Wird das Netz halten?

Die Risikoverteilung ist eines der zentralen Themen bei M&A-Deals. Verkäufer möchten möglichst nicht haften, Käufer auf der anderen Seite sind auf möglichst umfangreiche Sicherung aus. Diese Ausgangslage kann in zähen Verhandlungen münden. Kann eine Versicherung Abhilfe schaffen? Worauf muss geachtet werden?
vom 14. Januar 2023
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Typische Sicherungsinstrumente im deutschen Markt bei größeren Transaktionen sind das Treuhandkonto oder das Patronat. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, den Kaufpreis gleichsam zu „strecken“. Aus dem anglo-amerikanischen Umfeld hält nun seit über fünf Jahren ein weiteres Sicherungstool Einzug in den europäischen und deutschen Markt. Verkäufer und Käufer einigen sich darauf, ihre Risiken mittels einer Warranty-and-Indemnity-Versicherung abzumildern. Abgekürzt W&I-Versicherung oder zu deutsch „Gewährleistungsversicherung“ dient sie dem Absichern von Garantien und Steuerfreistellungen. Die „tiefere Tasche“ hängt nun am Mantel eines Versicherungsunternehmens, Risiken sowohl auf Verkäufer- als auch auf Käuferseite werden hierhin transferiert und sollen letztendlich den Deal erleichtern. Rund 10 bis 15 Versicherer bieten die W&I zurzeit an. „Es handelt sich in der Regel um große, internationale Versicherungskonzerne aus Großbritannien und den USA“, sagt Dr. Henrik Armah, Rechtsanwalt und M&A-Spezialist bei der Kanzlei Greenberg Traurig Germany. „Der Markt wird von den derzeitigen Anbietern sehr gut abgedeckt, so dass nicht unbedingt mit neuen Playern zu rechnen ist.“ Armah spricht im Hinblick auf das People’s Business von einem überschaubaren Markt. „Man kennt sich, das gilt für Broker und Underwriter.“ Bekannt ist die W&I-Versicherung aus dem Private-Equity- und Real-Estate-Geschäft, in den USA und in Großbritannien ist die Absicherung von Transaktionen über dieses Instrument Usus. In Deutschland steht diese Form der Risikoabsicherung insbesondere in der klassischen Industrie und im Mittelstand teilweise noch am Anfang. Bei Bayer wird die Verwendung von W&I Versicherungen bei M&A Projekten regelmäßig in Betracht gezogen. Ob letztendlich auf eine Versicherungslösung zurückgegriffen wird, hängt im Einzelfall von der Größe und Komplexität des Projekts, der Verhandlungsposition sowie dem Verhandlungspartner ab. Häufig lohnt sich der Abschluss von W&I Versicherungen erst bei größeren Projekten. „Die Kosten für eine W&I-Versicherung hängen von der eingekauften Haftungshöhe ab. Bei einer Transaktion im Bereich von 100 Millionen Euro wird der Käufer zwischen 10 und 20 Millionen Euro abdecken wollen. Die Prämie liegt je nach Anbieter und Marktlage zwischen einem und zwei Prozent“, rechnet Armah vor. „Dazu kommen gegebenenfalls noch Zusatzoptionen.“ Es lässt sich konstatieren, dass der Preis über die letzten Jahre gesunken ist, vor fünf, sechs Jahren konnte dieser zwischen 70.000 und 100.000 Euro liegen.

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„Die W&I-Versicherung ist mittlerweile ein gewohnter und liebgewonnener Mitbewohner geworden. Die endgültige WG-Tauglichkeit muss sich allerdings noch herausstellen, wenn der Haussegen einmal schief hängt.“

Dr. Henrik Armah, Rechtsanwalt und Praxisgruppenleiter Corporate, Greenberg Traurig.

