Wenn es so richtig vertrackt und verzwickt wird

Der Aufgabenkatalog wird immer größer, die Ressourcen eher knapper und die juristischen Fragestellungen komplexer. Digitalisierung und Legal Tech beeinflussen Arbeitsalltag und Aufgaben. Um dem allem gerecht zu werden, braucht es manchmal „andere“ Werkzeuge und Methoden.
vom 8. März 2022
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Was sie tut, wenn es einmal so richtig hakt und scheinbar nichts mehr geht? „Ich höre einfach nicht auf“, sagt Dr. Kirstin Gramß-Siegismund, Leiterin Compliance & Arbeitsrecht und stellvertretende Leiterin Recht bei der BwConsulting GmbH in Köln. Auch als erfahrener Juristin begegnen ihr Fälle, in denen alles, was schon als gesichert gilt, wieder infrage gestellt wird. Und es gibt Fälle, die sich über einen langen Zeitraum hinziehen und Probleme, die fast unlösbar erscheinen. Was ihr da hilft? „Zum einen die professionelle Distanz, die ich wahre. Zum anderen, dass ich die Gegenseite stets mit Respekt behandele und zugleich mich nicht scheue, meine Position nachhaltig zu verdeutlichen.“ Nicht zuletzt, „habe immer die Zuversicht und vermittle auch, dass eine Lösung möglich ist.“

 

Wie Juristen mit schwierigen Problemen im Arbeitsalltag umgehen, ist immer eine individuelle Entscheidung, die mit Lebens- und Berufserfahrung zu tun hat. Es gibt Werkzeuge, die dabei helfen. Kirstin Gramß-Siegismund hat sich nicht für eine Methode entschieden, sondern geht ihren eigenen Weg. Dazu gehört auch, dem Gegenüber „ganz offen meine Seite des Problems und mein Bestreben zu zeigen, das Beste für alle Beteiligten zu erreichen, wenngleich ich mich nicht scheue, meine Position nachhaltig zu verdeutlichen“, sagt die erfahrene Juristin.

Gramß-Siegismund-Kirstin
„Es verlangt Kreativität, um Lösungen zu finden.“

Dr. Kirstin Gramß-Siegismund, Leiterin Compliance & Arbeitsrecht, BwConsulting GmbH

FINGERSPITZENGEFÜHL IST GEFRAGT

 

Das ist gerade im Arbeitsrecht nicht einfach. „Da menschelt es oft und Fingerspitzengefühl ist gefragt.“ Ihr Herangehen beschreibt sie so: „Es geht um Zuhören und darum, zunächst einmal eine verlässliche Rechtsauskunft zu geben.“ Das geschieht unabhängig von der Person und abseits aller persönlichen Gefühle, erfordert ebenso Geduld wie eine gewisse Resilienz. „Ich bin ja ein Organ der Rechtspflege und muss fachliche Unabhängigkeit wahren, auch gegenüber meinem Arbeitgeber.“

 

Ihr Lösungsweg bei schwierigen Problemen im Arbeitsrecht: „Ich nehme die Mitarbeitenden Schritt für Schritt mit. Ich stelle offene Fragen nach seinen Vorstellungen und Einschätzungen und zeige, dass ich die Antworten ernst nehme, indem ich bei einer Kündigung individuelle Angebote etwa zum

Outplacement unterbreite.“ Solche Gespräche, in denen sie als Mediatorin zwischen Personalabteilung und den Kollegen fungiert, sind manchmal schwierig – und es „verlangt Kreativität, um Lösungen zu finden“. Manchmal hilft es auch, bei Problemen einen anderen Zeitpunkt zu wählen, wenn sich die Stimmung der Beteiligten verändert hat. Aber: „Ich weiche Diskussionen nicht aus, bleibe ehrlich und zuverlässig. Das erfordert Rückgrat, zahlt sich aber in schwierigen Situationen aus.“

 

KREATIVE METHODEN: DIE SACHE MIT DEN HÜTEN

Es gibt viele Herangehensweisen, um komplexe Probleme zu lösen und es lässt sich keine „Hitliste der Methoden“ erstellen. Vielfach angewendet werden „Kreativitätstechniken“. Dazu gehören das „Brainstorming“ oder „Brainwriting“, oder das „collective notebook“, bei denen Ideen und Ansätze wertfrei notiert werden. Beim „Mindmapping“ geht es um Visualisierung. Das Thema steht zentral auf einem Blatt, darum herum werden Gedanken notiert. Durch Linien entsteht nach und nach ein Netz oder eine Baumstruktur, das das Problem auf verschiedenen Ebenen beleuchtet.

 

Es gibt viele Herangehensweisen, um komplexe Probleme zu lösen und es lässt sich keine „Hitliste der Methoden“ erstellen. Vielfach angewendet werden „Kreativitätstechniken“. Dazu gehören das „Brainstorming“ oder „Brainwriting“, oder das „collective notebook“, bei denen Ideen und Ansätze wertfrei notiert werden. Beim „Mindmapping“ geht es um Visualisierung. Das Thema steht zentral auf einem Blatt, darum herum werden Gedanken notiert. Durch Linien entsteht nach und nach ein Netz oder eine Baumstruktur, das das Problem auf verschiedenen Ebenen beleuchtet.

