Für das Unternehmensziel Rendite wird die Luft immer dünner

Mit Inkrafttreten der Corporate Sustainability Due Diligence Directive wird das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zu einem Gesetz auf Abruf. Denn bis zum 26. Juli 2026 muss das LkSG an den strengeren Pflichtenkatalog der CSDDD angepasst werden. Fein raus sind Unternehmen, deren Leiter Recht die Brüsseler Spitzen schon einkalkuliert haben.
vom 13. November 2024
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 Seit Inkrafttreten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) werden die Rechtsabteilungen von einer Flut an Codes of Conducts überrollt. Ein Kunde nach dem anderen lässt sich von ihren unmittelbaren Zulieferern vertraglich zusichern, dass seine menschenrechtlichen und umweltbezogenen Erwartungen eingehalten und ihrerseits entlang der Lieferkette kongruent weitergegeben werden. Das setzt eine Kaskade in Gang, die in den kommenden Jahren noch weiter Fahrt aufnehmen dürfte. Denn gerade haben sich auch mittelgroße Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten auf das Gesetz eingestellt und entsprechende Prozesse etabliert, da droht die nächste Stufe der fürsorglichen Lieferantenbeobachtung. Mit der bis zum Sommer 2026 in deutsches Recht umzusetzenden Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD oder CS3D) dürfte das LkSG eine Verschärfung erfahren. Die am besten schleunigst vorwegzunehmen ist, denn nach Inkrafttreten der Richtlinie hat das EU-Recht Vorrang vor nationalem Recht. Unternehmen müssen also die umfassenderen Vorgaben der CS3D beachten, auch wenn sie bereits dem LkSG folgen. Gut dran sind Rechtsabteilungen, die frühzeitig Witterung aufgenommen haben und ihren Zulieferern Verhaltenskodizes zur Unterschrift vorlegen, den deutschen Vorschriften Luft zum Atmen geben. In Nordbayern beispielsweise wurde der nächste Zug der Brüsseler Umweltschützer weitsichtig vorausgesehen. „Wir haben bereits heute strenge Due-Diligence-Prozesse implementiert, um sicherzustellen, dass unsere Lieferanten weltweit menschenrechts- und umweltbezogene Standards einhalten“, sagt Dr. Anita Schieffer, Group Compliance Officer und Human Rights Officer bei Siemens Energy in Erlangen. Schon jetzt zum Einsatz kämen Risikoanalysen, Lieferantenselbstauskünfte, Lieferantenaudits und kontinuierliche Überprüfungen. „Mit der Anpassung des deutschen LkSG an die CSDDD im Juli 2026 werden wir diese Verfahren weiter ausbauen und zusätzliche Anforderungen, wie etwa stärkere Umweltbestimmungen, integrieren, um den EU-Regularien umfassend gerecht zu werden.“ Auch weiter nördlich weiß man, wohin der Wind wehen wird. „Der gegenwärtige Rechtsrahmen definiert nur die Minimalanforderungen“, weiß Nicole Teresiak von der VDM Metals Holding in Dortmund. Die wirtschaftliche Lage des Unternehmens sei komfortabel. „Deshalb haben wir eine besondere Verantwortung, um sicherzustellen, dass alle, die in der Lieferkette beteiligt sind, gleich pflichtschuldig und mit Blick auf das Große Ganze mit Menschen und Umwelt umgehen.“ Und noch einmal mit Nachdruck: „Wir glauben, dass wir Verantwortung haben, hier Industriestandards zu setzen.“ Warum? „Das betrifft nicht nur das Wettbewerbsrecht“, sagt Teresiak. „Viel mehr hat das hat etwas mit fairer Partnerschaft zu tun.“ Freya Elisabeth Humbert, Rechtsanwältin bei Görg in Berlin, unterstützt diese Haltung. Sie kommentiert: „Die Rechtsabteilungen, die sich bereits mit dem LkSG auseinandergesetzt haben, profitieren nun vom Know-how der Prozesse im Rahmen der Lieferkettenkontrolle. Sind in der unternehmerischen Organisationsstruktur eigens Abteilungen oder Positionen zur Kontrolle der Lieferkette geschaffen worden, wie beispielsweise des/der Menschenrechtsbeauftragten, können die Ressourcen beim Übergang zum CSDDD(-Umsetzungsgesetz) fortlaufend genutzt werden.“ Nötig sei dann nur noch, inhaltliche Abweichungen in den rechtlichen Vorgaben der Sorgfaltspflichten zu identifizieren und eine Feinjustierung vorzunehmen. Das sollte im Vergleich zur erstmaligen Verankerung in der Unternehmensstruktur mit vergleichbar wenig Aufwand verbunden sein.“

NicoleTeresiak

„Wir haben eine besondere Verantwortung, um sicherzustellen, dass alle in der Lieferkette gleich pflichtschuldig mit Menschen und Umwelt umgehen.“

