EU will entschiedener gegen Korruption vorgehen

Eine neue Anti-Korruptionsrichtlinie für die EU kündigt umsatzbezogene Geldbußen an. Aber sie macht auch klar, wie sich Unternehmen vor möglichen Sanktionen schützen können.
vom 13. November 2024
image

Schon im Mai 2023 hat die Europäische Kommission ein Maßnahmenpaket zur effektiven Korruptionsbekämpfung vorgestellt. Ein Bestandteil dessen war der Vorschlag zu einer Richtlinie zur Bekämpfung der Korruption. „Es hat dann rund ein Jahr gedauert. Im Juni 2024 legte der Rat der Europäischen Union seinerseits einen – geänderten – Richtlinienentwurf vor, nachdem das Europäische Parlament bereits im Februar 2024 seinen Standpunkt dargelegt hatte“. Das sagt Florian Kirstein, der bis vor kurzem noch Oberstaatsanwalt in Hamburg war. Seit Sommer 2024 ist er Senior Manager bei KPMG Law mit dem Schwerpunkt steuer- und wirtschaftsrechtliche Beratung. „Der Rat wird jetzt mit dem Parlament verhandeln, aber wann wir eine endgültige Fassung haben werden, das ist im Moment nicht abzusehen, zumal noch nichts in Stein gemeißelt ist und wir gegebenenfalls noch mit Änderungen rechnen müssen“, schaut Kirstein in die Zukunft. Schon 1997 gab es einen ersten Rechtsakt über die Bekämpfung von Bestechung, bei dem EU-Beamte beteiligt sind. 2003 folgte der nächste, der sich mit Korruption im privaten Sektor beschäftigte. „Beide werden durch die neue Richtlinie ergänzt“, so Florian Kirstein. Sie soll den Rechtsrahmen in allen Mitgliedsstaaten vereinheitlichen –und alle demnächst verpflichten, dieselben korruptiven Handlungen zu definieren und sie unter Strafe zu stellen. Nach einer Frist zur Umsetzung könnte sich dann also auch in Deutschland aktuell geltendes Recht ändern. Laut Statista wurden im Jahr 2023 in Deutschland rund 3.840 Korruptionsstraftaten polizeilich erfasst. Damit stieg ihre Zahl um rund sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr, bleibt aber weiter auf einem recht niedrigen Niveau. Unabhängig von dieser Tatsache erfahren Korruptionsskandale aber immer großes öffentliches Interesse. Das gilt sowohl für versuchte Einflussnahme in der Politik als auch für wirtschaftliche Vorteile, etwa in Form von Aufträgen. Unvergessen ist „Katargate“, der Fall, in den die damalige Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments verwickelt war. Und auch die deutsche Wirtschaftsgeschichte kennt Skandale. So wurde beim Unternehmen Siemens im Jahr 2006 der „größte und teuerste Korruptionsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte“ aufgedeckt. „Da, wo Menschen handeln, wird es immer auch Fälle von Bestechlichkeit geben“, ist Florian Kirstein überzeugt. „Um das Thema mag es in den vergangenen Jahren etwas ruhiger geworden sein, weil viele Unternehmen sich intensiv mit Compliance auseinandergesetzt und selbst strenge Richtlinien verfasst haben.“ Aber es ist und bleibt ein sensibles Thema – nicht nur für Unternehmen, die Handelsbeziehungen in anderen Staaten pflegen. Das, was mancherorts zum freundlichen Umgangston und zu kulturellen Gepflogenheiten gehört, kann hierzulande ganz anders gewertet werden. „Es gibt kein ganz einfaches Urteil, ob richtig oder falsch. Es gibt nur die Frage, ob damit Entscheidungen beeinflusst werden sollen“, so Kirstein.

Zumpf-Dr-Christian-200x200

„Wer sich erst durch die Höhe einer Sanktion beeindrucken und zu gesetzeskonformem Verhalten verleiten lässt, zeigt ein aus der Zeit gefallenes Compliance-Verständnis.“  

