Gut zu wissen, mit wem man es in Verhandlungen zu tun hat

Psychologisches Profiling ist auf dem Vormarsch. Die ganzheitliche Beurteilung von Menschen, ihrer Handlungsmotive und Entscheidungspräferenzen trägt dazu bei, psychologische Themen im eigenen Team und auf der anderen Seite zu verstehen. Die eigene Strategie wird mit der Kenntnis der Kontrahenten untermauert und zielsicherer.
vom 7. März 2025
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 „Da bin ich ja froh, dass ich nicht so viel verdiene wie Sie, denn sonst könnte ich nachts nicht ruhig schlafen.“ Wenn dies der erste Satz des Richters in einem millionenschweren Abfindungsstreit ist, haben andere mit Sicherheit schlaflose Nächte vor sich – hier: die Klägerin und ihre Rechtsanwälte. Und das zu Recht, denn von Beginn an wendet sich das Verfahren eindeutig in eine für die Klägerseite ungünstige Richtung. Schlimmer noch für die Beschwerdeführer ist es, wenn es tatsächlich valide Gründe gibt, der Klage nicht stattzugeben. Nun gut, einen gerichtsfesten Beweis für Voreingenommenheit gibt es nicht. Dennoch haben die Vertreter der – ihrer Ansicht nach – zu Unrecht entlassenen Vorständin den sicheren Eindruck, der Richter sei befangen. Sie werden unsicher. Wie sinnvoll ist es, eine Strategie auf einer Hypothese aufzubauen? In dieser verfahrenen Situation hat einer der Rechtsanwälte die Idee, einen Profiler hinzuzuziehen, um den Richter psychologisch einschätzen zu lassen. Worauf könnte die erkennbare Abneigung des Richters gegen die Klägerin beruhen? Gibt es Möglichkeiten, im nicht-juristischen Bereich gegenzusteuern? Und wie sieht die Gegenseite den Fall? Psychologisches Profiling ist eine komplexe Disziplin mit großer Anwendungsbreite im politischen und wirtschaftlichen Feld. Von stark zunehmender Relevanz ist das Profiling im Rahmen der US-amerikanischen Gerichtsbarkeit sowie bei internationalen Schiedsgerichtsverfahren. Der Grund liegt auf der Hand: In den USA fallen die zugesprochenen Schadensersatzsummen deutlich höher aus als in anderen Ländern. Schmerzensgeldzahlungen übersteigen selbst bei geringen Verletzungen häufig mehr als 100.000 US-Dollar. Allein im bekannten „McDonald‘s heißer Kaffee“-Fall wurde einer Kundin 1994 von der Jury eine Entschädigung von 160.000 Dollar plus 2,7 Millionen Dollar Strafschadensersatz zugesprochen. (Weitere Beispiele im Kasten am Ende). Bei Sammelklagen, den Class Actions, können die Gesamtsummen in die Milliarden gehen. Alle Parteien haben also ein starkes wirtschaftliches Interesse, mit allen rechtlich zulässigen Mitteln auf ein Urteil zu ihren Gunsten hinzuwirken. Dabei ist psychologisches Profiling überhaupt nicht neu. In der Forensik tauchte mit den Theorien des italienischen Psychiaters und Rechtsmediziners Cesare Lombroso im späten 19. Jahrhundert bereits eine Vorform dieser Offenlegung menschlicher Handlungsmotive auf. Unter Juristen weithin bekannt und aufgrund der verblüffenden Herangehensweise erst nach eingehenden Diskussionen akzeptiert wurde die Erstellung psychologischer Täterprofile im berühmten Fall „Jack the Ripper“. Er hatte London 1888 mit mehreren Frauenmorden erschüttert. Das Profiling brachte immerhin einen Teilerfolg. Der legendäre Berliner Kriminalrat Ernst Gennart führte in den 1920er Jahren das Täterprofiling in der von ihm geschaffenen, später weltweit kopierten „Zentralen Mordinspektion“ ein. Die Anwendung dieser analytischen Methode ließ die Aufklärungsquote bei Mord auf bislang unerreichte 95 Prozent steigen.

