Gisela Eickhoff ist Referentin des Inhabers und Vorstands der Harting Technologiegruppe, einem führenden Anbieter von Verbindungstechnik, der mehr als 6000 Mitarbeiter in 40 Ländern beschäftigt. Dort ist Eickhoff auch verantwortlich für die Nachhaltigkeit. Derzeit arbeiten sie zu Dritt an der Umsetzung des ESG-Reportings. Die Abkürzung steht für Environmental, Social & Governance. Sie umfasst nicht nur die Anstrengungen von Firmen im Bereich Umwelt- und Klimaschutz, sondern auch Aspekte wie die Bezahlung nach Tariflohn, die Einhaltung der Menschenrechte, Aktivitäten im Bereich „Diversity“ oder die Bekämpfung von Korruption. Je nach Relevanz werden so schnell hunderte Kennziffern abgefragt. Vor allem im Rahmen des European Green Deal, dessen Ziel die Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 und der massive Ausbau erneuerbarer Energien ist, hat die Europäische Union in den letzten Jahren zahlreiche Rechtsakte erlassen, die bei Unternehmen einen erheblichen Aufwand verursachen. So verpflichtet die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) schon jetzt börsennotierte Firmen, über ihre ESG-Anstrengungen Bericht zu erstatten. Zudem hat die EU eine eigene Klimataxonomie eingeführt, die festlegt, welche wirtschaftlichen Aktivitäten als nachhaltig einzustufen sind und welche nicht. Ein weiteres Element des Green Deal ist der CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), durch den alle in der EU ansässigen Unternehmen, die bestimmte Energieträger, Rohstoffe und Produkte aus Nicht-EU-Staaten einführen, verpflichtet werden, diese quartalsweise zu melden. Und schließlich gibt es seit dem vergangenen Jahr eine Richtlinie zur Sorgfaltspflicht für Unternehmen, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Sie zielt darauf ab, verantwortungsbewusstes Handeln der Wirtschaftsakteure zu fördern, insbesondere mit Blick auf Einfuhren aus dem nichteuropäischen Ausland. Zwar sind bislang überwiegend börsennotierte Großunternehmen betroffen, aber die Auflagen sollen sukzessive ausgedehnt werden auf mittlere und kleinere Unternehmen (KMU). Freya Humbert, Senior Associate bei der Anwaltssozietät GÖRG, formuliert die Herausforderung so: „Der Strauß an Berichtspflichten ist groß. Unternehmen müssen hier den Überblick behalten und sich laufend über anstehende Reformbestrebungen informiert halten. Ferner gilt es, doppelte Arbeit zu vermeiden und Berichtspflichten, soweit sie parallel erfolgen können, standardisiert wahrzunehmen.“ Gisela Eickhoff hat sich in die komplexe Thematik eingearbeitet. Sie hat Verständnis für die Intention, die dahintersteckt. Trotzdem stellt sie sich Fragen hinsichtlich der Wirkungen der Regulierung: „Wird unsere Welt dadurch eine bessere?“ Tatsächliche Verhaltensänderungen durch die Wirtschaftsakteure in punkto Nachhaltigkeit kann Eickhoff bislang nicht erkennen. Das liege nicht nur daran, dass kaum jemand sich die erstellten Berichte durchlese. Auch die Qualität der gelieferten Daten – vor allem, wenn sie von Zulieferern aus dem nichteuropäischen Ausland stammen – könne nicht immer verifiziert werden, sagt Eickhoff. „Bis wir die Datenqualität im Griff haben, werden noch Jahrzehnte vergehen.“ Auch in Brüssel wachsen die Zweifel. 2024 mahnte der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, umfangreiche Reformen an, um Europas Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Seitdem dämmert es vielen Politikern, dass der Wust an Richtlinien und Verordnungen zwar gut gemeint ist, auch eine Kehrseite hat. Das Wort von der „Überregulierung“ ist in aller Munde. Der von US-Präsident Donald Trump ausgelöste Handelskonflikt erzeugt zusätzlich Druck. Denn die staatliche Verpflichtung zum umfassenden ESG-Reporting ist bisher eine europäische Spezialität. Die Europäische Kommission will deshalb das Rad wieder zurückdrehen – ein wenig zumindest. Ihre Reformvorschläge hat sie „Omnibus“ genannt. Mit dem populären Verkehrsmittel haben sie nichts gemein. Vielmehr beschreibt der Begriff, dass in einem Aufwasch gleich mehrere Rechtsakte geändert werden. Zwei Omnibus-Pakete hat die Kommission bereits vorgestellt, zumindest eines soll noch folgen. Milliarden Euro an Verwaltungskosten will man den Firmen so ersparen und zusätzliche Investitionskapazitäten freisetzen.