Nicole Teresiak
Syndikusrechtsanwältin und Head of Compliance,
VDM Metals Holding

Menschenrechtswahrung und Umweltschutz mit beschränkter Haftung

Das leuchtete ein, denn sowohl die nationale wie die europäische Gesetzgebung haben dieselbe Stoßrichtung: Sowohl das LkSG als auch die CS3D verpflichten Unternehmen zur Beachtung ethischer Geschäftspraktiken und nachhaltiger Lieferketten. Das soll die Wirtschaft, der von weiten Teilen des EU-Parlaments fortgesetzter Raubbau vorgeworfen wird, mit Natur und Gesellschaft versöhnen. Im Zentrum beider Gesetze steht das Thema Nachhaltigkeit. Beim LkSG liegt der Schwerpunkt allerdings auf den Menschenrechten, während die CS3D den Fokus zusätzlich auf die Bekämpfung des Klimawandels legt. Mit der kommenden Zusammenführung werden die Ziele Renditestreben, Menschenrechtswahrung und Umweltschutz auf den gleichen Rang gebracht. Damit das keine Worthülse bleibt, sollen die Unternehmen künftig auch zivilrechtlich entlang globaler Lieferketten für Verstöße gegen einige in der Richtlinie vorgesehene Sorgfaltspflichten haften. Das lässt das Risiko für Rechtsstreitigkeiten zwar steigen. Dies geschieht allerdings nur in moderater Weise, weil die von den betroffenen Unternehmen einzuhaltenden Sorgfaltspflichten entlang ihrer Lieferkette dem gesetz entsprechend nur sogenannte Bemühenspflichten sind und keine Garantiepflichten. „Die CSDDD zielt auf das Ergreifen geeigneter Schritte ab und nicht darauf, unter allen Umständen zu gewährleisten, dass überhaupt keine negativen Auswirkungen auftreten“, sagt Dr. Dieter Neumann, Partner bei der Kanzlei Greenberg Traurig in Berlin. „Die zivilrechtliche Haftung nach der CSDDD stellt zwar gegenüber dem LkSG eine Verschärfung dar“, vertieft Görg-Associate Humbert das Haftungsthema. „Jedoch bringt ein ausdrücklich normierter Haftungstatbestand wie Art. 29 CSDDD auch die deutlich strengeren, weil gesetzlich niedergeschriebenen Voraussetzungen mit sich.“ Dies zeige sich bereits in den haftungsbegründenden Voraussetzungen, die allesamt vorliegen müssten, damit eine Haftung eines berichtspflichtigen Unternehmens überhaupt vorliegen könne. „Ein Beispiel hierfür ist das schuldhafte Versäumen der Ergreifung von Maßnahmen zur Risikominderung“, erläutert Humbert. „Schließlich ist selbst bei bestehender Haftung nur der Schaden zu ersetzen, der tatsächlich eingetreten ist. Auch wird in den Erwägungsgründen zur CSDDD klargestellt, dass indirekte Schäden nicht von Artikel 29 Absatz 1 CSDDD erfasst werden.“ Damit die drohende Haftung der Abnehmer den Lieferanten nicht Tür und Tor für Forderungen öffnet, sich im Gegenzug für die Unterschrift unter einem Code of Conduct aufwendige Umwelt- oder Menschenrechtsschutzmaßnahmen bezahlen zu lassen, ist in der Corporate Sustainability Due Diligence Directive  ein Verbot der Überkompensation vorgesehen. „Zudem ist die Haftung von Unternehmen ausgeschlossen, wenn der Schaden nur von seinen Geschäftspartnern in der Aktivitätskette verursacht wurde“, ergänzt Dieter Neumann. „Der Haftungsmaßstab ist ähnlich wie bei innerstaatlichen Forderungen. Die Gefahr fingierter Forderungen ist deshalb nicht ausgeschlossen, aber durch geeignetes Handeln der Unternehmen kontrollierbar.“

