Mehr Nachhaltigkeit, mehr Kreislaufwirtschaft, weniger Müll: Verbraucher in der Europäischen Union (EU) haben künftig ein Recht auf die Reparatur ihrer Produkte. Das sieht ein Gesetz vor, auf das sich das Europaparlament und der Ministerrat Anfang Februar geeinigt haben. Defekte Waren müssen demnach auch nach dem Ende der zweijährigen Mindestgewährleistungspflicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums – kostenpflichtig – repariert werden können. Dadurch soll es künftig einfacher und günstiger werden, Produkte reparieren zu lassen, anstatt sie neu zu kaufen. Denn derzeit produzieren die europäischen Verbraucher jedes Jahr rund 35 Millionen Tonnen Müll, weil Produkte nicht repariert und einfach durch Neuware ersetzt werden. Zu den von der Richtlinie erfassten Produkten zählen zunächst Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen und Kühlschränke, aber auch Alltagsgeräte wie Smartphones. Früher oder später soll aber jede Art von Elektrogeräten von jenem Recht auf Reparatur umfasst sein. Parallel mit dieser Entwicklung haben sich die EU-Mitgliedsstaaten vor Kurzem auf die neue Ökodesignverordnung für nachhaltige Produkte verständigt, die künftig die Reparierbarkeit im Produktdesign für viele Verbraucherprodukte für Hersteller vorgibt. „Das Recht auf Reparatur bedeutet für Hersteller der betroffenen Produkte, dass zukünftig der Grundsatz ‚Nachbesserung statt Neulieferung‘ in den Fokus gestellt werden soll, um langfristig die Stabilisierung einer Kreislaufwirtschaft zu erreichen“, erklärt Laura Kesting, General Counsel bei der Gigaset Communications GmbH. Die EU-Richtlinie umfasst Änderungen im Gewährleistungsrecht und Änderungen außerhalb der gesetzlichen Gewährleistung. Im Rahmen des Gewährleistungsrechts soll die Reparatur gegenüber der Neulieferung den Vorrang gewinnen und der Gewährleistungszeitraum verlängert werden. „Außerhalb des Gewährleistungsrechts sollen unter anderem die Hersteller zur Reparatur der betroffenen Produkte für einen bestimmten weiteren Zeitraum zu einem angemessenen Preis verpflichtet werden“, so Kesting. Für den Zeitraum der Reparatur sollen für die Verbraucher Leih- oder Tauschgeräte bereitgestellt werden. Darüber hinaus sollen erhöhte Transparenzanforderungen gelten und der Zugang der Verbraucher zum Reparaturmarkt erleichtert werden. Zu diesem Zweck möchte die EU den Herstellern umfassende Informationspflichten auferlegen. „Mit der erzielten Einigung zum Recht auf Reparatur wollen der Rat und das Europäische Parlament die Grundlage dafür schaffen, dass zukünftig mehr Waren in der EU repariert werden, anstatt sie wegzuwerfen. Dieses Ziel unterstützen wir“, sagt Holger Schwannecke, Generalsekretär beim Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH). Die dafür gewählten Maßnahmen seien jedoch nicht ausreichend, so der Jurist. „Handwerksbetriebe, die Reparaturleistungen anbieten, wollen ihren Beitrag zu einer nachhaltigeren Wirtschaft leisten. Was sie dafür aber dringend brauchen, sind reparable Waren und ausreichend Fachkräfte.“ Außerdem müssten Ersatzteile und Reparaturinformationen ohne Wettbewerbsverzerrung und zu fairen Preisen zur Verfügung gestellt werden, erklärt Schwannecke. „Insgesamt kann eine Ausweitung des Reparaturmarkts nur durch wirtschaftliche Anreize auf Angebots- und Nachfrageseite gelingen.“ Die Verlängerung der Gewährleistungsfrist nach einer Reparatur um ein Jahr sei in diesem Zusammenhang kontraproduktiv, meint der Verbandsjurist. „Sie ist nicht sachgerecht und mit Rechtsunsicherheit für Reparaturbetriebe verbunden, weil sie Rückgriffsansprüche gegen die Hersteller häufig nur schwer durchsetzen können.“
„Eine Ausweitung des Reparaturmarkts kann nur durch wirtschaftliche Anreize auf Angebots- und Nachfrageseite gelingen.“
Holger Schwannecke
Jurist und Generalsekretär, Zentralverband des deutschen Handwerks
Hersteller sollten sich vorbereiten
