Geschäftsführerhaftung bleibt vorerst offen

Die Frage, ob ein Unternehmen, gegen das nach Kartellrechtsverstoß ein Bußgeld ergangen ist, seinen Geschäftsführer in Regress nehmen kann, liegt nun beim Europäischen Gerichtshof.
vom 7. März 2025
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In den Jahren 2002 bis 2015 beteiligte sich der Vorstandsvorsitzende einer Unternehmensgruppe in der Edelstahlproduktion und Geschäftsführer einer zur Gruppe gehörenden GmbH an einem Preiskartell unter verschiedenen Unternehmen der Stahlindustrie. Diese vereinbarten ein einheitliches Preissystem und stimmten Schrott- und Legierungszuschläge miteinander ab. Das Bundeskartellamt verhängte gegen die GmbH ein Bußgeld in Höhe von 4,1 Millionen Euro und gegen den Geschäftsführer eine persönliche Geldbuße in Höhe von 126.000 Euro. Aktiengesellschaft und GmbH verlangen von dem Vorstandsvorsitzenden und Geschäftsführer Ersatz des gegen die GmbH verhängten Bußgeldes und Ersatz des für die Aktiengesellschaft zur Abwehr des Bußgeldes entstandene IT- und Rechtsanwaltskosten in Höhe von einer Million Euro. Außerdem begehren sie die Feststellung, dass er ihnen alle weiteren Schäden zu ersetzen hat, die aus dem Verstoß folgen. Das Landgericht Düsseldorf verneinte den Anspruch auf Erstattung des Bußgeldes und der Rechtsverteidigungskosten, bejahte allerdings die Ersatzpflicht für weitere aus dem Kartellrechtsverstoß resultierende Schäden. Die Berufungen beider Seiten beim Oberlandesgericht hatten keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht argumentierte, dass sich die gesellschaftsrechtlichen Regressvorschriften im Verhältnis Gesellschaft und Geschäftsführer nicht auf Kartellbußgelder gegen das Unternehmen erstrecken. Wäre dies so, würde der Zweck des kartellrechtlich zu verhängenden Bußgeldes vereitelt. Mit den Revisionen verfolgen Aktiengesellschaft und GmbH ihre Zahlungsanträge weiter, der Geschäftsführer möchte mit der Anschlussrevision die Feststellung seiner Schadensersatzpflicht beschränkt wissen. Der BGH hat den Fall an den EuGH mit einem Vorabentscheidungsersuchen weitergegeben. Dass es sich bei der Beteiligung an den Preisabsprachen um eine Pflichtverletzung handelt, ist unstreitig. Fraglich ist aber, ob die Haftungsvorschriften (§§  43 Abs. 2 GmbH-Gesetz und 93 Abs. 2 Satz 1 des Aktiengesetzes) einschränkend auszulegen sind und die Unternehmenssanktionen nicht darunterfallen. Der BGH verweist auf die Rechtsprechung des EuGH, nach der die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass ihre Wettbewerbsbehörden wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Geldbußen gegen Unternehmen verhängen können, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig gegen Art. 101 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoßen. Die Wirksamkeit einer Geldbuße und der dahinterstehende Abschreckungsgedanke könnten beeinträchtigt sein, wenn das Unternehmen die handelnden Leitungsorgane in Regress nehmen könnte. Konkret Bezug nimmt der BGH auf ein Urteil des EuGH aus dem Steuerrecht: Dort hatte dieser dargelegt, dass eine Geldbuße viel von ihrer Wirksamkeit einbüßen könnte, wenn das sanktionierte Unternehmen berechtigt wäre, diese auch nur zum Teil steuerlich abzusetzen. Sollte der EuGH einen Innenregress für europarechtswidrig erachten, „wären Geschäftsführer und Vorstände vor einem Innenregress geschützt, und zwar auch dann, wenn die Europäische Kommission ein Bußgeld erlassen hat“, kommentiert Dr. Lorenz Jarass, Associated Partner der Kanzlei Noerr. Sollte der EuGH diesen hingegen für europarechtlich zulässig erachten, „müsste der BGH im Nachgang entscheiden, ob ein solcher Innenregress allein nach deutschem Recht möglich ist“, so Jarass weiter. „Auch wenn der BGH diese Frage bislang offengelassen hat, scheint er nach deutschem Recht einen Innenregress für zulässig zu erachten, weil andernfalls das Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH nicht entscheidungserheblich wäre.“ Mit einer Entscheidung des EuGH rechnet Jarass innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre.

 

Alexander Pradka

Beitrag von Alexander Pradka

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