„Auch wenn die aktuelle Euphorie mit Blick auf das Thema ESG
abgemildert zu sein scheint, empfiehlt es sich nicht, sämtliche
ESG-Vorstöße im Unternehmen einzustampfen.“
Freya Elisabeth Humbert, LL.M.
Senior Associate,
GÖRG
Auflagen machen Probleme
Freya Humbert ist skeptisch. „In der Beratung erleben wir, dass die Hürden in der Praxis nicht unbedingt einzelnen inhaltlichen Ausgestaltungen geschuldet sind, sondern nationale Implementierungsdefizite und fortlaufende Rechtsänderungen auf EU-Ebene die Rechtsunsicherheit befeuern“, sagt sie. Das gelte besonders für das laufende Geschäftsjahr. Als Beispiel nennt sie die Umsetzung der CSRD-Richtlinie in Deutschland, die sich durch den Bruch der Ampelkoalition und die Neuwahlen im Februar verzögert habe. Jetzt kämen zusätzliche Änderungen ins Spiel, die später größtenteils auch noch in nationales Recht umgesetzt werden müssten. „Betroffene Unternehmen finden sich aktuell zwischen den Polen einer komplexen, weitgehenden EU-Regulatorik und einer regulatorischen Grauzone auf nationaler Ebene wieder“, so Humbert. Dass viele Unternehmen mit den Auflagen Probleme haben, bestätigt auch Dr. Bastian Mehle, Salary Partner bei der Kanzlei orka. „Wir erhalten derzeit verstärkt Anfragen zur Erweiterung der Berichtspflichten durch die CSRD. Die Unternehmen beschäftigt insbesondere auch die Auslegung der zu berücksichtigenden europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards.“ Kleine und mittlere Firmen, die eigentlich von den Berichtspflichten ausgenommen sind, sähen sich häufig mit detaillierten Informationsanfragen von größeren Geschäftspartnern konfrontiert, die in den Anwendungsbereich der Berichtspflichten fallen. Diese müssten sie dann „abarbeiten“. Dies binde „enorme personelle und zeitliche Ressourcen“ und führe zu einer Art Dominoeffekt in der Lieferkette. Mehle hält es daher für richtig, dass durch die Omnibus-Reform die Zahl der berichtspflichtigen Unternehmen drastisch reduziert werden soll. Die CSRD verpflichtet Unternehmen zur Erfassung „wesentlicher“ Nachhaltigkeitsinformationen. Diese European Sustainability Reporting Standards (ESRS) erfordern zum Beispiel detaillierte Klimadaten, die viele Unternehmen erst ermitteln müssen. In einem Schreiben an die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG), einem privaten Konsortium, das für die Kommission die Standards ausarbeitet, hat die zuständige EU-Kommissarin María Luís Albuquerque nun die Überarbeitung derselben in Auftrag gegeben. Datenpunkte, die bislang nur für bestimmte Sektoren gelten, sollen gestrichen werden. Ein Großteil der Unternehmen soll vom verpflichtenden Reporting ausgenommen werden. In der EU ansässige Firmen, die nicht mehr als durchschnittlich 1000 Mitarbeiter beschäftigen, müssen künftig nicht mehr berichten. Auch größere Unternehmen sind befreit, sofern sie weniger als 50 Millionen Euro im Jahr umsetzen oder ihre Bilanzsumme unterhalb der Schwelle von 25 Millionen Euro liegt. Berichtspflichtig sollen auch weiterhin Nicht-EU-Unternehmen sein – Voraussetzung ist jedoch nunmehr ein Nettoumsatz von mehr als 450 Millionen Euro pro Jahr innerhalb der EU. Großunternehmen müssen ESG-Informationen künftig auch nicht mehr von jenen Zulieferern einholen, die selbst nicht berichtspflichtig sind. Durch die Omnibus-Reform sollen die abgefragten Kennzahlen um zwei Drittel verringert werden. Unternehmen, deren klimataxonomiefähige Aktivitäten unterhalb einer Schwelle von zehn Prozent liegen, werden von der Berichterstattung ganz ausgenommen. Auch die vornehmlich von Finanzinstituten verwendete Green Asset Ratio (GAR) – sie beschreibt den Anteil der Vermögenswerte, die in wirtschaftliche Aktivitäten investiert sind, welche mit der EU-Taxonomie in Einklang stehen – soll bald einfacher zu berechnen sein.