Die finale Richtlinie muss vom Europäischen Parlament und vom Europäischen Rat beschlossen und im EU-Amtsblatt verkündet werden. Anschließend wird es voraussichtlich eine Umsetzungsfrist von 24 Monaten geben, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Das Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz hat aber angekündigt, noch in diesem Jahr ein deutsches Reparaturgesetz vorlegen zu wollen, welches Hersteller verpflichten soll, mindestens zehn Jahre lang Ersatzteile für Produkte vorzuhalten und diese innerhalb von 14 Tagen zu einem angemessenen Preis zur Verfügung zu stellen. Die Hersteller sollten daher mit ihren Vorbereitungen auf das Recht auf Reparatur bereits jetzt beginnen, rät Unternehmensjuristin Kesting. „Hierzu gehört beispielsweise eine Umstellung der strategischen und operativen Prozesse, da Ersatzteile verstärkt und für einen längeren Zeitraum vorgehalten und dementsprechend vorausschauend produziert oder bestellt werden müssen.“ Dies beeinflusse die logistischen Prozesse, und zwar nicht nur mit Blick auf Produktion oder Beschaffung, sondern auch hinsichtlich der Lagerkapazitäten. Auch Felix Meurer, Senior Associate in der Kanzlei Orth Kluth in Berlin, rät Herstellern, Importeuren und Händlern der entsprechenden Produkte dazu, sich rechtzeitig vorzubereiten. „Da der Aufbau der erforderlichen Prozesse in operativer, finanzieller und personeller Hinsicht aufwendig ist, sind betroffene Unternehmen angehalten, sich frühzeitig mit den Pflichten auseinanderzusetzen“, betont der Experte. „Relevant ist insbesondere, ob man die Reparaturen in-house ausführen oder outsourcen möchte.“ Insgesamt würden viele neue Prozesse entwickelt und in den Betriebsalltag implementiert werden müssen. Vorteilhaft für betroffene Hersteller sei es, dass die entsprechenden Pflichten zukünftig EU-weit harmonisiert sind, sodass sie grundsätzlich nicht mit unterschiedlichen Anforderungen in den EU-Mitgliedstaaten konfrontiert werden. Infolge der neuen gesetzlichen Vorschriften nehme aber die Komplexität der Herstellung und des Vertriebs betroffener Waren zu. „Aufgrund der Komplexität ist zu erwarten, dass viele Unternehmen bei der Umsetzung der neuen rechtlichen Anforderungen auf externe Beratung angewiesen sind“, sagt Meurer. „Dies gilt insbesondere für solche Unternehmen, die selbst keine ausreichenden Ressourcen der Rechtsabteilung haben.“ Der Rückgriff auf eine externe Beratung biete dabei den Vorteil, dass externe Berater Erfahrungen aus verschiedenen Fällen bündeln und somit zu einer bestmöglichen Umsetzung beitragen könnten.
Rechtsabteilung spielt wichtige Rolle bei Umsetzung
Grundsätzlich komme den Rechtsabteilungen betroffener Unternehmen eine wichtige Rolle in der Umsetzung der neuen gesetzlichen Vorschriften und der Koordination der erforderlichen Maßnahmen im Unternehmen zu, betont Orth Kluth-Anwalt Meurer. „Zum einen müssen die Rechtsabteilungen die Fachabteilungen und Produktentwickler in die Lage versetzen, die betroffenen Waren entsprechend der neuen Anforderungen zu konzipieren.“ In diesem Zusammenhang werde es erforderlich sein, Einkaufsvereinbarungen mit Zulieferern anzupassen. „Außerdem kommt den Rechtsabteilungen die Aufgabe zu, mit der Geschäftsführung wesentliche Anpassungen bezüglich der Implementierung der erforderlichen Prozesse abzustimmen“, so Meurer. Zudem treffe die Rechtsabteilungen die Verantwortung, die rechtlichen Verhältnisse in der Lieferkette sowie die Pflichten gegenüber den Endkunden anzupassen, etwa mit Blick auf die AGB, Händlerverträge sowie die Vorbereitung der Informationspflichten. Eine Rechtsabteilung habe zunächst die Aufgabe, alle Themen im Blick zu behalten, die neu aufkommen und somit die Gesetzgebungsverfahren zu verfolgen, betont Unternehmensjuristin Kesting. Daneben sei es relevant, den Vorstand oder die Geschäftsführung früh zu informieren und im Hinblick auf Änderungen zu sensibilisieren. „Mir ist es hierbei wichtig, die juristischen Rahmenlinien für die Verantwortlichen außerhalb der Rechtsabteilung verständlich und praxistauglich zu übersetzen“, erklärt Kesting. Denn die Implementierung der erweiterten Reparaturprozesse werde in strategischer, finanzieller, logistischer und auch personeller Hinsicht Aufwand und Umstellungen mit sich bringen. Dies müsse der Geschäftsführung nachvollziehbar erläutert werden, damit sie sich operativ damit auseinandersetzen könne. „Unter den Gesichtspunkten Compliance und Risikomanagement sind die im späteren Gesetzgebungsverfahren vorgesehenen Sanktionen bei Verstößen gegen die neuen Regelungen zu berücksichtigen, um mögliche Haftungsfelder zu vermeiden“, so Kesting weiter. Neben den erweiterten Informationspflichten sowie der geplanten Einrichtung einer europäischen Reparaturplattform, mit deren Hilfe die Verbraucher mit Anbietern verschiedener Reparaturdienstleistungen zusammengebracht werden sollen, dürften die neuen Vorgaben auch im Bereich der ansteigenden Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung Bedeutung entfalten. „Auch dies gilt es in der Rechtsabteilung zu beobachten“, hebt die Unternehmensjuristin hervor.
