Künstliche Intelligenz hat in den vergangenen Jahren einen unglaublichen Sprung gemacht. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen hatte Stefanie Thuiner, General Counsel beim Startup Myflexbox in Salzburg, das Praxishandbuch Rechtsabteilung geschrieben, in dem auch KI eine Rolle spielt. „Allerdings hat sich in den vergangenen zwei Jahren extrem viel verändert. Die heutigen Ergebnisse mit KI sind nicht mit denen von damals vergleichbar“, sagt Thuiner. Künstliche Intelligenz wird in den Rechtsabteilungen immer wichtiger. Dabei geht es nicht nur um Prozessautomatisierung, sondern auch um strategische Fragen: Wo bringt KI echten Mehrwert? Welche Aufgaben kann sie realistischerweise übernehmen? Wie kann die Rechtsabteilung dabei helfen, künstliche Intelligenz im Unternehmen auszurollen? Stefanie Thuiner hat in ihrer Karriere bereits verschiedene Unternehmensformen kennengelernt. Sie hat in einer Kanzlei begonnen, später bei Red Bull gearbeitet und ist jetzt für die Rechtsabteilung eines Startups verantwortlich. Myflexbox betreibt ein offenes Netzwerk für Paketabholboxen in Österreich und Deutschland. In der ersten Finanzierungsrunde hat sich das Startup rund 75 Millionen Euro gesichert. In naher Zukunft sollen etwa 4.000 bis 5.000 Boxen aufgestellt werden, für deren Standorte Mietverträge abgeschlossen werden müssen. KI könnte beim Vertragsmanagement helfen. Derzeit testet das Unternehmen verschiedene KI-Systeme, darunter auch maßgeschneiderte Lösungen von Startups aus Österreich. „Es wäre natürlich schön, den gesamten Prozess mit einem Tool abbilden zu können“, sagt Thuiner. „Metadaten in Vertragsdokumente automatisch aus anderen Systemen einfügen, prüfen und dann mit Docusign unterschreiben und direkt ablegen.“ Aber das sei sehr schwierig. Ein entscheidender Punkt sei die Wirtschaftlichkeit: „Es gibt tolle Tools, aber man muss immer einen Schritt zurücktreten und sich fragen, was das Unternehmen wirklich braucht und welchen Return on Investment es bietet“, sagt Thuiner. Sie ist skeptisch gegenüber klassischen Legal-Tech-Lösungen. Lieber nutzt sie Systeme, die im Business bereits etabliert sind, und die dann an die Bedürfnisse der Rechtsabteilung angepasst werden. „Dadurch vermeiden wir Systembrüche und können den Einsatz gegenüber dem Business besser argumentieren. Wir sind schließlich die Rechtsabteilung, keine Archivierungsstelle.“ Im Augenblick setzt Myflexbox deshalb auf ein selbst entwickeltes Vertragsmanagement-System, das auf Microsoft-Technologie basiert. Von der Idee bis zur vollständigen Umsetzung habe es rund acht Wochen gedauert – bei immerhin 1.500 Verträgen. „Jetzt gibt es für jeden Standort auf einen Click die entsprechenden Vertragsdaten, zum Beispiel die Vertragslaufzeit, Kündigungsmöglichkeiten, finanzielle Eckpunkte“, sagt Thuiner. Zudem wird für Anfragen auch ein Ticketing-System eingesetzt, das auch im Software-Development- und der IT im Einsatz ist. Dadurch spart das Unternehmen Lizenzkosten und das Business ist bereits an das Tool gewöhnt.

