„Viele Unternehmer stehen am Abgrund – und der ist tief.“ Mit diesen markigen Worten geißelt Albrecht von Hagen, Hauptgeschäftsführer des Verbands „Die Familienunternehmer“ die Politik der Bundesregierung. Durch den enormen Anstieg der Energiepreise könnten viele Familienunternehmer nicht mehr kostendeckend – geschweige denn gewinnbringend – wirtschaften. Besonders energieintensive Grundstoffproduzenten würden darunter leiden. „Ein teils lautloser Prozess des Niedergangs ist in Gang gekommen“, sagt von Hagen. „Viele energieintensive Firmen mussten und müssen ihre Produktionen wegen der massiv gestiegenen Energiepreise herunterfahren oder sogar ganz stoppen.“ Albrecht von Hagen ist Jurist – und sein Job ist es, Politiker aufzurütteln und Einfluss zu nehmen auf ihrer Entscheidungsfindung. Er ist Lobbyist, ordnungsgemäß eingetragen im Lobbyregister des Deutschen Bundestages, und er versucht, seine Ziele auf unterschiedliche Weisen zu erreichen: Durch markige Pressestatements und Interviews ebenso wie durch viele persönliche Gespräche mit den Entscheidern – seien es Minister, Abgeordnete oder Ministerialbeamte –, die am Gesetzgebungsprozess mitwirken. Der Verband „Die Familienunternehmer“, dessen Arbeit von Hagen als Hauptgeschäftsführer gestaltet, zählt zu den einflussreichsten Lobbyorganisationen Deutschlands. Der Lobbyismus hat in Deutschland keinen guten Ruf. So wollten sich über ein halbes Dutzend angefragte Unternehmensjuristen namhafter Konzerne, die im Lobbyregister eingetragen sind, auf Anfrage des „In-house Counsel“ nicht zu der Thematik äußern. Dabei ist die Interessenvertretung an sich keine schlechte Sache: Als Lobbying wird die Vertretung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Interessen gegenüber der Politik verstanden. Es ist zunächst einmal legitimer Bestandteil von Demokratie. „Dadurch wird die zulässige, konstruktive Einflussnahme auf Gesetzgebungsvorhaben inhaltlicher Art verfolgt“, erklärt Lisa Möllenbeck, Associate in der Wirtschaftskanzlei Heuking. „Das Ziel ist dabei, einzelne für das jeweilige Unternehmen beziehungsweise die Branche wünschenswerte Vorstellungen in Gesetzen unterzubringen.“ Die Interessenvertreter, die entweder für die Unternehmen selbst oder für Verbände arbeiten, haben die Aufgabe darauf hinzuweisen, wie sich die Regulatorik auf die jeweilige Branche auswirkt. Durch den Austausch und das Zusammenspiel von Politik, Regierung und Wirtschaft würden letztlich zweckdienliche, effektive, aber auch praktisch umsetzbare Regelungen geschaffen. Ein Beispiel dafür ist die erst im späteren Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes berücksichtigte Möglichkeit einer anonymisierten Hinweisgebermeldung, die auf Initiative von Wirtschaftsverbänden in das Gesetz mit aufgenommen wurde. „Durch die Einführung der Möglichkeit einer anonymen Meldung trauen sich mehr Hinweisgeber in der Praxis, Verstöße und Verdachtsmomente zu melden“, erklärt Möllenbeck. „Dadurch erhalten Unternehmen öfter Kenntnis von möglichen Missständen und können diese beheben oder diesen vorbeugen, was ebenfalls im Sinne des vom Gesetzgeber verfolgten Ziels ist.“ Doch mitunter schießen Unternehmen über das legitime Ziel hinaus – und versuchen, direkten Einfluss auf Entscheidungen demokratisch gewählter Volksvertreter zu nehmen. So hatte etwa der CDU-Politiker Philipp Amthor 2020 für das US-Unternehmen Augustus Intelligence lobbyiert und im Gegenzug Aktienoptionen erhalten. Und auch die sogenannte Maskenaffäre der beiden Bundestagsabgeordneten Nikolas Löbel (CDU) und Georg Nüßlein (CSU) sowie des bayerischen Landtagsabgeordneten und ehemaligen bayerischen Justizministers Alfred Sauter (CSU) hinterließ einen faden Beigeschmack: Die drei Politiker sollen sich während der Corona-Pandemie bei der Beschaffung von Schutzmasken persönlich bereichert haben, indem sie Ankäufe vermittelt und dafür Provisionen erhalten haben. Der Bundesgerichtshof sah hier allerdings den Vorwurf der Bestechlichkeit nicht erfüllt, die Politiker durften ihre millionenschweren Provisionen behalten.