Rheinländer

„In der Praxis sind nicht zuletzt auch psychologische Gesichtspunkte von mitunter entscheidender Bedeutung für das Ergebnis eines Strafverfahrens.“

Dr. Markus Rheinländer
Fachanwalt für Strafrecht,

HEUKING

Von Jack the Ripper über Berlin zu Hitler

1943 machte sich der Vorläufer der CIA, das amerikanische Office of Strategic Services (OSS) das psychologische Profiling zunutze. Das OSS war zuständig für Informationsbeschaffung und psychologische Kriegsführung, den sogenannten Psyops. Man wollte Hitlers Psyche und Motive eruieren und sein Handeln prognostizieren. Die Aufgabe erhielten der Titan der Persönlichkeitspsychologie, Professor Henry A. Murray, und der Psychoanalytiker Dr. Walter C. Langer. Mit dieser Geheimdienststudie begann der Siegeszug des psychologischen Profilings in der Politik (veröffentlicht 1972 unter dem Titel „The Mind of Adolf Hitler“). Der Durchbruch dieser Methode kam 1978, als Präsident Carter vor seinen Friedensverhandlungen in Camp David detaillierte psychologische Profile des ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat und des israelischen Premierministers Menachem Begin mit Handlungsableitungen für ihn selbst anforderte. Der jüngst verstorbene Präsident sagte damals öffentlich, seinen großen Vermittlungserfolg habe er diesen Analysen verdankt. Heute verfügen Regierungen und Nachrichtendienste aller Länder über differenzierte Persönlichkeitsprofile der für sie relevanten Schlüsselpersonen. Aus den USA ist neben dem forensischen Profiling für die Fallanalyse auch das Jury-Profiling bekannt. Seit den frühen 1980er-Jahren haben sich Spezialisten wie die Profilerin Dr. Jo-Ellan Dimitrius etabliert, welche die Anwälte bei der Auswahl der für ihren Fall voraussichtlich bestgeeigneten Jurorinnen und Juroren beraten. Dabei werden neben sozioökonomischen Kriterien auch individualpsychologische Einschätzungen vorgenommen. Die Persönlichkeiten und Entscheidungsneigungen der Richter versucht man ebenfalls im Vorhinein besser zu verstehen. Gleiches gilt für die Auswahl der Schiedsrichter (Wing Men) in Schiedsgerichtsverfahren. Heute ist diese Vorgehensweise im angelsächsischen Rechtssystem bei größeren Prozessen der Standard. Bei Probeläufen der Verhandlung (Mock Trial) lässt sich testen, inwieweit die psychologischen Vorannahmen und Prognosen zutreffend sind. Ein solcher Mock Trial wurde am 16. Februar 2011 von der Deutschen Bank in dem Verfahren Kirch ./. Deutsche Bank durchgeführt. Auch in Deutschland greifen Rechtsanwälte zunehmend zu diesem von der Psychologie bereitgestellten Werkzeug. „Im Interesse des Mandanten sind sämtliche rechtlich zulässigen Stellschrauben zu nutzen, um seine Interessen bestmöglich zu vertreten. In der Praxis sind jedoch neben Prozesstaktik oder -strategie nicht zuletzt auch psychologische Gesichtspunkte von mitunter entscheidender Bedeutung für das Ergebnis eines Strafverfahrens“, sagt Dr. Markus Rheinländer. „Natürlich entscheidet eine mit derlei Kenntnissen vorbereitete Hauptverhandlung nicht schon über Sieg oder Niederlage“, kommentiert der Strafrechtler bei Heuking in Düsseldorf. „Psychologische Einschätzungen liefern aber nicht selten wertvolle Hinweise über die Art und Weise, wie der Verteidiger gegenüber dem jeweiligen Strafrichter seine Argumente vorbereiten und möglichst effizient vortragen kann.“ Denn: „Erfolgreiches Framing gelingt in einem Prozess jedoch nicht nur durch Jura, sondern auch durch geschickte Kommunikation oder, anders gewendet: durch Psychologie. Sie spielt vom Beginn des Verfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss eine je nach Lage des Einzelfalls teils ganz erhebliche Rolle.“ 

Dr.Anke Meier

„Mandanten sind offen für Kommunikation über die subtileren
Ebenen des Verfahrens.“ 

