Unternehmen drohen höhere Kosten und mehr Bürokratie

Die „Ampel“-Koalition will Deutschland sozial, ökonomisch und ökologisch umbauen. Ein reformiertes Arbeitsrecht soll dazu beitragen. Im Fokus stehen mobile Arbeit und Mindestlohn sowie Regelungen zur Arbeitszeit. Experten kritisieren, die Belange der Wirtschaft würden zu wenig beachtet. Auf sie kämen vor allem Mehrbelastungen zu.
vom 19. Februar 2022
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Gut gemeint ist nur selten gut gemacht. Das gilt auch für die neue Bundesregierung bei der Umsetzung eines der zentralen Wahlkampfversprechen der SPD. Ihr Dekret, den Mindestlohn zum 1. Oktober 2022 – an den Tarifparteien vorbei – auf zwölf Euro brutto hochzustufen, rief harsche Kritik hervor. Erst zu Jahresbeginn war dieser auf Vorschlag der dafür zuständigen Mindestlohnkommission auf 9,82 Euro angehoben worden. Zum 1. Juli 2022 soll er erneut auf dann 10,45 Euro pro Stunde steigen.

 

So richtig und wichtig eine angemessene Vergütung für geleistete Arbeit ist: SPD, Grüne und FDP müssen sich vorhalten lassen, unangemessen und mit womöglich weitreichenden Folgen in die Tarifautonomie einzugreifen. Für die Festsetzung der Lohnuntergrenze ist seit Ende 2014 eine unabhängige Kommission verantwortlich. Sie besteht mehrheitlich aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern. Besetzung und klar definierte Abläufe sollen einen fairen Ausgleich der Interessen sichern.

UNMUT ÜBER EINMISCHUNG DER POLITIK

 

Unbeeindruckt davon und wie in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, hat die „Ampel“-Regierung ihren Entwurf eines Mindestlohnerhöhungsgesetzes (MiLoEG) vorgelegt. Zugleich wird der alle zwei Jahre turnusmäßig und damit im Juni 2022 anstehende Termin zur Überprüfung des Mindestlohns durch die Mindestlohnkommission um ein Jahr verschoben. Beobachter sehen letztere durch diesen Vorgang brüskiert und ihr Recht auf Beschlussfassung zur Anpassung der Lohnuntergrenze suspendiert.

 

Die pauschale Erhöhung durch die Politik wecke „Zweifel, wie weit der Respekt für die unabhängige Arbeit der Mindestlohnkommission reicht“, kommentiert Dr. Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in Berlin, scharf. Derlei sei „geeignet, Sozialpartnerschaft und Tarifautonomie unnötig auszuhöhlen“, so Dulger, „beides werden wir aber brauchen, um den angestrebten Strukturwandel auf allen Ebenen erfolgreich zu bewältigen“. Damit nicht genug.

 

„Mehr Fortschritt wagen“ – schon die Überschrift des 178-seitigen Koalitionsvertrags soll Aufbruchstimmung erzeugen. Mit neuen Belastungen und Regulierungen werde es aber keinen Aufbruch in der Wirtschaft geben, mahnt Arbeitgeberpräsident Dulger. Er spielt dabei auch auf die geplante Modernisierung des Arbeitsrechts an. Es geht um Regeln zu Arbeitszeit und -ort, den Umgang mit internen Hinweisgebern, um Vergütung und Befristung sowie den Ausbau der Aus- und Weiterbildung.

 

„Mindestlohn und mobile Arbeit sind zwei wichtige Projekte der Bundesregierung“, bestätigt ein Sprecher des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) in Berlin. Der Koalitionsvertrag sehe allerdings „noch eine Reihe weiterer Themen im Bereich des Arbeitsrechts vor, die wir alle adressieren werden“. Es handele sich vor allem um „viele punktuelle Anpassungen“, analysiert Dr. Michael Fuhlrott, Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius für Wirtschaft & Medien in Hamburg.