„Ein teils lautloser Prozess des Niedergangs ist in Gang gekommen“
Albrecht von Hagen
Hauptgeschäftsführer,
Wirtschaftsverband „Die Familienunternehmer“
Eintrag ist Pflicht
Derartige Vorfälle lieferten den Anstoß für den Deutschen Bundestag, ein Lobbyregister einzuführen. Seit dem 1. Januar 2022 gibt es das Register, in das sich jeder eintragen muss, der „Interessenvertretung betreibt, die nach dem Lobbyregistergesetz eintragungspflichtig ist“. Das gilt für alle, die Kontakt zu Abgeordneten, deren Mitarbeitern, Fraktionen und der Bundesregierung aufnehmen. Ausnahmen gibt es für Kirchen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände – sie müssen sich laut Gesetz nicht ins Lobbyregister eintragen, können das aber freiwillig tun. Das Gesetz verpflichtet Unternehmen, hochsensible Daten wie umfangreiche Finanzangaben, Jahresabschlüsse und sogar Geschäftsgeheimnisse zu veröffentlichen. „Es ist ein schmaler Grat zwischen wünschenswerter Transparenz und einem Überschießen der Politik“, findet Heuking-Anwältin Möllenbeck. Mit Wirkung zum 30. Juni dieses Jahres gelten nochmals verschärfte Regeln und die Unternehmen müssen diverse Aktualisierungen ihrer Register-Angaben vornehmen. Während Unternehmen bisher die Veröffentlichung von bestimmten Informationen im Lobbyregister verweigern konnten, ist dies nun nicht mehr zulässig und möglich. „Unternehmen müssen beispielsweise angeben, auf welche konkreten Regelungsvorhaben der Bundesregierung oder EU sich ihre Interessenvertretung bezieht, also auf welche Gesetze konkret durch die Lobbyarbeit Einfluss genommen werden soll“, erklärt Möllenbeck.
Mehraufwand auf Unternehmensseite
„Dadurch müssen die betroffenen Personen und Unternehmen im Vorfeld zu bestimmten Vorhaben Stellung nehmen und sich inhaltlich positionieren, bevor die Politik überhaupt eine Entscheidung dahingehend getroffen hat.“ Das stelle die Unternehmen vor die Herausforderung, wie viele Informationen sie über sich und ihre Vorhaben preisgeben wollen und auch können. „Durch diese Angaben kann oftmals auf die unternehmerischen und strategischen Ziele eines Unternehmens geschlossen werden“, so die Wirtschaftsanwältin. „Dabei müssen Unternehmen zwischen dem Nutzen der Interessenvertretung einerseits und dem möglichen Wettbewerbsnachteil durch Veröffentlichung der geforderten Informationen andererseits abwägen.“ Insgesamt entstehe durch die Neuregelung ein deutlicher Mehraufwand auf Unternehmensseite hinsichtlich der Aktualisierung der Beiträge und Monitoring, sagt Möllenbeck. „Unternehmen sind aber gehalten, die Frist unbedingt einzuhalten, da ansonsten Bußgelder bei falschen oder unvollständigen Angaben drohen.“ Tragen Unternehmen und Verbände die nach dem Lobbyregistergesetz erforderlichen Angaben nicht ein, ist jede fortgeführte Lobbyarbeit ordnungswidrig und kann mit einer Geldbuße von bis zu 50.000 Euro geahndet werden. „Die aktuellen Regelungen stellen Unternehmen vor schwerwiegende Herausforderungen“, gibt die Juristin zu bedenken. Dabei sei Transparenz im Hinblick auf Lobbyarbeit und Interessenvertretung eigentlich erstrebenswert – sie müsse aber für Unternehmen nach ihren wirtschaftlichen, personellen und organisatorischen Möglichkeiten auch praktisch umsetzbar sein. Der Verein Lobbycontrol hält die Neuregelungen hingegen für sinnvoll. Dadurch sei Deutschland „endlich auf dem Weg zu zeitgemäßen Lobbyregeln“, sagt Timo Lange, Campaigner für Lobbykontrolle und Regeln bei dem gemeinnützigen Verein. „Die Bilanz der Ampelkoalition bei der Transparenz- und Lobbyregulierung kann sich nach gut zwei Jahren Regierungszeit durchaus sehen lassen. Das Lobbyregister ist reformiert und endlich gibt es auch eine Lobby-Fußspur für Gesetze, das sind zwei wichtige Elemente für transparentere Politik.“ Effektive Lobbyregeln würden das Vertrauen in die Demokratie stärken, betont Lange.
