Die Zukunft des Investitionsschutzes

Sie dauern lange, sind intransparent und übervorteilen Schwächere, so die Kritik am derzeitigen System des Investitionsschutzes. Auf nationaler und europäischer Ebene wird deshalb über Reformen nachgedacht, währenddessen der EuGH Fakten schafft. Lange Jahre unterhalb des Radars der öffentlichen Aufmerksamkeit, haben Investitionsschiedsverfahren in letzter Zeit deutlich an Aufmerksamkeit gewonnen.
vom 19. Februar 2022
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„Die europäischen Grundfreiheiten und Grundrechte bieten einen Investitionsschutz und der EuGH will jetzt verhindern, dass sich Staaten mittels internationaler Verträge aus dem europäischen Justizsystem „herausoptieren“ könnten.“

Prof. Dr. Stephan Schill, Professor of International and Economic Law and Governance, University of Amsterdam

Wichtiger Auslöser für das gewachsene Interesse war sicherlich das Verfahren Vattenfall gegen die Bundesrepublik im Zusammenhang mit dem Atomausstieg. Mehrere Milliarden Euro wollte der schwedische Energieriese vom deutschen Staat haben. Knapp neun Jahre – von 2012 bis 2021 – wurde vor dem International Centre for Settlement of Investment Disputes in Washington darüber verhandelt, ob und wieviel der deutsche Staat für nicht mehr verstrombare Reststrommengen zahlen muss. Die Einigung mit Vattenfall und anderen Energieunternehmen über die strittigen Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem beschleunigten Atomausstieg wurde dann allerdings nicht hier, sondern vor dem Bundesverfassungsgericht gefunden, in der Folge wurde das Schiedsverfahren am 9. November 2021 formell beendet.

„WIN-WIN“?

 

Weltweit gibt es nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums etwa 3000 bilaterale und multilaterale Investitionsförderungs- und -schutzverträge. Die Bundesrepublik allein hat seit 1959 mehr als 130 bilaterale Abkommen abgeschlossen. Vielfach hätten Drittstaaten Deutschland um den Abschluss eines Investitionsschutzvertrags gebeten, um ihr Land attraktiver für deutsche Investoren zu machen, heißt es vom Ministerium. Oft gehe es bei solchen Projekten vor allem um eine bessere Markterschließung vor Ort und größere Absatzchancen. Dafür sei ein Schutz auch vielfach notwendig, erklärt Sabine Konrad, Partnerin bei Morgan, Lewis & Bockius LLP. „Unternehmen, die im Ausland investieren, begeben sich in eine fremde Rechtsordnung – mit erheblichen Vermögenswerten, für Projekte mit oft jahrzehntelanger Laufzeit. Diese Unternehmen brauchen dort eine gewisse Rechtssicherheit“. Die aber ist bei weitem nicht überall auf der Welt bei nationalen Gerichten erreichbar. Auf den ersten Blick also eine Win-Win-Situation: Staaten holen sich Investitionen ins Land und kurbeln idealerweise damit die eigene Wirtschaft an. Für Investoren verringert sich das Risiko von regulatorischen Übergriffen bis hin zu Enteignungen. Und falls es zu Auseinandersetzungen kommt, werden die vor einem unabhängigen Schiedsgericht ausgetragen. „Damit haben deutsche Investoren im Ausland, als auch ausländische Investoren in Deutschland Zugang zum gleichen Streitbeilegungsmechanismus, der für beide Länder neutral ist“, erläutert Sabine Konrad. „Es ist im internationalen Recht neben Menschenrechtsverfahren die einzige Ebene, wo Private einem ausländischen Staat auf Augenhöhe begegnen.“

ICSID

 

Die meisten Investitionsschutzverfahren landen vor dem International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID), dem Schiedsgericht der Weltbank in Washington. Während allerdings in den ersten 30 Jahren nach der Gründung des ICSID 1965 die Zahl der neuen Verfahren noch deutlich im einstelligen Bereich blieb, zeigt die kürzlich veröffentlichte Fallstatistik für 2021 einen Rekord von über 80 neuen Eingängen, knapp 60 Prozent davon beruhen auf bilateralen Investitionsabkommen. In 23 Prozent sind Staaten in Osteuropa, Zentralasien und Südamerika beteiligt, Sub-Sahara-Afrika ist in 15 Prozent der neuen Fälle betroffen und lediglich acht Prozent entfallen auf Westeuropa. Wie auch in den Jahren davor schon machte der Rohstoff- und Energiesektor den größten Anteil der Fälle aus – fast 30 Prozent der neuen Fälle betrafen die Öl-, Gas- und Bergbauindustrie und 18 Prozent bezogen sich auf elektrische Energie und andere Energiequellen. Für Europa besonders bedeutsam – der Energiecharta-Vertrag. Der wurde in den 90er Jahren ursprünglich geschlossen, um Investitionen in osteuropäischen Ländern zu schützen, deren Justiz noch nicht richtig funktionierte. Mittlerweile jedoch sind auch westliche Staaten Ziel von Investorenklagen. So hat sich beispielsweise Vattenfall bei seiner Klage gegen die Bundesrepublik auf den Energiecharta-Vertrag bezogen, genauso wie RWE und Uniper, die von den Niederlanden Schadensersatz wegen des dort beschlossenen Kohleausstiegs fordern.

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„ Unternehmen, die im Ausland investieren, brauchen dort eine gewisse Rechtssicherheit.“

Dr. Sabine Konrad, Morgan, Lewis & Bockius LLP

REFORM ENERGIECHARTA-VERTRAG?

