Seit dem Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes vor gut einem Jahr sollten in Unternehmen rechtzeitig die Alarmglocken läuten, wenn es intern zu Verstößen kommt. Die Sachverhaltsaufklärung bei solchen Meldungen ist eine wichtige, nun gesetzlich vorgeschriebene Verpflichtung, die diskret aber zielstrebig erfüllt werden muss. Wichtig dabei ist, Konfliktgespräche richtig zu führen. Ein Beispiel dafür kann als Aufhänger dienen: Es ist eine Situation, wie sie in vielen Unternehmen von Zeit zu Zeit vorkommt: Ein ansonsten allseits geschätzter Mitarbeiter riecht häufig schon morgens nach Alkohol. Und auch wenn die Arbeitsleistung und Pünktlichkeit des Mitarbeiters tadellos sind – das Thema muss irgendwie angesprochen werden. Eine unangenehme Situation für den Chef – doch um das Gespräch kommt er nicht herum: „Der Arbeitgeber hat eine Fürsorgepflicht. Auch im Hinblick auf die Arbeitssicherheit ist es essenziell, dass der Chef bald in das Gespräch geht“, betont Petra Perlenfein, Führungskräfte-Coach aus Stuttgart und Inhaberin der Perlenfein Akademie. „Selbst bei kleinstem Verdacht muss der Chef entscheiden, ob der Mitarbeiter die Maschine bedienen oder auf das Gerüst darf oder ob er andere Tätigkeiten erledigen muss, um sich und den Kollegen nicht zu schaden.“ Zwar bestehe aus arbeitsrechtlicher Sicht kein relevanter Konflikt im Pflichtengefüge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, denn ob ein Arbeitnehmer außerhalb seiner Arbeitszeit Alkohol trinkt, sei zunächst reine Privatsache, sagt Dr. Michael R. Fausel, Partner in der Kanzlei Bluedex Labour Law in Frankfurt. „Doch spätestens, wenn sich der Alkoholkonsum des Arbeitnehmers negativ auf die Erfüllung seiner arbeitsrechtlichen Pflichten und dessen Verhalten im Betrieb auswirkt, sind arbeitsrechtliche Schritte angebracht.“ Riecht ein Mitarbeiter häufig bereits morgens stark nach Alkohol, so sollte der Arbeitgeber aber auch trotz möglicherweise noch nicht eingetretener konkreter Pflichtverletzungen das Gespräch mit diesem suchen. „Der Arbeitnehmer ist hier darauf hinzuweisen, dass seine Kollegen bereits Notiz von dessen vermutetem Alkoholkonsum genommen und insoweit Bedenken geäußert haben. Der Vorgesetzte sollte dem Arbeitnehmer zudem deutlich machen, dass eine Alkoholisierung am Arbeitsplatz stets abstraktes Gefahrenpotenzial für den Arbeitnehmer selbst sowie für dessen Kollegen und aufgrund versicherungs- und haftungsrechtlicher Thematiken auch für das Unternehmen an sich birgt und eine derartige Gefährdung seitens des Arbeitgebers nicht geduldet wird.“ Hierdurch erhalte der betroffene Arbeitnehmer einerseits eine Art Warnung und es könne zukünftig zu erwartenden Pflichtverletzungen vorgebeugt werden, so Fausel. „Andererseits erhält der Arbeitnehmer auch die Gelegenheit, sich zu dem Sachverhalt zu äußern und gemeinsam mit dem Arbeitgeber eine Lösung zu finden.“ Doch wann sollte man als Chef das Gespräch suchen – und welche Form der Beweisführung ist im Vorfeld nötig? Für Expertin Perlenfein ist klar: „Der Chef sollte das Gespräch baldmöglichst suchen, wenn er den Sachverhalt schon mehrfach beobachtet hat.“ Denn sonst bestehe die Gefahr, dass das Thema verdrängt oder verdeckt werde – oder, dass der Alkoholkonsum stetig weiter zunehme. „Außerdem gibt es irgendwann im Kollegenkreis Gerede über den Mitarbeiter, was den Betriebsfrieden stören kann“, so Perlenfein. Im Vorfeld sollte man als Chef aber über einen Zeitraum von etwa vier Wochen alles genau dokumentieren: an welchen Wochentagen hat der Mitarbeiter nach Alkohol gerochen – immer montags, also direkt nach dem Wochenende, oder auch unter der Woche? Und hat es irgendwelche betrieblichen Situationen gegeben, die eine Erklärung darstellen könnten? „Man sollte sich mit Aussagen und Beschwerden der anderen Mitarbeiter auseinandersetzen und dem Arbeitnehmer die Vorwürfe beziehungsweise Konfliktereignisse präzise und sicher mitteilen können“, sagt Rechtsanwalt Fausel. „Insoweit ist eine gewissenhafte Vorbereitung des Gesprächs unverzichtbar.“ Wenn die Problematik besonders akut ist, also praktisch täglich auftritt, kann der Beobachtungszeitraum auch auf zwei Wochen verkürzt werden. „Allerdings kann der Betroffene sich dann herausreden und sagen, dass er gerade eine familiäre Krise hätte“, gibt Perlenfein zu bedenken.