Viele Vorteile und ein paar Lücken

Fast ausschließlich kümmert sich der Käufer um den Abschluss, Verkäuferpolicen sind am Markt nur noch höchst selten zu finden. Der Käufer ist Versicherungsnehmer und beauftragt seinen Broker, stimmt alles ab – und zahlt in der Regel auch die Prämie. Eine Variante kann sich in Bieterverfahren ergeben, die sogenannte „Stapled Insurance“. Um Zeit zu gewinnen, bereitet der Verkäufer alles vor und legt dem Käufer eine „schlüsselfertige“ Lösung auf den Tisch. „In Deutschland kommt das aber noch nicht allzu häufig vor“, so Armah. „Käufer lassen sich ungerne die Bedingungen diktieren, möchten einen höheren Haftungsumfang einkaufen und mit den ihnen bekannten und bewährten Brokern und Versicherungen arbeiten.“

Wo liegen die Vorteile der W&I-Versicherung? Auf der einen Seite kommt der Verkäufer weitgehend aus der Haftung für Garantien und Steuern, außer wenn vorsätzliches Handeln vorliegt. Auf der anderen Seite ersetzt die Versicherung haftungstechnisch den Verkäufer. „Viele haben den Clear-Cut oder Clean-Exit für den Verkäufer vor Augen“, bestätigt Armah. „Und: Es gibt in der Verkäufer-Käufer-Beziehung keine Belastung. Das ist vor allem dann wichtig, wenn die Verkäufer selbst oder Vertreter aus dem verkaufenden Betrieb weiterhin im Management des Targets tätig sein sollen.“ Früher zähe Verhandlungen um die Risikoverteilung fallen mit Versicherung deutlich leichter und es gibt „weniger Diskussionen über den Umfang des Garantiekatalogs“, sagt Silny. „Es ist aber nicht so, dass damit gar nicht mehr über die Aspekte verhandelt wird. Auch beim Rückgriff auf eine Versicherungslösung möchte der Verkäufer Aussagen ins Blaue hinein vermeiden, die unter Umständen als vorsätzliches Verhalten gewertet werden könnten.“ Der Head of Legal M&A bei Bayer nennt ein Gegenbeispiel: „Der Streit, ob entgangene Gewinne ersetzt werden sollen, wird durch die Versicherungslösung praktisch regelmäßig obsolet.“ Ein weiterer Vorteil der W&I Versicherung ist, dass sie bei mangelnder Solvenz des Verkäufers als „sichereres“ Haftungssubjekt für den Käufer dienen kann, wobei ausreichende Deckung vorhanden sein muss. Dies gilt insbesondere, wenn der Verkäufer ein kleines oder mittelgroßes Unternehmen ist und somit keine Patronatserklärung in Betracht kommt. Das alternative Treuhandkonto ist gerade bei Verkäufern nicht so beliebt, weil diese nach Möglichkeit den Kaufpreis sofort vereinnahmen möchten, in Zeiten von Negativzinsen sinkt die Attraktivität noch einmal weiter ab. Eine Absicherung durch Aufrechnung von Garantieansprüchen gegen künftige Kaufpreisratenzahlungen ist nur möglich, wenn die Parteien eine Ratenzahlung vereinbart haben. Ein großer Nachteil der Versicherungslösung ist, dass bekannte Risiken nicht zum Grundumfang einer Versicherung gehören, das kann den Umfang schnell limitieren. Zwar bestehen Zusatzoptionen, die lassen sich die Gesellschaften aber gut bezahlen. Policen unterscheiden nach allgemeinen Ausschlüssen und spezifischen. Allgemeine sind solche, die der Versicherer unter keinen Umständen auf das eigene Buch nimmt, etwa Umweltthemen oder der Zustand bestimmter Assets. Spezifische hängen mit den Besonderheiten der Transaktion zusammen und mit dem Ergebnis der Due Diligence. Unabhängig voneinander nennen Armah und Silny das Beispiel Datenschutz. Oft existieren keine Unterlagen, da wird keine Versicherung einsteigen. Da geht die Empfehlung in Richtung Freistellung oder der Käufer wird versuchen, den Kaufpreis zu drücken. „So eine Angelegenheit fällt den Beteiligten dann auf die Füße. Sie stellen fest, sie müssen doch noch etwas regeln – und der Verkäufer dachte eigentlich, dass es nichts mehr zu regeln gibt. Das zählt zu den Fallstricken einer W&I-Versicherung“, erläutert Armah.  

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„Es wird interessant sein zu sehen, wie schwierig es ist, Ansprüche geltend zu machen, es gibt im Grunde noch keine belastbaren Beispiele.“

Dr. Deny-Jean Silny, Head of Legal M&A, Bayer.