„Mir ist es wichtig, die juristischen Rahmenlinien für die Verantwortlichen außerhalb der Rechtsabteilung praxistauglich zu übersetzen.“
Laura Kesting
General Counsel, Gigaset Communications
Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg
Für sie sei es wesentlich, dass die anderen Abteilungen, die von den neuen gesetzlichen Vorhaben betroffen sein werden, frühzeitig eingebunden werden, damit sie wissen, was auf sie zukommt, sagt Kesting. „Hier kann es ein guter Weg sein, die neuen Anforderungen praxisnah aufzulisten und darzustellen und die Konsequenzen bei Verstößen aufzuzeigen.“ In diesem Zusammenhang würden sich auch kurze Schulungen oder Informationsrunden für die jeweiligen Abteilungen anbieten. „Anschließend halte ich es für bedeutsam, mit den Verantwortlichen dieser Abteilungen sowie mit der Geschäftsführung in den Dialog zu treten, um gemeinsam zu schauen, was getan werden muss und um die für das Unternehmen besten Umsetzungsmöglichkeiten auszuloten“, sagt die Unternehmensjuristin. Sinnvoll sei hier eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der Rechtsabteilung etwa mit der Produktentwicklung und dem Vertrieb, aber auch mit Abteilungen wie Service, Qualitätssicherung, Produktion, Supply Line und Logistik. Auch Orth Kluth-Anwalt Meurer betont die Wichtigkeit der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Abteilungen – von der Geschäftsführung über Einkauf, Vertrieb und Produktentwicklung bis hin zur Rechtsabteilung. „Zunächst müssen betroffene Waren so konzipiert werden, dass eine Reparatur grundsätzlich möglich ist. Zudem müssen Hersteller operative Prozesse etablieren, um zukünftig ihrer Verpflichtung zur Reparatur ihrer Waren nachkommen zu können“, so der Experte. „Es gilt daher, die Umsetzung der neuen Pflichten von Beginn an interdisziplinär zu gestalten und alle erforderlichen Stakeholder einzubeziehen.“ Es sei zu erwarten, dass Unternehmen im Hinblick auf den Nachweis der Reparierbarkeit ihrer Waren auf externe unabhängige Stellen zurückgreifen würden, meint Meurer. So bietet etwa der TÜV Rheinland in dieser Hinsicht einen neuen Service an: Die Fachleute des weltweit tätigen Prüfunternehmens nehmen Produkte in ihren Laboren detailliert unter die Lupe und ermitteln dabei einen Reparatur-Index. Herstellern diene die Analyse und der Reparatur-Index dazu, eine möglichst genaue Auskunft über die Reparierbarkeit zu erhalten und sich auf die neuen gesetzlichen Anforderungen einzustellen, erklärt Stephan Scheuer, bei TÜV Rheinland in Deutschland verantwortlich für Business Development und Prüfung nachhaltiger Anforderungen an elektrische und elektronische Produkte. „Damit lässt sich bereits jetzt transparent darstellen, wie effizient sich ein Produkt bei einem Defekt reparieren lässt oder wo die Verbesserungspotentiale liegen. Wir prüfen in Übereinstimmung mit den von der EU veröffentlichten Produktvorschriften und Normen.“ Denn schließlich ist Reparierbarkeit ein zentrales Kriterium für Nachhaltigkeit – ein Aspekt, der Verbraucherinnen und Verbrauchern und auch den gewerblichen Einkäufern und öffentlichen Beschaffungsstellen in der EU immer wichtiger wird.
■ Harald Czycholl