Dr. Anke Meier
Partnerin,

Noerr in Frankfurt

Erfolg? Jura vs. Psychologie: 51Prozent zu 49 Prozent

Mit Mock Trials hat auch Dr. Anke Meier Erfahrungen. Die Partnerin bei der Kanzlei Noerr in Frankfurt ist als Head of Arbitration seit Jahren auf internationale Prozessführung in Schiedsgerichtsverfahren spezialisiert und weiß: „Auch wenn manchen Mandanten die Kosten zu hoch scheinen, hat ein Probeprozess einen unschätzbaren Wert, da man sehen kann, wie die Strategie am besten ankommen wird. Welche Rolle soll der Anwalt einnehmen, wie aggressiv, wie kooperativ – und zu welchem Stand des Verfahrens passt welche Emotion am besten?“ In den USA und in anderen Jurisdiktionen spielen auch nach ihrer Erfahrung Profiler eine wichtige Rolle. „Mandanten sind offen für Kommunikation über die subtileren Ebenen des Verfahrens“, sagt die erfahrene Schiedsrechtlerin, die über ihre juristische Arbeit hinaus Interesse an psychologischen Vorgängen hat. Gerade in den USA, wo sie ihren LL.M in Kalifornien erwarb, hat sie professionelle Bestrebungen des Profilings beobachtet: „Wie wird die verbale Nachricht psychologisch so verpackt, dass sie erfolgssteigernd wahrgenommen und auf der Seite des Richters verinnerlicht wird?“ Wenn beispielsweise der Leiter einer Rechtsabteilung Sorge habe, seinen Job zu verlieren, werde er alles tun, was für den Erhalt seiner Position sinnvoll ist. Im Bereich Arbitration wäre es ebenfalls ratsam, die in Betracht gezogenen Richter besser einschätzen zu können. Auch würde die Bedeutung des Zeugen gerade in Deutschland häufig unterschätzt: Von seinem Auftreten vor Gericht könne Entscheidendes abhängen. Einfache Regeln würden teils missachtet, so zum Beispiel, dass bei Schadensersatzklagen die Parteien nicht mit viel Schmuck bei Gericht auftauchen sollten. „Der entscheidende Gewinn liegt häufig jenseits des Juristischen“, sagt Dr. Meier, „nur zu 51 Prozent entscheiden juristische Argumente.“

Remote Profiling

Bei Gerichtsverfahren, Verkaufs- oder Preisverhandlungen ist eine persönliche Begegnung zwischen Profiler und Zielperson nicht erforderlich. Es war der US-Psychiater Dr. Walter C. Langer, der das Konzept der „psychologischen Distanz“ im Profiling einführte. Sein Ansatz bestand darin, Informationen aus allen verfügbaren Bereichen zu sammeln um Diagnosen abzuleiten. Dies wird heute als Remote Profiling bezeichnet. Es wurde von Experten des Stanford Research Institute in den 1970er-Jahren weiterentwickelt und gehört mittlerweile zu den gängigen Tools bei Nachrichtendiensten und internationalen Law Firms. Es ist ein diskretes Geschäft, das psychologische Profiling. Es gibt kaum mehr als eine Handvoll ausgebildeter Expertinnen und Experten mit akademischem Hintergrund und langjähriger Erfahrung. Wer deren Beratung nutzt, behält es gern für sich. Bei dem eingangs geschilderten Abfindungsprozess war die Mandantin eine sehr attraktive, extrem ehrgeizige, höchst erfolgreiche und kühle Topmanagerin. Die Analyse des Profilers: Die Klägerin verkörperte das persönliche Feindbild des Richters von einer Frau – er kam aus den Tiefen Niederbayerns. Für den weiteren Prozessverlauf wurden ihr andere Outfits verordnet und insgesamt ein sanfteres Auftreten: Strickkleider in Pastelltönen statt aggressiv empfundener tiefschwarzer Hosenanzüge, offene Locken anstelle des strengen Haarknotens, Betonung ihrer Eigenschaften als Mutter und Ehefrau. Ab diesem Moment hatte sie das Wohlwollen des Richters. Das Verfahren wurde vollumfänglich gewonnen. Wie wusste schon der chinesische Militärstratege General Sunzi („Die Kunst des Krieges“): „Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten.“ 

 

Dr. Claudia Leudesdorff

Amerika, du hast es besser?

Schadensersatzklagen erreichen in den Vereinigten Staaten häufig astronomische Höhen. In Washington DC verklagte ein Verwaltungsrichter ein Reinigungsunternehmen, das seine Hose verloren hatte, auf 65 Millionen Dollar Schadensersatz. Begründung: An der Ladentür habe ein Schild gehangen: „Satisfaction Guaranteed“. Das begründe eine verschuldensunabhängige Haftung des Betriebs. In Minnesota reichte ein Kläger, der sich für Gott hielt, eine Klage gegen den Zauberer David Copperfield ein: Der Magier bediene sich seiner, nämlich göttlicher Kräfte. Nach der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers war er alleiniger Inhaber von Zauberkräften, mithin auch von denen Copperfields. Der Kläger bestand wahlweise auf Offenlegung der Zaubertricks oder 50 Millionen Dollar Schadensersatz. Beide Klagen hatten keinen Erfolg. Jenseits dieser in Europa eher Heiterkeit auslösenden Extremfälle sind aber auch erfolgreiche Klagen auf Schadensersatz im mehrstelligen Millionenbereich bekannt geworden. Über die Eigenheiten des amerikanischen Haftungsrechts kann man nur staunen.

Beitrag von Alexander Pradka

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