der zu erwartenden Mehrarbeit sei das vielleicht ein Grund zum leisen Aufstöhnen, doch kein Anlass für Panik. „Wenn die Unternehmen bei der Risikoanalyse zum Ergebnis kommen, dass es eine Gefahr für die Versorgungssicherheit geben könnte, dann müssen sie sich anstrengen, diese Gefahr zu verringern.“ Was nicht mehr bedeutet als: „Man muss dokumentiert haben, dass man sich Gedanken gemacht hat. Das entspricht der Intention der Kommission, dass die Unternehmen nicht nur die günstigsten, sondern die sichersten Zugangswege zu kritischen Rohstoffen eruieren.“ Sind Sanktionen vorgesehen, wenn man der Verpflichtung nicht nachkommt? „Es ist noch nicht klar, wie das im innerstaatlichen Recht geregelt sein wird“, weiß der Außenwirtschaftsexperte. „Man kann auch nicht sagen, wann das soweit sein wird. Erfahrungsgemäß dauert so etwas mindestens ein Jahr.“ Für die Durchführung dürfte das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zuständig sein. „Im Gesetzestext steht, dass die Mitgliedsstaaten Strafen auferlegen können und dazu Vorschriften und Maßnahmen festlegen sollen“, bestätigt Anne Lauenroth vom BDI. „Wie diese aussehen werden, ist noch unklar.“ Als Zieldatum gibt der CRMA den 24. November 2025 vor.
„Der CRMA ist die europäische Antwort auf die gestiegenen geopolitischen Risiken und auf das Streben nach größerer Rohstoffsouveränität.“
Anne Lauenroth
stellvertretende Abteilungsleiterin Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt,
BDI in Berlin
Administrative Mehrbelastung
„Der CRMA ist grundsätzlich ein positives Signal für die Wirtschaft“, lobt Thorben Petri, Referatsleiter Europäische Wirtschaftspolitik beim DIHT in Berlin. „Er zeigt, dass die Bedeutung des Themas Rohstoffsicherung erkannt wurde.“ Petri weiß zwar um die administrative und planerische Mehrbelastung großer, rohstoffverwendender Unternehmen. Aber wichtiger sind ihm die auf den CRMA zurückzuführenden Vorteile. Er verweist auf Artikel 6 CRMA Kriterien für die Anerkennung strategischer Projekte: „Sofern die Rohstoffvorhaben der Projektträger als ‚strategisch‘ anerkannt wurden, können die Unternehmen auf klare Fristen bei Genehmigungsverfahren und Maßnahmen für eine beschleunigte Durchführung hoffen.“ Das wird künftig eine Hauptaufgabe der EU-Beamten sein: das Monitoring der dem Europäischen Ausschuss für kritische Rohstoffe (Critical Raw Materials Board) vorgeschlagenen Projekte im In- und Ausland, die „einen bedeutenden Beitrag zur strategischen Versorgung der Union mit kritischen Rohstoffen leisten.“ Ein solches Projekt muss nicht zwingend ein Primärabbauprojekt sein. Genauso gut kann es der Verarbeitung oder dem Recycling kritischer Rohstoffe dienen oder der Produktion und dem verstärkten Einsatz von Materialien, die strategische Rohstoffe in besonders zukunftsweisenden Technologien substituieren können. Die im Rahmen einer offenen Ausschreibung eingehenden Bewerbungen der Projektträger werden von Experten, dem Ausschuss und dem Staat geprüft, in dessen Hoheitsgebiet sich das Projekt befindet. Bei Drittstaaten und überseeischen Ländern und Gebieten (ÜLG) ist zudem die Genehmigung des jeweiligen Staates erforderlich. Die EU-Kommission hat angekündigt, dass regelmäßig neue Bewerbungsphasen mit jeweiligen Stichtagen ausgeschrieben werden. Der erste Stichtag war am 22. August 2024. Im kommenden November wird der Ausschuss über die Projekte entscheiden, die erste Liste strategischer Projekte wird voraussichtlich im Dezember veröffentlicht werden.
Rechtliche Bedenken
Nicht überall stößt der CRMA auf Begeisterung. So befürchten Umwelt- und Menschenrechtsschützer eine Ausweitung des Rohstoffabbaus in Europa und die Abschwächung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Julia Poliskanowa, Senior Director bei der Umweltschutzorganisation Transport and Environment (T&E), wünscht der Wirtschaft außerdem mehr öffentliche Gelder für Rohstoffsicherungsmaßnahmen: „Die EU hat gerade eine große Finanzierungsrunde zur Entwicklung von grünem Wasserstoff angekündigt. Vielleicht sollte sie eine ähnliche Runde für Batterien und kritische Rohstoffe ankündigen, damit die Union ihre Ziele erreichen kann.“ Auch rechtliche Bedenkenträger sind auf den Plan getreten. Eine Studie des Thinktanks Centrum für Europäische Politik (cep) deutet darauf hin, dass die Kommission mit ihrer Einstufung von „kritischen“ und „strategischen“ Rohstoffen gegen EU-Recht verstoßen könnte: „Aus dieser Festlegung ergeben sich für Kommission, Mitgliedstaaten und Unternehmen weitreichende Rechte und Pflichten“, sagt Dr. Götz Reichert, LL.M. „Folglich handelt es sich um eine ,wesentliche’ Frage, die Rat und Parlament im Gesetzgebungsverfahrens entscheiden müssen – und nicht an die Kommission delegieren dürfen.“ Industrielle Interessengruppen sehen Widersprüche zwischen dem CRMA und anderen EU-Initiativen wie dem Net Zero Industry Act (NZIA) in Bezug auf die Förderung bestimmter Materialien und Technologien. Auch das Land, auf den der CRMA indirekt zielt, hat sich kritisch geäußert. Im Frühjahr warnte China die EU vor einer Belastung der gegenseitigen Handelsbeziehungen. Trotzdem erhob die Union im Juli Strafzölle auf chinesische Elektroautos. Gültigkeitsdauer dieser Maßnahme: vier Monate.
■ Christine Demmer