Lohn für vorausschauendes Denken

Manche Unternehmen tragen sich mit Überlegungen, den Kreis Ihrer Zulieferer auf solche zu beschränken, die die Erfüllung der EU-Nachhaltigkeitsverpflichtungen erwarten lassen. „Ja, wir ziehen in Betracht, das Zulieferernetzwerk auf jene zu beschränken, die in der Lage und auch bereit sind, die Nachhaltigkeitsverpflichtungen der EU zu erfüllen“, sagt Dr. Ilkin Karakaya, Group General Counsel bei Siemens Energy. „Diese Verpflichtungen sind bereits weitgehend in unserem Code of Conduct für Lieferanten verankert und müssen auch verbindlich an die gesamte jeweilige Lieferkette weitergegeben werden.“ Eine systematische Auswahl und kontinuierliche Bewertung von Lieferanten tragen dazu bei, Risiken zu minimieren, Probleme frühzeitig zu erkennen und Qualitätskosten zu senken. Diese proaktiven Maßnahmen sichern die Stabilität und Qualität der Versorgungskette und ermöglichen es Unternehmen, sich in einem dynamischen Marktumfeld zu positionieren und weiterzuentwickeln – just das, was Nicole Teresiak von VDM Metals Holding unter der „besonderen Verantwortung des Unternehmens“ versteht. „Unser Screening-Prozess bei den Lieferanten umfasst zahlreiche Maßnahmen“, erklärt Siemens Energy-Justiziar Ilkin Karakaya. „Bei Abweichungen unterstützen wir unsere Lieferanten bei der Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen und räumen ihnen ausreichend Zeit zur Implementierung ein. Unsere Erfahrung zeigt, dass transparente Kommunikation und eine enge Zusammenarbeit mit den Lieferanten unerlässlich sind, um Compliance in der Lieferkette zu gewährleisten und gemeinsame Nachhaltigkeitsvorgaben und -Ziele zu erreichen.“ Steht nicht zu befürchten, dass mancher Zulieferer aufgrund der steigenden Auflagen die Zusammenarbeit von sich aus beenden könnte? „Natürlich könnten sich einige Lieferanten wegen steigender Auflagen zurückziehen, bisher sieht es aber nicht danach aus“, antwortet  Compliance-Chefin Anita Schieffer. „Sollte dies dennoch vereinzelt eintreten, würden wir sowohl aktiv nach Lösungen mit unseren Partnern suchen als auch alternative Lieferanten prüfen, um unsere Lieferkette zu jedem Zeitpunkt sicher zu halten.“ Als bei anderen Unternehmen, dem Vernehmen nach aus der Bauindustrie, hat sich bei VDM Metals Holding in Dortmund bisher noch kein Lieferant zurückgezogen, sagt Syndikusrechtsanwältin Teresiak. Falls der Fall eintreten würde, weiß sie jetzt schon, wie sie vorgehen würde: „Wenn man die Zulieferer nicht zwingend braucht, würde ich sie ihrem Schicksal überlassen. Und wenn wir den brauchten, dann würden wir versuchen, ihn mit Blick auf die Risiken in der Welt ins Gebet zu nehmen.“ Da die EU neben Bußgeldern als zusätzliches Sanktionsmittel die Veröffentlichung eines Verstoßes („Naming and Shaming“) vorsieht, ließe sich das ebenfalls in die Lieferkette hinabsenken. Für uneinsichtige Lieferanten könnte das recht unangenehm werden.

Christine Demmer

Zeit genug, um Beobachtungsposten einzurichten
Worin sich das LkSG von der CSDDD unterscheidet

Anwendungsbeginn: Ab 2027 für Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern und mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz. Ab 2028 verringern sich die Schwellenwerte auf 3.000 Mitarbeiter und mehr als 900 Millionen Euro Umsatz. Ab 2029 werden Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern und mehr als 450 Millionen Euro Umsatz erfasst.

Anwendungsbereich: Das LkSG gilt für Unternehmen mit Hauptverwaltung, Hauptniederlassung oder Zweigniederlassung in Deutschland, die mindestens 1.000 Mitarbeiter haben. Die CSDDD hingegen betrifft EU-Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitern und einem weltweiten Nettoumsatz von mindestens 450 Millionen Euro sowie Nicht-EU-Unternehmen mit einem EU-Nettoumsatz von 450 Millionen Euro.

Umfang der Sorgfaltspflichten: Das LkSG konzentriert sich hauptsächlich auf unmittelbare Lieferanten und bezieht mittelbare Lieferanten nur bei Kenntnis von Missständen ein (upstream). Die CSDDD umfasst hingegen die gesamte Aktivitätskette, einschließlich mancher nachgelagerter Geschäftsaktivitäten wie Vertrieb und Transport (downstream).

Inhaltliche Schwerpunkte: Die CSDDD erweitert den Umfang der im LkSG festgelegten Pflichten um chemikalienbezogene Auflagen, den Schutz der biologischen Vielfalt und den Klimaschutz. Die CSDDD verlangt zudem die Vorlage eines Klimaübergangsplans.

Haftung und Sanktionen: Das LkSG sieht Geldbußen von bis zu zwei Prozent des Jahresumsatzes vor, schließt aber eine zivilrechtliche Haftung aus. Die CSDDD ist strenger und beinhaltet sowohl die zivilrechtliche Haftung als auch Bußgelder auf Basis des weltweiten Nettoumsatzes.

Stakeholder-Einbindung: Die CSDDD legt einen stärkeren Fokus auf die Einbindung von Stakeholdern als das LkSG.

Beitrag von Alexander Pradka

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