„Es gibt tolle Tools, aber man muss immer einen Schritt zurücktreten und sich fragen, was das Unternehmen wirklich braucht und welchen Return on Investment es bietet.“
Stefanie Thuiner
General Counsel,
Myflexbox
Einsparungen und Effizienzsteigerung
KI werde in Zukunft weitere spannende Anwendungsfälle bieten, darunter Protokollierung, Compliance-Checks und Predictive Analytics, ist sich Stefanie Thuiner sicher. Besonders interessant sei die Möglichkeit, Wahrscheinlichkeiten von Gerichtsentscheidungen besser darzustellen: „Noch basiert das oft auf Bauchgefühl. Das Business würde es jedoch begrüßen, eine konkretere Einschätzung zu bekommen, etwa in Markenstreitigkeiten oder Arbeitsrechtsverfahren. Das wird jedoch noch dauern.“ Thuiner selbst nutzt KI intensiv: „Ich bin Heavy User von ChatGPT.“ Das Unternehmen prüfe gerade die Chancen von Copilot, der KI von Microsoft. „Wir wollen unbedingt bei diesen Entwicklungen dabei sein.“ Studien würden zeigen, wie durch KI Kosten gespart und Effizienz gesteigert werden könne. „Bereits jetzt lasse ich anonymisierte Verträge von ChatGPT analysieren. Das ist für den ersten Aufschlag sehr hilfreich.“ Wichtig sei es, sich nicht nur auf die Fehler zu konzentrieren: „Es ist schade, dass oft nur über die Schwachstellen gesprochen wird und nicht über die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz.“ Die neue KI-Verordnung sieht Thuiner nicht so negativ, wie das Gesetz häufig diskutiert wird. „Aus Sicht der Wettbewerbsfähigkeit mag das nicht optimal sein, aber Europa war auch beim Datenschutz Vorreiter, und inzwischen hat sich jeder daran gewöhnt.“ Die Gefahr der Überbürokratisierung bestehe allerdings – einige Unternehmen könnten sich entscheiden, lieber gar nichts mehr beim Thema KI zu tun. Dennoch glaubt Thuiner, dass sich das Thema langfristig regeln wird: „So wie beim Datenschutz sollte auch das kein Stolperstein sein.“

„Es geht nicht nur darum, die Prozesse effizienter abzubilden, wir
müssen neue Anwendungsfälle erkennen und aktiv suchen.“
Dr. Matthias Weiss
General Counsel,
Scholz Group
Die Rechtsabteilung als Innovator
Künstliche Intelligenz wird die Arbeit in Rechtsabteilungen grundlegend verändern, ist sich Dr. Matthias Weiss sicher. Er ist General Counsel der Scholz Group, einem global operierenden Spezialisten für Metallrecycling. Dr. Weiss geht davon aus, dass sich nicht nur interne Prozesse wandeln, sondern auch neue Zuständigkeiten entstehen werden. „Hier wird es darum gehen, dass die Rechtsfunktion diese Zukunft aktiv mitgestaltet und nicht nur Prozesse digitalisiert.“ Nach ihrer Rolle als Business Enabler und strategischem Partner könne sie nun zusätzlich zum Innovationsmotor im Unternehmen werden. Viele Rechtsabteilungen hätten bereits Erfahrung mit komplexen Transformationsprozessen, etwa im Bereich Mergers & Acquisitions (M&A), und stünden an der Schnittstelle zu allen Unternehmensbereichen. Rechtsabteilungen brächten zudem Datenschutz und Governance von Anfang an mit ins Spiel. Doch Dr. Weiss betont: „Es geht nicht nur darum, die Prozesse effizienter abzubilden, wir müssen neue Anwendungsfälle erkennen und aktiv suchen.“ KI könne helfen, Entscheidungen datenbasiert und noch effizienter zu treffen. Vor allem für General Counsel, die auch das Board Office führen, böte sich hier großes Potenzial. In den vergangenen Wochen testete sein Team verschiedene KI-Anwendungen zur Vertragsgenerierung. Ziel war nicht nur Effizienz, sondern echte Wertsteigerung. „Wir haben mehr als zehn verschiedene Anwendungen getestet“, berichtet Dr. Weiss. Der dreistufige Test umfasste die Prüfung eines Joint-Venture-Vertrags, die Erstellung eines M&A-Vertrags aus Käufer- und Verkäufersicht sowie die Generierung einer Handlungsempfehlung zu einer konkreten Fragestellung.
