Es war eine Affäre, die Deutschlands zweitgrößten Versicherungskonzern Ergo bis ins Mark erschütterte: Unter der Überschrift „Herr Kaiser auf Lustreise“ berichtete das „Handelsblatt“ im Mai 2011 darüber, wie die Konzern-Tochter Hamburg-Mannheimer vier Jahre zuvor die historische Gellert-Therme in Budapest als Belohnung für ihre besten freien Vertreter im Rahmen einer Incentive-Reise in ein Freiluft-Bordell verwandelt hatte. 20 Prostituierte waren eingeladen worden, mit farbigen Armbändern gekennzeichnet, und nach jedem Liebesdienst am Unterarm abgestempelt. Das Image des Versicherers war ramponiert, Fußballtrainer Jürgen Klopp kündigte seinen Werbevertrag mit dem Unternehmen. Und die Konzernrevision begann damit, den Fall aufzuarbeiten – vor allem, um zu verhindern, dass sich ähnliches noch einmal ereignen würde. 27 interne Ermittler arbeiteten sich durch 28 Archivkartons, prüften Tagungsprotokolle, Handy- und Spesenrechnungen. sichteten 300 Gigabyte an Daten, werteten Zehntausende E-Mails aus und befragten fast 100 Personen. Als die internen Ermittler im Juni 2011 ihren Bericht an den Vorstand übergaben, waren die Folgen weitreichend: „Es wurde ein umfangreiches Maßnahmenpaket beschlossen, das verhindern soll, dass so etwas noch einmal passiert“, erinnert sich der damalige Leiter der Internen Revision, Bruno Viggen. „Die beiden Organisatoren arbeiten nicht mehr im Unternehmen. Der eine hatte uns schon vorher verlassen, der andere wurde im Zuge der Ermittlungen freigestellt.“ Selten sind Internal Investigations so umfassend wie in jenem Fall. Häufig gehe es eher um kleinere Verstöße, die über das Hinweisgebersystem gemeldet würden, sagt Sebastian Mohr, Head of Global HR Governance beim Automobilzulieferer Leoni Bordnetze. „Diesen Hinweisen gehen wir nach, um einen Verstoß abstellen und gegebenenfalls auch ahnden zu können sowie um gegebenenfalls unsere internen Prozesse und Schulungen anzupassen.“ Die Anlässe, warum Unternehmen Internal Investigations anstoßen, sind vielfältig. Unternehmen müssen heute eine Vielzahl von Vorgaben einhalten, etwa zur Vermeidung von Korruption und Betrug, Geldwäsche oder Kartellverstößen. Hinzu kommen zahlreiche verbindliche Anforderungen aus dem Bereich Environmental, Social and Governance – kurz ESG. Jüngstes Beispiel sind hier die Verpflichtungen aus dem Lieferkettengesetz. „Bei Verstößen kann es zu hohen Strafen für das Unternehmen und die Geschäftsleitung kommen“, erklärt Dr. Daniel Dohrn, Rechtsanwalt und Partner in der Kanzlei Oppenhoff in Köln und Experte für Kartellrecht und Fusionskontrolle, Beihilferecht, Commercial Compliance und Internal Investigations. „Die Unternehmensleitung ist deshalb verpflichtet, bereits konkreten Verdachtsfällen nachzugehen, begangene Verstöße aufzuklären und mögliche Lücken im Compliance-System zu identifizieren und zu schließen.“ Dieser Prozess im Rahmen der präventiven und repressiven Compliance-Organisation wird als interne Untersuchung bezeichnet. „Ziel dieser privaten Ermittlungsmaßnahmen ist es, mögliche finanzielle Risiken, Reputationsschäden und Strafen beziehungsweise Bußgelder sowie etwaige künftige Verstöße zu vermeiden oder zu vermindern“, erklärt Dohrn.