„Eine unvoreingenommene Haltung des Vorgesetzten drängt den Arbeitnehmer nicht in die Defensive und vermittelt diesem das Gefühl,
ernst genommen zu werden.“
Dr. Michael R. Fausel
Partner,
Bluedex Labour Law
Persönliche Wertungen unterlassen
Ist alles über einen ausreichend langen Zeitraum dokumentiert, steht das Gespräch mit dem betroffenen Mitarbeiter an. „Die Struktur eines solchen Konfliktgesprächs variiert je nach Vorwurf und Situation und lässt sich deswegen nicht pauschal vorgeben“, erklärt Fausel. Es seien jedoch einige Grundregeln einzuhalten, an die sich Vorgesetzte in jedem Konfliktgespräch halten sollten. So sollte sich der Gesprächsablauf grob an den Punkten (1) Gesprächseröffnung, (2) Erklärung des Sachverhalts und Übermittlung der relevanten Botschaft, (3) Erinnerung an die vertraglichen Pflichten, (4) Festlegung des weiteren Vorgehens und (5) Gesprächsbeendigung orientieren. „Hilfreich kann auch die Erstellung eines Entwurfs für ein Protokoll des Konfliktgesprächs im Vorhinein sein“, so Fausel. Im Gesprächsverlauf selbst sei es wichtig, eine persönliche Wertung der Geschehnisse nach Möglichkeit zu unterlassen. „Eine unvoreingenommene Haltung des Vorgesetzten drängt den Arbeitnehmer nicht in die Defensive und vermittelt diesem das Gefühl, ernst genommen zu werden“, erläutert der Rechtsanwalt. Auch sei es wichtig, dem Arbeitnehmer die Gelegenheit zu geben, seine Sicht der Geschehnisse zu schildern. Es sei entscheidend, dass das Gespräch auf Augenhöhe erfolge, sagt auch Sebastian Mohr, Geschäftsführer Personal und Arbeitsdirektor bei Die Autobahn GmbH des Bundes. Wichtig bei solchen Gesprächen: „Es muss sichergestellt sein, dass es fair zugeht und kein Druck da ist.“ Deshalb dürfe auch niemand überrumpelt werden: ein solches Gespräch müsse im Vorhinein angekündigt sein. „Es gibt einen Termin und der Mitarbeiter weiß auch, um welchen Sachverhalt es geht.“ Der Zeitpunkt des Gesprächs sollte aus Rücksicht auf den betroffenen Arbeitnehmer so gewählt werden, dass die Belegschaft, insbesondere die direkten Kollegen, nicht notwendigerweise mitbekommen, dass der Arbeitnehmer im Konfliktgespräch ist, rät Bluedex-Anwalt Fausel. „Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer nach dem Konfliktgespräch möglicherweise emotional ist und sich zunächst nicht zur Fortführung seiner Tätigkeit in der Lage sieht. Insoweit bietet sich ein Gesprächszeitpunkt kurz vor Feierabend an.“ Hierdurch falle auch ein Fehlen des Arbeitnehmers an seinem Arbeitsplatz nicht auf und der Arbeitnehmer müsse im Anschluss an das Gespräch nicht direkt zurück an seinen Arbeitsplatz, sondern könne zunächst in den Feierabend gehen. „Es ist auch darauf zu achten, dass das Gespräch in ruhiger Atmosphäre stattfindet und Unterbrechungen möglichst vermieden werden“, so Fausel. „Darüber hinaus ist genügend Zeit für das Gespräch einzuplanen, in der Regel mindestens 30 bis 45 Minuten. Die Einladung zum Gespräch sollte möglichst kurzfristig per Mail erfolgen.