„Die Unternehmen beschäftigt insbesondere die Auslegung der zu berücksichtigenden europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards.“
Dr. Bastian Mehle,
Salary Partner,
orka
Maßnahmen müssen angemessen sein
Das Inkrafttreten der auch als Lieferkettenrichtlinie bekannten CSDDD will die EU-Kommission mit einem sogenannten „Stop the Clock“ um zwei Jahre verschieben und ihre Umsetzung vereinfachen. Die Maßnahmen sollen nun erst ab 2028 greifen. Zudem sollen Unternehmen künftig nur noch für die Praktiken ihrer unmittelbaren Geschäftspartner verantwortlich sein und nicht mehr entlang der gesamten Lieferkette. Der CO2-Mechanismus CBAM findet er nur Anwendung bei Importen in die EU, die 50 Tonnen Masse im Jahr überschreiten. Damit hofft die Kommission, rund 90 Prozent der Importeure von der Berichtspflicht befreien zu können und trotzdem 99 Prozent der Emissionen im Geltungsbereich des CBAM zu halten. Insgesamt will die EU-Kommission den ESG-Berichtsaufwand für alle um 25 Prozent und für die KMU sogar um 35 Prozent senken. Zieldatum ist 2029. Für Sandra Parthie, die das Brüsseler Büro des IW leitet und die Gesetzesinitiativen seit Jahren genau beobachtet, ist diese Reform überfällig. „In einigen Bereichen ist die EU eindeutig zu weit gegangen. Sie hat unnötige Belastungen für europäischen Unternehmen geschaffen, die nur Kosten verursachen, aber kaum Nutzen stiften. Es ergibt doch keinen Sinn, europäischen Unternehmen Auflagen zu machen, die riesige Kosten verursachen, und gleichzeitig ausländische Waren aus unkontrollierter Produktion in den europäischen Binnenmarkt zu lassen.“ Bastian Mehle sieht das etwas anders. „Es ist nachvollziehbar, dass der Staat regulierend eingreift, damit ESG auch in der Praxis gelebt wird. Freiwillige Selbstverpflichtungen haben nicht in dem gewünschten Umfang zum Ziel geführt und werden es wohl auch in Zukunft nicht tun.“ Die Belastungen durch ESG-Maßnahmen müssten allerdings angemessen sein, fügt er hinzu. Unklar ist, wie viel Erleichterung die Reform tatsächlich bringen wird. Denn auch nationale Regelungen, etwa das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, bedeuten zusätzliche Berichtspflichten und stiften oft Verwirrung. In der Koalitionsvereinbarung haben CDU, CSU und SPD nun die Abschaffung des Gesetzes vereinbart. Ob diese Maßnahme aber viel Erleichterung schafft, zweifeln einige Experten an. Freya Humbert verweist darauf, dass die maßgeblichen Standards auf EU-Ebene vorgegeben werden. „Auch wenn die aktuelle Euphorie mit Blick auf das Thema ESG abgemildert zu sein scheint, empfiehlt es sich nicht, sämtliche ESG-Vorstöße im Unternehmen einzustampfen, sondern – auch wenn es freiwillig erfolgt – bestehende personelle Ressourcen und bereits gewonnenes Know-how weiter gewinnbringend in die Unternehmensstrategie zu integrieren.“ Ein voreiliger Abbau von personellen Ressourcen und finanziellen Mitteln sei aktuell nicht empfehlenswert, betont sie. Denn so oder so dürfte auf Rechtsabteilungen noch genug Arbeit zukommen. Denn wie so häufig bedeutet die Entbürokratisierung und die Vereinfachung von Verfahren nicht automatisch weniger Arbeit für Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen. Auch Bastian Mehle warnt davor, die Herausforderungen zu unterschätzen: „Wir stellen fest, dass der Fokus der Unternehmen derzeit auf der Umsetzung der Vorgaben zum LKSG, zur CSDDD und zur CSRD liegt. Unterschätzt wird auch noch die Herausforderung durch die EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte (EUDR), deren Anwendung lediglich in zeitlicher Hinsicht angepasst wurde.“ Die Omnibus-Pakete sind noch nicht in trockenen Tüchern. Detailfragen, etwa zur Spezifikation des Reporting-Formats, zu den anwendbaren Kategorien, zu Übergangsfristen und zur Einbindung nationaler Systeme in das EU-weite Reporting-System müssen noch ausgearbeitet werden. Auch das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten müssen den Vorschlägen erst noch zustimmen. Mit Blick auf die aktuellen Verwerfungen in der internationalen Politik, sagt Freya Humbert, sei die EU aber gut beraten, sich durch die „fortgeführte Implementierung standardisierter und einheitlicher ESG-Regularien einen Wettbewerbsvorteil in der fragilen weltpolitischen Gesamtlage zu verschaffen.“ Das werde jedoch nur gelingen, wenn Europa seinen Handelspartnern gegenüber geeint auftrete.
■ Michael Thaidigsmann