Dr. Christian Zumpf
Head of Legal, Compliance & Integrity,
LOGPAY

Aufklärung im Fokus

Deshalb verfolgt die neue Richtlinie nicht nur den Gedanken der Bestrafung, sondern auch der Aufklärung und der Vorbeugung und des Beherrschens von Risiken. Der Rat hat festgelegt, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen durchführen müssen, um die Öffentlichkeit für die Schädlichkeit von Korruption zu sensibilisieren. Zusätzlich fordert der Entwurf der Richtlinie, in allen Ländern Einrichtungen zu schaffen, die sich mit der Prävention der Korruption befassen. Die sollen ohne Einflussnahme tätig werden und daher mit qualifiziertem Personal und ausreichenden finanziellen Ressourcen ausgestattet werden. Die Mitglieder werden danach aber auch verpflichtet, eine Reihe von Straftatbeständen in das nationale Recht aufzunehmen. Das reicht von „Bestechung und Bestechlichkeit im öffentlichen und privaten Sektor“ über „Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme“, „unerlaubte Einflussnahme“ bis zur „Bereicherung von Amtsträgern durch Korruptionsdelikte.“ Wichtig ist dabei: „Die Mindesthöchststrafen werden erhöht“, darauf weist Florian Kirstein hin. Für natürliche Personen sieht der Richtlinienentwurf eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei bis vier Jahren als Höchstmaß vor. Dazu können Sanktionen wie Geldbußen oder Entlassung bis zum Berufsverbot kommen. Auch der Rechtsrahmen für die Sanktionierung von Unternehmen ändert sich. „Es geht um erhebliche Geldstrafen“, so Florian Kirstein. „Im Entwurf der Richtlinie ist die Rede von drei bis fünf Prozent des weltweiten Gesamtumsatzes eines Unternehmens oder mindestens 24 beziehungsweise 40 Millionen Euro.“ Das könnte für international tätige Unternehmen große Auswirkungen haben. Im Vergleich: Das deutsche Recht sieht nach § 30 OWiG bislang grundsätzlich Geldbußen bis zu zehn Millionen Euro vor. Als weitere Sanktionen werden genannt: Ausschluss von öffentlichen Leistungen oder Beihilfen, Gewerbeuntersagung oder Rücknahme von Genehmigungen. Und nicht zuletzt könnten Unternehmen unter eine gerichtliche Aufsicht gestellt werden, wie sie etwa nach dem Dieselskandal für Volkswagen in den USA angeordnet wurde. Ist das jetzt der Weg zu einem neuen Unternehmensstrafrecht, das es in dieser Form noch nicht gab? „Ja, ich sehe es als einen Schritt dazu an“, sagt der KPMG Law-Experte. „Aber darüber diskutieren wir ja schon seit Jahren – ganz neu ist dieser Ansatz also nicht.“ Sanktionen auf der einen, aber auch mildernde Umstände durch Compliance-Maßnahmen – beides sieht der Richtlinienentwurf vor. Das können Abhilfemaßnahmen nach dem Aufdecken einer Straftat sein. Darunter fällt aber auch die freiwillige Selbstanzeige. „Auch das ist nicht ganz neu“, urteilt Florian Kirstein. In vielen Staaten ist es bereits Praxis, dass Compliance-Programme und Mitwirkung bei der Aufklärung berücksichtigt werden – auch in Deutschland. Die neue Richtlinie, die noch das EU-Parlament passieren muss, würde auch hier einheitliche Regeln und Rechtssicherheit in der ganzen Union schaffen. „Viele besonders gefährdete Unternehmen aus der deutschen Exportwirtschaft oder der Baubranche haben sich bei Thema Compliance schon sehr gut aufgestellt. Wenn die Richtlinie dann in nationales Recht umgesetzt werden wird, heißt es womöglich nachschärfen und anpassen“, so das Fazit des Experten Kirstein.

Michael_volz

„Unternehmen, die erfolgreich im Markt bestehen wollen,
sind gut beraten, sich des Themas Korruption und Compliance
gründlich anzunehmen“.

Michael Volz
Leiter Compliance,
Bilfinger SE 

Wie werden Rechtsabteilungen reagieren?