 

Ausgerechnet der Energiecharta-Vertrag könnte aber nun zum Symbol für eine anstehende grundlegende Neuordnung des Systems des internationalen Investitionsschutzes werden. Denn die Kritik an der bisherigen Struktur wächst: Unter dem Damoklesschwert möglicher Millionenklagen würden Staaten die Energiewende weniger beherzt angehen, als es notwendig wäre, befürchten beispielsweise Klimaschützer. Derzeit werden auf europäischer Ebene Änderungen am Energiecharta- Vertrag diskutiert. Im Koalitionsvertrag halten sich die Ampelparteien allerdings hinsichtlich des möglichen Inhalts zurück, dort heißt es nur lapidar „ Wir setzen uns für eine Reform des Energiecharta-Vertrages ein“. Ob es dazu allerdings tatsächlich kommt, dürfte fraglich sein, denn letztendlich müssen alle 51 Unterzeichnerstaaten zustimmen.

EUGH UND INVESTITIONSSCHUTZ

 

Zwischen den EU-Mitgliedstaaten und Investoren aus der EU gilt der Energiecharta-Vertrag ohnehin nicht mehr, das hat der Europäische Gerichtshof im Herbst letzten Jahres entschieden. Das Luxemburger Gericht stützt sich dabei auf seine Rechtsprechung im so genannten Achmea-Urteil von 2018. Damals musste der Bundesgerichtshof in einer Auseinandersetzung zwischen einem niederländischen Versicherungsunternehmen und der Slowakei über das Schicksal eines Schiedsspruches entscheiden, der die Slowakei verurteilte, an den Versicherer Achmea Schadensersatz in Höhe von etwa 22,1 Mio. Euro zu zahlen. Der BGH legte das Verfahren dem EuGH vor. Die Antwort aus Luxemburg: Investor-Staat-Schiedsverfahren innerhalb der EU verstoßen gegen Europarecht und sind damit nicht zulässig. Weil Investor-Schiedsgerichte nicht als Gerichte nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union gelten und damit nicht vorlageberechtigt seien, wäre eine europarechtliche Überprüfung entsprechender Entscheidungen durch den EuGH nicht möglich. Deshalb würden die in bilateralen Investitionsschutzabkommen (Bilateral Investment Treaty – BIT) enthaltenen Schiedsklauseln die Autonomie des Unionsrechts beeinträchtigen. „Die europäischen Grundfreiheiten und Grundrechte bieten ja einen Investitionsschutz und der EuGH will jetzt verhindern, dass sich Staaten mittels internationaler Verträge aus dem europäischen Justizsystem „herausoptieren“ könnten“, erläutert Stephan Schill, Professor für internationales Recht und Wirtschaftsrecht der University of Amsterdam in den Niederlanden. „Gleichzeitig arbeitet der Gerichtshof daran, Unionsrecht zu verwenden, um mitgliedstaatliche Gerichte auf einen insgesamt adäquaten rechtsstaatlichen Standard zu heben“. Allerdings scheint in manchen Mitgliedstaaten der Weg in die entgegengesetzte Richtung zu gehen, betrachtet man beispielsweise die Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn und Polen. Hier könnten – jedenfalls aus der Perspektive von Investoren – durch die Rechtsprechung des EuGH möglicherweise Schutzlücken entstehen, gibt Stephan Schill zu bedenken. Eine Lösungsmöglichkeit könnte ein ständiges europäisches Schiedsgericht sein, das Elemente der bisherigen internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit aufnimmt, aber in das europäische Gerichtssystem eingebunden ist, dessen Entscheidungen also beispielsweise durch den EuGH überprüfbar wären. Die Europäische Kommission arbeitet bereits an dieser Idee.

AMPEL WILL SCHUTZ EINSCHRÄNKEN

 

Auch im neuen Koalitionsvertrag findet sich eine Passage zu den Investitionsschutzverfahren. Die Ampelkoalition will den Inhalt künftiger Abkommen beschränken. Schadensersatz soll es nur noch bei direkten Enteignungen und Diskriminierungen geben. Das wäre „ein Rückschritt für den Schutz von Investitionen“ meint Stephan Schill: „Wenn sich dieser Weg durchsetzen würde, wäre das eine signifikante Änderung der bisherigen Politik der Bundesrepublik. Es wäre ein Zurückfahren dessen, was man bisher an Schutz ausländischer Investitionen eigentlich versucht hat zu erreichen.“ Der Investitionsschutz liefe dann Gefahr, in vielen Fällen leer zu laufen, denn direkte Enteignungen gäbe es in der Praxis faktisch gar nicht, meint auch Rechtsanwältin Sabine Konrad. Vor den Schiedsgerichten landeten weit überwiegend Fälle, in denen Staaten durch Regulierungen Nutzungs- und Verfügungsbefugnisse erheblich einschränken würden. Allerdings liegt die Kompetenz zum Abschluss von Investitionsschutzabkommen seit dem Lissabonner Vertrag ohnehin weit überwiegend in Brüssel. Über das Ob und Wie des künftigen Investitionsschutzes kann Berlin daher nicht allein, sondern allenfalls nur mitentscheiden. Sabine Konrad jedenfalls würde am liebsten im Investorenschutzsystem und bei der Streitbeilegung alles so lassen, wie es ist. „Es wäre traurig, wenn wir diese Errungenschaft verlieren würden, denn das würde zur Re-Politisierung der Streite führen. Starke Länder könnten über politischen Druck besser erreichen, dass ihre Investoren im Aufnahmeland geschützt werden als kleinere, vielleicht wirtschaftlich schwächere Staaten. Und letztendlich würde dadurch der internationale Wettbewerb verzerrt werden.“

Peggy Fiebig

Beitrag von Alexander Pradka

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