„Bei jeder Befragung muss sichergestellt sein, dass es fair zugeht
und kein Druck da ist.“
Sebastian Mohr
Head of Global HR Governance,
Automobilzulieferer Leoni
Bei schwerwiegenden Verstößen externe Berater einbeziehen
Bei kleineren Vorfällen könne es dabei ausreichen, den Sachverhalt mit eigenen Ressourcen intern aufzuklären. Handelt es sich hingegen um schwerwiegende Vorwürfe – etwa strafrechtlich oder kartellrechtlich relevante – oder betrifft der mögliche Verstoß weite Teile des Unternehmens, reichen die internen Ressourcen oft nicht aus, so Dohrn. „In diesen Fällen müssen in der Regel große Datenmengen ausgewertet, viele Mitarbeiter befragt und auch die Kommunikation mit der ermittelnden Behörde gepflegt werden. Das bedarf einer guten Planung und der notwendigen Erfahrung.“ Daher würden für diese Fälle oft externe Berater hinzugezogen, beispielsweise spezialisierte Anwaltskanzleien oder IT-Forensiker. „Eine unzureichende Aufklärung möglicher Verstöße kann als Pflichtverletzung der Unternehmensleitung angesehen und gegenüber dem Unternehmen als Verbandsgeldbuße geltend gemacht werden“, warnt Dr. Carsten Bormann, Rechtsanwalt und Junior-Partner bei Oppenhoff und spezialisiert auf den Bereich Öffentliches Wirtschaftsrecht. „Interne Untersuchungen sorgen zudem dafür, dass Compliance-Regeln eingehalten, Schwachstellen im Compliance-Management-System ermittelt und für die Zukunft optimiert werden können und sind auch insoweit im Interesse des Unternehmens“, so Bormann. „Ein angemessenes und wirksames Compliance-System minimiert schließlich das Haftungsrisiko des Unternehmens.“ Am Anfang von Internal Investigations steht immer die Plausibilisierung der im Raum stehenden Vorwürfe. „Erstmal versucht man, den Sachverhalt mit den zur Verfügung stehenden Daten aufzulösen“, erklärt Leoni-Jurist Mohr. Vom Ergebnis dieser ersten Prüfung hängt ab, wie weiter verfahren wird – also ob das Verfahren eingestellt werden kann oder beispielsweise Befragungen von Betroffenen oder Beschuldigten zur Sachverhaltsaufklärung geführt oder auch bestimmte Erstmaßnahmen als Reaktion auf den Verstoß eingeleitet werden müssen.
„Ein angemessenes und wirksames Compliance-System
minimiert das Haftungsrisiko des Unternehmens.“
Dr. Carsten Bormann
Rechtsanwalt und Junior-Partner,
Oppenhoff
Befragungen sollten auf Augenhöhe erfolgen
Der weitere Ablauf der internen Untersuchung ist dann immer einzelfallabhängig und richtet sich nach der Art der aufzuklärenden Vorwürfe, der Zahl der betroffenen Mitarbeiter und Art und Umfang der für die Aufklärung zur Verfügung stehenden Informationsquellen. „Die Untersuchung muss dabei auf das betroffene Unternehmen, seine Geschäftsfelder und den jeweiligen Verstoß zugeschnitten sein“, erläutert Oppenhoff-Experte Dohrn. Idealerweise werde zu Beginn des Verfahrens ein detaillierter Untersuchungsplan aufgestellt, welcher den Untersuchungsgegenstand und die Durchführung von Untersuchungsmaßnahmen bestimmt, wie etwa Befragungen oder auch umfassende Datenanalysen mittels E-Discovery. Je nach Art des Verstoßes kann es zudem erforderlich sein, eine spezielle Strategie für die interne und externe Krisenkommunikation auszuarbeiten. Im nächsten Schritt gilt es dann, die festgelegten Untersuchungsmaßnahmen umzusetzen. Kommt es zur Befragung von Mitarbeitern, sei es entscheidend, dass diese auf Augenhöhe erfolge, betont Unternehmensjurist Mohr. „Bei jeder Befragung muss sichergestellt sein, dass es fair zugeht und kein Druck da ist.“ Deshalb wird auch niemand überrumpelt: alle Befragungen sind im Vorhinein angekündigt, es gibt einen Termin und der Befragte weiß auch, um welchen Sachverhalt es geht. „Erst im zweiten Schritt steigen wir dann in die Bewertung ein“, so Mohr. Bei der Befragungstechnik komme es darauf an, keine geschlossenen Fragen zu stellen. „Es geht darum, dass die Befragten ihre Sicht der Dinge frei schildern können. Mit Ja/Nein-Antworten kommt man da nicht weiter.“ Bei den Ermittlungsarbeiten gilt es zudem, Beschuldigtenrechte zu wahren – und beispielsweise den Betriebsrat und gegebenenfalls den Datenschutzbeauftragten mit einzubeziehen. Im Anschluss an die Untersuchung sei ein Untersuchungsbericht anzufertigen, in dem die gesammelten Daten aufbereitet werden, erklärt Oppenhoff-Partner Dohrn. Dieser Bericht wird in jedem Fall an Vorstand beziehungsweise Geschäftsführung übergeben, je nach Verstoß mitunter auch an eventuell ebenfalls ermittelnde Behörden – in dem Fall kann er dann als Grundlage für Verhandlungen über den Verzicht auf eigene behördliche Ermittlungsmaßnahmen oder auch über Art und Maß von Bußgeldern dienen.