“ Führungskräfte-Coach Perlenfein pflichtet ihm bei: „Das Gespräch sollte nicht zwischen Tür und Angel passieren, sondern terminiert und in einem ruhigen Raum sein.“ Ein guter Zeitpunkt dafür sei etwa eine Stunde vor Feierabend – jedenfalls nicht in der Hektik des Alltags und auch nicht kurz vor dem Wochenende. „Und es sollte auch nicht nur zehn Minuten dauern“, so die Expertin. In dem Gespräch sollte der Chef seine Beobachtungen aufzeigen – und klar zum Ausdruck bringen, dass er sich sorgt. „Er sollte Hilfe anbieten, aber auch Konsequenzen aufzeigen. Er sollte klar machen, dass er eine Verhaltensänderung erwartet und ein Folgegespräch terminieren“, sagt Perlenfein.
Tragfähige Lösung für beide Seiten finden
Bei der Gesprächsführung komme es darauf an, keine geschlossenen Fragen zu stellen, sagt Mohr von der Autobahn GmbH. „Es geht darum, dass der Betroffene seine Sicht der Dinge frei schildern kann. Mit Ja/Nein-Antworten kommt man da nicht weiter.“ Führungskräfte-Coach Perlenfein rät dazu, das Problem klar anzusprechen. Ihr Formulierungsvorschlag: „Mir ist mehrfach aufgefallen, dass du nach Alkohol gerochen hast, ich habe mir dazu Notizen gemacht. Ich spreche das an, weil ich mir große Sorgen um dich mache. Ich schätze dich als einen sehr treuen Mitarbeiter und auch die Kollegen mögen dich und wir möchten dich nicht verlieren. Magst du erzählen, was gerade bei dir los ist? Kann ich etwas für dich tun?“ Vermeiden sollte man dagegen persönliche Angriffe, wohlmeinende Ratschläge oder Anekdoten, wie man selbst oder andere es geschafft haben, nicht über den Durst zu trinken. „Auch eine Diagnose zu stellen, steht einem als Chef nicht zu“, betont Perlenfein. „Stattdessen kann man Kontaktstellen nennen, je nachdem, wie stark der Alkoholkonsum ist.“ Wichtig ist eine genaue Dokumentation des Gesprächs, getroffene Vereinbarungen und ein Folgetermin sollten schriftlich festgehalten werden. „Es bietet sich an, direkt einen Folgetermin zu vereinbaren, um die bis dahin gemachte Entwicklung gemeinsam evaluieren zu können und dem Arbeitnehmer einen konkreten Ansporn zur Lösung des Konflikts zu geben“, sagt auch Bluedex-Anwalt Fausel. „Am Schluss eines jeden Konfliktgesprächs sollte der Vorgesetzte gegenüber dem Arbeitnehmer grundsätzlich Wertschätzung und Dank ausdrücken. Der Arbeitnehmer sollte mit dem Gefühl aus dem Gespräch gehen, dass tatsächlich beide Seiten an einer Lösung des Konflikts interessiert sind und es sich nicht um eine bloße Schikane des Arbeitgebers handelt. Letztlich geht es darum, dem Arbeitnehmer die Perspektive des Arbeitgebers zu vermitteln und insoweit eine für beide Seiten tragfähige Lösung des Konflikts zu finden.