„Je früher man bei einem Verfahren dabei ist,
desto besser kann man Einfluss nehmen. “
Christoph Stresing
Geschäftsführer,
Bundesverband deutscher Start-ups
Lobbyarbeit ist nicht einfach
Aufgrund der nunmehr existierenden strengeren Vorgaben ist es für Unternehmen seit einiger Zeit durchaus angezeigt, sich rechtlichen Rat einzuholen. Denn Lobbyarbeit ist in juristischer Hinsicht alles andere als eine einfache Sache. „Wir beraten und unterstützen Unternehmen auch bei der praktischen Umsetzung, also der tatsächlichen Registrierung, der strategischen Vorgehensweise beim zulässigen Einsatz von Interessenvertretern und bei konkreten Umsetzungsvorhaben“, zählt Heuking-Juristin Möllenbeck auf. „Hierbei implementieren wir auf Compliance-Ebene beispielsweise Monitoring-Systeme zur fortlaufenden Überprüfung und Aktualisierung der Angaben, um die ununterbrochene Richtigkeit der registrierten Angaben sicherzustellen.“ Man habe schon große Konzerne beraten, sei jede einzelne Gesellschaft durchgegangen, habe sich die einzelnen Ausgaben im Zusammenhang mit der Interessenvertretung sowie Spendenaktivitäten angesehen und habe überprüft, welche Finanzangaben im Einzelnen veröffentlicht werden müssen, berichtet die Anwältin aus der täglichen Praxis. „Am Ende hat der Mandant entschieden, im Zweifel erst einmal alles anzumelden. Die Mandanten wollen sich ordnungsgemäß und den gesetzlichen Vorgaben entsprechend verhalten, gleichzeitig aber nicht mehr Informationen als erforderlich veröffentlichen.“ Das sei mitunter schwierig. Trotz der verschärften Regeln ist seine Tätigkeit als Lobbyist für Christoph Stresing, Geschäftsführer beim Bundesverband Deutsche Startups, immer noch ein Traumjob. Der Verband wurde 2012 als Reaktion auf das sogenannte „Anti-Angel-Gesetz“ gegründet. Dieses sollte die Besteuerung der Veräußerungsgewinne durch Streubesitz regeln – und hätte die Finanzierung von jungen Unternehmen massiv erschwert. Weil die Startup-Branche zu diesem Zeitpunkt keine Stimme gegenüber der Politik hatte, gründete sie den Verband als Interessenvertretung – und trug dazu bei, dass das umstrittene Gesetz verworfen wurde. Guter Lobbyismus fange dabei laut Stresing so früh wie möglich an: je früher man bei einem Verfahren dabei sei, desto besser könne man Einfluss nehmen. Sein Jurastudium sieht Stresing bei seiner Arbeit als großen Vorteil: Die juristischen Fachkenntnisse würden ihm dabei helfen, die Zusammenspiele in der Gesetzgebung und die zugrundeliegenden Systematiken besser zu verstehen. Mitunter hilft aber auch die langjährige Erfahrung im Lobbyismus nicht weiter, um für die eigene Branche nachteilhafte Gesetzesvorhaben zu verhindern. So reduzierte die Bundesregierung Anfang März kurzfristig und ohne Vorankündigung den sogenannten INVEST-Zuschuss Wagniskapital – ein „harter Schlag für Business Angels und Startups“, wie Stresing betont. „Dass die Bundesregierung in der ohnehin angespannten Finanzierungssituation für Startups ihr Engagement jetzt zurückfährt, ist ein fatales Signal. Das steht im Widerspruch zu den öffentlichen Beteuerungen der Ampel-Koalition, den Startup-Standort stärken zu wollen.“ Hier würden die Prioritäten offensichtlich falsch gesetzt. Am Ende bleibt aber auch für Startup-Lobbyist Stresing nur ein Appell: „Es sollte dringend geprüft werden, ob durch eine finanzielle Aufstockung die Reduzierung rückgängig gemacht werden kann“, mahnt er. Denn er kann als Interessenvertreter nur Vorschläge machen – die politischen Entscheidungen treffen andere.
■ Harald Czycholl