Wer als Legal Counsel in einer Rechtsabteilung arbeitet, hat es nicht immer leicht. „Die wesentliche Herausforderung der letzten zehn Jahre besteht in der zunehmenden Aufgabenflut, getrieben durch die zunehmende Regulierung und Verrechtlichung des Wirtschaftslebens“, sagt Tobias Greven, General Counsel & Head of Corporate Office bei der Kion Group AG in Frankfurt. Als Beispiele nennt er die Lieferkettengesetzgebung, Nachhaltigkeitsberichterstattung sowie den EU-Data- und AI-Act. Gleichzeitig seien die Unternehmen nicht mehr bereit und in der Lage, die zunehmende Arbeitsbelastung für die Inhouse-Juristen mit entsprechenden Ressourcen abzufedern. „Dabei steigt das Risiko von Rechtsverstößen durch die Gesetzesflut objektiv“, so Greven. Was Tobias Greven aus seinem Arbeitsalltag schildert, spiegelt auch der Rechtsabteilungsreport von KPMG Law wider, der seit 2005 alle zwei Jahre umfassende Einblicke in die Entwicklung von Rechtsabteilungen international tätiger Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland bietet und sich zu einer Art Standardwerk für General Counsel etabliert hat. Demnach ist die Zahl der Anwälte pro Umsatz-Milliarde hierzulande rückläufig – die Analyse aller Teilnehmer zeigt, dass Unternehmen mittlerweile durchschnittlich 5,3 Anwälte pro Milliarde Euro Umsatz beschäftigen. „Das Setup war bisher immer: Ich habe mehr zu tun, also stelle ich noch mehr Leute ein. Deshalb hat man seit 2005 massiv intern aufgebaut“, erklärt Andreas Bong, Partner und Leiter Legal Operations & Technology Services in der Kanzlei KPMG Law, Autor des Reports. „Das ist seit 2019, also über zwei Reports hinweg, nicht mehr der Fall: die Rechtsabteilungen schrumpfen, zumindest was die Anzahl der Anwälte pro Umsatz-Milliarde betrifft.“ Dieser Trend liegt in manchen Fällen darin begründet, dass die Unternehmen stark wachsen, aber nicht im gleichen Maße Neueinstellungen in ihren Rechtsabteilungen vornehmen. Dann reduziert sich rein mathematisch die Kennzahl. In manchen Branchen wie etwa der Chemie- und Pharmaindustrie, die aufgrund der hohen Energiepreise hierzulande einen schweren Stand hat, verkleinern sich aber auch die Rechtsabteilungen, weil freiwerdende Stellen nicht wieder besetzt werden. Insgesamt seien die Unterschiede zwischen den verschiedenen Branchen auffällig, so Bong. So verfügt etwa Life Science/Pharma mit über zehn Anwälten pro Milliarde Euro Umsatz über eine hohe Anzahl an Inhouse-Juristen, während es in der Automobilindustrie nur rund drei Anwälte pro Milliarde Euro Umsatz gibt, ganz zu schweigen von der Konsumgüterindustrie, die weit unter diesen Werten liegt. „Diese Unterschiede spiegeln die unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen und Komplexitäten der jeweiligen Branchen wider“, sagt Bong. Auch mit Blick auf die Assistenzfunktionen innerhalb der Rechtsabteilung gibt es massive Umwälzungen. So waren 2005 waren etwa 30 Prozent der gesamten Rechtsabteilung Assistenzfunktionen. Mittlerweile sind es nur noch sieben Prozent. „Wachstum sehen wir auf der anderen Seite vor allem bei Legal Operations- und Legal Tech-Spezialisten, die in der Lage sind, Prozesse schneller zu machen und zu optimieren“, sagt der KPMG Law-Experte. „Hier verzeichnen wir ein massives Wachstum von über 400 Prozent in den letzten vier Jahren.“
“Die wesentliche Herausforderung der letzten zehn Jahre besteht in der zunehmenden Aufgabenflut, getrieben durch die zunehmende Regulierung und Verrechtlichung des Wirtschaftslebens.”