Behörden können Ergebnisse interner Ermittlungen beschlagnahmen
Kooperiert das Unternehmen nicht freiwillig mit den Ermittlungsbehörden, können diese auf förmliche Ermittlungsmaßnahmen wie Durchsuchungen und die Beschlagnahme von Unterlagen und Daten zurückgreifen. „Grundsätzlich gilt in Deutschland: Unterlagen wie zum Beispiel Interviewprotokolle, die das Unternehmen im Zusammenhang mit einer internen Untersuchung erstellt hat und sich im Unternehmen befinden, können beschlagnahmt werden“, warnt Oppenhoff-Experte Bormann. Das Beschlagnahmeverbot im Sinne des § 97 StPO gilt nicht – auch nicht, wenn die Unterlagen von einem Syndikusrechtsanwalt erstellt wurden. „Unterlagen, die von einer externen Rechtsanwaltskanzlei angefertigt wurden, unterliegen grundsätzlich auch nicht dem Beschlagnahmeverbot – es sei denn, sie wurden zu Verteidigungszwecken im Rahmen eines Verteidigungsmandats angefertigt“, so Bormann. „Unternehmen ist deshalb zu empfehlen, im Rahmen von unternehmensinternen Ermittlungen die Produktion von Unterlagen auf das Notwendigste zu beschränken. Mandatsvereinbarungen mit externen Anwälten sollten darüber hinaus auch stets eine Beauftragung zu Zwecken der Verteidigung mit beinhalten, für den Fall, dass sich der Tatverdacht im Rahmen der internen Untersuchung verdichtet oder gar bestätigt.“ Sollten sich die Vorwürfe im Laufe der Untersuchung als zutreffend erweisen, muss das Unternehmen auch prüfen, ob es rechtliche Schritte gegen die verantwortlichen Personen einleitet, so Oppenhoff-Partner Dohrn. „In Betracht kommen diesbezüglich Schadensersatzansprüche oder arbeitsrechtliche Disziplinarmaßnahmen wie Versetzungen, Kürzungen von Entgeltbestandteilen, Abmahnungen oder Kündigungen.“ Geht es um strafrechtlich relevante Vorwürfe, kann auch eine Strafanzeige gegen die betreffenden Mitarbeiter sinnvoll sein. Das sei aber eine Frage des Einzelfalls, sagt Leoni-Jurist Mohr. „Bei uns ist es gerade bei reinen Eigentumsdelikten in der Regel so, dass wir von einer Strafanzeige absehen. In vielen Fällen ist uns mit einem Ersatz des Schadens sowie mit einer Trennung ausreichend gedient und wir müssen dem Mitarbeiter nicht für seine weitere Zukunft Steine in den Weg legen.“ Wenn die Situation jedoch eskaliere, die Umstände der Tat erhebliche Auswirkungen haben, eine negative Außenwirkung für das Unternehmen oder ein schwerwiegender Schaden entstanden ist, könne man auch über eine Anzeige diskutieren. „Da gehen wir sehr situativ vor“, so Mohr. In jedem Fall ist das Ziel des Procederes, die Einhaltung geltenden Rechts und des selbst auferlegten Code of Conduct sicherzustellen. „Wir haben einen Legalitätsgrundsatz, wir wollen uns an die rechtlichen Gegebenheiten halten“, betont Mohr. Und wenn durch ein internes Ermittlungsverfahren Schwachstellen oder strukturelle Defizite offengelegt werden, gilt es, diese zu beheben und auf diese Weise zukünftige Verstöße zu vermeiden. Im Fall der Ergo Versicherungsgruppe haben die aus den Ergebnissen der internen Ermittlungen im Zuge der Budapest-Affäre gezogenen Konsequenzen durchaus Früchte getragen: Als 2016 Vorwürfe wegen Betrugs und Untreue gegen Verantwortliche des russischen Ergo-Ablegers in Sankt Petersburg bekannt wurden, wurde die Affäre recht geräuschlos aus der Welt geschafft. „Der Betrug wurde dank des Compliance-Systems von Ergo Mitte 2016 aufgedeckt“, teilte der Versicherungskonzern mit. „Ergo arbeitete den Fall seitdem mit externer forensischer und juristischer Unterstützung akribisch auf und kooperierte dabei auch mit lokalen Behörden.“ Die verantwortlichen Geschäftsleiter des russischen Tochterunternehmens wurden entlassen und auf Schadenersatz verklagt.
■ Harald Czycholl-Hoch