 

Das Arbeitsrecht werde „also nicht komplett neu geschrieben“, erklärt der Fachanwalt für Arbeitsrecht, der an der privaten Lehranstalt die Studiengänge Wirtschaftsrecht und Human Ressources Management verantwortet. Die Pläne trügen die Handschrift der SPD-geführten Koalition. „Es wird aber auch deutlich, dass mit der FDP hier eine wirtschaftsliberale Kraft mit am Werke war“, so Fuhlrott. Tatsächlich finden sich einige Vorhaben der vormaligen Großen Koalition im jetzigen Koalitionspapier nicht wieder.

 

Vom Tisch sind zum Beispiel wesentlich schärfere Regelungen für die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnissen. Laut „Ampel“-Koalitionsvertrag sollen befristete Verträge mit Sachgrund bei demselben Arbeitgeber künftig prinzipiell auf sechs Jahre begrenzt werden. Damit würde erstmals eine konkrete Höchstdauer für so genannte Kettenbefristungen im Teilzeit- und Befristungsgesetz verankert werden. Was dem Schutz der Arbeitnehmer dient, schafft für Unternehmen Klarheit und Einheitlichkeit.

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„ Mit neuen Belastungen und Regulierungen wird es keinen Aufbruch in der Wirtschaft geben.“

Dr. Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in Berlin

„Es sind viele punktuelle Anpassungen in verschiedenen Bereichen. Das bisherige Arbeitsrecht wird also nicht komplett neu geschrieben.“

Dr. Michael Fuhlrott, Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius für Wirtschaft & Medien in Hamburg

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MEHR FAIRNESS UND FLEXIBILITÄT BEI MOBILER ARBEIT

 

Das würde sich die Wirtschaft auch beim Thema mobiles Arbeiten wünschen. Wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, fordert sie eine baldige Abgrenzung von Telearbeit und Homeoffice als Form mobiler Arbeit. Befördert durch die Corona- Pandemie, sei heute Homeoffice „Standard in vielen Unternehmen und wird es auch nach der Pandemie bleiben“, sagt BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter. Dazu bedürfe es keines Rechtsanspruches, sondern eines vertrauensvollen Miteinanders im Betrieb.

 

Während Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) einen solchen Anspruch am liebsten per Gesetz festschreiben würde, sieht die „Ampel“ für Homeoffice lediglich einen Erörterungsanspruch vor. Die Spitzenorganisation der Arbeitgeberverbände glaubt die Unternehmen hier dennoch stark unter Druck: „Der Staat schafft mit neuen Vorschriften kein Vertrauen, sondern setzt die Sicht der Ministerialbürokratie über die sich fortentwickelte betriebliche Praxis“, warnt BDAHauptgeschäftsführer Kampeter.

 

„Der Erörterungsanspruch des Arbeitnehmers führt unweigerlich zu einer erhöhten Belastung der Unternehmen“, bestätigt Dr. Michael R. Fausel, Partner der Kanzlei Bluedex Labour Law in Frankfurt/Main. Dies betreffe nicht nur technische Ausstattung und Schulung der Mitarbeiter: „Nach dem derzeitigen Entwurf können Arbeitgeber dem Wunsch nach Homeoffice oder mobiler Arbeit nur widersprechen, wenn betriebliche Belange entgegenstehen.“ Eine Ablehnung darf nicht sachfremd oder willkürlich sein.

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„Der beim Homeoffice angedachte Erörterungsanspruch des Arbeitnehmers führt unweigerlich zu einer erhöhten Belastung der Unternehmen.“

Dr. Michael R. Fausel, Partner der Kanzlei Bluedex Labour Law in Frankfurt/Main

„In meiner Beratungspraxis erfahre ich Frustration und Unverständnis beim Aufzeigen der rechtlichen Grenzen.“

Dr. Eva Kettner, Salaried Partnerin bei der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek in Hamburg

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„Aus arbeitsrechtlicher Sicht fokussieren sich die Koalitionsparteien doch recht deutlich auf die Arbeitnehmer, unternehmerische Belange werden dabei leider eher stiefmütterlich berücksichtigt.“

Patrick Loeke, Associated Partner der Kanzlei Bluedex Labour Law in Frankfurt/Main

Laut Fausel dürften nach dem Wortlaut des Koalitionsvertrags „damit Gründe in der Person des Beschäftigten nur sehr eingeschränkt einen Widerspruchsgrund für den Arbeitgeber darstellen. Faktisch bedeutet das also, dass hierbei nicht berücksichtigt werden darf, ob ein Arbeitnehmer aufgrund seiner individuellen Situation und Leistungsfähigkeit überhaupt für das Homeoffice geeignet ist.“ Dies sollte aus Arbeitgebersicht aber zwingend berücksichtigungsfähig sein, fordert der Experte für internationales Arbeits- und Sozialversicherungsrecht.