Tobias Greven
General Counsel & Head of Corporate Office,
Kion Group
Knappe personelle Ressourcen, mehr Technologie
„Recht auf Fortschritt“ lautet der Titel des KPMG Law Legal Benchmarking Reports – und der Name ist Programm: „In unserer dynamischen Geschäftswelt durchlaufen Rechtsabteilungen eine tiefgreifende Transformation, geprägt von strategischer Neuausrichtung und technologischer Innovation“, erklärt Bong. Treiber der Digitalisierung seien dabei Legal-Tech-Lösungen, für deren effizienten Einsatz allerdings eine durchdachte Strategie notwendig ist. „Gleichzeitig gewinnt die intelligente Nutzung externer Ressourcen und speziellen Fachwissens für die Neuausrichtung der Legal Departments an Bedeutung“, so Bong. Vor dem Hintergrund grundlegender Veränderungen in der Arbeitswelt seien auch Inhouse-Juristen zunehmend gefordert, sich selbst und ihr Arbeitsfeld ein Stück weit neu zu erfinden, sagt Prof. Dr. André Niedostadek, Professor für Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz in Halberstadt. „Inhouse-Juristen stehen heutzutage gleich vor mehreren Herausforderungen. Da ist zum einen ein immenses Spektrum an rechtlichen Themen abzudecken. Hinzu kommt, dass die Palette an Rechtsbereichen oft sehr ausdifferenziert ist und vieles sich obendrein dynamisch entwickelt.“ Da am Ball zu bleiben, erfordere eine kontinuierliche Weiterbildung, so Niedostadek. Hinzu komme die Integration neuer Technologien. „Dass Technologie auch die Arbeit in Rechtsabteilungen verändert, dürfte inzwischen angekommen sein. Tools gibt es zuhauf. Sie sind vor allem dort nützlich, wo sie Routinen vereinfachen.“ Der zunehmende Einsatz von Technologie sei dabei auch ein Mittel, um die knappen personellen Ressourcen in den Rechtsabteilungen aufzufangen, so Kion-Unternehmensjurist Greven, der als Mitglied des Fachbeirats die Erstellung des Rechtsabteilungsreports unterstützt hat. „Der kluge Einsatz moderner Technologien kann helfen, die Überbelastung zu mildern.“ Aufgaben, die früher ganze Juristen-Arbeitstage beanspruchten, würden sich heutzutage mit Hilfe generativer Künstlicher Intelligenz (KI) mitunter in wenigen Minuten erledigen lassen. „Natürlich steckt diese Technologie noch in den Kinderschuhen und bedarf fachkundiger Nutzung und Begleitung“, so Greven. „Gleichwohl ist das Effizienzpotenzial, das in ihr steckt, bereits heute beeindruckend.“ Auch das zeigen die im Report veröffentlichten Daten. Der Einsatz von Technologie habe starke Impulse für die optimale Nutzung von Ressourcen, schnellere Dienste und die Verbesserung der Gesamtqualität gegeben, so KPMG Law-Experte Bong. „Technologien wie Big Data, Predictive Analytics und digitales Vertragsmanagement spielen bei diesem Wandel eine zentrale Rolle. Der Anteil der Unternehmen, die Technologien wie Dokumentenautomatisierung und Contract Lifecycle Management (CLM) einsetzen, ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen.“ So nutzen mittlerweile 46 Prozent der befragten Unternehmen CLM-Systeme. Der Report verdeutlicht auch das Potenzial der verschiedenen Technologien: So sehen 35 Prozent der Befragten eine sehr hohe Eignung für das Vertragsmanagement, 45 Prozent eine hohe Eignung. Beim Budgetmanagement, also dem klassischen Legal Spend Management, schätzen 34 Prozent das Potenzial als sehr hoch ein, 59 Prozent als hoch, wobei 93 Prozent das Einsparpotenzial als das größte Nutzenversprechen sehen. Die Dokumentenautomatisierung wiederum wird von 91 Prozent der Befragten als hoch bis sehr hoch bewertet. KI-Anwendungen stoßen insbesondere im Automobil- und Bankensektor auf zunehmendes Interesse – hier sehen 19 Prozent ein sehr großes Potenzial und 63 Prozent ein hohes Potenzial. Insgesamt steigt das Vertrauen in Legal Tech in allen Branchen spürbar. „Es geht darum, dass man schneller besser oder effizienter wird in der Rechtsfunktion. Das ist der zentrale Erfolgsfaktor, wenn die Leute tendenziell weniger werden, die Arbeit aber zunimmt“, so Bong. Und so sei es nur folgerichtig, dass die Nutzung von Technologie massiv ansteige.