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KURZINTERVIEW MIT:

Bodo Giegel, Business Head DACH, Project Management Institute

Herr Giegel, das Project Management Institute hat sich mit dem Thema „Wicked Problems“ beschäftigt. Was genau ist ein „wicked“ also ein verzwicktes Problem?

 

Bodo Giegel: Der Begriff der Wicked Problems geht auf den Designwissenschaftler Horst W. J. Rittel zurück. Zusammen mit seinem Kollegen, dem Stadtplaner Melvin M. Webber, hat er zu Beginn der 1970er in einem Beitrag Charakteristika eines wicked problems zusammengetragen. Dazu gehört, dass Lösungen für solche Herausforderungen weder richtig noch falsch, dafür aber gut oder schlecht sind. Oder dass jede Lösung eines wicked problems eine einzigartige Maßnahme ist, weil es keine Möglichkeit gibt, sie vorher zu testen. Jeder Lösungsversuch zählt.

Was unterscheidet die Methode des „Wicked Problems Solving“ von anderen Methoden?

 

Bodo Giegel: Wicked Problem Solving kombiniert verschiedene Methoden in ein Drei-Schritt-Vorgehen. Dazu gehört es, die richtigen Fragen zu stellen, Informationen zu visualisieren, sie zu organisieren und ein Team einzubinden, um sich zu engagieren und die nächsten Schritte festzulegen.

Wo sehen Sie die Vorzüge? Was sind die besonderen Stärken?

 

Bodo Giegel: Wicked Problem Solving ist ein kreatives System, das von der Problemstellung zur Lösung führt. Es verbessert die Kooperation und Effizienz eines Teams, die Zusammenarbeit bei Projekten mit gemeinsamen Problemlösungstechniken und Strategien zur Überwindung aller Hindernisse. Es fördert unterschiedliche Sichtweisen und Ideen, die Innovationen begünstigen, weil jedes Teammitglied eine Stimme hat.

Dann ist die Methode vorwiegend für Teams geeignet, also etwa in größeren Rechtsabteilungen? Oder könnten auch einzelne Personen damit arbeiten?

 

Bodo Giegel: Wicked Problem Solving kann sowohl im Team als auch individuell angewendet werden. Die volle Kraft der Visualisierung und Entwicklung von komplexen Problemlösungen entfaltet sich in der Teamarbeit.

Das PMI war an der Entwicklung eines Toolkits beteiligt. Was verbirgt sich dahinter?

 

Bodo Giegel: Das Wicked Problem Solving Toolkit ist einzigartig, da es verschiedene Disziplinen wie Design Thinking, Systems Thinking, Agile und Lean miteinander verbindet, um Lösungen für einfache, aber auch sehr komplexen Problemstellungen allein oder im Team zu entwickeln. Die Wicked-Problem-Solving-Methode besteht aus einem Set von 46 verschiedenen Spielzügen, die jeweils kombiniert, nacheinander oder getrennt verwendet werden können. Jeder Spielzug enthält die drei Basisschritte: Fragen, Visualisierung und mit nächsten Schritten vorankommen. Je nach Komplexität der Problemstellung kommen unterschiedliche Spielzüge oder auch eine Kombination zum Einsatz. Wir unterscheiden unter anderem zwischen Spielzügen für einfache oder grundlegende und komplexe Problemlösungen.

Der Sinn dieser Spielzüge ist es, die Kreativität bei der Problemlösung anzukurbeln?

 

Bodo Giegel: Ja, der Begriff Spiel mag sicherlich den einen oder anderen Leser zunächst irritieren. Gleichwohl ist diese Beschreibung gerade die Stärke und Essenz des Toolkits. Es sollen eingefahrene Denkmuster durch spielerische Anwendung und Kombination mit modernen Vorgehensweisen durchbrochen werden. Und wir haben sehr gute Erfahrungen bei der Anwendung von Wicked Problem Solving gemacht – insbesondere dort, wo es zunächst auch Vorbehalte gab.

Mehr über das Wicked Problems Solving Toolkit gibt es hier: https://bit.ly/3LSmBtT

Ja, der Begriff Spiel mag sicherlich den einen oder anderen Leser zunächst irritieren. Gleichwohl ist diese Beschreibung gerade die Stärke und Essenz des Toolkits. Es sollen eingefahrene Denkmuster durch spielerische Anwendung und Kombination mit modernen Vorgehensweisen durchbrochen werden. Und wir haben sehr gute Erfahrungen bei der Anwendung von Wicked Problem Solving gemacht – insbesondere dort, wo es zunächst auch Vorbehalte gab.

Gabriele Müller

Beitrag von Alexander Pradka

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