„Beim Test hatten wir immer ChatGPT als Benchmark im Hinterkopf, mit seiner Schnelligkeit und seinen Möglichkeiten“, sagt Dr. Weiss. Deshalb sei er von manchen Tools eher ernüchtert gewesen. Viele Anbieter kämen aus dem Bereich Prozessworkflow und hätten Schwierigkeiten, Expertenwissen adäquat abzubilden. Doch ein Tool habe besonders überzeugt: „Es hat bei allen Aufgaben gut abgeschnitten, sogar bei der Handlungsempfehlung“, sagt Dr. Weiss. „Ein echter Gamechanger.“ Das favorisierte Tool erinnere in seiner Funktionsweise an ChatGPT, sei aber datenschutzkonform und mit juristischer Expertise angereichert. „Andere Tools konnten bei der Vertragserstellung nur eine grobe Gliederung erstellen“, erklärt Dr. Weiss. Schon heute gebe es KI-Systeme, die in vielen Fällen qualitativ mindestens mit Junior Lawyers vergleichbar seien – und Aufgaben mit einer enormen Zeitersparnis erledigen könnten. „Was vormals Stunden dauerte, braucht nur noch Minuten.“ Allerdings würde es noch dauern, bis das implizite Wissen eines erfahrenen General Counsel oder Senior Partners durch KI abgebildet werden kann. Natürlich stelle sich die Frage nach der Fehleranfälligkeit. Doch Dr. Weiss zeigt sich optimistisch: „KI wird immer präziser – die Diskussion über Halluzinationen nimmt einen zu breiten Raum ein.“ Entscheidend sei, dass die Technologie eingesetzt und Erfahrungen gesammelt würden. „Die finale Verantwortung verbleibt jedenfalls beim Menschen.“ Wer KI als bloße Prozessautomatisierung betrachte, verpasse die eigentliche Chance. „KI bietet enorme Chancen für Wachstum, Innovation und nachhaltige Transformation. Im General Counsel Bereich und darüber hinaus.“
Digitalisierung plus KI gleich Erfolg
Dr. Dagmar Holthausen, Head of Artificial Intelligence Transformation / Integrity and Law bei Continental, sieht eine grundlegende Verschiebung traditioneller Arbeitsweisen durch künstliche Intelligenz. „KI ermöglicht es, das Monopol der akademischen Berufe zu brechen“, sagt die Unternehmensjuristin. „Arbeiten, für die bisher ausschließlich Juristinnen und Juristen in Frage kamen, können nun auch von anderen Abteilungen erfüllt werden.“ Ein Beispiel dafür ist der Einkauf. KI kann externe Verträge mit den standardisierten Einkaufsbedingungen vergleichen und sogar Vorschläge zur Umformulierung bestimmter Klauseln machen. „Der KI können auch Fragen zum Vertrag gestellt werden. Bis zu einem gewissen Grad sind die Abteilungen dann eigenständiger“, erklärt Dr. Holthausen. Gleichzeitig kann die KI so konfiguriert werden, dass sie bei komplexeren Fragestellungen automatisch die Rechtsabteilung einbindet. Ein weiteres Anwendungsfeld sind interne Chatbots mit Zugriff auf unternehmensrelevante Daten, etwa Policies. Anstatt ein FAQ im Intranet zu durchsuchen, können Beschäftigte ihre Fragen direkt an eine KI richten. Die Antwort erfolgt unmittelbar und basiert auf den gepflegten Datenbeständen des Unternehmens. Die Einführung solcher Systeme bedeutet jedoch nicht nur technologische, sondern auch kulturelle Veränderungen. „Eine zentrale Aufgabe der Rechtsabteilung wird es sein, das Wissen über den Umgang mit diesen neuen Anwendungen ins Unternehmen zu bringen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen mitgenommen werden“, betont Dr. Holthausen. Oft werde KI zunächst als zusätzlicher Arbeitsaufwand empfunden – als ein weiteres Tool, mit dem man sich auseinandersetzen muss. „Dabei ist KI kein neues Tool. Es ist mehr als das, es ist ein neuer Arbeitsstil.“ Die Digitalisierung der vergangenen Jahre sei oft daran gescheitert, dass sie zusätzliche Dokumentationspflichten und Formulare mit sich brachte. „Jetzt mit KI fällt diese Hürde weg. Die KI kann im besten Fall selbst Daten erfassen und verarbeiten“, so Dr. Holthausen. Als Beispiel nennt die Unternehmensjuristin Bewerbungsverfahren, bei denen KIs schon heute Lebensläufe analysieren und automatisch relevante Informationen extrahieren.Trotz bestehender Risiken sieht Dr. Holthausen vor allem die Chancen, die KI bietet: „KI mach Unternehmen besser und effizienter. Es wäre schade, wenn dieser Effizienzgewinn nicht genutzt würde.“ Sie zieht Parallelen zu früheren Entwicklungen: „Als E-Commerce aufkam, wurde dies oft als Spielerei abgetan. Heute ist es für viele Unternehmen unverzichtbar“, sagt Dr. Holthausen. „Ich bin überzeugt, dass es mit KI genauso sein wird – aber es braucht Zeit, bis eine neue Technologie akzeptiert wird.“
■ Henning Zander