“ Im Folgegespräch – etwa zwei bis drei Wochen später – sollten dann aber auch mögliche arbeitsrechtliche Konsequenzen angesprochen werden, wenn bis dahin keine Änderung eingetreten ist. „Zeigt ein Konfliktgespräch keinen Erfolg und weigert sich der Arbeitnehmer beharrlich, die von ihm geforderten Anpassungen vorzunehmen, kommen arbeitsrechtliche Schritte wie eine Abmahnung oder gegebenenfalls sogar eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht“, so Fausel. Bevor rechtliche Schritte eingeleitet werden, sollte sich der Chef aber unbedingt anwaltlich beraten lassen. „Natürlich sollte man aber auch klar sagen, dass man dem Mitarbeiter nicht kündigen will, weil er ein guter, geschätzter Kollege ist – aber, dass man als Chef eben das ganze Team im Auge haben muss“, erläutert Führungskräfte-Coach Perlenfein. Sofortige Konsequenz könne dann auch sein, eine Arbeitsplatzveränderung zu veranlassen, so dass der Betroffene keine Arbeiten mehr verrichtet, bei der er sich selbst oder die Kollegen aufgrund seines Alkoholkonsums gefährden kann. Wichtig bei den Gesprächen ist jedenfalls stets, dass nicht die rechtliche, sondern die persönliche Seite im Vordergrund steht. Denn es geht primär um die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers – gegenüber dem betroffenen Kollegen, aber auch gegenüber den übrigen Mitarbeitern des Betriebs.
■ Harald Czycholl
Alkohol am Arbeitsplatz: Maß halten
Der Alkoholkonsum am Arbeitsplatz ist in Deutschland nicht generell verboten. „Es bleibt grundsätzlich jedem Arbeitgeber selbst überlassen, ob er Alkohol im Betrieb toleriert oder nicht“, erklärt Dr. Michael R. Fausel, Rechtsanwalt und Partner in der Kanzlei Bluedex Labour Law. In der Arbeitsschutzvorschrift der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) heißt es lediglich, dass man sich durch den Konsum von Alkohol, Drogen oder anderen berauschenden Mitteln nicht in einen Zustand versetzen darf, durch den man sich selbst oder andere gefährden kann. „Der Arbeitgeber hat eine Fürsorge- und Schutzpflicht für seine Arbeitnehmer“, erläutert Fausel. „Lässt er es zu, dass Arbeitnehmer berauscht Maschinen bedienen oder Fahrzeuge führen, so gefährdet er die Sicherheit im Betrieb.“ Gegen den Umtrunk zum Geburtstag eines Kollegen spricht aber erstmal nichts – zumindest, solange die Mitarbeitenden nicht über die Stränge schlagen. Der Alkoholkonsum dürfe nicht die Fähigkeit des Arbeitnehmers beeinträchtigen, seine volle Arbeitsleistung abzurufen, so Fausel. Das wiederum betrifft auch den privaten Bereich: Der Arbeitnehmer muss auch hier insofern Maß halten, als dass er nicht betrunken zur Arbeit kommt.
Für manche Berufsgruppen gilt allerdings ein striktes Alkoholverbot: „Für Piloten gelten beispielsweise zwingende EU-Vorschriften für die Luftfahrt, welche die Tauglichkeit regeln und dabei auch den Genuss von Alkohol oder psychoaktiven Substanzen einbeziehen. Gleiches gilt etwa für Berufskraftfahrer und Chirurgen“, sagt Fausel. Generell sei in Berufsfeldern in gefahrgeneigter Umgebung erhöhte Vorsicht geboten. Grundsätzlich kann der Arbeitgeber auch ein generelles Alkoholverbot für seinen Betrieb aussprechen. Hierbei hat der Betriebsrat allerdings ein Mitbestimmungsrecht und in der Regel ist eine Betriebsvereinbarung erforderlich.