„Abwarten heißt die Devise, denn im Moment ist die Richtlinie im Entwurfsstadium“. Das sagt Dr. Christian Zumpf, Leiter Recht, Compliance & Integrity bei LOGPAY Financial Services in Eschborn. „Anhand des Entwurfes kann man zwar mögliche Folgen ableiten, aber der finale Text bleibt abzuwarten, insbesondere, da an dem Entwurfstext erheblicher Änderungsbedarf gesehen wurde“, kommentiert er. Was die Frage der Geldbuße angeht, so bleibt Zumpf hinsichtlich der Möglichkeit, aber nicht bei der Höhe gelassen. „Die Sanktionierung von juristischen Personen ist dem deutschen Recht nicht fremd. Die Vorschriften des Ordnungswidrigkeitengesetzes sehen das bereits vor. Da wären zur Umsetzung der Richtlinie im Detail Anpassungen erforderlich, da etwa der Kreis der handelnden Personen oder der Ort der Begehung durch die Richtlinie weiter gefasst wird“. Anpassungen wären auch bei anderen Sanktionen erforderlich. „Entweder angepasst oder neu eingeführt werden müssten verschiedene Sanktionen, die durch die Richtlinie vorgegeben werden, wie das Tätigkeitsverbot, die Auflösung der juristischen Person oder die Einsetzung eines Monitors. Andere Sanktionselemente, wie der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen, sind dem deutschen Recht bereits bekannt“, so Zumpf. Wie beurteilt er die möglichen Auswirkungen der neuen Richtlinie? Ist sie geeignet, Korruption einzudämmen? „Soweit Tatbestände bisher nicht strafbar waren, kann eine Strafbarkeit zu einem Umdenken führen“, ist Dr. Christian Zumpf überzeugt. Ein erhöhter Strafrahmen könne abschreckend wirken. Andererseits führe eine Strafbarkeit auch nicht dazu, dass Taten nicht begangen würden. „Gänzlich verhindert wird die Korruption vermutlich nicht, aber sie kann weiter eingeschränkt werden, wobei Korruption auch Ansichtssache ist, was sich dadurch zeigt, dass erst durch die Richtlinie Tatbestände einheitlich erfasst werden sollen. Insofern kann sie auch zu einer größeren Sensibilisierung führen.“

 

 

Compliance-Richtlinien überdenken und anpassen

Wie Dr. Christian Zumpf, so beobachtet auch Michael Volz die Entwicklung. „Keine Revolution, aber doch einiges an Neuerungen, mit denen sich Unternehmen und deren Rechtsabteilungen auseinandersetzen müssen“. So lautet das Urteil des Rechtsanwalts und Leiters Compliance bei Bilfinger SE über die EU-Richtlinie. Als Compliance-Experte weiß er, dass „alle, die im internationalen Geschäft tätig sind, vieles schon aus dem amerikanischen Recht kennen – etwa das Unternehmensstrafrecht.“ Deshalb wird die Richtlinie, wenn sie denn kommt, „vermutlich eher für kleinere oder mittelständische oder für Firmen Neuerungen bringen, die überwiegend in Deutschland tätig sind“, so Michael Volz. Auch die beschriebenen Sanktionen wie die angekündigten Bußgelder in Millionenhöhe seien international bekannt und teilweise dort noch schärfer, weiß Volz. „Wobei in der Richtlinie noch zu klären ist, ob ein Konzern insgesamt auch für seine Tochtergesellschaften haften muss, denn das würde ja das Haftungsrisiko erheblich erhöhen.“ Dennoch hält es der Compliance-Profi für geboten, effektive Frühwarnsysteme zu installieren und Beratung und Schulung von Mitarbeitern zu intensivieren. „Jedes Unternehmen sollte für sich eine spezifische Risikoanalyse vornehmen – je nachdem, mit welchen Ländern Handelsbeziehungen bestehen, muss eventuell das geschäftliche Risiko neu bewertet werden.“ Auch das Drittpersonenmanagement müsse auf den Prüfstand und womöglich sollten Verträge mit Vermittlern angepasst werden, regt der Leiter Compliance an. Ob die Richtlinie ein geeignetes Mittel ist, Korruption zu verhindern? „Grundsätzlich ist Reputation im Geschäftsleben ein sehr wichtiges Thema – daher regelt der Markt hier vieles selbst“, ist Volz überzeugt. „Aber die neue Richtline schafft vor allem eine wichtige Rechtssicherheit und legt ja durchaus auch den Fokus auf das Thema Compliance, also auf Vorbeugung und Aufklärung. Das ist eine Chance für Firmen, sich bei dem Thema besser aufzustellen.“

 

Gabriele Müller

Beitrag von Alexander Pradka

Dies könnte Sie auch interessieren

Back door, 19.02
Keine Fusionskontrolle durch die Hintertür
Der Europäische Gerichtshof hat der EU-Kommission untersagt, einen Zusammenschluss von Unternehmen zu prüfen, wenn weder sie selbst noch ein Mitgliedstaat...
Loading freight into cargo hold of aircraft , 10027114
Für das Unternehmensziel Rendite wird die Luft immer dünner
Mit Inkrafttreten der Corporate Sustainability Due Diligence Directive wird das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zu einem Gesetz auf Abruf....
Lianyungang Port LIANYUNGANG, CHINA - AUGUST 12, 2024 - The Singapore-owned Yuan Bao Hai ship loaded with 400,000 tons o
Kein Grund zur Panik bei der Risikobewertung der Rohstoffversorgung
Die EU will den Zugang ihrer Mitgliedsstaaten zu einer sicheren und nachhaltigen Versorgung mit kritischen Rohstoffen gewährleisten. Die Länder sollen...