„In unserer dynamischen Geschäftswelt durchlaufen Rechtsabteilungen
eine tiefgreifende Transformation, geprägt von strategischer Neuausrichtung und technologischer Innovation.“
Andreas Bong
Partner und Leiter Legal Operations & Technology Services,
KPMG Law
Stärkerer Fokus auf hochwertige Tätigkeiten
Der Einsatz moderner Technologien erlaube es Unternehmensjuristen, Routinearbeiten und Arbeiten mit einem hohen Anteil repetitiver und wenig fachkundiger Natur zu delegieren, bringt es Unternehmensjurist Greven auf den Punkt. Dazu würde beispielsweise die Recherche neuer Gesetze und Rechtsverordnungen oder auch das mühsame Studium langwieriger Vertragsdokumente zählen. „Das erlaubt es den Inhouse-Juristen, sich künftig auf hochwertige und natürlich auch interessantere Tätigkeiten zu fokussieren, wie die fachliche Analyse komplexer Rechtsfragen, Verhandlungen oder die Auseinandersetzung vor Gericht“, so Greven. Das mache den Job als Unternehmensjurist auch auf lange Sicht nachhaltig attraktiv. Aus Sicht von Prof. Niedostadek von der Hochschule Harz sei es „wichtig, nicht allein auf die Technologien zu blicken, sondern auch wichtige Schlüsselkompetenzen, wie beispielsweise kritisches Denken, Problemlösungsfähigkeiten und speziell auch kommunikative Kompetenzen, nicht aus den Augen zu verlieren“. Gerade die vielfältigen Herausforderungen würden die Arbeit als Unternehmensjurist auch künftig sehr attraktiv machen, so der Rechtsprofessor. „Trotz aller KI-Euphorie: Juristisches Know-how wird unternehmensintern auch weiterhin unerlässlich sein und vielfältige Aufgaben bieten. Da bin ich mir sicher.“ Insgesamt gebe sich die Europäische Union durch immer neue Regulierung „größte Mühe, die Rechtsfunktionen in den Unternehmen beschäftigt zu halten“, sagt Bong. Vielfach würden die durch die Nutzung von Technologien erzielten Effizienzgewinne direkt wieder von neuen Herausforderungen geblockt. „Ich glaube, bei vielen Unternehmen ist es ein Nullsummenspiel: Man wird effizienter, aber auf der anderen Seite muss man wieder neue Spezialthemen besetzen“, erklärt Bong. Aufgrund der zunehmenden Regulatorik und den tendenziell abnehmenden personellen Ressourcen gebe es allerdings auch immer weniger Rechtsabteilungen, die Zeit für ein proaktives Risikomanagement haben, „im Sinne der Durchführung einer Relevanzanalyse, welche rechtlichen Risiken in den Ländern bestehen, in denen man als Unternehmen präsent ist“, so Bong. „Dieses proaktive Handeln geht unter dem Druck des Budgets und der Mitarbeiterzahlen anscheinend etwas verloren.“ Zugleich führt der Einsatz von modernen Technologien aber natürlich auch zu einer deutlichen Kostensenkung, denn vieles, wofür früher ein hochqualifizierter Mitarbeiter einen ganzen Arbeitstag benötigte, lässt sich nun innerhalb von Minuten erledigen. „Unternehmen, die Legal Tech bereits einsetzen, berichten von durchschnittlichen Kosteneinsparungen von rund zehn Prozent bei gleichzeitiger Prozessbeschleunigung um 20 Prozent“, so KPMG Law-Partner Bong. Zu diesen Effizienzsteigerungen trägt die Automatisierung von Back-Office-Prozessen, also etwa das Führen von digitalen Akten, Ausgabenverwaltung und vieles mehr, wie auch die Automatisierung von Front-Office-Prozessen wie zum Beispiel die automatisierte Dokumentenerstellung oder andere Self-Service-Module bei. Der Rechtsabteilungsreport dokumentiert dabei detailliert, wie diese Technologien in Unternehmen umgesetzt werden und welche konkreten Vorteile sie mit sich bringen. Eine Konsequenz aus der zunehmenden Nutzung von Technologien ist auch, dass die Rechtsabteilungen anteilig immer weniger Aufgaben extern an teure Kanzleien vergeben. „Die Outsourcing-Ratio nimmt beständig ab“, so Bong. Insgesamt macht der KPMG Law Legal Benchmarking Report 2023/24 deutlich, wie sich Rechtsabteilungen in Deutschland weiterentwickelt haben. Die zunehmende Spezialisierung von Syndikus-Rechtsanwälten, der Rückgang der Anwaltskapazitäten bei gleichzeitiger Zunahme von Legal Operations Managern, die stetige Optimierung der Rechtsberatung sowie der Fortschritt von Technologie und Automatisierung sind die wesentlichen Trends, die auch weiterhin die Zukunft von Rechtsabteilungen prägen werden. „Die Rechtsabteilungen befinden sich in einem weitreichenden Transformationsprozess, der weit über die Einführung neuer Technologien hinausgeht“, sagt Bong. Die zukünftigen Herausforderungen und Prioritäten würden darin bestehen, diesen Wandel voranzutreiben – „und die Mitarbeitenden in den Rechtsabteilungen noch stärker auf die dynamischen Anforderungen der Geschäftswelt auszurichten“.
■ Harald Czycholl