 

Beim Thema mobile Arbeit bräuchten die Unternehmen außerdem klare Regeln zur praktischen Handhabe, die die Fragen des Umgangs mit personenbezogenen Daten im Homeoffice, die Vorgaben des Arbeitsschutzes oder des Aufwendungsersatzes rechtssicher bestimmen, ergänzt Rechtswissenschaftler Fuhlrott. Nach Meinung von Dr. Eva Kettner, Salaried Partnerin bei der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek in Hamburg, kommt mit der Arbeitnehmerentsendung ein Aspekt hinzu. 

 

Kettner: „Zunehmend fragen Unternehmen, warum sie ihren Mitarbeitern nicht auch eine Tätigkeit aus dem Ausland ermöglichen können.“ Die Mehrzahl zeige „eine hohe Bereitschaft, durch flexible Modelle den Wünschen der Arbeitnehmer so weit wie möglich entgegenzukommen. Das deutsche Arbeitsrecht stellt hierbei jedoch immer noch viele starre Grenzen auf“. Mobile Arbeit innerhalb Europas gehöre ebenso zur neuen Lebenswirklichkeit wie ein flexibles Arbeitszeitrecht. Das zwinge zum Handeln.

BELANGE DER WIRTSCHAFT UNZUREICHEND BERÜCKSICHTIGT?

 

Kettner sieht einen „klaren Erwartungsdruck“ von Betrieben und Beschäftigten: „In meiner Beratungspraxis erfahre ich Frustration und Unverständnis beim Aufzeigen der rechtlichen Grenzen.“ Insofern seien die geplanten Änderungen im Arbeitsrecht zu begrüßen. Doch die Themen Brückenteilzeit und Bildungs(teil)zeit könnten die Unternehmen – im Zusammenspiel mit der gleichzeitigen Einschränkung von Sach- Befristungen – vor besondere Herausforderungen stellen, so die Arbeitsrechtlerin.

 

Die Regierung will Arbeitnehmern die Möglichkeit einräumen, ihre Arbeitszeit für eine festgelegte Dauer zu reduzieren. Während dieses Zeitraums müssen Unternehmen deren Aufgaben neu verteilen oder andere Arbeitnehmer befristet einstellen. „Das bedeutet nicht nur einen erhöhten Verwaltungsaufwand, sondern auch höhere Kosten durch ,Reibungsverluste’“, betont Kettner. Zudem werde „hierdurch die von den Regierungsparteien eigentlich nicht gewollte befristete Beschäftigung steigen“.

 

Für Patrick Loeke, Associated Partner der Kanzlei Bluedex, bleibt abzuwarten, „ob die Bildungs(teil)zeit ähnlich wie der existierende Teilzeitanspruch ausgestaltet wird und Unternehmen nur aufgrund betrieblicher Belange – mithin verhältnismäßig hoher Hürden – das Verlangen des Arbeitnehmers auf erstere ablehnen können“. Loeke lobt „Ampel“-Pläne wie die ersten Schritte zur dringend erforderlichen Flexibilisierung des Arbeitszeitrechts, auch wenn diese derzeit nur im Rahmen von Tarifverträgen geplant sind.

 

Gleichwohl fokussiere sich die Koalition aus arbeitsrechtlicher Sicht – dies liegt in der Natur der Sache – „doch recht deutlich auf die Arbeitnehmer“, urteilt Loeke, „unternehmerische Belange werden dabei leider eher stiefmütterlich berücksichtigt“.

Bijan Peymani

Beitrag von Alexander Pradka

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