Was In-house Counsel beachten müssen

Mit dem Versicherer haben die Parteien außerdem einen zusätzlichen Partner mit am Verhandlungstisch, der kritisch hinterfragt und genau hinsieht. Umso höherer Bedeutung kommt der Due Diligence zu. Die muss sehr gründlich sein, um nicht Gefahr zu laufen, sie wiederholen zu müssen. Entscheidende Bedeutung hat das Reporting: „Bei uns erstellt ohnehin jede Funktion einen Report, aber mit Versicherung ist dieses deutlich formalistischer“, berichtet Silny. „Um Verzögerungen zu vermeiden, sollte der Report keine missverständlichen Formulierungen enthalten, er muss so klar und deutlich sein, dass ein Versicherer möglichst wenig Rückfragen hat.“ Dadurch sei der Prüfungsprozess und Abstimmungsbedarf deutlich komplexer geworden,. „Höhere Komplexität bedeutet mehr Zeitaufwand und ein Plus an Koordinierungsaufgaben“, betont Silny. „Unklarheiten und Lücken bei der Due Diligence können zu Lasten des Versicherungsschutzes gehen und weitere Ausschlüsse zur Folge haben.“ In-house-Juristen dürfen demnach das Thema W&I-Versicherung keinesfalls unterschätzen. „Gerade für Unternehmensjuristinnen und -juristen ist das ein zusätzlicher ‚Workstream‘“, bestätigt Armah. In der Rechtsabteilung sollte es jemanden geben, der sich auf das Thema spezialisiert hat. So früh wie möglich sollte die Entscheidung getroffen werden, ob im Rahmen einer Transaktion eine W&I-Versicherung in Betracht gezogen wird, Armah empfiehlt sogar, das Thema „generell aktiv in Dealprozesse mit aufzunehmen. Das ist vergleichbar mit dem frühzeitigen Gespräch mit der Bank, wenn eine Finanzierung benötigt wird oder dem Gespräch mit Entscheidungsgremien, wenn eine Freigabe notwendig ist.“ Es sind zusätzliche Kosten zu kalkulieren, nicht allein für die Prämie, sondern auch für zeitliche und personelle Ressourcen, gegebenenfalls externe Beraterinnen und Berater. „Beteiligte sind auf die veränderte Due Diligence und auf die formellen Reports zu sensibilisieren – es muss eine klare Antwort auf die Frage geben: Was erwartet der Versicherer?“, hebt Silny hervor. Er beschreibt außerdem gestiegene Anforderungen im Erwartungsmanagement: „Gerade auf Käuferseite sollten die Verantwortlichen Versicherungslücken rechtzeitig intern kommunizieren..“ Mitten im Verkaufsprozess Änderungen vornehmen zu wollen, kann unprofessionell wirken und den Deal belasten.

 

Der Fall der Fälle steht noch aus

Eines steht indes noch aus: der Krisenfall. Noch ist es ungewiss, ob es im Fall der Fälle tatsächlich eine Auszahlung gibt, beziehungsweise, wie sich Versicherungsgesellschaften verhalten. Lassen sie sich beispielsweise auch erst einmal verklagen, ist nicht viel gewonnen. „Das ist auch für uns Anwältinnen und Anwälte sehr schwer abzusehen. Es gibt Ratings, die Einschätzungen der Broker, aber erst eine Krise wird zeigen, ob das Netz auch wirklich hält“, so Armah, der noch den arbeitsreichen Dezember 2021 im Kopf hat, als ein Mandant die Frage stellte, was passiert, wenn ein Versicherer parallel fünf größere Transaktionen begleitet und überall der Schadensfall eintritt. Auch wenn es nicht unüblich ist, dass Risiken auf Versicherungsseite auf mehrere Schultern verteilt werden. M&A-Transaktionen ohne W&I-Versicherung sind weiterhin denkbar, aber deren Verwendung nimmt zu. Aber nur, wenn sie sich im Ernstfall bewährt, wird sie auch in Zukunft ständiger Deal-Begleiter sein. Anderenfalls wird sie wieder an Attraktivität einbüßen.          

Alexander Pradka

Beitrag von Alexander Pradka

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